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Analyse: Wahl ohne Qual – Die Gouverneurswahlen in Kaliningrad | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Wahl ohne Qual – Die Gouverneurswahlen in Kaliningrad

Joanna Karasińska-Vogenbeck

/ 10 Minuten zu lesen

In Kaliningrad konnte Anton Alichanow die vorgezogenen Gouverneurswahlen als jüngster Gouverneur in der Geschichte Russlands für sich entscheiden. Obwohl er keiner Partei angehört, wurde er offiziell von der Regierungspartei aufgestellt. Welche Strategie verfolgt Präsident Wladimir Putin mit dem überraschenden Personalwechsel?

Marina Orgeyeva, Duma-Vorsitzende des Kaliningrader Gebiets und Gouverneur Anton Alichanow bei dessen Amtseinführung am 29. September 2017. (© picture-alliance/dpa, TASS)

Zusammenfassung

Am 10. September haben im Kaliningrader Gebiet vorgezogene Gouverneurswahlen stattgefunden. Sie endeten ohne Überraschung: Der seit Oktober 2016 kommissarisch amtierende Gouverneur Anton Alichanow erhielt über 80 Prozent der Stimmen. Als jüngster Gouverneur in der Geschichte der Russischen Föderation gilt er als Hoffnungsträger des Kreml, dem zugetraut wird, die wirtschaftliche Situation in der westlichsten Region Russlands zu stabilisieren und eine neue Entwicklungsstrategie auszuarbeiten.

Russlands Exklave an der Ostsee

Das Kaliningrader Gebiet ist das westlichste und zugleich kleinste der russischen Gebiete (Oblasti) der Russischen Föderation: Als eine von EU-Mitgliedsstaaten und der NATO umgebene Exklave kommt ihr allerdings eine zentrale Bedeutung für Russlands strategische Position an der Ostsee zu. Zugleich ist das Gebiet, das sich als Fenster und Visitenkarte Russlands gegenüber dem Westen präsentieren möchte, und das sowohl in der Vergangenheit als auch bis heute von bilateralen Kooperationsprogrammen profitiert, ein Barometer für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation. Die Lage als Exklave, die die Entwicklungsfähigkeit des Gebiets beschränkt, eröffnet ihr zugleich durch die Durchlässigkeit ihrer Grenzen für Personen, Waren, Dienstleistungen und Ideen vielfältige Chancen im Austausch mit ihren westlichen Nachbarn: Moskau war und ist dadurch immer wieder einem Handlungsdruck ausgesetzt, nämlich zur Frage, wie stramm es das Gebiet "an die Leine" nehmen oder ihm ein beschauliches Inseldasein zugestehen sollte.

Die Gouverneurswahlen vom 10. September – zu denen parallel in acht Kommunen des Kaliningrader Gebiets Wahlen abgehalten wurden – waren vorgezogen, sie hätten turnusgemäß erst im Jahr 2020 stattfinden sollen. Die vorgezogene Wahl war zum einen eine Folge des vom russischen Präsidenten in jüngster Zeit veranlassten, russlandweit betriebenen Elitenwechsels, der der Stabilisierung des politischen Apparats vor der Präsidentenwahl 2018 dienen soll. Andererseits sind sie im Fall Kaliningrad jedoch auch als Anzeichen zu verstehen, dass Moskau wieder die Kontrolle über die Region an der Ostsee übernommen hat und die lokalen Eliten mit Moskauer Kadern ersetzt.

Kaliningrad und der Kreml – eine schwierige Beziehung

Dass ein Signal zentralistischer Machtbehauptung notwendig wurde, erschließt sich aus einem Blick in die jüngere Vergangenheit des Gebiets. So sind die Wahlen in Kaliningrad eine Folge von gesellschaftspolitischen Ereignissen, die bis in das Jahr 2010 zurückreichen. Mit wachsender Sorge beobachtete damals der Kreml, wie Zehntausend Kaliningrader im Januar 2010 auf die Straßen gingen und gegen den von Moskau ernannten und entsandten Gouverneur Georgij Boos protestierten. Es war das "Menetekel von Kaliningrad", wie der Spiegel seinerzeit schrieb. Obwohl sich Kaliningrad unter Boos stark verändert und ein wirtschaftlicher Aufschwung samt regelrechtem Bauboom eingesetzt hatte, kam es doch zum Konflikt mit lokalen wirtschaftlichen und politischen Eliten.

Um die Situation zu entspannen, wurde im August 2010 – im Einklang mit der damals geltenden russischen Gesetzgebung – ein lokaler Politiker durch Präsidenten Medwedew in das Amt eingesetzt. Die Einsetzung Nikolaj Zukanows erfolgte zwar kurzfristig und hastig, doch konnte dieser seine Position im Gebiet rasch sichern und im September 2015 bei (wieder eingeführten) Direktwahlen sein Gouverneursamt verteidigen – als erster Kaliningrader Gouverneur seit 1991. Obwohl er sechs Jahre die Politik der Region gestalten konnte, galt dieser Vertreter lokaler Eliten in Moskau (aber auch in Kaliningrad) zuletzt als ineffektiv in seiner Verhandlungsfähigkeit gegenüber dem Kreml. Er war zudem durch mehrere Korruptionsskandale angezählt, in die seine Familie und andere Verwandte verwickelt waren. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich seine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit bei der Realisierung wichtiger Prestigeprojekte – selbst der Kreml sah sich zu einer Kritik an mangelnden Fortschritten beim Stadionbau für die WM 2018 oder bei der Flughafenerweiterung genötigt. Die wachsenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen führten zu einer verstärkten Militarisierung sowie einer sanktionsbedingten Verschärfung der wirtschaftlichen Lage der Region. Hinzu kamen die beträchtlichen Herausforderungen für das Gebiet nach dem Verlust seines Status als Sonderwirtschaftszone im Jahr 2016. Dies alles schuf zusammengenommen eine Situation, deren wirtschaftliche und politische Steuerung Zukanow nicht zugetraut, oder – positiv gewendet – nicht zugemutet werden konnte: Seine Freistellung vom Amt des Gouverneurs im Juli 2017 ging mit einer Beförderung zum Präsidialbeauftragten für den Föderalbezirk Nordwest einher und folgte damit dem Muster der Ämterrotation, das von Seiten des Kremls gegenwärtig russlandweit verfolgt wird.

Nachfolger Zukanows als Gouverneur wurde zunächst Ende Juni 2016 Jewgenij Sinitschew, der seit 2015 in Kaliningrad die Leitung der Kaliningrader Gebietsverwaltung des Inlandsgeheimdienstes FSB innegehabt hatte. Zu seinem nur drei Monate später erfolgten Rücktritt kursieren widersprüchliche Angaben – sie schwanken zwischen familiären und gesundheitlichen Gründen. Sinitschews wurde daraufhin von Präsident Putin zum stellvertretenden FSB-Chef in Moskau ernannt. Tatsächlich jedoch ist der verbreiteten Einschätzung kaum zu widersprechen, wonach dem früheren Bodyguard Putins von Anbeginn nur die Aufgabe eines "Transit-Gouverneurs" zugedacht gewesen war, der als Platzhalter hinter den Kulissen bleiben und dort den Kurs Alichanows gegen eine ineffiziente Verwaltung und Korruption vorbereiten sollte.

Überraschender Personalwechsel in der Gebietsführung – Putins junger Hoffnungsträger

Zeitgleich mit dem Wechsel Sinitschews nach Moskau ernannte Präsident Wladimir Putin am 6. Oktober 2016 den mit 30 Jahren jüngsten Gouverneur in der Geschichte der Russischen Föderation: Anton Andrejewitsch Alichanow wurde am 17. September 1986 in der abchasischen Hauptstadt Suchumi geboren. Nach einem Studium des Finanz- und Kreditwesens sowie der Rechtswissenschaft an der Staatlichen Steuerakademie in Moskau promovierte Alichanow in Wirtschaftswissenschaften an der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität. Er arbeitete ab 2010 im russischen Justizministerium und ab 2013 im Ministerium für Industrie und Handel, hier zunächst als stellvertretender Leiter, dann als Leiter der Abteilung für staatliche Außenhandelsregulierung. Im August 2015 wurde er Mitglied des Beraterstabs der Eurasischen Wirtschaftskommission, die Vizepremier Igor Schuwalow leitete. Obwohl er bisher keine Verbindung zu Kaliningrad hatte, wurde er im September 2015 in die westliche Region entsandt und auf Wunsch Moskaus dort stellvertretender Ministerpräsident, der als Minister für Landwirtschaft und Industrie im Gebiet zuständig war. Laut Presseberichten sollte er ein Gegengewicht zum damaligen Gouverneur Zukanow bilden. Schon am 30. Juli 2016 wurde Alichanow kommissarischer Ministerpräsident und am 6. Oktober 2016 von Präsident Wladimir Putin zum Gouverneur ernannt – zunächst provisorisch bis zur geplanten vorgezogenen Neuwahl des Gebietsoberhaupts am 10. September 2017, bei der er in diesem Amt bestätigt wurde. Diese bemerkenswerte Karriere ist nicht ohne die deutliche Unterstützung aus Moskau denkbar, wo die Familie Alichanow über eine effektive Vernetzung in Politik und Wirtschaft verfügt.

Als Alichanow bis Oktober 2016 für die wirtschaftliche Entwicklung der Region zuständig war, gehörten zu seinen Hauptaufgaben die Konsolidierung des Gebietshaushalts und die Eindämmung der geradezu pathologischen Verfilzung in der lokalen Wirtschaft. Größte Herausforderung war und blieb bis heute aber die Sicherstellung der ökonomischen und somit der sozialen Stabilität angesichts der fragilen wirtschaftlichen Situation des Gebiets, das zuletzt immer weniger Investitionen anziehen konnte. Ursächlich hierfür ist insbesondere auch das Auslaufen von Zollprivilegien zum 1. April 2016, die Moskau dem Gebiet vor zwanzig Jahren (1996) durch die Schaffung einer Sonderwirtschaftszone zugestanden hatte. Um die Konsequenzen dieses jähen Bruchs zu mildern, wurden die Geldtransfers aus dem Zentralhaushalt in die Region erhöht. Wenn auch bisher bereits 67 Milliarden Rubel (rund 1 Milliarde US-Dollar) geflossen sind und bis 2019 weitere 45 Milliarden Rubel in diesen Topf fließen sollen, ist dennoch deutlich zu erkennen, dass die brach liegende Kaliningrader Wirtschaft durch einen föderalen Geldregen allein nicht wieder aufblühen wird. Die Notwendigkeit eines solchen Erfolgs liegt auch für Moskau auf der Hand: Die strategisch bedeutsame, wenn auch kleine Exklave ist von einem der weltweit dynamischsten Wirtschaftsräume der vergangenen 25 Jahre umgeben. Die Entwicklungsschere mit dieser Region öffnet sich jedoch fortwährend weiter.

Auf expliziten Wunsch Putins wurde von Alichanow das Konzept eines Entwicklungsplans für die Region erarbeitet, der positive wirtschaftliche und damit soziale Prognosen ermöglichen soll. Gemeinsam mit externen Beratern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft erarbeite Alichanow neue Richtlinien und damit eine neue Agenda, die Kernbefindlichkeiten der Exklave anspricht: Steuererleichterungen für Investoren, Erhöhung der Attraktivität und bessere Öffnung der Region für in- und ausländischen Inverstoren durch Visaerleichterungen, Einforderung von Transparenz in der Wirtschaft (am deutlichsten thematisiert am Beispiel der Verarbeitung von Bernstein, dessen weltweite Vorkommen zu 90 % in der Exklave liegen und der vorwiegend schwarz abgebaut wird), Entwicklung des touristischen Potentials, Verbesserung und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und der Anbindung an das russische Kernland. Diese Versprechungen wurden von Präsident Putin begrüßt, die Initiative vor Ort wurde durch die persönliche Anwesenheit Putins und dessen Fürsprache im Wahlkampf geadelt und mit der Zusage von föderalen Mitteln unterfüttert.

Anton Alichanow zeigte jedoch auch jenseits der Wirtschaft Interesse für sozialpolitische Themen, insbesondere im Gesundheitswesen: So erwirkte er eine personelle Erneuerung im Gesundheitsministerium und initiierte den Bau einer neuen Poliklinik sowie die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in ländlichen Gemeinden. Damit konnte er sich als den alltäglichen Problemen der Gebietsbevölkerung zugewandter Kandidat präsentieren. In der Tat stand der Wahlkampf Alichanows ganz im Zeichen der Herstellung eines positiven Images für den aus Moskau Nominierten: Der beschleunigte Bau des Kaliningrader WM-Stadions und der Ausbau des Flughafens unterstrichen Effektivität und seine Macherqualitäten, die wirtschaftliche Entwicklungsplanung verwies auf konzeptionelle Weitsicht und Verhandlungsfähigkeit gegenüber dem föderalen Zentrum. Mit der angekündigten Schaffung eines lange geforderten Onkologiezentrums oder der Zusicherung subventionierter Flugpreise ins Kernland wurden Herz und ein Gehör für Befindlichkeiten der Bevölkerung demonstriert. Die hohe Zustimmung, die sich der Moskauer Kandidat bei den Wahlen sichern konnte, erschließt sich so aus einem Zusammenspiel föderaler Unterstützung und eines Bewusstseins für die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme auf regionaler Ebene, gepaart mit dem Versprechen eines "frischen Windes", der politische Erneuerung mit sich bringen kann.

Zwischen Nähe und Distanz: Regionalpolitik und die "Vertikale der Macht"

Alichanow ist kein Mitglied der Partei "Einiges Russland": Er wolle der Gouverneur aller Kaliningrader sein, einer Parteizugehörigkeit wolle er dementsprechend keine hohe Bedeutung zumessen, so Alichanow. Doch bleibt er der offizielle Kandidat der Partei der Macht ("Einiges Russland"), wurde von dieser aufgestellt und hat seine Sympathien für sie bekundet. Sowohl von Seiten Alichanows als auch durch die Partei wurde pronociert die persönliche Nähe zwischen dem Kandidaten und Wladimir Putin herausgestellt, die eine effektive und von höchster Stelle sanktionierte politische Handlungsfähigkeit garantiere. Das dennoch ambivalent bleibende Bekenntnis zur Partei der Macht passt gleichwohl in die Wahlkampfstrategie des "jungen Hoffnungsträgers", da es eine Erhabenheit über die Seilschaften und Verkrustungen des (regionalen) Machtapparats suggeriert, ohne diese direkt zu brüskieren. Denn der neue Gouverneur wird seine ambitionierte politische Agenda vor Ort nur mithilfe und innerhalb dieser regionalen Strukturen effektiv realisieren können.

Ob ein Aufweichen der Zugehörigkeit zu "Einiges Russland" ein Mittel wäre, um die Legitimierung eines zunehmend apathisch bis mit Ablehnung wahrgenommenen Machtapparats erneuern zu können, kann an diesem einen Einzelbeispiel nicht festgemacht werden. Festzuhalten ist jedoch, dass das Ergebnis von 81,06 Prozent der Stimmen für den Kandidaten der Kremlpartei eine bedenklich stimmende Tatsache überdeckt: Nur 39,33 Prozent der Bevölkerung nahm an den Gouverneurswahlen teil – und das trotz verlängerter Wahlzeiten von 7 bis 21 Uhr, Tee und Kuchen in den Wahllokalen und sogar Fahrrädern, Smartphones und anderen Geräten, die Urnengänger gewinnen konnten.

Obwohl das Ergebnis vorhersehbar war, waren die Wahlen nicht alternativlos. Neben Anton Alichanow, der 81,06 Prozent aller Stimmen auf sich vereinigen konnte, gab es drei weitere Kandidaten, die sich um das höchste Amt im Gebiet bewarben: der bereits vor zwei Jahren (noch gegen Zukanow) angetretene kommunistische Abgeordnete der Gebietsduma Igor Rewin (8,89 %), Jewgenij Mischin von der Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR, 5,47 %) und die von Kamtschatka nach Kaliningrad umgezogene Kandidatin der Grünen Partei Jekaterina Timofejewa (2,53 %). Wenn auch die fehlenden Siegchancen dieser Kandidaturen von Anbeginn feststanden, so wurden sie von Beobachtern und Experten vor allem auch als Möglichkeit interpretiert, Probleme und Herausforderungen für das Kaliningrader Gebiet – etwa mit Blick auf Umweltverschmutzung oder das wachsende Sozialgefälle – in öffentlicher Debatte zu benennen und politischen Botschaften an exponierter Stelle Präsenz zu verschaffen. Positionsbezogene politische Auseinandersetzung, die Teil eines demokratischen Wahlprozesses sind, fanden auch hier statt, allerdings innerhalb eines überschaubaren Rahmens.

Fazit

In der Berichterstattung in Kaliningrad wurde darauf verwiesen, dass bei geringer Wahlbeteiligung vor allem loyale Wähler der Machtpartei Einiges Russland mobilisiert worden seien. Vorab durchgeführte Umfragen verwiesen bereits auf eine niedrige Wahlbeteiligung, und zwar nicht aus politischem Desinteresse, sondern aus Desillusionierung. Aus Moskaus Perspektive bleibt es weiterhin die wichtigste Aufgabe der Regionalregierung, bei den russischen Präsidentschaftswahlen im März 2018 ein gutes Ergebnis im Kaliningrader Gebiet sicherzustellen. Die Wahl am 10. September 2017, in der Anton Alichanow zum Gouverneur des Kaliningrader Gebiets gewählt wurde, war dafür ein erfolgreicher Test.

Lesetipps

Gebiet Kaliningrad

  • Fläche: 15.125 km²

  • Bevölkerung (2017): 986.261

  • Bevölkerungsdichte: 65 Einw./km²

  • BIP pro Kopf (2015): 337.990 Rubel (ca. 5.026 €)

  • BIP im Vergleich zu Moskau: 31 %

  • BIP im Landesvergleich: 76 %

  • Quelle: Föderaler Statistikdienst GKS

Das Kaliningrader Gebiet ist das westlichste Subjekt der Russischen Föderation und als Exklave umgeben von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.

Die wirtschaftliche Situation der Region hängt eng von der gesamtrussischen Konjunktur ab, zumal das russische Kernland der Hauptabsatzmarkt für Güter ist, die in der Exklave produziert werden. Hierzu zählen vor allem Fernseher, Fahrzeuge, Möbel sowie Nahrungsmittel. Wirtschaftliche Schwerpunkte der Region sind die Fischerei, der Außenhandel über den ganzjährig eisfreien Kaliningrader Hafen sowie der Einzelhandel mit europäischen Nachbarn, der jedoch seit 2014 stark unter den gegenseitig verhängten Sanktionen gelitten hat und noch immer leidet. Landwirtschaft spielt eine untergeordnete, wenn auch zuletzt zunehmende Rolle. Von größerer, vor allem aber auch symbolischer Bedeutung ist die Bernsteingewinnung und -verarbeitung: In der Region, die auch als "Jantarnyj Kraj" ("Bernsteinland") bekannt ist, befinden sich mehr als 90 % der weltweiten Bernsteinvorkommen.

Das Gebiet ist zwar durch das Erbe der deutschen Geschichte geprägt, heute hingegen ist es vollauf russisch. Es hat knapp eine Million Einwohner, von denen die Hälfte in der Gebietshauptstadt Kaliningrad, gelegen am Pregel (russ.: "Pregolja"), dem ehemaligem Königsberg in Preußen lebt.

Die Hauptstadt ist auch das kulturelle Zentrum des Gebiets – das belegen eine Reihe von Theatern, eine Philharmonie, Museen (darunter das Immanuel-Kant-Museum, das Dommuseum, das Bernsteinmuseum und ein ozeanografisches Museum) sowie eine lebendige Off-Szene. Die meisten Kultureinrichtungen bzw. –initiativen sind in Gebäuden aus der "deutschen" Zeit untergebracht. Kaliningrad verfügt mit der Baltischen Föderalen Immanuel-Kant-Universität und der Kaliningrader Staatlichen Technischen Universität über zwei Hochschulen, die trotz der angespannten politischen Situation um einen intensiven internationalen Austausch bemüht sind. Kaliningrad ist einer der Austragungsorte bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018.

Fussnoten

Joanna Karasińska-Vogenbeck promoviert am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität in Berlin mit einer Arbeit über das lokale Policy-Making in der Russischen Föderation am Beispiel des Kaliningrader Gebiets. Schwerpunkte ihrer Forschung sind die Stabilisierung und Konsolidierung autoritärer Regime, die Interaktionen von Akteuren in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sowie Formen und Auswirkungen informeller Institutionen und Praktiken auf die politischen Prozesse in Russland. Sie ist Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung.