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Analyse: Russlands modernisiertes Militär: Die Lehren aus der Krim und aus Syrien

Bettina Renz

/ 8 Minuten zu lesen

Vor einigen Jahren hat Russland eine groß angelegte Modernisierung seiner Streitkräfte eingeleitet. Die jüngsten Auslandseinsätze scheinen nun den Erfolg der Maßnahmen zu unterstreichen – und werfen gleichzeitig die Frage nach den zukünftigen Plänen der Militärmacht auf.

Russische Soldaten bei der Eröffnungszeremonie einer gemeinsamen militärischen Übung in Serbien. (© picture-alliance/dpa)

Zusammenfassung

Die gesteigerten Fähigkeiten der russischen Streitkräfte haben Befürchtungen vor weiterer militärischer Aggression und Expansionismus ausgelöst. Allerdings bestehen weiterhin erhebliche Beschränkungen für Russlands Fähigkeit, seine militärische Stärke auf globaler Ebene zu projizieren oder einzusetzen. Bei der Abschätzung der Implikationen, die ein modernisiertes russisches Militär für die internationale Sicherheit hat, sollte sich die Aufmerksamkeit eher auf mögliche Absichten der russischen Führung hinsichtlich des Einsatzes von Gewalt richten, denn auf die militärische Stärke per se.

Einleitung

Während der Operationen im Vorfeld der Krim-Annexion im Frühjahr 2014 und später dann bei den Einsätzen der Luftwaffe über Syrien hat Russland eine Reihe neuer und verbesserter militärischer Fähigkeiten unter Beweis gestellt, die es im Zuge des 2008 aufgelegten Modernisierungsprogramms entwickelt hat. Die Verbesserungen sind zwar sicherlich bemerkenswert, doch ist auch klar, dass die Modernisierung der Streitkräfte ein fortdauernder Prozess und keineswegs abgeschlossen ist, während weiterhin erhebliche Beschränkung bestehen. Letzteres gilt insbesondere im Vergleich mit den Streitkräften technologisch weiter fortgeschrittener Länder, vor allem denen der USA. Für die internationale Sicherheit und zur Entwicklung einer angemessenen politischen Antwort gegenüber Russland sind wohl weniger die gesteigerten Fähigkeiten an sich von Bedeutung, als vielmehr das neue Vertrauen des Landes in seine Streitkräfte als außenpolitisches Instrument sowie mögliche zukünftige Absichten, dieses Instrument auch einzusetzen, was keineswegs sicher ist.

Umwandlung der Streitkräfte Russlands zu einem flexiblen Instrument der Außenpolitik

Bis zur Annexion der Krim im Jahr 2014 hatte der Westen Russland als ernstzunehmenden globalen militärischen Akteur abgeschrieben, insbesondere hinsichtlich der konventionellen Potentiale. Es war klargeworden, dass Russlands Fähigkeit, seine Macht auf globaler Ebene zu projizieren, massiv reduziert ist. Gleichzeitig gab es ernstzunehmende Mängel bei der Einsatzbereitschaft, Ausrüstung und Ausbildung der Streitkräfte, insbesondere hinsichtlich möglicher kleinerer Einsatzszenarien oder begrenzter kriegerischer Konflikte. Diese Defizite waren während der Kriege in Tschetschenien und zu einem gewissen Maße im Georgienkrieg 2008 schmerzlich zu Tage getreten. Die russischen Streitkräfte wurden dabei wegen des Einsatzes exzessiver Gewalt, wegen Kommando- und Kontrollproblemen und wegen mangelnder Koordination der verschiedenen Teilstreitkräfte, die zu erheblichen Opfern und vielen Fällen von friendly fire geführt haben. Das Fehlen selbst grundlegender moderner Technologien, wie sie allgemein in westlichen Streitkräften verwendet werden, hatte sich ebenfalls bemerkbar gemacht. Die Feldzüge in Tschetschenien und der Georgienkrieg wurden zu großen Teilen wie große konventionelle Operationen unternommen, bei denen sich Russland fast ausschließlich auf seine physische und zahlenmäßige Überlegenheit sowie auf überwältigende rohe Gewalt verließ. Andererseits sollte die Schwäche der russischen Streitkräfte nicht überschätzt werden, wenn es um das reine Potential geht, militärische Zerstörungskraft einzusetzen; ebenso sollte jetzt deren Stärke auch nicht übertrieben werden. Russland ist auch vor den Reformen von 2008 die stärkste Militärmacht im postsowjetischen Raum gewesen. Selbst in den 1990er Jahren war Russland in der Lage, in unmittelbarer Nachbarschaft ungestraft militärische Gewalt einzusetzen. Obwohl die Operationen schwerfällig waren, ist das Land aber nie das Risiko einer totalen Niederlage eingegangen.

Auch auf der globalen Ebene behielt Russland zumindest theoretisch sein massives Zerstörungs- und Angriffspotential in Gestalt seines Arsenals an strategischen Atomwaffen. Im Unterschied zu den konventionellen Kapazitäten waren die Strategischen Atomstreitkräfte stets auf einer Höhe mit denen der Vereinigten Staaten. Angesichts des anhaltenden Ungleichgewichts gegenüber der NATO und dem Westen ist allerdings klar, dass die Ergebnisse des Modernisierungsprogramms von 2008 die globale Machtbalance nicht wesentlich verändert haben. Zentrales Ziel der Militärreform von 2008 war eine Überwindung der Defizite, die sich seit den frühen 1990er Jahren bei den Operationen der russischen Streitkräfte (bei denen es sich um kleine oder begrenzte Kriegsszenarien handelte), bemerkbar gemacht hatten. Die Reformen sollten die Streitkräfte aus einem Großen und schwerfälligen, in vielerlei Hinsicht veralteten militärischen Gebilde zu Streitkräften verwandeln, die bei kleinen Kriegen und bewaffneten Aufständen "nutzbarer" wären; hier hatten die Streitkräfte in den vergangenen Jahrzehnten keine guten Leistungen gezeigt. Anders gesagt: Zentrales Ziel des Modernisierungsprogramms war es, die Streitkräfte von einem stumpfen Werkzeug zu einem flexiblen Instrument der Außenpolitik zu machen. Zu diesem Zweck wurden entsprechende Strukturreformen eingeleitet, neue Ausrüstung angeschafft und die Ausbildung neu justiert. Mit diesen Veränderungen, so hoffte man, würden die Streitkräfte schneller verlegbar, besser zu koordinieren sowie effizienter vorbereitet sein, um die Anforderungen bei kleineren Einsatzszenarien bewältigen zu können.

Lehren aus der Krim und aus Syrien

Russlands Operationen auf der Krim und in Syrien haben deutlich gemacht, dass diese Weiterentwicklung der Streitkräfte beträchtliche Erfolge zeitigte. Im Unterschied zu der rohen Gewalt, die in Tschetschenien und Georgien eingesetzt wurde, hat es auf der Krim kaum zerstörerisches militärisches Vorgehen gegeben. Die militärischen Planer setzten stattdessen auf Informationskampagnen, die bei der Mehrheit der lokalen Bevölkerung auf offene Ohren stieß. Darüber hinaus wurden Sondereinsatzkräfte genutzt, um wichtige Infrastrukturobjekte zu sichern, und es wurde Stärke demonstriert, indem großangelegte Manöver in der Nähe der ukrainischen Grenze abgehalten wurden. In Syrien wurden weitere neue Fähigkeiten an den Tag gelegt. Erstmalig seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde eine Out-of-area-Operation unternommen. Diese geriet zu einem technologieintensiven Einsatz der Luftwaffe, ähnlich den Operationen der USA, die seit dem Golfkrieg 1991 von russischen Militärstrategen offen bewundert worden waren. Im Verlauf des Syrieneinsatzes demonstrierte Russland Transportfähigkeiten in der Luft und zur See, die dem Land nur von wenigen Beobachtern zugetraut worden waren, und deren Fehlen vor zehn Jahren eine derartige Operation unmöglich gemacht hätten. Sowohl auf der Krim wie auch in Syrien wurden erhebliche Verbesserungen bei der Koordination erkennbar. Auf der Krim wurde eine ganze Bandbreite militärischer und nichtmilitärischer Taktiken geschickt kombiniert und die stark verbesserte Luft-Boden-Koordination in Syrien bedeutete, dass Russland bislang kein einziges Flugzeug über dem Operationsgebiet verloren hat, im Unterschied zu Georgien, wo in fünf Tagen sieben Maschinen durch friendly fire abgeschossen wurden. Allerdings gingen im Herbst 2016 kurz hintereinander zwei Jets bei Landeversuchen auf Russlands einzigem Flugzeugträger im Mittelmeer durch Unfälle verloren. Das hat deutlich gemacht, dass immer noch technologische Probleme bestehen. Die Reformen von 2008 haben die russischen Streitkräfte eindeutig in ein flexibleres Instrument der Außenpolitik verwandelt, wobei jetzt Stufen der Gewalt und entsprechende Taktiken mit Blick auf die spezifischen Ziele in unterschiedlichen Situationen fein abgestimmt werden können. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass sowohl die Krim als auch Syrien in ihrer Dimension begrenzte Operationen waren und uns somit nur wenig Anhaltspunkte über Russlands Fähigkeiten geben, seine militärische Stärke in größerem Maßstab auf globaler Ebene zu projizieren. Angesichts der anhaltenden Probleme mit der angestrebten Mannschaftsstärke, der Beschaffung von Ausrüstung in ausreichender Menge und Qualität sowie angesichts der wirtschaftlichen Stagnation ist es höchst unwahrscheinlich, dass Russland in absehbarer Zukunft in der Lage sein wird, eine Out-of-area-Operation mit Bodentruppen in gleicher Dimension wie die der US-geführten Koalition in Afghanistan und dem Irak zu starten und fortzuführen.

Was will Russland?

Bei den Lehren, die aus den russischen Militäreinsätzen auf der Krim und in Syrien zu ziehen sind, sind weniger die verbesserten Fähigkeiten von Bedeutung – obwohl die keinesfalls unbedeutend sind –, sondern eher das neue Vertrauen des Landes in sein Militär als außenpolitisches Instrument sowie der potentielle Wille der russischen Führung, dieses Instrument in Zukunft auch einzusetzen. Es liegt nahe anzunehmen, dass der erfolgreiche Einsatz auf der Krim, der das Image des russischen Militärs sowohl im Ausland als auch im Lande selbst verändert hat, die Führung des Landes in ihrer Entscheidung bestärkt hat, die Luftwaffe über Syrien einzusetzen. Insgesamt ist es wahrscheinlich, dass eine Entscheidung Russlands, unter bestimmten Umständen militärische Gewalt einzusetzen, in Zukunft leichter getroffen wird als etwa noch vor zehn Jahren, wo man Zweifel gehabt hätte, ob für einen Erfolg die notwendigen Fähigkeiten vorhanden sind. Die Luftwaffeneinsätze in Syrien wären vor zehn Jahren schlichtweg nicht möglich gewesen, selbst wenn es den politischen Willen gegeben hätte, sich in einen derartigen Konflikt einzumischen. Russlands gestärktes Vertrauen in seine Streitkräfte ist allerding nicht zwangsläufig mit der Absicht gleichzusetzen, militärische Gewalt als bevorzugtes Instrument der Außenpolitik einzusetzen – oder aber mit expansionistischen Zielen, wie einige Beobachter befürchten. Eine sichere Einschätzung Russlands zukünftiger Absichten hinsichtlich des Einsatzes militärischer Gewalt erscheint kaum möglich; Absichten können sich mit der Zeit ändern. Allerdings lassen sich Schlüsse aus Russlands Militäreinsätzen in postsowjetischer Zeit ziehen. Wie bereits erwähnt, ist Russland auch vor dem 2008 angestoßenen Modernisierungsprozess und vor der Annexion der Krim der dominierende militärische Akteur im postsowjetischen Raum gewesen. Es hat mit unterschiedlicher Zielsetzung bei einer Reihe von Anlässen militärische Gewalt eingesetzt, wenn das als im nationalen Interesse wahrgenommen wurde. Hierzu gehörten verschiedene "Friedenseinsätze" in den 1990er Jahren (Südossetien, Abchasien, Transnistrien und Tadschikistan) und der Krieg mit Georgien 2008. Bei anderer Gelegenheit mischte Russland sich nicht militärisch ein, etwa im Karabach-Konflikt oder bei den Unruhen in Kirgistan 2010, da andere außenpolitische Instrumente angemessener schienen. Bis zur Krim-Annexion hat es durch Russland keinen Einsatz militärischer Gewalt zur Ausdehnung seines Territoriums gegeben, selbst wenn die Möglichkeit dazu bestand, wie nach dem Georgien-Krieg 2008. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Russland auch in Zukunft in unterschiedlichen Situationen militärische Gewalt einsetzen wird. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass Russland dies – wie in der Vergangenheit – zur Verfolgung ganz spezifischer außenpolitischer Ziele und Interessen tun wird.

Ein zentrales Ziel russischer Außenpolitik und ein Schlüssel zu seinen nationalen Interessen war und ist weiterhin die Wahrung eines Großmachtstatus, und zwar auch militärisch, sowie die Wahrnehmung, dass ein solcher Status international anerkannt werden müsse. Die Operationen auf der Krim und in Syrien haben beträchtlich zum Erreichen dieses Ziels beigetragen, da Russland nun wieder als ernstzunehmender militärischer Konkurrent wahrgenommen wird. Der Einsatz militärischer Gewalt zu expansionistischen Zwecken, insbesondere in Situationen, in denen es zu einem direkten Konflikt mit den USA / der NATO führen könnte, dürfte in diesem Kontext kontraproduktiv erscheinen, nicht nur angesichts der – global gesehen – anhaltenden Begrenztheit der russischen Militärmacht, sondern auch, weil es Russlands Großmachtstatus oder gar die Existenz des Staates selbst gefährden würde. Das heißt nicht, dass ein solcher Konflikt nicht im Bereich des Möglichen liegt, doch ist es wahrscheinlicher, dass er aufgrund einer Eskalation von Spannungen entsteht, und nicht durch einen Akt expansionistischer Aggression.

Fazit

Bei einer Abschätzung der möglichen Folgen von Russlands Rückkehr als globaler militärischer Akteur ist zu berücksichtigen – will man nicht zu alarmistischen Schlussfolgerungen gelangen –, dass Staaten heute ein starkes Militär nicht nur für Kriege und territoriale Expansionen unterhalten. Prestige und Image sind hier eindeutig ein wichtiger Faktor, auch und vielleicht insbesondere für Russland. Dies ist ein wichtiger Punkt, wenn es um Überlegungen des Westens zu angemessenen aktuellen und zukünftigen politischen Antworten geht: markante russische Zurschaustellung militärischer Macht in Form von "Kraftmeierei" oder politischem brinkmanship zur Stärkung des internationalen Images kann nicht einfach durch militärische Abschreckung abgewendet werden. Versuche dieser Art könnten weitere Kraftmeierei provozieren und auf lange Sicht die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation erhöhen.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Fussnoten

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Bettina Renz ist Associate Professor an der School of Politics and International Relations der Universität Nottingham.