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Analyse: Zwei Jahre Wirtschaftskrise: Zögerliche Erholung, alte Rezepte und "Stagnationsmarketing" | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Zwei Jahre Wirtschaftskrise: Zögerliche Erholung, alte Rezepte und "Stagnationsmarketing"

Gunter Deuber Andreas Schwabe

/ 18 Minuten zu lesen

Die ökonomische Lage Russlands präsentiert sich laut Gunter Deuber und Andreas Schwabe derzeit als zweischneidiges Schwert: Zwar erholt sich die Wirtschaft langsam von der Krise der vergangenen Jahre, andererseits ist durch einen Mangel an Reformbereitschaft langfristig eine Stagnation zu erwarten.

Trotz der Abwertung des Rubels (Bild) erholt sich Russland nur langsam von der Wirtschaftskrise. (© picture-alliance/dpa)

Zusammenfassung

Russlands Wirtschaft erholt sich bedächtig und auf vertrauten Grundlagen, also vor allem auf den Rohstoffsektor gestützt. Die Wirtschaftspolitik folgt langen Entwicklungslinien: orthodoxe Budget- und Geldpolitik zur Wahrung staatlicher Handlungsspielräume, Konzentration von Wirtschaftsmacht bei Beibehaltung einer ansehnlichen internationalen Einbettung und Orientierung nach Asien. Insgesamt gibt es wenig Anzeichen, dass wirtschaftspolitische Neuerungen oder eine umfassende Wirtschaftsstimulierung anstehen. Der jetzige Politikmix mündet wohl in einer Stagnation. Die sich abzeichnende Gesamtkonstellation kann länger bestimmend sein und muss nicht per se radikale (wirtschafts-)politische Gegenbewegungen auslösen. Angesichts negativer Einkommenserwartungen der Haushalte liegt es indes nahe, durch "Stagnationsmarketing" die Stimmung nicht abgleiten zu lassen bzw. Anzeichen des wirtschaftlichen Niedergangs zu kaschieren.

Die Vorkrisen-Niveaus von BIP und Einkommen sind erst wieder 2019 bis 2020 erreichbar

Russland kommt nach und nach aus der Wirtschaftskrise. Der Konsum stabilisiert sich bzw. hat bei leicht steigenden Reallöhnen wohl die Talsohle durchschritten. Stimmungsumfragen deuten eine moderate Besserung an, die Industrie schwächelt aber, abgesehen vom Rohstoffsektor. Trotz Rubelabwertung und Importsubstitutionsstrategie weisen nur wenige Industriebranchen Zuwachs auf. Die chemische Industrie, die Nahrungsmittelindustrie und einige Branchen der Leichtindustrie können auch im aktuellen Umfeld zulegen, während vor allem der Transportmittel- und Maschinenbau, die Elektronikbranche und die Metallurgie heftige Rückgänge verzeichnen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird – trotz Stabilisierung im zweiten Halbjahr 2016 – heuer das zweite Jahr in Folge sinken. Die Rezession verflacht aber heuer mit einem BIP-Rückgang um ca. 0,5 Prozent (BIP Rückgang 2015 – 3,7 Prozent). Der rechnerische Abschwächungseffekt impliziert aber keinen dynamischen Zuwachs. Anlageinvestitionen und private Haushaltsnachfrage werden 2016 abermals spürbar um ca. 3–4 Prozent fallen. Das Vorjahr dazugerechnet, liegt der Nachfrageeinbruch russischer Haushalte bei 12–13 Prozent.

Relevante Prognostiker gehen nach 2016 nur von einer verhaltenen Besserung aus. BIP-Zuwachsraten um 1 Prozent sind offenbar die "neue alte Realität". Solche "Zuwachsraten" prägten schon die Jahre 2013/2014 oder die ökonomisch erlahmende Sowjetunion der 1980er Jahre, mit einem aufgrund historischer Quellen geschätzten jährlichen BIP-Wachstum von ca. 1,2 Prozent. Es wird Jahre dauern, bis Konsumausgaben oder Einkommen mutmaßlich wieder Vorkrisenniveaus erreichen. Gemäß plausiblen Annahmen könnte das reale BIP bis 2019 wieder auf dem Niveau von 2014 liegen. In Fremdwährung bemessen, könnte das Wiedererlangen von Vorkrisenniveaus beim BIP und beim Pro-Kopf-BIP (mit den Gipfelpunkten 2012 bzw. 2013) gar bis 2020 bzw. 2021 auf sich warten lassen – ohne tiefe Krise. Angesichts des jüngsten Einbruchs haben vor allem private Haushalte sehr negative Erwartungen zur zukünftigen Einkommensentwicklung, noch negativere als Firmen. Letztere haben sich rascher der "Stagnationsrealität" angepasst. Für ein Wachstum deutlich über 1–2 Prozent bräuchte es gemäß einer Ökonomen-Umfrage – bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen – einen derzeit kaum vorstellbar hohen Ölpreis von rund 70 US-Dollar. Es fehlt eine ölpreisunabhängige Wachstumsperspektive und angesichts des Stagnationsausblicks wird sich die Tendenz des sinkenden weltwirtschaftlichen Gewichts Russlands fortsetzten, mit einem Rückgang von fast 4 Prozent Anteil am Welt-BIP (2008) auf knapp unter 3 Prozent am Ende dieser Dekade; das ist ein niedrigerer Wert als 1998.

Die aktuelle Erholung verläuft – trotz Rubelabwertung – schleppender, als es empirische Ländervergleiche nahelegen. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigt, dass vor allem Exporteure außerhalb des Rohstoffsektors kaum von der realen Abwertung profitieren, und sie sieht die Gründe hierfür in institutionellen Mängeln im Geschäftsumfeld bzw. in starren Wirtschaftsstrukturen. Trotz schwacher Wirtschaftsdynamik gibt sich die politische Elite derzeit aber einem "Erholungsmantra" hin und betont: Die härteste Zeit ist (vorerst) überwunden. Oft wird der Bezug zu einer vermeintlichen Weltwirtschaftskrise hergestellt. Weltwirtschaft und -handel entwickeln sich historisch schwach, doch ist das massiv schlechtere Abschneiden Russlands, vor allem gegenüber Vergleichsländern, dennoch eklatant. Zudem sind über die prominente und durchaus öffentlichkeitswirksame Betonung der aktuellen Stabilisierung hinaus keine Reformansätze erkennbar. An ausgearbeiteten (teils liberal-marktwirtschaftlich orientierten) Entwürfen, etwa der "Strategie 2020", an der 1000 führende Experten arbeiteten, mangelt es nicht. Es hakt an der Implementierung bzw. Reform- und Veränderungsbereitschaft in der praktischen Wirtschaftspolitik. Daher dürften auch von wahrscheinlich in 2017 oder 2018 vorgestellten weiteren Modernisierungspapieren nicht zu viele Impulse ausgehen. Die Stabilisierung der Rohstoffpreise hat die Planbarkeit wieder erhöht; Reformdebatten unter Entscheidungsträgern finden in Russland vor allem bei hoher Ölpreisunsicherheit statt. Andererseits verwehrt man sich klar einer Rückwärtsgewandtheit. Radikale Politikideen etlicher heimischer Ökonomen, etwa des selbsternannten "Stolypin-Klubs", wie aggressiv-expansive Geldpolitik, mehr Staatsschulden, Abschottung vom Ausland beim Handel und bei Finanztranskationen, radikal-prohibitive Besteuerung Vermögender oder mehr Subventionierung finden keinen Eingang in die Praxis.

Geld- und Währungspolitik: Orthodoxie überwiegt

Die russische Notenbank hat bis dato mit einer restriktiven Geldpolitik und der strikten Konzentration auf Inflationsbekämpfung überrascht. Jüngste Ausführungen zur weiter angedachten Geldpolitik bestätigen, dass dieser Kurs fortbestehen wird bzw. ein nachdrücklich positiver Realzins (ein Leitzins deutlich über der Inflationsrate) von 2–3 Prozent angepeilt wird. Die Notenbank will keine Stimulierung durch Schulden bzw. massive Kreditvergabe oder (Überraschungs-)Inflation. Sie sieht Russlands Wirtschaft in einem neuen "Niedrigwachstumsgleichgewicht" angelangt. Im Gegensatz zur Periode von 2001 bis etwa 2014 wird "nur" einstelliges Kreditwachstum, leicht aber nicht deutlich über dem nominalen BIP-Wachstum, erstrebt. Für ihren eher restriktiven Kurs bekommt die Notenbank prinzipiell politischen Beistand. Teure Stabilisierungsmaßnahmen bei staatlichen Großbanken und Aufräummaßnahmen im Bankensektor haben vorgeführt, dass ein heftiger und spekulativer Schuldenanstieg (wie in der letzten Dekade) mit Nachteilen verbunden ist und staatliche Ressourcen auffressen kann. Daher gibt es auch politischen Beistand für aktuelle Aufräummaßnahmen im Bankensektor. Zumal dadurch Agenden wie De-Offshoring (bzw. weniger Kapitalfluss ins Ausland) oder Kontrolle von Finanz- bzw. Eigentumsverhältnissen flankiert werden und staatliche bzw. staatsnahe Banken Marktanteile gewinnen. Obendrein gilt Russlands Finanzsektor dadurch weniger als Risikofaktor, auch bei internationalen Akteuren. Gerne wird öffentlichkeitswirksam vor allem auf die abfallende Inflation verwiesen, und auf die Aussicht auf historisch niedrige Preissteigerungsraten als wirtschaftspolitische Errungenschaft – auch mit Blick auf die breite Bevölkerung. Eine nachhaltig niedrige und wenig volatile Inflation ist zwar gesamtwirtschaftlich positiv, aber im Kontext einer eher restriktiven Geldpolitik (alleine) nicht hinreichend, um Wachstumsimpulse zu generieren. Zudem sind in einer de facto stagnierenden Ökonomie Preissteigerungsraten um 4–5 Prozent noch beträchtlich, und es ist unklar, wieviel realer Wohlstandsgewinn in einem Stagnationsumfeld mit solchen Preissteigerungsraten möglich ist.

Der Wechselkurs erholte sich, zum Teil gestützt durch die Geldpolitik, die Rubel-Veranlagungen interessant macht, und stieg auf fundamental gerechtfertigte Niveaus. Dieser Trend deutet aber im Lichte analoger Preisentwicklungen bei anderen Rohstoffwährungen bzw. dem Ölpreistrend nicht per se auf eine intrinsische Rubelstärke hin. Dennoch ist unverkennbar: Bis dato wird keine Politik des "schwachen Rubels", die etwa gewisse exportorientierte Branchen oder das föderale Budget unterstützen könnte, verfolgt. Auch der rubelschwächende (Notenbank-)Plan, die Devisenreserven – eine zentrale Komponente im Politikkalkül – in Phasen der Währungsstärke über Rubelverkäufe (also Dollarkäufe) aufzustocken, wird bis dato nicht konsequent umgesetzt. Jüngste moderate Anstiege der Devisenreserven sind auf die Rückführung von Devisen-Swaps mit Banken und auf Bewertungseffekte zurückzuführen. Die marktgetriebene Rubel-Aufwertung wurde toleriert, weil die Notenbank das Versprechen eines frei schwankenden Rubels glaubhaft machen will und so zugleich breitenwirksam Stabilisierung signalisiert wird. Dennoch könnte eine weiterhin schleppende Erholung – bei starkem Rubel und bei nachhaltiger Stabilität am Ölmarkt – eine moderate Währungsschwächung wieder (politisch) attraktiver erscheinen lassen. Die Notenbank selber sieht die substanziellen gesamtwirtschaftlichen Risiken eines zu starken Rubels auch, und die Politik hat sich in den letzten Monaten durchaus aktiv in die Geld- und Währungspolitik eingemischt. Letztendlich könnte ein schwächerer Rubel opportun sein, da so ein zu schnelles Importwachstum verhindert bzw. die Importsubstitution unterstützt wird. Dies wäre jedoch zum Vorteil einzelner Produzenten und zum Nachteil der meisten russischen Verbraucher. Wobei vom aktuellen Niveau aus ein moderat schwächerer Rubel-Außenwert selbst keine Wachstumsimpulse liefern kann. Die gilt vor allem angesichts schwacher gesamtwirtschaftlicher Effekte durch die reale Abwertung der letzten Jahre.

Fiskalpolitik, orthodoxer Politikmix und Besinnung auf "alte Stärken"

Wie in der Geldpolitik überwiegt in der Fiskalpolitik eine restriktive Einstellung. Teils war die Fiskalpolitik in Vorwahlzeiten – auch wenn es die eher unbedeutenden Duma-Wahlen waren – restriktiver als erwartet. Mittelfristig gibt es ambitionierte Ziele zur Rückführung des (föderalen) Haushaltsdefizits in den Jahren 2017 bis 2019. Das "föderale" Defizit, also das des Zentralstaates ohne Regionen, soll von ca. 3,7 Prozent des BIP (2016) sukzessive auf 1,2 Prozent in 2019 reduziert werden. Schon 2017 soll es nur noch 3,2 Prozent betragen. Die Konsolidierung soll durch ein nominales Einfrieren der Ausgaben (auch der Einkommen Staatsbediensteter) erreicht werden, was in den kommenden Jahren real Ausgabenkürzungen (unter Berücksichtigung der Inflation) von ca. 4 Prozentpunkten des BIP entspricht. Dennoch versucht die Budgetplanung die "soziale Ausrichtung" des Haushalts aufrechtzuerhalten. Im Jahre 2016 ging die reale Kaufkraft der Pensionen bei einer Rentenerhöhung von nur 4 Prozent (d. h. unterhalb der Inflationsrate) zurück. Auch eine Einmalzahlung von 5000 RUB (etwa 70 Euro) zu Beginn 2017 ändert dies nicht. Falls die Inflation jedoch niedrig bleiben sollte und dies ist offenbar ein politisches Oberziel, könnte im Haushalt genug Spielraum sein, um reale Kaufkraftverluste der Renten in den kommenden Jahren weitgehend zu verhindern. Die Haushaltsplanung der kommenden Jahre basiert auf konservativen Ölpreisannahmen, das heißt: Steuereinahmen aus dem Öl- und Gasbereich werden mit einem mittleren Ölpreis von 40 US-Dollar kalkuliert. Die Rückkehr zu einer dreijährigen Budgetplanung – die in der aktuellen Krise ausgesetzt wurde – soll in den kommenden Jahren wieder erhöhte Handlungsfähigkeit und Stabilitätsorientierung anzeigen. Die Defizitfinanzierung wird nach dem Aufbrauchen des Reservefonds ab 2017 stärker auf die Aufnahme von Inlands- und partiell Auslandsschulden umgestellt. Diese Kapitalmarktfinanzierung sollte angesichts aktueller Finanzmarkttrends und einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik (die Zahlungsfähigkeit und –willigkeit signalisiert) reibungslos verlaufen.

Wie viel Mittel durch Privatisierungen und aus dem zweiten Regierungsfonds aufgebracht werden müssen, ist noch unklar. Bislang spielen Privatisierungen (über die 2016 intendierte Rosneft-Teilprivatisierung hinaus) eine untergeordnete Rolle in der Finanzplanung. Bis dato sieht die Haushaltsplanung begrenzte Einnahmesteigerungen (v. a. höhere Steuerzahlungen im Nicht-Rohstoffsektors, aber auch steuerliche Adjustierungen im Rohstoffsektor, Privatisierungserlöse und höhere Dividenden von Staatsfirmen) vor. Die fiskalische Ausrichtung impliziert, dass die Staatschuldenquote mittelfristig eher stabil bleiben oder nur leicht ansteigen soll. Diese Zielsetzung erfordert angesichts schrumpfender Spielräume einen weiteren Rückbau staatlicher Leistungen bzw. der Zielkonflikt aus niedriger Besteuerung und in Relation dazu hohen Ausgaben wird eher durch sinkende Staatsausgaben gelöst. Gemäß plausiblen Mittelfrist-Projektionen wird der Anteil der Staatseinnahmen und -ausgaben graduell in Richtung 30 Prozent des BIP absinken. So wird sich Russland von einer Staatsaktivität in Relation zum BIP, die über dem Niveau anderer größerer (aufstrebender) Länder liegt, auf ein Niveau ähnlich dem in vergleichbaren aufstrebenden außereuropäischen Ökonomien (wie China, weiteren aufstrebenden asiatischen Ländern oder Südafrika) annähern. Für den Sparkurs bestehen Risiken, etwa, wenn im Vorfeld der Präsidentenwahl 2018 eine (temporär) weichere Konsolidierung erfolgt. Prinzipiell scheint die Bewahrung staatlicher Handlungsspielräume aber ein wirtschaftspolitisches Oberziel zu sein.

Eine restriktive Fiskalpolitik ohne Reformen wirkt im aktuellen Umfeld nicht wachstumsfördernd; relevanten Akteuren in Zentralbank, Finanz- und Wirtschaftsministerium ist klar, dass dadurch das (Potential-)Wachstum unter 2 Prozent liegt. In anderen Teilen der politischen Elite besteht aber durchaus die Hoffnung, dass Faktoren wie Stabilität bei Staatsschulden oder Wechselkurs, (wirtschafts-)politische Kontinuität sowie das "Reformtuning" der letzten Jahre (z. B. Verbesserung in Wettbewerbsrankings wie dem "Doing Business Index" der Weltbank) in höherem Wachstum münden. Allerdings sollte nicht zu viel Rückenwind erwartet werden. Es handelt sich um weniger deutliche (Stabilitäts-)Verbesserungen als in früheren Phasen der Präsidentschaft Putins. Auch im "Standortmarketing" gegenüber internationalen Investoren werden derzeit vor allem traditionelle Aspekte (z. B. wirtschaftspolitische Kontinuität, absolute Marktgröße) bewusst betont, aber kaum neue Ansätze angeführt.

Rückgang der internationalen Integration bei pragmatischer und selektiver Fortsetzung

Außenwirtschaftlich ist Russland in einem neuen Gleichgewicht angekommen. Die Währungsreserven haben sich dank des frei schwankenden Rubels und Sondereffekten moderat erhöht. Die Abdeckungsquote der Außenschulden durch Devisenreserven ist damit auch in Kombination mit der Rückführung der Auslandsschulden vom Tief bei 65 Prozent auf 75 Prozent gestiegen – den höchsten Wert seit drei Jahren. Der Private Nettokapitalabfluss bzw. die sogenannte "Kapitalflucht" sind fast gestoppt: In den ersten drei Quartalen 2016 flossen nur 10 Milliarden Dollar ab, im Vorjahreszeitraum waren es 50 Milliarden (im Gesamtjahr 2014: ca. 150 Milliarden USD). Russische Marktakteure bringen weniger Kapital ins Ausland bzw. halten weniger Fremdwährung, während sich der Auslandsschuldenabbau verlangsamt. Zudem gibt es erste positive Signale im Warenhandel. Im Gleichklang mit Ölpreis und Rubel erholen sich Importe und Exporte. Der Importwert (in US-Dollar) des dritten Quartals 2016 überstieg den Wert des Vorjahres um 5 Prozent. Der Exportwert hinkt noch hinterher bzw. schrumpfte unlängst noch um 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Doch auch hier wurde der Tiefpunkt überwunden. Allerdings liegen die Außenhandelswerte insgesamt drastisch unter denen der Jahre 2011 bis 2014. Die jährlichen Exporte halbierten sich auf 270–280 Milliarden Dollar, die Importe fielen um 45 Prozent auf unter 200 Milliarden US-Dollar ab. Eine Rückkehr auf Vorkrisen-Niveaus ist angesichts des Wirtschaftsausblicks unrealistisch. Zudem hat sich die Rohstoff-Abhängigkeit nur leicht reduziert – der Exportanteil von Öl und Gas fiel von 67 Prozent in 2013 auf zuletzt 55 Prozent. Ferner ist der traditionell hohe Handels- und Leistungsbilanzüberschuss gesunken. Dies könnte sich im Falle neuerlicher starker Kapitalabflüsse als problematisch erweisen, nämlich eine weitere Rubelschwächung oder Notenbankeingriffe erfordern – damit besteht ein Anreiz für eine weiter stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik.

Die propagierte außenwirtschaftliche Ausrichtung gen Osten – insbesondere nach China – macht unter den Parametern niedrigerer Ölpreis und verschlechterte Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen graduelle Fortschritte. Dieser Prozess ist zwar schon längerer angelegt, hat sich zuletzt aber beschleunigt. So erhöhte sich der China-Anteil im Export in den letzten zehn Jahren um 4,5 Prozentpunkte (auf ca. 10 Prozent), während sich der China-Anteil bei den russischen Importen im gleichen Zeitraum auf ca. 20 Prozent verdoppelte. Damit liegt China zwar weit hinter der EU, welche in den ersten acht Monaten 2016 mit 46 Prozent der Exporte und knapp 40 Prozent der Importe der zentrale Handelspartner ist. Jedoch sind die EU-Außenhandelsanteile in den letzten 10 Jahren merklich gesunken, im Export um 12, bei den Importen um 6 Prozentpunkte. Zudem konzentrierten sich rund die Hälfte der relativen Abnahme mit der EU sowie die Hälfte der Zunahme im China-Handel auf die letzten drei Jahre. Allerdings entfallen noch immer 60 Prozent des Handelsüberschusses auf den EU-Handel, während mit China moderate Handelsdefizite eingefahren werden und insgesamt von der graduellen Handelsumlenkung selbst – bei eher schwachen Ausländischen Direktinvestitionen (ADI) – kaum Wachstumsimpulse ausgehen. Die Verflechtung Russlands mit der EU über ADI bleibt im Vergleich zu China hoch, während der ADI-Zufluss aus China sehr zögerlich ist. Trotz eines Rückgangs des ADI-Bestandes der EU (v. a. durch Positionsveränderungen an Standorten wie Zypern) beträgt das ADI-Volumen der EU in Russland immer noch ca. 150 Milliarden US-Dollar (gegenüber zuvor 250–270 Milliarden), während die ADI aus China (je nach Quelle und Zurechnungsmethode) im Bereich von 2–3 bis maximal 30 Milliarden US-Dollar liegen (genauso viel hat China in Kasachstan investiert).

Importe, Auslandsinvestitionen und Auslandsschulden sind aufgrund der Wirtschaftskrise, der limitierten Investitionsoptionen (vor Ort und international) sowie der beidseitigen Sanktionen gesunken. Der damit einhergehende Rückgang an internationaler Vernetzung ist durchaus breit angelegt; es haben sich dadurch seit Jahren bestehende Trends verstärkt. Laut internationalen Statistiken ist der Wert der ADI in Russland bzw. die Zahl von ADI-Neuprojekten mit Russlandbezug deutlich abgefallen. Der Rückgang ist stärker als der globale Trend. Bei teils noch verfolgten ADI-Projekten (aus Russland heraus bzw. russischer Firmen) ist eine Fokussierung auf traditionelle oder neue "Verbündete" erkennbar (etwa Indien, China), wobei der Rückgang der Absolutsummen hier insgesamt auch mit De-Offshoring-Agenden in Verbindung steht. Bei der Integration in das globale Finanzsystem sind Rückgänge erkennbar, teils stärker als bei globalen Trends bzw. in Vergleichsländern. Grenzüberschreitende Bankfinanzierungen nach Russland sind stärker gefallen, als es Trends bei Kenngrößen wie Handelsvolumina oder Außenschulden oder Entwicklungen in Vergleichsländern nahelegen. Auch auf dem russischen Bankenmarkt hat sich der Auslandsanteil an den Gesamtaktiva merklich verringert (von knapp über 10 Prozent in 2008 auf ca. 6 Prozent in 2016), auf dem russischen Interbankenmarkt hat sich der Anteil westlicher Auslandsbanken auf etwas höheren Niveaus halbiert (von 42 Prozent auf 23 Prozent). Auch bei internationalen Kapitalmarktfinanzierungen haben russische Firmen und Banken weniger Volumina platziert als Vergleichsländer und weniger auf Fremdwährungsfinanzierung gesetzt. Der Rückgang an internationaler Integration bzw. Verknüpfung ist eine schwierig zu bewertende Entwicklung. Es scheint, dass durch weniger Konnektivität bzw. geringere Wirtschafts- und Finanzmarktintegration geopolitischen Spielraum geschaffen wird. Allerdings sind gewisse Rückgänge bereits länger angelegt, liegen in Teilbereichen partiell auch noch im Bereich internationaler Trends (wie zum Teil bei grenzüberschreitenden Bankfinanzierungen) und erscheinen angesichts von Wirtschaftslage, Sanktionen und Stagnationsausblick ökonomisch rational. Das gilt insbesondere angesichts von früher (v. a. bis 2008/2009) sehr viel spekulativer Schuldenaufnahme in Russland, wobei jetzt andere aufstrebende Ökonomien in den letzten Jahren frühere Verfehlungen Russlands wiederholt haben. Insofern spielt Russland bei einigen Kenngrößen der Integration in das globale Finanzsystem derzeit eher "nur" auf dem Niveau seiner "wirklichen" wirtschaftlichen Größe und nicht unverkennbar darüber, wie zum Teil in der Vergangenheit. Zudem ist der Integrationsgrad von Russlands Wirtschaft gemäß einem breiten Indikatoren-Set (Handelsoffenheit, ADI, internationale Banken- und Finanzmarktintegration) noch substanziell und hat sich noch nicht dramatisch reduziert. Zwar wird von einigen Akteuren die völlige Kapitalverkehrsliberalisierung vor rund zehn Jahren kritischer bewertet. Es wird aber anerkannt, dass es kein einfaches Zurück zum Status quo ante gibt. Zudem sind die absoluten Wertsummen der Auslandsverflechtungen immer noch substanziell; die Integration der Vergangenheit impliziert viel an zukünftiger Schuldenrückzahlung und (Re-)Finanzierung. Erst nach 2020 würden die Rückzahlungspositionen russischer Firmen und Banken gegenüber dem Ausland (unter der Annahme keiner Schuldenneuaufnahme) deutlich sinken. Angesichts steigender Finanzierungserfordernisse des Staates auf dem lokalen Markt erscheint damit ein Offenhalten des internationalen Marktzugangs pragmatisch rational.

Zudem hat sich angesichts der aktuellen ökonomischen Stabilisierung die internationale Kapitalmarktfähigkeit russischer (Groß-)Firmen verbessert. Es finden derzeit wieder mehr nicht unter die Sanktionen fallende Transaktionen mit Russlandbezug statt. Hier sind neben russischen Banken und selektiv chinesischen Banken auch globale Investmentbanken (darunter US-Großbanken) sowie in Russland verwurzelte europäische Auslandsbanken involviert. Zur Marktbelebung bzw. Preisfindung bei internationalen Russlandfinanzierungen hat der Staat aktiv beigetragen. Er platzierte 2016 wieder zwei großvolumige internationale Staatsanleihen, im geplanten Umfang von 3 Milliarden Dollar. Zum Teil wurden hierbei aktiv internationale Netzwerke bzw. Infrastrukturen übergangen, zum Teil wurde nach gewissen Schwierigkeiten pragmatisch auf internationale Infrastruktur zurückgegriffen. Nachdem die erste staatliche Emission ohne unmittelbare Berechtigung zum internationalen Zahlungs- bzw. Abwicklungssystem "Euroclear" zögerlich verlief, wurde in der zweiten Transaktion die für internationale Investoren wichtige Euroclear-Fähigkeit sichergestellt. So wurde auch signalisiert: Eine Komplettisolation Russlands ist – trotz westlicher Sanktionen – nicht einfach durchsetzbar. Auch für 2017 sind internationale Transaktionen angekündigt. Der russische Staat könnte ausstehende Fremdwährungsanleihen zurückkaufen bzw. prolongieren und zugleich neue Wertpapiere begeben (mit einem Gesamttransaktionswert von 7 Milliarden Dollar). Solche Summen staatlicher Emissionsvolumina gab es 2012 und 2013; unter normalen Marktbedingungen.

Angesichts der Stabilisierung in Kombination mit einer orthodoxen Wirtschaftspolitik engagieren sich zunehmend wieder mehr ausländische Akteure in russischen Staatspapieren in Rubeln. Der Auslandsanteil am OFZ-Markt ("Obligazii Federalnogo Saima", Staatsanleihen der Zentralregierung) ist in den letzten Monaten von unter 20 Prozent auf fast 30 Prozent geklettert; ein eher hoher Wert unter relevanten Vergleichsländern bzw. in den globalen Finanzmarkt integrierten aufstrebenden Ländern (wie etwa der Türkei, Mexiko, Südafrika). Es wird deutlich, dass Russland am Finanzmarkt auf gewisse internationale Einbindung setzt und diese angenommen wird. Im Energiesektor verfolgt Russland ebenfalls weiterhin langfristig angelegte Kooperationen mit westlichen bzw. europäischen Firmen, z. B. über "Nord-Stream II "und den möglichen Tausch von Vermögenswerten mit der österreichischen "OMV" (Tausch von Gazprom-Vermögenswerten in Russland gegen OMV-Vermögenswerte in Westeuropa, ggfs. in Norwegen) und verweist bei Verzögerungen gerne auf politisch motivierte Blockaden von westlicher Seite.

Bei den beidseitigen Wirtschaftssanktionen (zwischen Russland und vor allem den G7-Ländern) gibt es indes keine deutlichen Entspannungssignale. Auch wenn Russland offenbar an keiner weiteren Sanktionseskalation interessiert ist und die Sanktionspolitik als Sackgasse bezeichnet, ist mit einem Sanktionsfortbestand im kommenden Jahr oder auch darüber hinaus zu rechnen. Derzeit am internationalen Finanzmarkt und teils auch in Russland selbst gehegte Hoffnungen auf ein eher rasches Ende der Sanktionspolitik unter einem neuen US-Präsident Donald Trump könnten sich als zu optimistisch erweisen. Offizielle russische Planungen gehen bis dato mehr oder weniger explizit von einem Fortbestand aus. Ein längerer Fortbestand würde Erfahrungen mit wirtschaftlichen Sanktionsregimen in anderen Kontexten entsprechen, und von russischer Seite wird gerne betont, dass die Sanktionen keinen unmittelbaren materiellen Einfluss haben oder etwa im "Foreign Investment Advisory Council" (FIAC) kein fassbares Thema seien. In der Sanktionsfrage setzt man auf russischer Seite auf Gewöhnungseffekte. Wobei die Argumentation in Bezug auf geringe unmittelbare Effekte gleichzeitig mittelbare Effekte unterschätzt und es gewisse kommunikative Widersprüche zu Ausführungen in anderen Kontexten gibt, wo den Sanktionen eine Mitverantwortung an der aktuell schwierigen Wirtschaftslage zugeschrieben wird. Insgesamt ist für ausländische Investoren nicht erkennbar, dass sich – abgesehen vom zunehmend positiven Finanzmarktsentiment – die Reputation Russlands als internationaler Kooperationspartner absehbar merklich erhöht. Dies führt soweit, dass in (Risiko-)Wirtschaftsszenarien des IWF (weitere) geopolitische Friktionen als plausibles Szenario mit gewisser bzw. mittlerer Eintrittswahrscheinlichkeit versehen sind.

Zunehmende Konzentration, steigender Staatseinfluss, schrumpfende Mittelklasse

Die jüngste Wirtschaftskrise führt zu steigender Konzentration. Große Firmen sind besser durch die Krise gekommen bzw. weisen bessere Finanzkennzahlen auf als kleinere Unternehmen. In der Tendenz haben Großfirmen stärker unmittelbar oder mittelbar von staatlichen Stützungsmaßnahmen profitiert. Damit zeigt sich in Schlüsselbranchen wie dem Energie- oder Bankensektor ein weiter steigender Marktanteil großer staatlicher bzw. staatsnaher Akteure. Auch bei "Privatisierungsvorhaben" spielen staatsnahe Firmen eine wichtige Rolle bzw. bedeutet Privatisierung staatsnahe Konsolidierung.

Die Effekte der gesamtwirtschaftlichen Situation auf einzelne gesellschaftliche Schichten sind ebenso zu beachten. Unter den massiven Einkommensrückgängen und der Stagnation leidet vor allem die nicht auf Transferleistungen angewiesene Mittelschicht in den Wirtschaftszentren bzw. größeren Städten. Laut repräsentativen Erhebungen (Selbsteinschätzung) und weiteren Berechnungen können derzeit nur noch 40–50 Prozent der Bevölkerung in den größeren Städten (über 100.000 Einwohner) als sogenannte Mittelschicht bezeichnet werden. Noch vor Jahren waren hier Werte knapp über 60 Prozent zu veranschlagen. Auf die Gesamtzahl der Bevölkerung bezogen ist der Mittelschichtanteil natürlich niedriger. Wobei auch hier gilt, dass die Wirtschaftskrise der letzten Jahre überwiegend Empfänger von Lohneinkommen getroffen hat. Zu letzteren gehören auch die Staatsbediensteten, die deutliche reale Einkommensverluste (noch über denen von Einkommensbeziehern in der Privatwirtschaft) hinnehmen mussten. Derzeit ist nicht absehbar inwiefern im korruptionsanfälligen Kontext Russlands eine anderweitige Kompensation für erlittene Einkommensverluste ansteht. Wobei interessanterweise in den letzten Jahren teils Regulierungen bewusst in international bzw. von der Weltbank (im "Doing Business Index") nicht beachteten Bereichen intensiviert wurden; während sie für in Weltbank-Index relevanten Bereichen reduziert wurden. Insgesamt ist die Kombination der skizzierten Markt- und Einkommenstrends für das Investitionsklima und die Stimmung unter ausländischen Investoren nicht förderlich. Letztere wollten in den letzten Jahren mehr oder weniger bewusst, mit Nischenspieler-Ansätzen, vor allem die Kaufkraft der Mittelschicht in den Wirtschaftszentren abschöpfen. Wobei der wirtschaftliche Druck auf die Mittelschicht nicht per se (gesellschafts-)politische Veränderung impliziert; ganz wie das Entstehen oder der Aufstieg der Mittelklasse das politische System nicht wirklich und nachhaltig beeinflusste.

"Stagnationsmarketing" als nachhaltige Strategie?

Es gibt in Russland eine oberflächliche Modernisierungs- bzw. Umgestaltungsrhetorik, doch solche Absichtserklärungen gibt es seit Jahren. Prinzipiell scheint das Verwalten des Bestehenden die dominante wirtschaftspolitische Strategie zu sein; in der Praxis deutet alles auf Systemstabilisierung bzw. ein Festigen des aktuellen (Wirtschafts-)Systems hin. Personelle Signale für neue wirtschaftspolitische Prioritäten gibt es nicht. Zwar findet partiell eine Erneuerung der Eliten statt, doch sind damit keine neuen (Denk-)Ansätze verbunden, es werden jetzt technokratische Verwalter etabliert. Personen, die als auffallend reformorientiert gelten, haben es schwer, weiter oder wieder an Einfluss zu gewinnen (etwa die Vorsitzende der Notenbank, Ex-Finanzminister Kudrin oder der Ministerpräsident). Unter Entscheidungsträgern wird teils auch auf wenig greifbare ökonomische Fortschritte durch die Umgestaltungen in der Endphase der Sowjetunion sowie Systemunterschiede im Vergleich zur Sowjetzeit verwiesen (etwa mehr Marktsteuerung, flexibler Wechselkurs, liberale Außenhandelsgesetzte, stabile außenwirtschaftliche Position). Es herrscht also ein gewisses Vertrauen in die Anpassungsfähigkeit bei flexiblem Rubelkurs vor, und zwar bei (wirklichen oder vermeintlich) privatwirtschaftlichen Akteuren im Umfeld des staatlich-gesteuerten Wettbewerbs. Zudem gibt es eine "Stagnationstoleranz". Russland wird als zu weit weg von jenen kritischen Einkommensschwellen gesehen, die soziale Unruhen auslösen könnten. Damit erscheint ein Systemkollaps aus ökonomischen Gründen unwahrscheinlich bzw. man geht davon aus, die Stimmung hinreichend im Griff zu haben. Zumal in dieser Denkweise eine (erwartete) verhaltende Wirtschaftsentwicklung als einfach kontrollierbares Szenario erscheint, im Unterschied zu raschen krisenhaften (Finanzmarkt-)Entwicklungen (wie zum Jahresende 2014/2015).

Im Kontext der wirtschaftspolitischen Ausrichtung Russlands könnte auch die überraschende Verhaftung des Wirtschafsministers Uljukajew – obwohl Finanzministerium und Notenbank de facto wichtigere Akteure der Wirtschaftspolitik sind – ein nicht folgenloses Ereignis sein. Die Verhaftung könnte noch weitere Kreise ziehen und Uljukajew repräsentierte immerhin gemäßigt liberale Positionen und bewertete aktuelle Entwicklungen, inklusive des steigenden Staatseinflusses, skeptisch. Teils stellte er sich als Wirtschaftsminister gegen letzteren Trend, auch im Rahmen der Privatisierung von "Baschneft" an "Rosneft", der er jedoch schlussendlich seine Zustimmung gab. Andererseits forderte er in seiner Rolle als Wirtschaftsminister eine expansivere Geld- und Fiskalpolitik, was ihn in Konflikt mit dem eigenen wirtschaftsliberalen Lager brachte. Dennoch könnte ein Abstieg Uljukajews aus den Machtzirkeln (abseits der Interpretation von zunehmenden Umverteilungskonflikten in der Elite) auch als inhaltliches Signal verstanden werden, dass nämlich liberale Ansätze und Kritiker am aktuellen wirtschaftspolitischen Kurs an Unterstützung verlieren bzw. die aktuelle wirtschaftspolitische Ausrichtung noch stärker von schwierig einschätzbaren (Eigen-)Interessen wichtiger Vetoakteure dominiert wird.

Abseits des öffentlichen Hervorstreichens der momentanen Erholung wird aber auch deutlich: Teile der (wirtschafts-)politischen Elite bereiten sich und das Land auf eine umfassendere Stagnation vor. Die Gretchenfrage ist dann: Wie können stagnierende Wirtschaftskraft und Einkommen der Bevölkerung erklärt bzw. im Kontext eines "Stagnationsmarketings" politisch verkauft werden. Ein öffentlichkeitswirksames "Stagnationsmarketing" scheint im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2018 durchaus angezeigt. Bis dahin kann ein "Stagnationsmarketing" gewiss mit sichtbaren Themen wie Inflationsrückgang, Stabilisierung unter herausfordernden Bedingungen (inklusive Sanktionen), einem noch hohen Wohlstand – historisch und im Vergleich zu anderen aufstrebenden Ländern – und mit ersten Erfolgen bei der Umorientierung nach Asien befüllt werden. Im Sinne von Pfadabhängigkeiten erscheint es aber wenig wahrscheinlich, dass nach 2018 aktiv eine ökonomische Transformation angegangen wird. Langfristig, nach empirischer Erfahrung etwa 3–5 Jahre nach der ersten Stabilisierung in 2017 und 2018, könnte ein fortdauernder Wirtschaftsstillstand schroffe und womöglich irrationale (wirtschafts-)politische Änderungen begünstigen (z. B. Abschottung, weniger stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik mit desaströsen Folgen auf das Banken- und Finanzsystem). Wobei für eine unter gewissen (meist ausländischen) Betrachtern befürchtete radikalere Änderung zunächst die internationale Einbettung der staatlich gelenkten Wirtschaft, welche vor allem auf international agierenden Großunternehmen basiert, wohl weiter reduziert werden müsste, um das Risiko eines Systemkollaps zu verhindern. Dafür gibt es – trotz eines gewissen Rückgangs beim Integrationsgrad – aber noch keine eindeutigen Hinweise.

Fussnoten

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Gunter Deuber leitet die Abteilung Volkswirtschaft, Zinsen, Währungen bei der Raiffeisen Bank International (RBI) AG, eine der größten in Russland tätigen Auslandsbanken, in Wien.

Andreas Schwabe ist Senior Economist mit Russland- und Ukraine-Fokus bei der der RBI in Wien. Der vorliegende Beitrag gibt die Auffassung der Autoren und nicht notwendigerweise die Ansicht der RBI AG wieder.