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Analyse: Militärische Vertrauensbildung zwischen Russland und dem Westen – Herausforderung für die OSZE | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Militärische Vertrauensbildung zwischen Russland und dem Westen – Herausforderung für die OSZE

Nadja Douglas

/ 9 Minuten zu lesen

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts und der verhärteten Fronten zwischen Ost und West ist das derzeit vorherrschende Defizit an Sicherheit und Vertrauen in Europa unübersehbar. Mangelnde militärische Transparenz in der Konfliktregion und der Dissens in Rüstungskontrollfragen sind symptomatisch für das neue frostige politische Klima.

Der Vorsitzende der OSZE, der deutsche Außenminister Steinmeier redet im UN-Sicherheitsrat über den russisch-ukrainischen Konflikt. (© picture-alliance)

Einleitung

Was heute unvorstellbar ist, war Ende der 1990er/ Anfang der 2000er Jahre Realität: Es existierte ein funktionierender Sicherheitsdialog zwischen Ost und West, strategische Zurückhaltung war nahezu selbstverständlich und sogar gemeinsame Militärübungen von NATO und Russland waren möglich geworden. NATO- und EU-Erweiterung auf der einen und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim im Frühjahr 2014 durch Russland auf der anderen Seite sind nur einige der Faktoren, die das gegenseitige Vertrauen zwischen Russland und dem Westen nachhaltig zerstörten. Der mühsame Prozess der Annäherung im Rahmen von unzähligen vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen ist innerhalb weniger Jahre zunichtegemacht worden. Die letzten Jahre waren vielmehr von chronischen Verständigungsproblemen, Missdeutungen und einem militärischen Informationsaustausch geprägt, der inkonsequent und nur von mäßiger Aussagekraft ist. Darüber hinaus sind Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) in den letzten Jahren marginalisiert worden, da die EU und die NATO anderen Instrumenten des internationalen Krisenmanagements den Vorzug gaben, wie z. B. Sanktionsregimen, der Entsendung von multilateralen zivilen und militärischen Missionen, sowie der Schaffung schneller militärischer Eingreiftruppen. All dies geschah auf Kosten des ultimativen Ziels, für das die KSZE bzw. heute die OSZE standen und stehen: die Schaffung einer kooperativen und unteilbaren Sicherheitsstruktur in Europa.

Die Bedeutung von Vertrauensbildung in einem veränderten Sicherheitsumfeld

Vertrauensbildende Maßnahmen sind seit jeher ein effektives Instrument, um Kontroversen und Misstrauen durch Mediation und durch Annäherung in verschiedenen, für alle Parteien gleichermaßen bedeutenden Themenbereichen zu beseitigen und ihnen vorzubeugen. Wenn derartige Maßnahmen auf den Bereich der militärischen Transparenz und der Umsetzung von Sicherheitspolitik ausgeweitet werden (z. B. in Form von Informationsaustausch über die Anzahl von Streitkräften, schwerer Waffensysteme und allgemeiner Militärplanung sowie regelmäßiger Vor-Ort-Inspektionen), dienen sie ebenfalls als Instrument für Konfliktprävention und -management.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Ost-West-Konfrontation wurden VSBM (s. Texbox auf der nächsten Seite) – im Zusammenspiel mit der Rüstungskontrollfrage und weiteren Schritten in Richtung Abrüstung sowohl konventioneller als auch nuklearer Waffen – zu einem noch wichtigeren Thema.

Vor dem Hintergrund eines sich zunehmend fragmentierenden Sicherheitsumfelds, das sich heute in einen euro-atlantischen, eurasischen sowie einem geopolitisch umstrittenen und deshalb nach wie vor undefinierten Sicherheitsraum dazwischen aufgliedert, findet das einst als "Eckstein europäischer Sicherheit" bezeichnete konventionelle Rüstungskontrollregime (KSE-Vertrag) keine Anwendung mehr.

Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM)

Die ersten Verhandlungen fanden im Rahmen der Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa zwischen 1984 und 1986 in Stockholm statt. Die Unterzeichnerstaaten einigten sich darauf, dass jedes Land das Recht hat, auf dem Gebiet jedes anderen Unterzeichnerstaates Inspektionen am Boden und in der Luft vorzunehmen. Die Verhandlungen wurden bis 1989 in Wien fortgeführt und führten schließlich 1990 zur Unterzeichnung des sogenannten "Wiener Dokuments". Nach weiteren Verhandlungsrunden und einer Reihe von verfahrenstechnischen Änderungen (unter Federführung des Forums für Sicherheitskooperation) wurde 2011 ein aktualisiertes Dokument unter dem Namen "Wiener Dokument 2011" ("WD 2011") verabschiedet. Verhandlungen über eine substanzielle Modernisierung des Wiener Dokuments finden zur Zeit statt. Eine Überarbeitung soll demnach künftig regelmäßig, mindestens alle fünf Jahre, stattfinden.

Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europe (KSE)

Der ursprüngliche Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europe (KSE) wurde 1990 von NATO und Warschauer Vertrag unterzeichnet und ratifiziert. Das Abkommen regelte die Abrüstung konventioneller Waffensysteme im Rahmen von festgelegten Obergrenzen in fünf Waffenkategorien und Stationierungsräumen für beide Staatenblöcke. Im Zuge der Auflösung des Warschauer Paktes und der NATO-Ost-Erweiterung, wurde anlässlich des OSZE-Gipfels in Istanbul 1999 ein Anpassungsübereinkommen (A-KSE) unterzeichnet, das erstmals den Blockansatz aufhob. Es ist bis heute nicht in Kraft, da die NATO-Mitgliedstaaten eine Ratifizierung nach wie vor von dem Abzug russischer Truppen aus den von Territorialkonflikten beeinträchtigten Regionen in Moldawien und Georgien abhängig machen. Russland erkannte diese Bedingungen nicht als Teil des Vertrags an und reagierte auf die ausbleibende Ratifizierung vonseiten der NATO mit einer Suspendierung des KSE-Vertrags 2007. Nachdem im Mai 2011 die Gespräche im Format "36" (30-KSE-Vertragsstaaten plus sechs NATO-Beitrittsstaaten) abgebrochen wurden und Ende 2011 die überwiegende Mehrheit der NATO-Staaten ihrerseits die Vertragsverpflichtungen gegenüber Russland ausgesetzt hatten, fand 2011 noch eine ergebnislose Überprüfungskonferenz statt. Bis auf weiteres wird aber der jährliche Informationsaustausch unter den Vertragsstaaten fortgeführt. Russland zog sich jedoch 2015 endgültig aus den Gemeinsamen Beratungsgruppen zurück.

Vertrag über den Offenen Himmel

Der Vertrag über den Offenen Himmel von 2002 ergänzt und erweitert die Vor-Ort-Inspektionen des Wiener Dokuments und des KSE-Vertrags indem er Beobachtungsflüge mit zertifizierten Flugzeugen und Beobachtungssensoren in den 34 Mitgliedsstaaten vorsieht. Der Vertrag ist nicht offiziell Teil der OSZE-Instrumente, jedoch tagt die "Beratungskommission Offener Himmel" in den Räumlichkeiten des OSZE-Sekretariats in Wien.
Das Wiener Dokument über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und der "Vertrag über den Offenen Himmel" (OH) stellen im OSZE-Raum die letzten verbleibenden – jedoch nur mäßig funktionierenden – VSBM-Mechanismen dar. Sie bedürfen jedoch einer dringenden Modernisierung (s. Tabelle 1 und 2).





Herausforderungen für den deutschen OSZE-Vorsitz

Der Konflikt in der Ukraine hat allzu deutlich gezeigt, dass das Fehlen eines verlässlichen konventionellen Rüstungskontrollregimes verheerende Folgen für militärische Transparenz und die Berechenbarkeit von Truppenbewegungen in der Konfliktregion hat. Trotz der derzeit ausgesetzten Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle fungieren die noch verbliebenden (politisch bindenden) Instrumente, das Wiener Dokument und der OH-Vertrag, als Kompensationsmechanismus für den dysfunktionalen (rechtsverbindlichen) KSE-Vertrag. Die OSZE hat sich dabei als das einzige inklusive Forum für den Dialog zu Fragen militärischer Transparenz bewährt – trotz der Tendenz bei einigen teilnehmenden Staaten, der OSZE weniger Aufmerksamkeit zu schenken bzw. multilaterale Foren gegeneinander auszuspielen (indem z. B. Themen in die NATO oder die EU bzw. bei der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit oder der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) eingebracht werden, statt sie zum Gegenstand von Konsultationen innerhalb der OSZE zu machen). Der deutsche Vorsitz steht nun vor der großen Herausforderung, nicht nur den sicherheitspolitischen Acquis der OSZE zu wahren und zu stärken, sondern auch die Rolle der OSZE als erster Ansprechpartner im Bereich der militärischen Vertrauensbildung und des zivilen Krisenmanagements in Europa wieder zu festigen ("OSCE first").

Es gilt eine Reihe von Hindernissen zu überwinden (vieles davon steht nicht in der Macht des deutschen Vorsitzes, so z. B. die Frage ob es zu einem dauerhaften und nachhaltigen Waffenstillstand in der Ukraine kommt) bevor die 5. KSE-Überprüfungskonferenz, die im Herbst 2016 stattfinden soll, entsprechende substanzielle Ergebnisse erzielen kann. Wichtig ist vor allem, dass dem deklarativen Engagement für ein künftiges konventionelles Rüstungskontrollregime, das auf angepassten militärischen Fähigkeiten (umfassen neue Waffentypen sowie qualitative Fähigkeiten, wie z. B. die schnelle Dislozierung und Stationierung von Streitkräften,) und "verifizierbarer Transparenz" basiert, auch aktive Vermittlungsarbeit folgen wird. Die Überprüfungskonferenz sollte folglich nicht zu einer technokratischen Routineveranstaltung werden, sondern ein deutliches Signal aussenden, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung weiterhin auf höchster Ebene ernstgenommen und diskutiert werden.

Weiterentwicklung bestehender Mechanismen

Insbesondere im politisch-militärischen Bereich ist es sinnvoll darüber nachzudenken, wie die friedensfördernde Rolle der Zivilgesellschaft gewinnbringend in die VSBM-Thematik und Rüstungskontrollfragen einzubeziehen ist. Folglich sollten nicht nur Fachkreise und regierungsnahe think tanks mit diesen Themen befasst werden, sondern ein breites Spektrum interessierter zivilgesellschaftlicher Organisationen. In diesem Zusammenhang könnte z. B. auch die "Civic Solidarity Platform" der OSZE weiter ausgebaut werden. Bis heute fehlt innerhalb der OSZE ein Konsens über eine formale Ausweitung der Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteuren über die dritte, menschliche Dimension hinaus auf die erste, politisch-militärische Dimension. Es gibt durchaus erfolgreiche Beispiele aus anderen Zusammenhängen, die wegweisend sein könnten. So hat z. B. in der Vergangenheit eine Kombination aus politischem Willen, Druck durch eine zunehmend transnationale Zivilgesellschaft im Zusammenspiel mit einer mobilisierten Öffentlichkeit dazu geführt, dass die sogenannte "Ottawa-Konvention" (1997) über das vollständige Verbot und die Ächtung von Landminen zustande kam.

Experten haben in der Vergangenheit eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die pragmatische Aspekte der Rüstungskontrolle wieder ins Zentrum rücken. Dazu gehört zum Beispiel der Vorstoß, einen Konsens über die Einsetzung eines OSZE-Sonderbeauftragten für Rüstungskontrollfragen zu erzielen. Dieser könnte dazu beitragen, die Implementierung des Wiener Dokuments zu unterstützen sowie Verhandlungen zu einem neuen Rahmenabkommen zu koordinieren, das eine Modernisierung des konventionellen Rüstungskontrollregimes zum Ziel hat. Der Sonderbeauftragte könnte darüber hinaus weitere Aufgaben übernehmen, so z. B. Vorschläge und Positionen der teilnehmenden Staaten aufeinander abzustimmen und ständige Kontakte mit Vertretern in der NATO, der EU, sowie der OVKS aufzubauen.

Kontroverse Positionen, Interessen und Bedrohungswahrnehmungen

Während Russland seine früheren Forderungen und Bedenken mit Blick auf den KSE-Vertrag endgültig ad acta gelegt hat und nun ein eher kontraproduktives Verhalten an den Tag legt (die derzeitige Ablehnung weitergehender rüstungskontrollpolitischer Schritte wird vor allem mit dem Verweis auf das Programm zur Modernisierung der russischen Streitkräfte und Waffensysteme bis 2020 begründet), beharrt die US-amerikanische Seite seit über 15 Jahren auf den nahezu gleichen Forderungen. Diese betreffen in erster Linie die Beendigung der russischen Militärpräsenz in Transnistrien (Moldau) sowie in Südossetien und Abchasien (Georgien). Mit anderen Worten tauschen sich die Großmächte schon seit Längerem nicht mehr über wesentliche technische Aspekte der Rüstungskontrolle aus, sondern knüpfen implizit (oder oftmals auch explizit) politische Forderungen an die Zukunft der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa. Somit nehmen sowohl Russland als auch die USA die Sicherheitsinteressen anderer teilnehmender Staaten, insbesondere der Staaten, die sich im geopolitischen Spannungsfeld befinden (dazu zählen insbesondere die Ukraine, Moldau und Georgien), seit Jahren in Geiselhaft. Konstruktiver, als in diesen Staaten gegensätzliche Bedrohungswahrnehmungen zu schüren, wäre es zudem, den Fokus eher auf gemeinsame Bedrohungen und Sicherheitsrisiken zu richten, die für den gesamten Euro-Atlantischen und Eurasischen Sicherheitsraum sowohl gefährlich als auch unmittelbar sind.

Es ist sowohl amerikanische als auch russische Taktik, sich regelmäßig gegenseitig den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben und den jeweils anderen für die Stagnation in den Verhandlungen und die fehlende Umsetzung von Verpflichtungen verantwortlich zu machen, um die eigenen Interessen und Strategien zu verbergen. Fatal ist dabei, dass sich beide Großmächte bewusst sind, dass sie Schlüsselakteure in den Verhandlungen sind. Das macht im Grunde jede Form von Verhandlung unmöglich, sobald sich eine der beiden Seiten davon distanziert.

Was steckt hinter dem Diskurs?

Der politisch-militärische Bereich allgemein, insbesondere die Militärplanung, ist ein äußerst sensibles Politikfeld. Demnach wird die Preisgabe von Informationen an andere Staaten bzw. Staatenkonferenzen (wie z. B. im Rahmen der ersten Dimension der OSZE) von einigen Staaten mitunter als Eingriff in ihre staatliche "domaine reservée" angesehen. In den USA spielt – auch vor dem Hintergrund ihrer Führungsrolle innerhalb der transatlantischen Allianz – das Thema Rüstungskontrolle eine wichtige, jedoch nicht die dominierende Rolle. Ganz anders verhält es sich hingegen in Russland, wo der übersteigerte Sicherheitsdiskurs und -komplex sicherlich zu großen Teilen historisch bedingt ist, sich aber mit Blick auf die konventionelle Rüstungskontrolle auch durch die Wahrnehmung einer zunehmenden Überlegenheit des Westens im Bereich der konventionellen strategischen Waffensysteme erklären lässt. Das Thema militärische Vertrauensbildung ist – im Kontext einer permanent in Alarmbereitschaft befindlichen russischen Bevölkerung – ein in der Öffentlichkeit und der Wissenschaft intensiv diskutiertes Thema. So wird zum Beispiel in den russischen Medien regelmäßig ausführlich über Beobachtungsflüge berichtet, die über russischem Territorium im Rahmen des OH-Vertrags stattfinden. Solche Ereignisse sind in den meisten (zwar hochgerüsteten aber in militärischen Belangen unkundigen) westlichen Gesellschaften – wenn überhaupt – für Experten interessant, in den Medien jedoch höchstens eine Randnotiz wert. Mit anderen Worten: Die Bedrohungswahrnehmungen zwischen Ost und West könnten unterschiedlicher nicht sein. Nicht zuletzt deshalb wird innerhalb der OSZE derzeit darüber diskutiert, das Kapitel III des Wiener Dokuments (Mechanismus zur Konsultation und Kooperation im Falle ungewöhnlicher militärischer Aktivitäten) um ein Unterkapitel zu Bedrohungswahrnehmungen zu ergänzen.

Ausblick

Konventionelle Rüstungskontrolle ist und bleibt der Schlüssel für weitergehende Abrüstungsverhandlungen, auch im nuklearen Bereich. Nachhaltige Fortschritte in der militärischen Vertrauensbildung sind – vor dem Hintergrund einer erneut drohenden Rüstungsspirale – gerade jetzt von eminenter Bedeutung. Mangels alternativer gemeinsamer Verhandlungsgrundlagen, könnte das Thema Rüstungskontrolle (ähnlich wie zu Zeiten des Kalten Krieges, siehe auch Pifer in den Lesetipps, S. 121) wieder als einziges verbleibendes Instrument der Vertrauensbildung zwischen Ost und West dienen. Ausschlaggebend wird dabei vor allem die Entwirrung des komplexen Geflechts sein, das mittlerweile zwischen Rüstungskontrolle und diversen politischen Forderungen entstanden ist. Die OSZE ist hierfür unerlässlich, denn sie ist nach wie vor das einzige inklusive – wenn auch nur unzureichend institutionalisierte – Forum für einen Austausch über militärische Vertrauensbildung zwischen Russland und dem Westen. Nicht zuletzt deshalb sollte die OSZE wieder Priorität genießen, vor allem in jenen Handlungsbereichen, in denen die Organisation im Vergleich zu anderen multilateralen Foren einen normativen, praktischen und gerade in der militärischen Vertrauensbildung auch technischen Erfahrungsvorsprung vorweisen kann.

Lesetipps

Fussnoten

Nadja Douglas war Doktorandin an der Berlin Graduate School of Social Sciences (Humboldt-Universität) und befasste sich in ihrer kürzlich eingereichten Dissertation mit ziviler Streitkräftekontrolle in der Russischen Föderation. Zu ihren Forschungsinteressen zählen zivil-militärische Beziehungen, Friedens- und Konfliktforschung sowie Abrüstung und Rüstungskontrolle im OSZE-Raum. Seit Anfang März ist Nadja Douglas Political Officer und Liaison für den deutschen OSZE-Vorsitz bei der OSZE-Mission in Moldau. Die in diesem Beitrag geäußerten Gedanken geben ausschließlich die persönlichen Ansichten der Autorin wider.