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Analyse: Diplomatie und Intervention: Moskaus »Krieg gegen den Terror« in Syrien | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Diplomatie und Intervention: Moskaus »Krieg gegen den Terror« in Syrien

Philipp Casula

/ 13 Minuten zu lesen

In Kooperation mit den USA aber auch mit Staaten des Nahen Ostens, leistete Russland einen wichtigen Beitrag, die internationalen Verhandlungen in Wien und die unterbrochenen Friedensgespräche in Genf zu ermöglichen. Der folgende Beitrag diskutiert Moskaus Militärintervention und die diplomatischen Bemühungen des Kremls vor dem Hintergrund der Wahrnehmungen des syrischen Bürgerkrieges in den russischen Medien.

Der Außenminister von Russland, Sergej Lawrow (l-r), der Außenminister der USA, John Kerry, und der UN-Syrien-Sondergesandte Staffan de Mistura auf der Syrien-Konferenz in München. (© picture-alliance/dpa)

Die Medien-Front: Russlands Blick auf Syrien

Die russische Militärintervention hat viele westliche Beobachter überrascht. Russland, militärisch bereits in der Ukraine engagiert und unter westlichen Sanktionen leidend, schien nicht in der Lage, fernab der eigenen Grenzen mit Waffengewalt zu intervenieren. Dem Militäreinsatz vorausgegangen war eine intensive diplomatische Aktivität. Dieses Engagement hat auch viel mit der medialen Wahrnehmung des Bürgerkrieges in Syrien zu tun.

Im Vergleich zu den ersten Bürgerkriegsjahren hatte das russische Medieninteresse an dem Konflikt 2013–2015 immer mehr abgenommen. Auf den großen Kanälen dominierten andere außenpolitische Themen, vorrangig der Konflikt um die Ukraine. Nur Nischensender, wie der auf Konflikte spezialisierte Kanal Anna-News, berichteten weiterhin regelmäßig vom syrischen Kriegsschauplatz. Politische Einschätzungen lieferten auf Auslandsfragen fokussierte Printmedien, wie "Asija i Afrika Segodnja" ("Asien und Afrika Heute"). Die Nahostexpertin Nailja Fachrutdinowa argumentierte dort zum Beispiel, dass der arabische Frühling alle Hoffnungen enttäuscht habe (A byla li "Arabskaja wesna?", 2013, Nr. 5, S. 27–32; Externer Link: http://asiaafrica.ru/images/AA_nomers/2013/201305/Fakhrutdinova.%20Arabskaya%20vesna.pdf). Immer wieder würden Araber zu einer "islamischen Ideologie" zurückkehren, weil in der Region andere Leitideen fehlten. Der arabische Frühling sei Ergebnis "von arabischer Torheit und von westlichem Staatsterrorismus". In der Tat sei es der arabischen Bevölkerung unter ihren autokratischen Herrschern materiell nicht schlecht gegangen, so die Autorin. Derartig verallgemeinernde Positionen sind aber eher die Ausnahme als die Regel. Die Diplomatin Marija Choldynskaja-Golenischtschewa kommentierte beispielsweise ausführlich den internationalen Kontext des syrischen Bürgerkrieges (Krisis w Sirii, in: Asija i Afrika Segodnja, 2015, Nr. 6, S. 13–20; http://asiaafrica.ru/images/AA_nomers/2015/201506/Chodinskaya-Gole nisheva.pdf). Sie beklagte insbesondere die westliche Unterstützung von Oppositionsgruppen, die nur eine dünne soziale Basis in Syrien hätten. Jewgenij Primakow schließlich, der 2015 verstorbene Doyen der russischen Orientforschung, bezichtigte die USA für den Aufstieg des sogenannten "Islamischen Staates" ("IS") verantwortlich zu sein und hob die Gefahr hervor, die von nach Russland zurückkehrenden Kämpfern ausgeht ("Islamskoje gosudarstwo" – Realnaja opasnost, in: Asija i Afrika Segodnja, 2015, Nr. 7, S. 2–3; Externer Link: http://asiaafrica.ru/images/AA_nomers/2015/201507/Primakov.%20Islamskoe%20gosudarstvo.pdf). Was all diese Kommentare teilen, ist ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber dem Westen und allgemein gegenüber revolutionären Umbrüchen.

Das verstärkte russische Engagement in Syrien seit Sommer 2015 hat den Konflikt auf die Bildschirme der großen russischen Fernsehkanäle zurückgebracht. Am 20. September 2015 berichtet Dmitrij Kiseljow in der populären Nachrichtensendung "Westi Nedeli" prominent über den Bürgerkrieg. Unter der Überschrift "Wir geben Syrien nicht auf" argumentiert er, dass die USA auf derselben Seite stünden wie das "terroristische Kalifat": Zusammen versuchten sie, Syrien als säkularen Staat zu zerstören. Westi Nedeli brachte auch die Rückkehr der Kriegsreporter Jewgenij Poddubnyj und Anastasija Popowa ins Rampenlicht. Poddubnyj berichtet von einer Regierungsoffensive auf Palmyra, während Popowa die Bedrohung der "christlichen Zivilisation" in Syrien durch den sogenannten "Islamischen Staat" thematisiert. Poddubnyj moderiert zudem seit 2015 eine eigene Show auf "Rossija 24" ("Wojna"), in der immer wieder der Syrienkonflikt im Mittelpunkt steht. Westi Nedeli nimmt das Thema des "Kampfes gegen den Terrorismus" auf und hebt dabei die Rolle von russischen Staatsbürgern in den Reihen des sogenannten "Islamischen Staates" hervor. Wenn man den "treuen Alliierten" Syrien aufgeben würde, fragt Kiseljow rhetorisch, wäre das nicht gleichbedeutend damit, den "Terrorismus nach Russland einzuladen"? Die Sendung betont immer wieder die direkte Verbindung zwischen Terrorismus und Intervention. So berichten Westi Nedeli vom 22. November zunächst über neue Erkenntnisse zum Absturz des russischen Passagierflugzeugs in Ägypten, um dann – in einer langen und ausführlichen Waffenschau – die Operation "Vergeltung" (russ.: "Wosmesdije") zu präsentieren. Das russische Fernsehen betont dabei immer wieder den Professionalismus der russischen Truppen. Der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe am 24. November löste in Russland Empörung aus. Staatsführung und Medien sprachen von einem "Schlag in den Rücken". Westi Nedeli vom 29. November vergleichen den Beschuss der am Fallschirm hängenden Piloten gar mit dem Verhalten von "Hitlerfaschisten". Die Sendung beschuldigt die Türkei der Komplizenschaft mit dem Terrorismus und diskutiert die ökonomischen Folgen der zerrütteten russisch-türkischen Beziehungen.

Eine deutlich nuanciertere Berichterstattung findet in den russischen Printmedien statt, die sich schnell kritisch zum russischen Militäreinsatz positioniert haben. Julija Latynina schreibt in der "Nowaja Gaseta" vom 4. Oktober 2015: "Das ist nicht unser Land, nicht unser Krieg, nicht unser Territorium und [das sind] nicht unsere Regeln". Die Zeitung "Wedomosti" vom 5. Oktober reagiert mit mehreren Kommentaren auf die russische Militärintervention. So bemerkt Grigorij Judin an, dass das syrische Regime zwar legal, aber nicht mehr legitim sei. Dieser Widerspruch zwischen Rechtmäßigkeit (russ.: "Sakonnost") und Legitimität ("Legitimnost") sei Voraussetzung für jede Revolution. Schließlich verweist die "Gazeta.ru" vom 12. Oktober auf die hohe Komplexität des syrischen Bürgerkriegs und betont, dass der Bürgerkrieg nicht einfach zwischen Regime und Terroristen stattfindet, sondern dass in Syrien mindestens fünf Konflikte parallel ablaufen würden, in die sich Russland nun einschalte. Der Autor betont, dass Luftangriffe allein nicht den sogenannten "Islamischen Staat" zerstören würden, sondern lediglich das Assad-Regime stabilisierten. Die Nowaja Gaseta liefert am 21. Oktober einen Hintergrundbericht über die Geschichte der Assad-Familie und betont, wie Syrien in der "allgemeinen russischen Wahrnehmung wenn nicht das führende, so doch das wichtigste Land der arabischen Welt" sei. Die ältere russische Generation würde Syrien mit "einer engen Freundschaft und dem gemeinsamen Widerstand gegen "Imperialismus und Zionismus" " verbinden. Andere arabische Länder hätten die Freundschaft mit Moskau unter verschiedenen Vorwänden aufgekündigt, doch Damaskus sei "zuverlässig" geblieben.

Während also die russischen Printmedien tendenziell differenziert kommentieren, teilen die meisten Mainstream-Medien eine scharfe Kritik am westlichen Vorgehen in Syrien. Zwar ist der Westen oft unentschlossen und inkonsistent aufgetreten, aber eine Komplizenschaft zwischen dem "Islamischen Staat" und den USA, wie Westi Nedeli argumentiert, erscheint zumindest weit hergeholt. Angesichts der Berichterstattung im russischen Fernsehen ist die Opposition zum Militäreinsatz in der Öffentlichkeit gering. Eine Anfang Januar von Walerij Otstawnych, Lew Ponomarjow und anderen Intellektuellen auf "change.org" lancierte Petition zur Beendigung der Intervention ("Wywesti wojska RF is Sirii") erzielte beispielsweise bis Ende Januar nur rund 4.000 Unterschriften. Dennoch verdeutlicht die Rhetorik in den Medien, dass für Russland mehr auf dem Spiel steht als nur ein regionaler Partner. Der syrische Bürgerkrieg hat überregionale Bedeutung. Syrien ist zu einem Feld geworden, auf dem die Prinzipien der russischen Außenpolitik demonstriert werden, und auf dem sich die Beziehungen zum Westen gestalten lassen. Im russischen Syrien-Engagement verdichtet sich der Anspruch, nicht nur eine Regionalmacht sondern ein weltweit agierender und angesehener Akteur zu sein, der notfalls auch militärisch den Westen "einhegen" und ihm Einflusszonen streitig machen kann. Zu diesen vermeintlichen Prinzipien Russlands zählt das Verwerfen jeglicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten und insbesondere jede Form von regime change. Dabei differenziert der Kreml nicht, ob dieser Wechsel von innen oder von außen kommt, sondern er scheint prinzipiell davon auszugehen, dass er vom Westen eingefädelt wird. Russland führt aber gerade durch den eigenen Militäreinsatz das Prinzip der Nichteinmischung ad absurdum. Freilich hielt Außenminister Sergej Lawrow im Gespräch mit der italienischen Presse am 9. Dezember 2015 die russische Einmischung im Gegensatz zu jener des Westens für legal und unterstrich, dass das Prinzip der internationalen Beziehungen, auf das Russland am meisten besteht, eben jenes der Legalität ist. Gemeint ist damit insbesondere die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats, in dem Moskau ein Vetorecht besitzt, oder zumindest das Einverständnis der betreffenden Regierung für allfällige Interventionen. Russland ist es schließlich gleichgültig, ob ein Regime demokratisch ist oder nicht, und es verkennt im syrischen Fall die legitimen Forderungen, welche die Opposition in der Frühphase der Proteste erhoben hat. Ebenfalls verkennt es, wie sich das syrische Regime durch exzessive Gewaltanwendung diskreditiert hat. Doch wenn aus russischer Perspektive der Westen einen dermaßen negativen Einfluss auf den Syrienkonflikt ausübt, was hat Russland geleistet?

Die diplomatische Front: den Westen belehren

Viele russische Beobachter teilen die Überzeugung, dass Russland eine besondere Rolle in Syrien spielen kann, sowohl aufgrund der historischen Verbindungen als auch aufgrund der gegenwärtigen Beziehungen, sowohl zum Regime als auch zur Opposition. Seit dem Ausbruch des Konflikts hat der Kreml Damaskus diplomatisch Rückendeckung gegeben. Russland und China haben insgesamt vier UN-Resolutionen gegen Syrien blockiert. Seit 2014 verstärkt Moskau seine diplomatischen Bemühungen. Außenminister Lawrow hatte zuvor mehrfach das westliche Vorgehen in Libyen und im Irak verurteilt. Nun müsse man den USA "beibringen", verkündete er im Februar 2013 in der Talkshow "Sonntagabend mit Wladimir Solowjow" auf Rossija 1, dass Probleme wie in Syrien nur auf "Basis von Gleichberechtigung, ausbalancierten Interessen und gegenseitigem Respekt" gelöst werden können. Russland sieht im syrischen Fall die Chance, eine Krise im Nahen Osten auf eine andere Art und Weise zu lösen, als der Westen es in Libyen und im Irak versucht hat, und es versucht dabei nicht nur vordergründig internationales Recht zu respektieren, sondern auch jenes eigene internationale Prestige aufzupolieren, das es zuvor im Zuge der Krim-Eingliederung verloren hatte.

Die russische Diplomatie agiert auf zwei Ebenen: Auf einer offiziösen, informellen Ebene verfolgt Russland das Ziel, möglichst viele Oppositionsgruppen mit einer möglichst konsolidierten Position mit dem Regime an einen Tisch zu bringen. Dazu wurden in Moskau im Laufe des Jahres 2015 drei "konsultative" Gesprächsrunden abgehalten, an denen verschiedene syrische Oppositionsvertreter teilnahmen. Moderiert wurden diese Konsultationen von Witalij Naumkin, dem Direktor des Orientinstitutes der Russischen Akademie der Wissenschaften. Diese Gespräche wurden oft dafür kritisiert, dass sie nur die "interne", vom Regime tolerierte Opposition, berücksichtigten würden. Von den Golfstaaten und durch den Westen gestützte Oppositionsgruppen nahmen an den ersten beiden Gesprächsrunden nicht teil. Allerdings reiste im August Chaled Chodsha, der Präsident der Nationalen Koalition der Oppositions- und Revolutionskräfte Syriens nach Moskau. Diese Konsultationen mündeten im April in den allgemeinen und unverbindlichen "Punkten der "Moskauer-Plattform" " ("Moscow Platform Provisions"). Sie sehen unter anderem vor, dass die Krise in Syrien auf Grundlage des Genfer Communiqué vom Juni 2012 ("Genf 1") beigelegt werden soll, betonen den Kampf gegen den Terrorismus, und fordern einen innersyrischen Versöhnungsprozess ohne äußere Einmischung.

Auf der offiziellen, formalen Ebene verfolgt Moskau das Ziel, eine breite "Anti-Terror-Koalition" gegen den sogenannten "Islamischen Staat" zu schmieden. Lawrow verglich eine solche Koalition gegen den "IS" mit der Koalition gegen Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Dieser Vergleich unterstreicht die Tragweite, die Russland dem Engagement in Syrien beimisst. Insbesondere ab Juni 2015 wurde Moskau zum Treffpunkt für syrische Oppositionelle und Regierungsvertreter aus der gesamten arabischen Welt. Lawrow selbst reiste mehrfach an den Golf. In Doha traf er Mitte August 2015 Vertreter der syrischen Nationalkoalition und konferierte mit seinen katarischen und US-amerikanischen Amtskollegen. Mehrfach kam er mit dem saudischen Außenminister Adel al-Dschubeir und seinem iranischen Amtskollegen Mohammad Dschawad Sarif zusammen. Lawrow traf im Herbst 2015 abermals Vertreter der syrischen Opposition und beriet sich mit Repräsentanten der Nationalkoalition sowie des Syrischen Nationalen Koordinations-Komitees.

Derweil bemühte sich Wladimir Putin um eine Koordination mit arabischen Staatsoberhäuptern. Im August und September traf er den ägyptischen Präsidenten, den Kronprinzen von Abu-Dhabi, den türkischen Staatschef, den saudischen Verteidigungsminister, den israelischen Premier Benjamin Netanjahu – der mit höchsten Militär- und Geheimdienst-Vertretern anreiste – sowie den katarischen Emir. Schließlich gelang Putin ein Coup, indem er am 20. Oktober den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad in Moskau empfing. Dies war das erste Treffen der beiden Staatsoberhäupter seit 2007. Obwohl der Kreml immer wieder betont, dass er nicht an Assad persönlich festhalte, bedeutete diese Zusammenkunft eine deutliche Aufwertung des syrischen Präsidenten als akzeptablen Verhandlungspartner. Nach dem Treffen telefonierte Putin mit den Staatschefs Ägyptens, der Türkei, Saudi-Arabiens und Jordaniens, um sie über die Ergebnisse des Treffens in Kenntnis zu setzen. Ein weiterer Gast in Moskau war Ende Juli Kasem Soleimani, General der iranischen Al-Quds Brigaden, einer Eliteeinheit der Revolutionsgarden, was darauf hindeutet, dass Russland schon frühzeitig die Möglichkeiten einer mit dem Iran koordinierten militärischen Aktion sondierte, zumal von Teheran logistische Unterstützung (z. B. Überflugrechte) benötigt wurde. Dank russischer Vermittlung kam es Anfang August auch zu einer außerordentlichen wie ergebnislosen Begegnung zwischen Vertretern des syrischen und des saudischen Sicherheitsapparats in Dschidda: Die Syrer forderten ein Ende der saudischen Finanzierung der Rebellen, die Saudis im Gegenzug den Abzug aller ausländischer Truppen, inklusive der für Damaskus essentiellen Hisbollah-Milizen.

Die bemerkenswertesten Verhandlungen fanden Ende 2015 in Wien statt, und stellten für die russische Diplomatie einen beachtlichen Erfolg dar. Mitte Oktober trafen sich zunächst die Außenminister Saudi-Arabiens, der Türkei, Russlands und der USA, Ende des Monats dann die Außenminister von insgesamt 17 Staaten, darunter des Iran und Ägyptens, auf deren Teilnahme Moskau besonders gedrängt hatte. Am 14. November schließlich einigten sich diese Staaten auf eine Übergangsphase von 18 Monaten und definierten vorläufig, mit welchen Oppositionsgruppen verhandelt werden könne und mit welchen nicht. Unklar bleibt das Schicksal Assads, was aber exakt der Linie entspricht, die Russland die ganze Zeit vertreten hat: Sein Ausscheiden aus dem Amt könne nicht Vorbedingung für Verhandlungen sein. Die Wiener Beratungen bereiteten den Boden für die Ende Januar begonnenen Gespräche in Genf.

Die militärische Front: den Iran verdrängen

Zwischen September 2015 und Januar 2016 flog die russische Luftwaffe über 6.000 Einsätze in Syrien und brachte allein auf dem Luftweg 14.000 Tonnen Material in das Land. Dieses militärische Engagement muss vor dem Hintergrund der diplomatischen Aktivitäten gesehen werden.

Es ist eine Ergänzung der Diplomatie und hat die diplomatischen Bemühungen weiter beschleunigt. Erstens vermochte es eine, wenn auch sehr lose, de-facto Allianz gegen dem sogenannten "Islamischen Staat" zu gründen: Russland koordiniert seine Luftschläge mit Damaskus und steht darüber im Austausch mit den USA, mit Israel, mit dem Irak, und mit Jordanien. Es unterhält Koordinationszentren in Bagdad und Amman. Nach den Attentaten von Paris wurde auch mit Frankreich eine engere Kooperation angestrebt. Zweitens hat Russland durch den Militäreinsatz seine Position als zentraler Akteur im Konflikt weiter zementiert, sowohl gegenüber dem Regime in Damaskus und dem Iran, als auch international. Eine Lösung des Konflikts ohne Russland ist völlig undenkbar geworden. Wie auch immer diese Lösung aussehen wird, ist Russland nun mit einem weiteren Stützpunkt in Syrien vertreten, für den es zeitlich unbegrenzte Nutzungsrechte aushandeln konnte. Drittens hält der Kreml durch sein militärisches Engagement ein weiteres Druckmittel gegenüber dem Assad-Regime in der Hand, hängt dessen Überleben nun umso mehr von der militärischen und nicht mehr nur diplomatischen Unterstützung Moskaus ab – und etwas weniger vom Iran.

Andererseits untergräbt Russland aber die eigenen diplomatischen Bemühungen. Moskau ist zur aktiven Kriegspartei geworden, was die Position als neutraler Ansprechpartner erschwert und die Beziehungen zu Ankara und zu den Golfstaaten belastet. Die russischen Sanktionen gegen die Türkei nach dem Abschuss des russischen Kampfjets sowie Moskaus Flirt mit der kurdischen "Partei der Demokratischen Union" ("Partiya Yekitîya Demokrat" – PYD) tun ihr Übriges, um Ankara gegen Moskau aufzubringen. Saudi-Arabien hat derweil mit der Organisation eines Oppositions-Treffens im Januar 2016 und der Gründung des "Hohen Verhandlungs-Komitees" seinen Anspruch auf eine führende Rolle als Vermittler unterstrichen.

Ausblick

Russlands Wahrnehmung des syrischen Bürgerkrieges ist weitgehend unverändert. Sie bleibt ganz dem Narrativ eines "Krieges gegen den Terror" treu. Betont wird weiterhin der negative Einfluss des Westens im Nahen Osten – eine Einschätzung, die seit sowjetischen Zeiten Tradition hat. Die russische Berichterstattung zeigt, dass es dem Kreml in Syrien um weit mehr geht als um Syrien selbst, nämlich um das Ansehen Russlands in der Welt. Es geht auch darum zu zeigen, dass Russland nicht, wie Barack Obama suggerierte, eine Regionalmacht sei, sondern weltweiten Einfluss habe. Syrien ist zu einem weiteren Spielfeld geworden, auf dem die Machtbeziehungen zum Westen verhandelt und gestaltet werden können. In Syrien, dem traditionell, seit Mitte der 1970er Jahre engsten Partner Moskaus im Nahen Osten, kann Russland Prestige wiedergewinnen und seine außenpolitischen Prinzipien verdeutlichen.

Das Ziel der russischen Diplomatie ist ein Doppeltes: Zum einen geht es darum, eine internationale Koalition gegen den "IS" zu schmieden, zum anderen darum, die Opposition zu einen. So lässt sich auch die gebetsmühlenartige Wiederholung des Antiterror-Narrativs erklären. Damit versucht der Kreml, den politischen Raum in ein pro- und ein anti-"IS"-Lager zu unterteilen. Diese Teilung könnte aus Moskaus Sicht, die Trennung in ein Pro- und ein Anti-Assad Lager überwinden. Letztlich läuft dies auf eine Stabilisierung des Regimes in Damaskus hinaus und auf eine Aufwertung des russischen Einflusses im Nahen Osten. Dabei erkennt die russische Strategie zwar, dass Staat und Regime in Syrien so eng verflochten sind, dass zumindest vorläufig eine Stabilisierung des Staates schwerlich ohne eine Stabilisierung des Regimes zu haben ist, übersieht aber, dass auch Regime und Terrorismus eng verwoben sind, und das bestehende Regime somit kaum jemals landesweite Legitimität zurückgewinnen wird.

Auch international ist diese Strategie nicht ohne Tücken: Saudi-Arabien wird angesichts der russischen Kooperation mit dem Erzrivalen Iran, den Moskauer Bemühungen gegenüber höchst skeptisch bleiben. So haben denn auch Riad und Ankara die russischen Pläne durchkreuzt, eine einheitliche Oppositionsfront zu bilden: Riad hat Ende Januar eine separate syrische Delegation nach Genf geschickt, während Ankara die Teilnahme der kurdischen PYD verhindern konnte. Währenddessen genießt die "interne", von Moskau favorisierte syrische Opposition wenig internationales Ansehen.

Russlands militärisches Vorgehen mit dem zentralen Motiv des Anti-Terror-Kampfes könnte zu einer sich selbst-erfüllenden Prophezeiung werden, die den Konflikt weiter polarisiert, aber eine politische Lösung erschwert. Russland hat den Unmut vieler Oppositionskräfte auf sich gezogen. Diese könnten sich nun stärkeren und radikaleren Gruppen anschließen. Auch das moralisch und militärisch durch Moskau gestärkte Regime könnte zunehmend weniger gewillt sein, der Opposition Zugeständnisse zu machen: warum verhandeln, wenn man zumindest eine Chance auf Machterhalt hat? Schon Witalij Naumkin beklagte "Assads Unnachgiebigkeit bezüglich der Verhandlungen mit der Opposition". Der Militäreinsatz scheint jedoch die diplomatischen Bemühungen zunächst eher beflügelt als behindert zu haben. Das russische Verteidigungsministerium behauptet zudem, nicht nur dem Regime, sondern auch insgesamt elf Oppositionsgruppen Luftunterstützung zu gewähren. Doch so lange Russland scheinbar alle Gruppierungen ins Fadenkreuz nimmt, die das Regime – insbesondere in den strategischen Kernregionen – bedrohen, wird die de facto Koalition labil bleiben und das Vertrauen in Moskaus Absichten weiter beschädigt.

Schließlich hat Russland der eigenen Maxime der Nichteinmischung offensichtlicher denn je zuwidergehandelt. Auf der Suche nach internationaler Anerkennung nutzt Russland nun auch militärische Mittel, droht damit aber mehr Prestige zu verlieren als zu gewinnen, zumindest international. Innenpolitisch versucht der Kreml hingegen zu beweisen, dass Russland wieder eine Militärmacht mit weltweiter Strahlkraft ist. Der Syrienkonflikt lenkt trefflich von dem zunehmend eingefrorenen Konflikt in der Ukraine und den Folgen westlicher Sanktionen ab. Gleichzeitig spiegelt die Berichterstattung aus der Ukraine jene aus Syrien: In beiden Fällen spielt der Westen die Rolle des Verschwörers, der ganze Länder ins Chaos stürzt. Zumindest in den russischen Medien folgt der Blick auf den Bürgerkrieg in Syrien gewohnten Schwarz-Weiß-Mustern, die das russische Engagement im Nahen Osten als Einhegung des Westens und des Terrorismus zu legitimieren versuchen.

Lesetipps

Fussnoten

Dr. Philipp Casula ist Stipendiat des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaften (SNF). Er erforscht zurzeit die sowjetischen Beziehungen zum Nahen Osten.