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Analyse: Die russische Rechte im Lichte der Ukrainekrise | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die russische Rechte im Lichte der Ukrainekrise

Robert Kusche Ute Weinmann

/ 8 Minuten zu lesen

Dieser Beitrag geht auf die Dimension rechter Gewalt in Russland ein, fragt nach der Rolle der Ukrainekrise für die russische Rechte und beleuchtet aktuelle Themenschwerpunkte sowie den alljährlichen Marsch russischer Neonazis in Moskau.

Der "Russische Marsch" 2010. (© picture-alliance, ITAR-TASS)

Weniger Resonanz im öffentlichen Diskurs

Die Ereignisse auf dem Majdan und die Entstehung sogenannter Volksrepubliken im Donbass öffneten auch innerhalb nationalistischer und neonazistischer Kreise unüberwindbare Fronten zwischen Befürwortern und erbitterten Gegnern. Russische Nazis kämpfen auf beiden Seiten mit, die wenigen auf der Seite für Kiew riskieren dafür Strafverfahren. So leitete Moskau erst kürzlich ein Ermittlungsverfahren gegen Roman Shelesnow ein, der an der Seite ukrainischer Nationalisten kämpft. Auf dem diesjährigen "Russischen Marsch" am 4. November wurde er auch explizit von einer Gruppe "gegrüßt", obwohl die Veranstalter das Thema Ukrainekonflikt am liebsten gänzlich von der Veranstaltung verbannt hätten. Der überwiegende Teil russischer Nationalisten unterstützt den "russischen Frühling" und die Intervention des Kremls auf der Krim sowie im Osten der Ukraine, allerdings gehen die Einschätzungen in Bezug auf die Motive der russischen Führung weit auseinander. Einerseits wird die offizielle Version, wonach Russland als Schutzmacht für die unterdrückte russischsprachige Bevölkerung auftrete, akzeptiert. Andererseits fühlt sich die Bewegung gezielter Diskreditierung durch den Kreml ausgesetzt. Auch bei der Analyse des Konflikts gehen die Meinungen auseinander, wobei allein schon die Frage, ob in der Ukraine eine Auseinandersetzung zwischen Ukrainern und Russen oder doch nur unter Russen geführt werde, unterschiedlich interpretiert wird. Die rechten Befürworter des Majdan sprechen sich gegen den sowjetnostalgisch gefärbten "russischen Frühling" und gegen das korrupte Regime des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch aus.

Der Ukrainekonflikt hat nicht nur zu internen Streitigkeiten geführt, sondern auch zu einer Minderung der eigenen Aktionsfähigkeit. Während das Jahr 2013 vor allem von Demonstrationen gegen "ethnische Kriminalität", pogromartigen Angriffen und Säuberungsaktionen gegen vermeintlich "illegale Migranten" geprägt war, konnten sich 2014 Nationalisten sowie Neonazis kaum mit ihren Themen durchsetzen. Dies ist auch an veränderten Zustimmungswerten in Bezug auf rechte und rassistische Einstellungen in Russland ablesbar. Nach den Umfragen des russischen Lewada-Zentrums (s. Grafik 4, S. 21) verringerte sich die Zustimmung zu der Aussage "Russland den Russen" im Jahr 2014 um zwölf auf 54 Prozent. Auch die Frage: "Glauben Sie, dass es in nächster Zeit in Russland zu blutigen ethnischen Konflikten kommen wird" bejahten nur noch knapp 24 Prozent gegenüber 62 Prozent im Vorjahr. Leicht rückläufig sind auch die Zustimmungswerte für die These, dass die Einwanderung für Menschen aus den zentralasiatischen Republiken und dem Kaukasus beschränkt werden sollte. Die einzige Ausnahme bezieht sich auf Ukrainer: Hier ist ein leichter Anstieg von fünf auf acht Prozent zu verzeichnen. Auch die Zustimmungswerte zu dem von Rechtsradikalen geprägten Motto "Stoppt die Unterstützung des Kaukasus" sank von 71 Prozent auf 53 Prozent. Mit 64 Prozent nach wie vor hoch ist die Zustimmung zur Abschiebung von "illegalen Migranten". Nach Einschätzungen des Lewada-Zentrum entstanden mit der Ukrainekrise neue und geeignete Feinbilder – vor allem die des "ukrainischen Faschisten", der "Banderowzy" sowie des Westens – welche zur Projektion latenter menschenverachtender Einstellungen bestens geeignet sind. Die Verschiebung des öffentlichen Diskurses ist eine der Ursachen, warum die russische Rechte Schwierigkeiten hat, mit ihrer "ethno-nationalistischen" Agenda in der gesellschaftlichen Debatte präsent zu sein. Versuche eigene Akzente zu setzen gingen in der offiziellen anti-ukrainischen Rhetorik unter.

Rechte Gewalt

Rechte Gewalt sowie rassistisch motivierte Morde sind jedoch nach wie vor Alltag in Russland. Das unabhängige Informations- und Analysezentrum "Sowa" zählte im Jahr 2013 insgesamt 225 Angriffe und 22 Todesopfer. Im laufenden Jahr 2014 wurden bereits über 90 Angriffe dokumentiert sowie 15 Getötete. Der relativ geringen Anzahl von Körperverletzungen stehen viele Tötungsdelikte gegenüber. Dies ist vor allem damit zu erklären, dass viele Betroffene aufgrund ihres ungesicherten Aufenthaltsstatus, aber auch generell aus Angst vor dem Umgang mit der Polizei vor einer Anzeige zurückschrecken und die Angriffe auch nur selten bei der mit "Sowa" eng kooperierenden Opferberatungsstelle vom Komitee "Bürgerhilfe" in Moskau melden. Hingegen liegt die Anzahl der rechtsextrem motivierten und rassistischen Morde im Vergleich zu anderen Ländern auf einem bedenklich hohen Niveau. Seit 2008 hat Sowa insgesamt 333 rechte Morde in Russland registriert. In Deutschland haben beispielsweise Journalisten vom "Tagesspiegel" und "Der Zeit" 152 rassistische und rechtsmotivierte Tötungsdelikte seit 1990 recherchiert. Zu den Gruppen, die am häufigsten von rechter Gewalt in Russland betroffen sind, zählen sichtbare Minderheiten (136 Angriffe im Jahr 2013). Auch für Russland gilt, dass aus Angst vor weiterer Diskriminierung sowie sekundärer Viktimisierung durch Polizei und Behörden sich die überwiegende Anzahl der Betroffenen nicht traut, Angriffe zur Anzeige zu bringen. Strafverfahren bei Gewaltdelikten mit rassistischem Hintergrund berücksichtigen das Motiv nur selten, gerade bei geringfügigen Verletzungen oder Einzeltaten sind selten befriedigende Ermittlungsergebnisse zu erwarten, was aus der Opferperspektive die Relevanz polizeilicher Ermittlungen deutlich schmälert. Hinzu kommt, dass in Russland kaum spezialisierte Beratungsangebote für von Gewalt Betroffene existieren.

Neonazis vor Gericht

Die Brutalität rechter Gewalt gewinnt durch ein Gerichtsverfahren, welches Mitte November in Moskau begonnen hat, an Anschaulichkeit. Es ist ein Prozess, der in mancher Hinsicht das russische Pendant zum NSU-Prozess in Deutschland darstellt. Vor Gericht stehen vier Mitglieder der Neonazi-Kampfvereinigung "BORN", der sogenannten "Kampforganisation russischer Nationalisten": Michail Wolkow, Maksim Baklagin, Wjatscheslaw Isajew und Jurij Tichomirow. Nikita Tichonow, der Anführer von "BORN", wurde bereits wegen Mordes an dem Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen den intellektuellen Kopf der Gruppe Ilja Gorjatschew, der eine Schlüsselfunktion als Verbindungsmann zur Präsidialadministration ausgeübt haben soll, steht ein gesonderter Prozess an. Gorjatschew sorgte durch seine Kontakte für den nötigen Rückhalt, so dass BORN als Kampfableger der legal operierenden rechtsradikalen Organisation "Russkij Obras" lange Zeit unbehelligt einen Mord nach dem anderen begehen konnte. Auch das Zentrum für Extremismusbekämpfung des Innenministeriums soll laut Zeugenaussagen durch die Bereitstellung von Passdaten Anteil an einigen Mordfällen gehabt haben. Das BORN-Mitglied Aleksej Korschunow, dessen erster Anlauf Markelow zu töten misslang, sprengte sich 2011 im ukrainischen Saporoshje durch einen Unfall mit einer Granate in die Luft. Ein weiteres aktives Mitglied, Alexander Parinow, wird ebenfalls in der Ukraine vermutet, sein genauer Aufenthaltsort ist unbekannt. Das Label BORN trat erstmals im Dezember 2008 mit dem Mord an einem jungen tadschikischen Arbeiter Salochitdin Asisow in Erscheinung, dessen abgeschlagener Kopf vor ein städtisches Verwaltungsgebäude im Osten Moskaus geworfen wurde, als Zeichen an alle in Moskau lebenden Migranten. Die Liste der im weiteren vor Gericht verhandelten Mordfälle ist lang und enthält als Opfer neben führenden Angehörigen der Antifa-Szene auch Migranten aus Mittelasien, Kaukasier und einen Richter, den im April 2010 erschossenen Eduard Tschuwaschow, der wegen seiner unerbittlichen Haltung gegenüber Gewalttätern aus dem Neonazimilieu ins Visier von BORN geriet. Bezeichnend für das Selbstverständnis von BORN ist ebenso der Mord an dem armenischen Taxifahrer Sos Chatschikian. Er starb, weil er angeblich eine Angestellte eines Telefonladens angegriffen haben soll. Der Fall BORN hat – im Vergleich zur NSU-Debatte in Deutschland – keine umfassende politische sowie gesellschaftliche Debatte über das Versagen des Rechtsstaates sowie der Polizei gegenüber rechtem Terror ausgelöst. Nach wie vor hat rechte Gewalt nur einen geringen Nachrichtenwert, lediglich spektakuläre Fälle schaffen es in die Öffentlichkeit, wie der Angriff auf einen Tschetschenen im Oktober 2013. Das Opfer wurde in einem Kleinbus durch den Sitz hindurch mit einem Messer attackiert und schwer verletzt (s. Grafik 1 und Tab. 4–6, S. 18/19).

Der russische Marsch 2014

Eine feste Größe im Kalender der russischen Rechten ist der jährliche "Russische Marsch", welcher seit 2005 am "Tag der Volkseinheit" begangen wird. Thematisch geht es vor allem gegen Migranten, Kaukasier, Homosexuelle und für ein reines – sprich "weißes" – Russland. Auf der Internetseite der Organisatoren finden sich Plakate und Aufkleber mit der Schwarzen Sonne, dem Keltenkreuz, SS-Totenköpfen, Bildern, auf denen der Leitspruch der deutschen SS "Meine Ehre heißt Treue" hinterlegt ist, sowie religiös klerikale Darstellungen. Hakenkreuzfahnen, Hitlergrüße und Gewalttaten im Umfeld des Aufmarsches gehören zu den ständigen Begleiterscheinungen der Demonstration. Der Marsch, der sonst bis zu zehntausend Nationalisten und Neonazis in Moskau mobilisiert, brachte dieses Jahr unter dem Motto "Russischer Marsch für eine russische Einheit" jedoch weniger als 3.000 Demonstranten auf die Moskauer Straßen. Für Konfliktstoff sorgten auch hier die Ereignisse in der Ukraine. Obwohl die Organisatoren im Vorfeld darum gebeten hatten, das Verhältnis zu den neuen Staatsgebilden in der Ostukraine nicht zu thematisieren, waren zahlreiche "Neurussland-Fahnen" im vorderen Teil der Demonstration nicht zu übersehen, während die Kolonnen in der zweiten Hälfte sich lautstark davon distanzierten. Ein Teil der Teilnehmer schloss sich kurzerhand einer Konkurrenzveranstaltung im Nordwesten Moskaus zur Unterstützung von "Neurussland" an, an der sich etwa 1.500 Personen beteiligten. Alexander Below, Anführer der Bewegung "Russkije" und einer der Organisatoren des russischen Marschs, wurde bereits Mitte Oktober wegen Geldwäsche unter Hausarrest gestellt. Die Verhaftung kurz vor dem jährlichen Großereignis russischer Nationalisten, kann als deutlicher Wink aus dem Kreml interpretiert werden. Ein massiver Aufmarsch russischer Neonazis in der Hauptstadt passt nicht gut in das Bild des aufrechten "antifaschistischen" Staates, der die russischsprachige Bevölkerung im Donbass vor den vermeintlichen Faschisten im restlichen Teil der Ukraine schützt. Insofern ist es nur konsequent, dass der 4. November erstmals mit einer offiziellen Demonstration im Moskauer Stadtzentrum begangen wurde. Nach Angaben der Polizei nahmen an der Veranstaltung unter dem Motto "Wir sind vereint" 75.000 Menschen teil. Selbst der russische Präsident Wladimir Putin und Patriarch Kyrill fanden sich ein, um gemeinsam Blumen niederzulegen.

Fazit

Der russische Staat inszeniert sich derzeit als Kämpfer gegen den ukrainischen Faschismus, an der beschriebenen Gewaltbereitschaft russischer Neonazis ändert sich indes nichts. Ungeklärt ist die tatsächliche Stärke und Einfluss der ukrainischen Nazis im aktuellen Konflikt. Das Bedrohungspotential für die russische Öffentlichkeit ergibt sich aus den sowjetisch geprägten Vorstellungen von Faschismus im Allgemeinen und ukrainischen Nazi-Kollaborateuren im zweiten Weltkrieg im Besonderen. Aufgrund dieses ideologisch gefärbten Halbwissens wirkt die Präsenz rechter politischer Kräfte in der Ukraine unabhängig von ihrer realen Bedeutung nur noch bedrohlicher. Für die russischen Neonazis bedeutet diese Situation zumindest vorläufig einen geringeren politischen Handlungsspielraum und weniger öffentliche Wahrnehmung. In der zukünftigen Praxis ist eine vermehrte Organisation im Untergrund nicht auszuschließen.

Lesetipps

SOVA Center for Information and Analysis (Hg.): Xenophobia, Freedom of Conscience and Anti-Extremism in Russia in 2013, Moskau, 2014;Externer Link: http://www.sova-center.ru/files/books/pe14-obl.pdf.

Laruelle, Marlene: Russia’s radical right and its Western European connections: Ideological borrowings and personal interactions, in: Mats Deland, Michael Minkenberg, Chrstin Mays (Hg.): In the Track of Breivik, Far right networks in Nothern and Eastern Europe, Berlin, Münster et al., 2014.

Reach out Berlin (Hg.): Hate Crime in Russland, Monitoring und Unterstützung für Betroffene rassistischer Gewalt, Berlin, Oktober 2010; Externer Link: http://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user_upload/EVZ_Uploads/Publikationen/Studien/Uebersicht-gefoerderte-Studien/Stop-Hate-Crime/russia_full_german.pdf.

Fussnoten

Robert Kusche ist Osteuropawissenschaftler und seit 2013 Geschäftsführer des Bereichs Opferberatung für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt des RAA Sachsen e.V.. Gemeinsam mit Ute Weinmann hat er 2010 die Situation von Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt für die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" untersucht.

Ute Weinmann ist Diplom-Politologin und seit 1999 für die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Moskau sowie als freie Journalistin tätig. Bis zum Jahr 2002 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Osnabrück im Rahmen eines Forschungsprojektes über ehemalige "Ostarbeiter".