"Gastarbeiter in Russland"
"Jedes Jahr kommen 5–6 Millionen Usbeken, Tadschiken und Kirgisen ins Land, um in Restaurants, Baustellen, Bauernhöfen und Fabriken zu arbeiten. Sie sind Putzfrauen, Taxifahrer, Hausmeister, Müllarbeiter. In Usbekistan lebt ein Viertel der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter außerhalb des Landes", berichtet Eler Nematow in seinem Photo-Blog "Gastarbeiter in Russland". Anhand von eindrucksvollen Bildern und kurzen Überschriften schildert Nematow den Alltag der Arbeitsmigranten in Russland, die aufgrund von Vorurteilen "als Menschen zweiter Klasse" behandelt werden: "Viele Menschen aus Zentralasien wandern häufig illegal ein und können aus diesem Grund leichter ausgebeutet werden. Sie leben und arbeiten unter fürchterlichen Bedingungen, bekommen manchmal nur ein Drittel des versprochenen Lohns, schicken wenig Geld nach Hause und können ihre Familien lange Zeit nicht sehen. Weniger als 10 % haben eine Krankenversicherung".
Tatjana Andrjuschenko via Livejournal, 30.10.2014 Externer Link: http://tanjand.livejournal.com/1155556.html
"Wir fordern die Einführung einer Visa-Regelung mit den Ländern Zentralasien und Kaukasus"
Der oppositionelle Politiker Alexej Nawalnyj plädiert seit 2013, als er an den Bürgermeisterwahlen in Moskau teilnahm, für eine deutliche Einschränkung der Migration aus den Ländern Zentralasiens und Kaukasus. Er forderte in einer Online-Petition die Einführung einer Visumspflicht für Menschen aus Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan, Kasachstan, Turkmenistan, Aserbaidschan und Armenien. Die Argumente hierfür fasste Nawalnyj in fünf Punkten zusammen:
"Es wird die Zahl an Migranten verringern. Russland nimmt nach der Zahl von Migranten mit 11,2 Millionen Menschen den zweiten Platz ein. Nur 720.000 von ihnen besitzen einen vorläufigen oder unbefristeten Aufenthaltstitel oder eine Niederlassungserlaubnis.
Es wird das Leben legaler Migranten verbessern. Gewissenlose Arbeitgeber setzen die Illegalen wie Sklaven ein und die Mitarbeiter von Polizei und Migrationsdienst pressen ihnen Schmiergelder ab.
Es wird die Drogenmengen verringern, die mit Migranten nach Russland gelangen. Unser Land ist zum weltweit größten Konsumenten von afghanischem Heroin geworden.
Das ist eine normale Praxis für alle zivilisierten Länder. Die Bürger Russlands beantragen Visa für die Einreise nach Europa oder in die USA, während die Bewohner Zentralasiens und Transkaukasiens nicht nur ohne Visum, sondern sogar ohne Reisepass nach Russland einreisen.
Es wird die Zahl an Straftaten verringern, die in Russland begangen werden."
Die Petition erreichte schließlich die notwendigen 100.000 Stimmen nicht und musste somit nicht von Parlament oder Regierung berücksichtigt werden.
Externer Link: Alexej Nawalnyj via navalny.com, 27.09.2013
Gefährliche Migranten oder verzerrte Wahrnehmung?
"[…] Die Verschärfung der Einwanderungspolitik kann jedoch schwere Nebenwirkungen haben. Insbesondere könnte das viele Immigranten dazu bringen, sich illegal in Russland niederzulassen, da sie recht wenig Chancen haben, ein wenigstens einigermaßen legales Einkommen zu erhalten. Dadurch könnte es dazu kommen, dass solche Immigranten massenhaft in kriminelle Tätigkeit hineingezogen werden", meint Sergey Golunow, Experte des Analytischen Zentrums PONARS Eurasia. Der Soziologe analysiert in seinem Beitrag "Gefährliche Migranten oder verzerrte Wahrnehmung? Der Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalität in Russland" den Migrationsdiskurs in Russland und warnt vor einer "Migranten-Phobie". Golunow zufolge werden Vertreter ethnischer Minderheiten mit russischem Pass und ausländische Arbeiter aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens und des Kaukasus in der Massenwahrnehmung kaum ausdifferenziert und allgemein als "Migranten" eingestuft. Zum "Verbrecherbild" von Migranten trügen die Medien und Politiker stark bei. Die Presse berichtet bei Meldungen über eine Straftat gern über die ethnische oder nationale Angehörigkeit des Täters, "weil solche Taten mehr Chancen haben, die Aufmerksamkeit des Lesers zu gewinnen, als ›übliche‹ Rechtsverstöße". Das "Verbrecherbild" von Migranten wird auch durch manche Vertreter des Kreml, durch Gouverneure und Dumaabgeordnete geschürt, die dadurch nationalistisch orientierte Wähler zu mobilisieren suchen. Die Kriminalitätslage sieht allerdings anders aus. Nach Angaben von Golunow begehen Ausländer weniger Straftaten als Bürger Russlands.
Externer Link: PONARS Eurasia via Echo Moskwy, 04.06.2014
"Was tun mit illegalen Migranten?"
Diese Frage wurde vom "Zentrum zur Erforschung des Massen-E-Bewusstseins" gestellt und es wurden hierzu sechs Lösungen angeboten. Die Ergebnisse einer Umfrage bei 20.166 Internet-Nutzern wurden nach Alter, Geschlecht und Regionen analysiert und sehen folgendermaßen aus: 42,8 % der Befragten sind für die Ausweisung aller illegalen Migranten und ein Verbot für ihre Wiedereinreise; 20,7 % haben sich für die Erhöhung des Bußgeldes für Arbeitgeber und Vermieter ausgesprochen, die mit illegalen Migranten zusammenarbeiten; 5 % wünschen ein höheres Bußgeld für die Migranten selbst; 19,5 % sind für die Einführung der Visumspflicht für die Länder Zentralasiens; 6,9 % glauben, dass "die Migration ein natürlicher Prozess ist, weswegen dieses Problem keine Lösung hat und also auch keine Bekämpfung braucht"; 4,9 % haben sich für eine Amnestie für alle illegalen Migranten ausgesprochen.
Kurz nach der Veröffentlichung dieser Ergebnisse führte "Echo Moskwy" eine ähnliche Umfrage auf seiner Internetseite durch. Die Ergebnisse des unabhängigen Radiosenders, dessen Zuhörer als demokratisch orientiert gelten, waren noch deutlicher: 53 % der Befragten sprachen sich für die Einführung von Visa für Bürger der zentralasiatischen Länder aus.
Externer Link: EchoMSK via Echo Moskwy, 28.10.2014
Moskau – Hochburg der Xenophobie
Mit der Frage zur Wahrnehmung der Migranten haben sich der Soziologe Dmitri Poletajew und die Demografin Sajontschkowskaja bei dem Projekt "Migranten in Augen der Moskauer" befasst. Die Experten untersuchten die Geschichte der Zuwanderung nach Moskau im 20. und 21. Jahrhundert und stellten fest: "der Grad der Aggressivität gegenüber den Ankömmlingen aus ehemaligen Republiken der UdSSR ist so hoch wie noch nie". Den Autoren der Studie zufolge ist der Grad der Toleranz der Moskauer seit zehn Jahre dramatisch gesunken: "Wenn die Moskauer noch Ende der 1990er Jahre Migranten gegenüber deutlich toleranter waren als Einwohner von Nischnij Nowgorod und Smolensk […], ist nun alles geradezu umgekehrt. Sahen die Ergebnisse der 1990er Jahre noch stimmig aus (die Bevölkerung der Großstädte ist gebildeter und progressiver), ist die Bevölkerung der Hauptstadt heutzutage zu reineren Ausländerfeinden und Konservativen als die ländliche Bevölkerung geworden". Sajontschkowskaja erkennt in der Verbreitung von Xenophobie in der russischen Gesellschaft vor allem einen Mangel an öffentlichen Debatten zur Migration: "Ich finde, daran ist unser ziemlich armseliges gesellschaftliches Leben schuld. Trotz der scheinbar großen Menge Zeitungen und verschiedener Talk-Shows im Fernsehen wird über viele Fragen nicht diskutiert, und so bleibt der Nährboden für die abstrusesten Mythen erhalten."
Externer Link: Viktoria Woloschina in gazeta.ru, 11.09.2014
Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin (Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst)