Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Analyse: Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstützung und Integration von Migranten in Russland | Russland-Analysen | bpb.de

Russland-Analysen Propaganda / Nawalnyj (19.02.2024) Analyse: It’s fake! Wie der Kreml durch Desinformationsvorwürfe die Diskreditierung von Informationen in ein Propagandainstrument verwandelt Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Von der Redaktion: dekoder-Special "Propaganda entschlüsseln" Kommentar: Erste Gedanken zum Tod und zum Leben Alexej Nawalnys Statistik: Politisch motivierte strafrechtliche Verfolgung in Russland Chronik: 23. Januar – 09. Februar 2024 Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen und Übergangsjustiz (16.12.2023) Analyse: Russland vor Gericht bringen: Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen Dokumentation: Die Brüsseler Erklärung Analyse: Optionen der Übergangsjustiz für Russland dekoder: "Das unbestrafte Böse wächst" dekoder: "Ist es nicht Patriotismus, wenn alle Kinder zu uns gehören?" Chronik: 01. November – 14. Dezember 2023 Getreidehandel in Kriegszeiten / Wasserwege (06.12.2023) Analyse: Russlands Getreideexporte und Angebotsrisiken während des Krieges gegen die Ukraine Analyse: Russland setzt den Getreidehandel als Waffe gegen die Ukraine ein Analyse: Die strategische Bedeutung des russischen Wolga-Flusssystems Chronik: 23. – 29. Oktober 2023 Hat das Putin-Regime eine Ideologie? (15.11.2023) Von der Redaktion: 20 Jahre Russland-Analysen Analyse: Macht und Angst Die politische Entwicklung in Russland 2009–2023 Kommentar: Russlands neuer Konservatismus und der Krieg Kommentar: Chauvinismus als Grundlage der aggressiven Politik des Putin-Regimes Analyse: Verschwörungstheorien und Russlands Einmarsch in die Ukraine Kommentar: Die konzentrischen Kreise der Repression dekoder: Ist Russland totalitär? Chronik: 03. – 20. Oktober 2023 LGBTQ und Repression (30.09.2023) Analyse: Russlands autoritärer Konservativismus und LGBT+-Rechte Analyse: Russlands Gesetz gegen „Propaganda für Homosexualität“ und die Gewalt gegen LGBTQ-Personen Statistik: Gewalt gegen LGBTQ+-Menschen und Vertrauen in Polizei und Gerichte unter LGBTQ+-Menschen in Russland Dokumentation: Diskriminierung von und Repressionen gegen LGBTQ+-Menschen in Russland Kommentar: Wie sehr geht es bei der strafrechtlichen Verfolgung von "Rehabilitierung des Nazismus" um politische Repressionen? Von der Redaktion: Ausstellung: "Nein zum Karpfen" Chronik: 31. Juli – 04. August 2023 Chronik: 07. – 27. August 2023 Chronik: 28. August – 11. September 2023 Technologische Souveränität / Atomschlagdebatte (20.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause, на дачу – und eine Ankündigung Analyse: Die Sanktionen machen sich bemerkbar: Trübe Aussichten für die russische Chipindustrie Analyse: Kann Russlands SORM den Sanktionssturm überstehen? Kommentar: Russisches Nuklearroulette? Die Atomschlagdebatte in der russischen Think-Tank-Fachöffentlichkeit Dokumentation: Die russische Debatte über Sergej Karaganows Artikel vom 13. Juni 2023 "Eine schwerwiegende, aber notwendige Entscheidung. Der Einsatz von Atomwaffen kann die Menschheit vor einer globalen Katastrophe bewahren" Umfragen: Die Einstellung der russischen Bevölkerung zu einem möglichen Einsatz von Atomwaffen Chronik: 13. Juni – 16. Juli 2023 Chronik: 17. – 21. Juli 2023 Wissenschaft in Krisenzeiten / Prigoshins Aufstand (26.06.2023) Kommentar: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – Ein "Virolog:innen-Moment" für die deutsche Osteuropaforschung? Kommentar: Osteuropaforschung im Rampenlicht: ein Drahtseilakt zwischen Wissenschaft und Aktivismus Kommentar: Ein Moment der Selbstreflexion für Russlandstudien Kommentar: Wissenschaft im Krieg: Die Verantwortung der Regionalstudien und was daraus folgt Kommentar: Verträgt sich politisches Engagement und Wissenschaft? Zur öffentlichen Position des Fachs Osteuropäische Geschichte dekoder: Mediamasterskaja: Wissenschaftsjournalismus – seine Bedeutung und seine Herausforderungen dekoder: Prigoshins Aufstand gegen den Kreml: Was war das? dekoder: Prigoshins Aufstand: eine Chronologie der Ereignisse Chronik: 15. Mai – 12. Juni 2023 Deutschland und der Krieg II / Niederlage und Verantwortung (26.05.2023) Kommentar: Ostpolitik Zeitenwende? Deutschland und Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Deutsche Wirtschaft und der Krieg Kommentar: Deutschland, der Krieg und die Zeit Kommentar: Nach einem Jahr Krieg: Deutschland im Spiegel der russischen Medien Kommentar: Der Ukrainekrieg: Kriegsängste, die Akzeptanz von Waffenlieferungen und Autokratieakzeptanz in Deutschland Umfragen: Die Haltung der deutschen Bevölkerung zum Krieg gegen die Ukraine: Waffen, Sanktionen, Diplomatie Statistik: Bilaterale Hilfe für die Ukraine seit Kriegsbeginn: Deutschland im internationalen Vergleich Notizen aus Moskau: Niederlage Chronik: 24. April – 14. Mai 2023 Auswanderung und Diaspora (10.05.2023) Analyse: Politisches und soziales Engagement von Migrant:innen aus Russland im Kontext von Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Ukraine-Krieg: Bislang nur wenig humanitäre Visa für gefährdete Russen Statistik: Asylanträge russischer Bürger:innen in Deutschland Analyse: Emigration von Wissenschaftler:innen aus Russland: Kollektive und individuelle Strategien Dokumentation: Schätzungen zur Anzahl russischer Emigrant:innen nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Chronik: 01. März – 23. April 2023 Sanktionen (27.03.2023) Analyse: Die Wirkung von Krieg und Sanktionen auf Russlands Volkswirtschaft im Jahr 2022 Statistik: Russlands Wirtschaft Analyse: Russische wirtschaftliche Anomalie 2022: Ein Blick aus Unternehmensperspektive Umfragen: Wahrnehmung von Sanktionen durch die russische Bevölkerung Chronik: 01. – 28. Februar 2023 Feminismus / Kriegswahrnehmung / Gekränktes Imperium (13.03.2023) Analyse: Feminist_innen machen in Russland Politik auf eine andere Weise Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Analyse: Nicht Befürworter:innen und nicht Gegner:innen: Wie verändert sich bei der Bevölkerung in Russland mit der Zeit die Wahrnehmung des Krieges in der Ukraine? dekoder: Die imperiale Formel ist: Russland hat keine Grenzen Repression und stiller Protest / Die Botschaft des Präsidenten (06.03.2023) Analyse: "Nein zum Karpfen": Stiller Protest im heutigen Russland Dokumentation: Repressionen wegen Antikriegs-Akten in Russland seit 2022 dekoder: Die Schrecken des Kreml Analyse: Ein langer Krieg und die "Alleinschuld des Westens". Präsident Putins Botschaft an die Föderalversammlung am 23. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Kirchen im Ukrainekrieg (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Eliten (16.02.2023) Analyse: Ansichten der russischen Eliten zu militärischen Interventionen im Ausland Analyse: Zusammengeschweißt und gefesselt durch Illegitimität Ranking: Die politische Elite im Jahr 2022 Meinungsumfragen im Krieg (02.02.2023) Kommentar: Sind Meinungsumfragen im heutigen Russland sinnvoll? Kommentar: Diese vier Fragen sollten Sie sich stellen, bevor Sie Meinungsumfragen darüber lesen, was Russ:innen über den Krieg denken Kommentar: Es gibt noch immer keine öffentliche Meinung – der Krieg in der Ukraine und die Diktatur in Russland lassen uns das besser erkennen Kommentar: Die Meinungsumfragen des Lewada-Zentrums auf der Discuss Data Online-Plattform. Zur Diskussion um die Aussagekraft der Daten Kommentar: Telefonische Umfragen im autoritären Russland: der Ansatz von Nawalnyjs Stiftung für Korruptionsbekämpfung Kommentar: Annäherungen an eine Soziologie des Krieges Kommentar: Methodologische Probleme von russischen Meinungsumfragen zum Krieg Kommentar: Befragungen von Emigrant:innen: Herausforderungen und Möglichkeiten dekoder: "Die öffentliche Meinung ist ein Produkt von Umfragen" Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: 01. – 31. Januar 2023

Analyse: Ein Kaleidoskop des zivilgesellschaftlichen Engagements zur Unterstützung und Integration von Migranten in Russland

Studenten der FU-Berlin

/ 7 Minuten zu lesen

Obwohl die Wirtschaft Russlands aufgrund der rückläufigen Bevölkerungszahl auf Migranten angewiesen ist, ist der Großteil der Bevölkerung des Landes Migranten gegenüber skeptisch und oft geradezu fremdenfeindlich eingestellt. Durch eine schlecht koordinierte staatliche Migrationspolitik ist die Lage der Arbeitsmigranten meist prekär. Initiativen aus der Zivilgesellschaft versuchen, die Situation der Migranten zu verbessern und leisten Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung sowie konkrete Hilfestellungen für Migranten. Die Arbeit solcher Aktivisten wird jedoch oftmals durch staatliche Einmischung erschwert.

Eine Russischlehrerin unterrichtet Migranten in einem Sprachkurs an der staatl. Universität Wladiwostok. (© picture-alliance/dpa)

Immigration nach Russland als gesellschaftliches Problem

Die widersprüchliche Migrationspolitik der russischen Regierung und die aufgeheizte Stimmung in der Bevölkerung haben 2013 zu vermehrten xenophoben Übergriffen auf Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien geführt (siehe beispielsweise die Unruhen in Birjuljowo im Oktober 2013). Diese Entwicklung wirft die Frage auf, welche Haltung die russische Zivilgesellschaft hierzu einnimmt. Gibt es zivilgesellschaftliche Initiativen, die dieser fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken?

In der russischen Öffentlichkeit ist oft von einer Flut von Arbeitsmigranten aus den GUS-Staaten die Rede, doch in Wirklichkeit ist die Immigration nach Russland im internationalen Vergleich gering. Zudem zeigen Zahlen der Staatlichen Statistikbehörde "Rosstat", dass die russische Wirtschaft aufgrund der demographischen Entwicklung in zunehmendem Maße Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt (bis 2030 – so die Prognose – soll die russische arbeitsfähige Bevölkerung um 10,3 Millionen Menschen abnehmen). Trotzdem gibt es starke fremdenfeindliche Stimmungen, die sich gegen Immigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus richten. Diese Ablehnung von Migranten hat zugenommen und schafft den Nährboden für Pogrome wie 2006 in Kondopoga, 2010 auf dem Moskauer Manegenplatz sowie 2013 in der Stadt Pugatschow und dem Moskauer Vorort Birjuljowo. Angst und Verachtung gegenüber Fremden ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten. Sie werden als Kriminelle und Illegale stigmatisiert, und nicht nur Nationalisten verwenden die Losung "Russland den Russen", um Rassismus zu schüren und die Stimmung gegen Migranten weiter anzuheizen.

Es gibt keine Migrationspolitik

Diese interethnischen Konflikte spiegeln sich auch im russischen Alltag wieder. Der durch den Föderalen Migrationsdienst praktizierte administrative und polizeiliche Umgang mit Migration ist nicht effektiv. Eine Stigmatisierung der Migranten als potenzielle Kriminelle und eventuelle Überlegungen zur Verschärfung des Migrationsgesetzes können die Probleme nicht lösen, die gerade auch auf kommunaler Ebene anfallen. Die nur situativen politischen Maßnahmen führen mitunter zu einer Verschärfung des Problems. Eine übergreifende Strategie existiert nicht, die Politik weiß auf die Migrationsfrage keine Antwort. Ein autoritäres, zentralisiertes System ist nicht im Stande, die regionalen Probleme dieses riesigen Landes zu lösen, deshalb liegt es vor allem an der Zivilgesellschaft, sich diesen Themen zu widmen.

Zivilgesellschaftliche Projekte: Aufklärungsarbeit

In Moskau und Sankt Petersburg gibt es verschiedene nichtstaatliche Projekte, die sich sowohl für mehr Toleranz, als auch für die Integration der Migranten einsetzen.

Einige von ihnen bestehen schon mehrere Jahre. Boris Romanow ist einer der Gründerväter eines zivilgesellschaftlichen Netzwerks zur Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund in Sankt Petersburg. Er arbeitet mit den unterschiedlichsten NGOs zusammen, die zu Themen wie Toleranz, Antirassismus, Homophobie, Antiziganismus und Antisemitismus arbeiten. Finanziert durch das Goethe-Institut rief er 2012 "Respekt" ins Leben, ein Comic-Projekt internationaler Künstler, mit dessen Hilfe Schüler ihr Denken über Fremde reflektieren und selbst in Frage stellen können. Laut Romanow scheitern solche Projekte oft an der Bürokratie der Kommunen. Durch das neue NGO-Gesetz gebe es kaum noch Kontaktmöglichkeiten zu staatlichen Schulen, erläutert Romanow, so dass eine Zusammenarbeit höchstens über einzelne Lehrer, nicht jedoch über die Schuldirektion möglich sei. Dies widerspreche dem Konzept zivilgesellschaftlicher Arbeit, die vor allem jedermann offen stehen will. Durch das geschlossene staatliche Schulsystem komme es selten zu einer Kooperation mit interessierten Lehrern. Die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft ist unabdingbar, macht aber die Finanzierung der Projekte schwierig, da sie im Falle einer Unterstützung ausländischer Sponsoren unter das neue NGO-Gesetz fallen.

Im Zuge der neuen NGO-Gesetzgebung wurde das Antidiskriminierungszentrum "Memorial" in Sankt Petersburg geschlossen. Dessen ehemaliger Mitarbeiter Andrej Jakimow ist Anthropologe. Seine langjährige Arbeit mit ethnischen Minderheiten wie Sinti und Roma, Arbeitsmigranten und Staatenlosen macht ihn zu einem erfahrenen Koordinator der "Stiftung zur Unterstützung und Entwicklung von Bildungs- und Sozialprojekten" ("PSP-Fond") in Sankt Petersburg. Auch für ihn zählt die aktive Aufklärungsarbeit zu den wichtigsten Punkten seines zivilgesellschaftlichen Engagements. Die juristische und psychologische Betreuung von Migranten stehen neben der Sensibilisierung der russischen Bevölkerung im Zentrum seiner Arbeit. Seiner Erfahrung nach interessieren sich die OSZE und die UNO nur marginal für diese Themen, also müssen die Probleme der Arbeitsmigranten auf nationaler Ebene gelöst werden. Seine Kontakte zu verschiedenen Netzwerken in den Auswanderungsländern helfen den Migranten, sich schon vor der Einreise nach Russland auf den Aufenthalt vorzubereiten. In der Zusammenarbeit von Staat und Experten sieht Jakimow eine Möglichkeit, eine effektive Migrationspolitik zu entwickeln.

Für die Verbesserung der Migrationspolitik

Ähnlich denken auch Wjatscheslaw Postawnin und Natalja Wlasowa, die die Stiftung "Migrazija XXI wek" ("Migration im 21. Jahrhundert") gegründet haben. Sie selbst sind ehemalige Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdienstes und kennen die staatliche Migrationspolitik von innen. Die Regierung unter Putin scheint keinerlei Lösungsansätze für die immer stärker zunehmende Xenophobie in Russland zu erarbeiten. In den fünf Jahren ihrer Existenz hat sich die Organisation in Moskau zu einem unabhängigen intellektuellen und wissenschaftlichen Zentrum entwickelt, das Vorschläge für die Verbesserung der staatlichen Migrationspolitik ausarbeitet. Diese Vorschläge werden oft von der Administration des Präsidenten berücksichtigt, jedoch nicht sofort und ohne Nennung der Urheberschaft. In Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Netzwerk "Mirpal" ("Migration and Remittance Peer-Assisted Learning") erstellt die Organisation Statistiken zu den Migrationsströmen aus den GUS Staaten, die oftmals stark von den offiziellen Zahlen des Föderalen Migrationsdienstes abweichen.

Flüchtlingsarbeit

Die von Swetlana Gannuschkina, einer wichtigen Menschenrechtlerin in Russland, 1990 mitbegründete Organisation "Grashdanskoje sodejstwije" ("Bürgerhilfe") beschäftigt sich nicht nur mit Arbeitsmigration, sondern zu vier Fünfteln mit Flüchtlingen. Es war die erste Organisation dieser Art in Moskau und wurde im Zusammenhang mit dem Konflikt um Berg-Karabach und dem Krieg in Tschetschenien gegründet, um den Flüchtlingen aus diesen Regionen zu helfen. Die Unterstützung der Arbeitsmigranten umfasst juristische Konsultation und die Lösung administrativer Fragen z. B. bei nicht ausgezahlten Gehältern, Deportationen, Einreiseverboten. Die Organisation stellt juristischen Beistand bei unbegründeten Klagen gegen Migranten, hilft bei Klagen gegen Arbeitgeber wegen nicht ausgezahlter Löhne, führt ein Projekt gegen Hate Crimes durch und veranstaltet Spendenaktionen auf ihrer Webseite. Besonders die ärztliche Versorgung ist wichtig, da der staatliche Notdienst Migranten oft seine Hilfe verwehrt. "Grashdanskoje sodejstwije" arbeitet eng mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), der Internationalen Organisation für Migration (IOM), und mit dem Netzwerk "Migrazija i prawo" ("Migration und Recht"), einem Programm des Menschenrechtszentrums "Memorial", zusammen. Obwohl in der offiziellen Rhetorik die Bedeutung der Migration für Russland unterstrichen wird (wie zum Beispiel in der "Konzeption der staatlichen Migrationspolitik 2025"), beobachtet man in der Praxis meist die stumme Hinnahme der Übergriffe auf Arbeitsmigranten. Nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes fand bei der Organisation eine Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft statt. Ob und, wenn ja, wie dieses Projekt weiterlaufen wird, ist bis heute unklar.

Arbeit mit Flüchtlingskindern

Im Rahmen der Organisation "Bürgerhilfe" gibt es zudem ein "Zentrum für Integration und Unterricht für Flüchtlingskinder", da das staatliche Programm, mit dem Kinder mit Migrationshintergrund Russisch lernen, nicht ausreichend ist.

Ähnlich wie ihre Kollegen aus Moskau arbeiten die Freiwilligen des zivilgesellschaftlichen Projekts "Deti Peterburga" ("Kinder von Petersburg") mit Kindern, dessen Eltern aus den unterschiedlichsten Gründen nach Russland immigriert sind. Zwei Projektkoordinatoren der Organisation "[Wahl]Beobachter", Daniil Ljubarow und Irina Beljaewa, haben 2012 "Deti Peterburga" gegründet. Angefangen mit einem Angebot von Russisch-Grundkursen für Vorschüler mit Migrationshintergrund, hat sich dieses Programm mittlerweile so weit entwickelt, dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre an sechs verschiedenen Standorten in Sankt Petersburg an Russischkursen teilnehmen können. Bis 2014 hatte es noch nicht einmal feste Räumlichkeiten gegeben, die Mitarbeiter der "Deti Peterburga" organisierten sich ausschließlich über soziale Netzwerke. Der virtuelle Raum verbindet diese Organisation auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Projekten. So zieht das Projekt nicht nur politische Aktivisten an, sondern vor allem Pädagogen, Linguisten und Studenten, die die Kurse vorbereiten und durchführen. Der Aufbau von kreativen Zirkeln gehört genauso zur Arbeit von "Deti Peterburga" wie die Koordination von Ausflügen in die Umgebung, Museen oder Theatern. Das Projekt ist abhängig von seinen Teilnehmern. Die fehlenden Sprachkenntnisse der Eltern führen oft zu großen Kommunikationsproblemen. Aber auch die wechselnden und meist äußerst schwierigen Arbeitszeiten der Eltern erschweren die Durchführung des Projekts. Die städtische Bürokratie versucht, den Elan der Mitarbeiter zu bremsen. Auch deshalb bleibt das Projekt nichtstaatlich.

Fazit

Misstrauen gegenüber der Regierung, soziale Probleme und Alltagsrassismus bewegen immer mehr Menschen dazu, sich eigenständig mit der negativen Entwicklung beim Umgang mit Migranten zu beschäftigen. Aus Interviews mit den Mitarbeitern der verschiedenen Organisation lässt sich schließen, dass eine russische Zivilgesellschaft entstanden ist, die die Migrationsfrage einerseits als Arbeit mit der Mehrheits-, also russischen Bevölkerung betrachtet, um diese zu sensibilisieren. Anderseits gibt es Initiativen, die vor allem konkrete Hilfe für Migranten leisten, um deren alltägliche Probleme zu minimieren.

Die Zivilgesellschaft bemüht sich Vorurteile abzubauen, die Migrationspolitik realistischer zu machen und Migranten wie Flüchtlingen konkrete Hilfestellung zu geben. Die Behörden sabotieren diese Arbeit. In den Großstädten wird der Zuzug von Migranten restriktiv gehandhabt. Arbeitgeber wissen um den oft schwierigen Status der Migranten und nutzen die Situation aus, um die Migranten weiter auszubeuten. Die Arbeit der Zivilgesellschaft zur Sensibilisierung der russischen Bevölkerung wird durch die offizielle Politik oft konterkariert.

Lesetipps

  • Judah, Ben: Russia’s Migration Crisis, in: Survival, 55.2013, Nr. 6, S. 123–131.

  • Malakhov, Vladimir S.: Russia as a New Immigration Country: Policy Response and Public Debate, in: Europe-Asia Studies, 66.2014, Nr. 7, S. 1062–1079.

  • Schenk, Caress: Controlling Immigration Manually: Lessons from Moscow (Russia), in: Europe-Asia Studies, 65.2013, Nr. 7, S. 1444–1465.

  • Spahn, Susanne: Die gelenkte Xenophobie. Migration und nationale Frage in Russland: Russland nur für Russen?, in: Osteuropa, 64.2014, Nr. 7, S. 55–67.

  • Tipaldou, Sofia, Katrin Uba: The Russian Radical Right Movement and Immigration Policy: Do They Just Make Noise or Have an Impact as Well?, in: Europe-Asia Studies, 66.2014, Nr. 7, S. 1080–1101.

Fussnoten

Im Rahmen des Projektkurses "Ziviler Ungehorsam: Gesellschaft und Staat in Osteuropa" reisten die Studierenden des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin Michael Bellmann und Kristina Arisov nach Moskau sowie Marina Grinfeld und Christina Huthmann nach St. Petersburg, um mit Aktivisten und Organisationen, die sich für die Integration von Migranten in Russland einsetzen, Interviews zu führen und die Position der Zivilgesellschaft zur Migrationsproblematik zu analysieren.