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Analyse: Das unerwartete Ende des Obersten Arbitrage-Gerichts in Russland und die Politisierung der Justizreform | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Das unerwartete Ende des Obersten Arbitrage-Gerichts in Russland und die Politisierung der Justizreform

Peter H. Solomon, Jr.

/ 10 Minuten zu lesen

Die Auflösung des erfolgreichen Obersten Arbitrage-Gerichts Russlands und dessen Fusion mit dem Obersten Gericht des Landes – eine unpopuläre Maßnahme, die Wellen geschlagen hat – ist von wohlinformierten Beobachtern klar als willkürliche politische Entscheidung interpretiert worden. Sie ist in einer Reihe mit anderen Initiativen zum Gerichtswesen zu sehen, die in der jüngsten eher politischen Zwecken dienten, als dass sie die Bedürfnisse der Gerichte oder die Bestrebungen der Gerichtsreformer berücksichtigten.

Symbol für eine für politische Zwecke missbrauchte Justiz: die russische Regimekritikerin Nadezhda Tolokonnikovas von der Band Pussy Riot, hinter Gittern. (© picture-alliance/dpa)

Aus heiterem Himmel

Am 24. Juni 2013 verkündete der russische Präsident Wladimir Putin auf dem Petersburger Wirtschaftsforum seinen Entschluss, das Oberste Arbitrage-Gericht Russlands, eine Institution mit 70 Richtern, die die Spitze des Systems der Arbitrage- oder Wirtschaftsgerichte bildete, zu schließen und es mit dem Obersten Gericht der Russischen Föderation (an dem seinerzeit bereits 120 Richter saßen) zu verschmelzen. Es hatte zuvor keine öffentliche Diskussion einer solchen Entwicklung gegeben, vor allem nicht in der Richterschaft. Die offizielle Begründung, dass dieser Zusammenschluss den bisweilen kollidierenden Rechtsinterpretationen dieser beiden Obersten Gerichte ein Ende bereiten würde, erschien den meisten Beobachtern als reichlich dürftig. Die Entscheidung mutete besonders deshalb merkwürdig an, als das Oberste Arbitrage-Gericht ein ausnehmend wohlorganisiertes und effizientes Gericht darstellte, das den Belangen der Unternehmerschaft diente.

Weitere Einzelheiten dieses revolutionären Wandels wurden nur schrittweise bekannt, zunächst im Oktober durch die Vorlage eines Gesetzentwurfs über die notwendigen Änderungen der Verfassung. Im Februar 2014 folgten dann Gesetzesentwürfe zur Umsetzung der Zusammenführung. Putin unterzeichnete die Gesetze am 6. Februar 2014. Die starken Bedenken, Warnungen und Vorschläge, die Richter, Rechtswissenschaftler und die Unternehmerschaft äußerten, wurden allesamt ignoriert, und zwar sowohl von Abgeordneten der Staatsduma als auch von der Abteilung Staat und Recht der Präsidialverwaltung. Die Debatte in der Staatsduma zum verfassungsändernden Gesetz war hastig und oberflächlich, die drei Lesungen erfolgten innerhalb von zehn Tagen. Eine solche Eile ist jetzt typisch für Gesetze, die dem Präsidenten wichtig sind.

Die im Sommer 2014 bevorstehende Schließung des Obersten Arbitrage-Gerichts wirft die Frage auf, wie gut die Gerichte in Russland zukünftig Wirtschaftsstreitigkeiten werden behandeln können. Ebenso ist zu überlegen, wie diese Initiative in das langfristige Streben nach einer Justizreform in Russland passt, und was sie über Putins Ansätze zur Rechtspolitik in seiner dritten Amtszeit aussagt.

Die Gerichtsfusion und ihre Folgen

Das Oberste Arbitrage-Gericht entstand – wie die anderen Arbitrage-Gerichte auch – Ende 1991. Als Ende der 1980er Jahre die Privatisierung der ehemals staatlichen Firmen begann, waren die Gremien, die Streitigkeiten zwischen den Unternehmen verhandelt hatten – die staatlichen Arbitragestellen (im Rahmen der Exekutive) – gezwungen, als Gerichte zu fungieren. Diesem Umstand wurde bald durch eine Veränderung ihres Status Rechnung getragen. Mit ihrer Spezialisierung auf Unternehmensstreitigkeiten und Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Behörden erlangten die Arbitrage-Gerichte bald eine Reputation für ihre Kompetenz, die nicht alle Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit genießen. Darüber hinaus waren die Arbitrage-Gerichte im vergangenen Jahrzehnt bahnbrechend bei der Automatisierung (unter anderem durch die Möglichkeit, Klagen per Computer einzureichen), bei der Transparenz (Veröffentlichung von Entscheidungen auf Webseiten und in Datenbanken) und bei der Vereinfachung von Verfahren und Abläufen, wodurch man vor allem auf Grund von fast kongenialer Regie aus dem Obersten Arbitrage-Gericht (OAG) den Bedürfnissen der Firmen entgegenkam.

Ersetzt werden soll das OAG nun durch eine dreißigköpfige Kammer für Wirtschaftsstreitigkeiten innerhalb des Obersten Gerichts. Die neue Kammer wird als letzte Instanz für Kassationsverfahren aus den verbleibenden drei Ebenen der Arbitrage-Gerichte fungieren, die ihrerseits weiterarbeiten werden. Diese Gerichte werden einige Zuständigkeiten an Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit abgeben, unter anderem Klagen zur Rechtmäßigkeit von Wirtschaftsregulierungen und zum Wert von Grund und Boden in Katasterplänen. Wichtiger noch ist, dass die Organisation ihrer Haushalte und der Gerichtsverwaltungen erstmals vom Amt für das Gerichtswesen („Sudebnyj departament“) beim Obersten Gericht und dessen regionalen Stellen übernommen wird, die auch die Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit versorgt; zuvor hatten Mitarbeiter des Obersten Arbitrage-Gerichts diese Funktionen ausgeübt.

Theoretisch hätte die Zusammenlegung der Gerichte unter Beibehaltung der Richter in ihrem Amt umgesetzt werden können, doch werden die Posten in der neuen Wirtschaftskammer des Obersten Gerichts nicht automatisch von den derzeitigen Richtern des Obersten Arbitrage-Gerichts übernommen. Vielmehr werden alle Anwärter für das neue Oberste Gericht (einschließlich der derzeitigen Mitglieder dieser beiden Obersten Gerichte) sich bewerben und sich einer Prüfung durch eine spezielle Qualifizierungskommission stellen müssen; die Kommission besteht aus Richtern regionaler Gerichte, die von regionalen Richterräten ernannt werden, ein Verfahren, das die Richter des OAG und des Obersten Gerichts herabzuwürdigen scheint. Mit anderen Worten: Die Zusammenlegung der beiden Gerichte bedeutet die Gelegenheit für eine Rotation der Richter (also möglicherweise eine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte der Richter). In der Praxis könnten Richter – auch die des OAG – entlassen werden, die sich aus Sicht ihrer Kollegen nicht angepasst haben.

Es stellte sich heraus, dass nicht alle Richter des OAG bereit waren, dem erweiterten Obersten Gericht anzugehören. Sie wollten nicht nur nicht unter den neuen Bedingungen arbeiten, sondern viele waren nicht bereit, nach St. Petersburg umzuziehen! Im Frühjahr 2013 hatte Präsident Putin nämlich einen weiteren unerwarteten und unpopulären Beschluss verkündet, nämlich den Umzug sowohl des Obersten Gerichts wie auch des OAG von Moskau nach St. Petersburg, womit sie dem Verfassungsgericht folgen würden, das bereits 2006 verlegt worden war. Das machte die Metropole des Nordens gegen den Willen vieler Bewohner zu einer „Stadt der Gerichte“. Mit der Zusammenlegung blieb der Umzug nur eines Gerichtes, doch die zu erwartenden Einschnitte im Privatleben der Richter und Gerichtsangestellten, die mit Lebensgefährten in Moskau wohnen, ihre Datschen in der Region sowie Kinder und Enkel in ihrer Nähe haben, erschienen wohl nicht hinnehmbar. Der Umzug des Verfassungsgerichts war von vielen als eine Gegenreform der Justiz wahrgenommen, mit der ein Gericht geschaffen werden sollte, das sich stärker anpasst und dessen Personal weniger kompetent ist. Wenn es in St. Petersburg bereits an der notwendigen Menge juristischer Talente zur personellen Versorgung des Verfassungsgerichts (mit seinen 19 Richtern und 200 Mitarbeitern) mangelte, musste die Herausforderung durch das Oberste Gericht mit seinen 170 Richtern und 1.000 Mitarbeitern wohl umso größer sein… Kurzum, die Zusammenlegung der beiden Gerichte und der Umzug nach St. Petersburg gaben dafür gesorgt, dass einige der in Unternehmensstreitigkeiten erfahrensten Richter in Pension gingen.

Es war auch unklar, was mit der gesammelten Weisheit des OAG geschehen würde, die sich in wegweisenden Erklärungen und den veröffentlichten wichtigsten Entscheidungen niedergeschlagen hatte. In einer Reaktion auf den ursprünglichen Gesetzentwurf über die Zusammenlegung der beiden Gerichte forderte Anton Iwanow, der Vorsitzende des OAG eine Klarstellung zum Status dieser Materialien. Führende Dumaabgeordnete verwarfen das jedoch bei der Behandlung der Vorlage, wobei sie sogar durchblicken ließen, dass es keineswegs schlecht wäre, wenn die Rechtsprechung des OAG in Vergessenheit geriete! Mögen solche unnötigen Beleidigungen auch die Kultur der Duma wiederspiegeln, so behalten die von Richter Iwanow vorgebrachten Bedenken doch ihre Gültigkeit. Ohne die Vorgaben des OAG werden Richter der russischen Arbitrage-Gerichte in ihren Entscheidungen wohl kaum Konsistenz erreichen. Die Art und Weise, in der die Zusammenlegung der beiden Gerichte erfolgte, wird also voraussichtlich für Verwirrung und Inkonsistenz bei der Verhandlung von Wirtschaftsstreitigkeiten sorgen. Das wiederum verheißt nichts Gutes für das Wirtschafts- und Investitionsklima in der Russischen Föderation.

Echte Justizreform oder politisches Kalkül

Die gegenwärtige Zusammenlegung dieser beiden Obersten Gerichte steht in keinerlei Zusammenhang mit den wichtigsten Strömungen einer Justizreform, die bis in die 1990er Jahre zurückreichen. Sie ist keine Teil jener vielfältigen Bemühungen zur Stärkung der Unabhängigkeit, der Macht oder der Verantwortlichkeit der Richter, durch die die Arbeit der Gerichte effizienter gemacht und der Zugang zu ihnen erleichtert werden sollte (wie es Anfang der 2000er durch die Schaffung einer neuen Ebene im Gerichtssystem, der der Friedensrichter, unternommen wurde). In den sieben Jahren seit 2007 jedoch haben Reforminitiativen zum Gerichtswesen ebenso oft externe politische Ziele wiedergespiegelt, als dass sie die Bedürfnisse der Gerichte oder die Werte berücksichtigten, denen eine Justizreform normalerweise dient.

Drei dieser Reforminitiativen der letzten Jahre wurden von der Richterschaft unterstützt und zielten auf eine Verbesserung der Rechtspflege. Hierzu gehörte der Versuch, das Wissen und die öffentliche Meinung über Gerichte durch die Einführung von Pressesprechern zu verbessern, durch weiterentwickelte Websites, auf denen Gerichtsentscheidungen eingestellt werden, durch verbesserte Schutzmechanismen für Richter (durch Abschaffung der anfänglichen Probezeit für neuernannte Richter und die Einführung eines Disziplinartribunals zur Prüfung von Entscheidungen über Entlassungen aus wichtigem Grund) sowie durch eine Effizienzsteigerung, indem Kassationsverfahren durch ein Berufungsverfahren ersetzt wurden, wobei die zweite Instanz die Entscheidung trifft und die die Fälle nicht zur Neuverhandlung zurückverwiesen werden.

Parallel hierzu gab es auch eine Reihe Initiativen, die für die Gerichte nicht hilfreich sondern vielmehr – bisweilen in eklatanter Weise – Ausdruck politischer Prioritäten waren. So wurde etwa zur Reduzierung der peinlich hohen Zahl von Beschwerden beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg durch Bürger Russlands das Oberste Gericht Russlands dazu bevollmächtigt, bestimmte Beschwerden bestimmter Kategorien zu prüfen und finanzielle Entschädigungen zuzusprechen.

Andere politisch geprägte Initiativen, denen sich die Gerichte gegenübersahen, waren weniger gutartig. Die Geschworenengerichte, die 1993 eingeführt worden waren und im ab 2002 größten Teil des Landes zur Verfügung standen, waren ein Eckpfeiler des Versuches, bei Strafverfahren die Neigung zum Schuldspruch zu verringern und Freisprüche zu einer normalen Erscheinung zu machen (im Gegensatz zu jener statistischen Rarität, die sie seinerzeit darstellten). In den Hunderten von Verfahren an regionalen Gerichten, bei denen vor einem Geschworenengericht verhandelt wurde, zeigten sich entsprechende Resultate; der Anteil der Freisprüche erreichte im Schnitt 15 Prozent, wobei nur ein Drittel dieser Urteile dann durch höhere Instanzen kassiert wurde. Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass der Polizei und den Staatsanwaltschaften Verfahren vor Geschworenengerichten nicht genehm waren, ebenso wenig wie einigen Personen in der Präsidialverwaltung. In den vergangenen sieben Jahren ist die Liste der Straftatbestände, die vor einem Geschworenengericht verhandelt werden können, zwei Mal reduziert worden, zunächst 2008 durch die Streichung von politischen Verfahren (einschließlich Terrorismus) und dann 2013 durch veränderte Zuständigkeiten bei 13 Straftatbeständen mit einer möglichen Höchststrafe von 15 bis 20 Jahren Freiheitsentzug (u. a. Entführung, gemeinsamer bewaffneter Überfall, einige Sexualtatbestände und Bildung einer kriminellen Vereinigung); hier waren statt der Regionalgerichte nun die Bezirksgerichte zuständig, die nicht mit Geschworenen arbeiteten. Die 2010 vorgenommenen Veränderungen in der Arbeitsweise des Verfassungsgerichts, die sowohl den modus operandi wie auch die Ernennung des Vorsitzenden und seines Stellvertreters betrafen, haben dieses Gericht verstärkt unter die Kontrolle des Präsidenten gebracht. Darüber hinaus spiegelte sich in der Entscheidung, das Oberste Gericht und das OAG nach St. Petersburg zu verlagern, Präsident Putins persönliche Entscheidung zur Stärkung des politischen Status seiner Heimatstadt wieder, und sei es auf Kosten der Gerichte, die dadurch beschädigt und/oder an den Rand gerückt werden.

Anhand dieser Beispiele ist erkennbar, dass eine Politisierung von Justizreform und Rechtspolitik zwei Formen annehmen kann. Die eine besteht in Initiativen, die, wenn überhaupt, nur wenig mit der Qualität der Rechtspflege oder den Bedürfnissen der Gerichte zu tun haben, wie etwa das Zusammenlegen oder der Umzug Oberster Gerichte. Die andere besteht in Maßnahmen, die einem Reformmuster zuwiderlaufen oder eine Gegenreform darstellen, wie die reduzierten Zuständigkeiten für Geschworenengerichte oder die verstärkte Kontrolle über das Verfassungsgericht. Letztere Tendenz zur Gegenreform war seit Putins Rückkehr auf den Präsidentensessel 2012 auch in der Entwicklung des Straf- und des Strafprozessrechtes dominierend. Anders als Medwedew mit seinem Schwerpunkt, den exzessiven und unangemessenen Einsatz strafrechtlicher Sanktionen zu reduzieren (siehe dessen Programm zur Humanisierung des Strafrechts), hat Putin das Strafrecht sowohl zur Beschneidung der Zivilgesellschaft eingesetzt (Ausweitung des Landesverratsbegriffs, Gängelung der NGOs), als auch dazu, die Unterstützung durch konservative soziale Gruppen zu mobilisieren (Gesetze gegen Homosexuelle und Strafbarkeit von Äußerungen, die Gläubige als beleidigend empfinden).

Darüber hinaus hat die Staatsduma im Winter 2014 die Wiedereinführung des Konzepts einer „objektiven Wahrheit“ („istina“) in die Strafprozessordnung erörtert, ein Wandel, der die Förderung des Prinzips zweier vor Gericht streitender Parteien bedroht, das im Zentrum der postsowjetischen Reform des Strafprozessrechts in Russland gestanden hatte. Würde eine solche Veränderung verabschiedet, würde in einem Strafverfahren – wie zu sowjetischen Zeiten – vom Richter eher erwartet, dem Staatsanwalt bei der Aufdeckung der Fakten zu helfen sowie auf Grund nicht nur von Beweisen sondern auch dieser „Wahrheit“ zu urteilen, denn als neutraler Schlichter zu fungieren. Die Initiative erhielt starke Unterstützung durch den Leiter des Strafverfolgungskomitees Alexander Bastrykin, dessen Ermittler manches Mal Schwierigkeiten hatten, die für eine Verurteilung notwendigen Beweise beizubringen.

Politik und Gerichtsfusion

Die Zusammenlegung zweier der Obersten Gerichte ist ein Beispiel für die erste Form der Politisierung, eine Entscheidung, die nur wenig oder nichts mit dem entsprechenden Politikbereich zu tun hat, vor allem aber nichts mit einer Verbesserung der Gerichte. Allerdings bleibt unklar, wessen Interessen mit einer Zusammenlegung der Gerichte gedient wird und warum sie initiiert wurde. Insider aus den Moskauer Politik- und Justizkreisen nennen oft personenbezogene Faktoren wie eine Schwächung des Vorsitzenden des OAG, Anton Iwanow, dessen angeblich extravaganter Lebensstil angeblich einige Personen in der russischen Führung vor den Kopf gestoßen haben soll, und der sich geweigert habe zurückzutreten, ein alternatives / zusätzliches Motiv soll gewesen sein, für Dmitrij Medwedew einen komfortablen Posten in der Zukunft zu finden – er wäre demnach ein möglicher Anwärter auf den Vorsitz des nun vereinten Obersten Gerichtes (der derzeitige Vorsitzende des Obersten Gerichts Wjatscheslaw Lebedew ist bereits in den Siebzigern und hat gesundheitliche Probleme). Solcherlei Gerüchte lassen sich nicht bestätigen, doch ihre Hartnäckigkeit muss Richter in ganz Russland beunruhigen. Daneben gibt es auch Ansichten wie die eines der seltenen Verteidiger der Zusammenlegung (der für die regierungsnahe Nachrichtenagentur ITAR-TASS schrieb), der in der Zusammenlegung eine gesunde Antwort auf das (angeblich) hochmütige Gebaren der Richter am OAG und deren Unternehmerklientel sieht, die sich für die eigenen Zwecke VIP-Gerichte geschaffen hätten und durch die anderen Gerichte, die für die einfachen Leuten (den Plebs) zur Verfügung stehen, herabgesetzt hätten. Ob nun derlei social engineering bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt haben mag oder nicht – es gibt den Beigeschmack einer Abfuhr für jemanden.

Was auch immer der Grund für die Zusammenlegung gewesen ist, es war der Sache einer unparteiischen Rechtsprechung, jenem zentralen Wert echter Justizreform, nicht dienlich. Ebenso wenig steht es in Verbindung mit der aktuellen Agenda der Reformer in Russland, auf der eine Reduzierung der Macht der vorsitzenden Richter und eine veränderte Bewertungsmethode für die Arbeit von Richtern steht, damit diese nicht befürchten müssen, das Missfallen Vorgesetzter oder mächtiger Personen zu erregen. Ebenso wenig dürfte die Zusammenlegung die Effizienz der Rechtspflege erhöhen, die nach Einschätzung wohlinformierter Beobachter die Schaffung eines eigenen Stranges von Verwaltungsgerichten benötigt, und nicht Abschaffung des Obersten Arbitrage-Gerichts.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Fussnoten

Peter H. Solomon, Jr. ist Professor für Politische Wissenschaft und Kriminologie an der Universität Toronto.