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Analyse: "Something to believe in" Die Sprachenwahl in Russlands Beiträgen für den Eurovision Song Contest | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: "Something to believe in" Die Sprachenwahl in Russlands Beiträgen für den Eurovision Song Contest

Yvonne Pörzgen

/ 8 Minuten zu lesen

Seit seiner ersten Teilnahme 1994 nutzt Russland seine Beiträge zum Eurovision Song Contest (ESC), um sich im Zuge des Nation-Branding als Mitglied des europäischen Kulturraums zu präsentieren. Der Artikel untersucht anhand der Beiträge von Dima Bilan, Anastasija Prichodko und "Buranowskije Babuschki" die Implikationen der gewählten Sprache(n) auf die nationale und internationale Ausstrahlung der Lieder und Auftritte.

Die russische Teilnehmerin am ESC 2009 in Moskau, Anastasiya Prykhodko, ist gebürtige Ukrainerin. Lizenz: cc by-sa/2.0/de

Musik und Politik

Er war immer Kitsch und niemals unpolitisch: Dass der "Eurovision Song Contest" (ESC) als Gradmesser für internationale Befindlichkeiten gelten kann, war zuletzt im ersten Halbfinale 2014 zu beobachten. Als die Moderatoren verkündeten, dass sich die russischen Tolmatschowa-Zwillinge für das Finale qualifiziert hatten, erschallten laute Buhrufe in der Kopenhagener Arena. Der Protest des Publikums richtete sich nicht gegen Nastja und Mascha, sondern war Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Politik Russlands, sei es wegen der russischen Haltung zur Ukrainekrise und der Annexion der Krim, sei es wegen der Äußerungen russischer Politiker, Kirchen- und Medienvertreter, die zur Disqualifizierung des österreichischen ESC-Beitrags von Conchita Wurst aufgerufen hatten. Russland nimmt den ESC sehr ernst. Mit 30 Millionen Euro gab Russland 2009 so viel Geld für die Ausrichtung des ESC aus wie kein Land zuvor. Der Erfolg der "Buranowskije Babuschki" 2012 ist aussagekräftiges Indiz für die Identität als ESC-Teilnehmerland. Im Zusammenhang mit der russischen Debatte um seine geopolitische Ausrichtung ist es möglich, daraus Schlussfolgerungen über Selbst- und Außenwahrnehmung Russlands zu ziehen. Die ESC-Teilnahme ist ein Balanceakt zwischen der Repräsentation eines Landes und der Projektion einer Vision. Jedes Land versucht, das internationale Publikum zu überzeugen, für den nominierten Kandidaten zu stimmen. Das Publikum zu Hause muss soweit begeistert werden, dass es den Wettbewerb verfolgt. Ein relevanter Aspekt in diesem Spiel ist die Wahl der Gesangssprache. Englisch gesungene Lieder sind nicht das einzige Erfolgsrezept, wie die "Buranowskije Babuschki" zeigten, die auf Udmurtisch sangen und Zweite wurden.

Nation-Branding



Russland sieht den ESC als Plattform, auf der es sich als integraler Bestandteil Europas präsentiert. Der ESC wird in Russlands Nation-Branding inkorporiert und kreiert für das ausländische Publikum ein europäisches Bild Russlands. Sprache ist bei diesem Prozess und konkret im ESC von großer Bedeutung. Als der ESC 1957 zum ersten Mal ausgetragen wurde, gab die EBU (European Broadcasting Union) keine Sprachregeln vor, da man davon ausging, die Teilnehmer würden selbstverständlich in ihrer jeweiligen Muttersprache singen. Ab 1966 mussten Lieder in der Nationalsprache vorgetragen werden. Diese Regelung wurde 1973 außer Kraft gesetzt, aber 1977 wieder eingeführt. Endgültig wurde sie 1999 abgeschafft als Reaktion auf Beschwerden von Seiten kleinerer Länder, die sich im Wettbewerb mit englisch- oder französischsprachigen Beiträgen benachteiligt sahen. Die russischen Beiträge seit 1999 waren meistens auf Englisch, darunter auch Dima Bilans Siegerlied von 2008, "Believe". Es gab aber drei relevante Ausnahmen: t.A.T.u sangen 2003 auf Russisch, Anastasija Prichodko 2009 auf Russisch und Ukrainisch und die bereits erwähnten Buranowskije Babuschki 2012 fast ausschließlich auf Udmurtisch, nur für den Refrain "Party for everybody, dance" wechselten sie ins Englische. Die folgende Analyse konzentriert sich auf die Auftritte von Dima Bilan (2006 und 2008), Anastasija Prichodko (2009) und Buranowskije Babuschki (2012) – vier Performances in vier Sprachen.

Dima Bilan: "Never let you go" (2006), "Believe" (2008)

Dima Bilan hat Singles, sechs Alben und ein Best-Of-Album herausgebracht. Vor dem Album "Believe" von 2009, das auch den ESC-Siegerbeitrag enthält, hat er so gut wie keine Lieder in einer anderen Sprache als Russisch veröffentlicht. Diese Beobachtung ist repräsentativ für den russischen Pop-Markt. Russische Interpreten singen in der Regel auf Russisch. Nur dann, wenn ein dezidiert nichtrussisches Publikum als Zielgruppe angesprochen werden soll, ist Englisch die Sprache der Wahl. Ebenso verhält es sich mit dem Repertoire von t.A.T.u. Der internationale Chartbreaker "Not Gonna Get Us" (2001) lief in Russland in der russischen Version "Nas ne dogonjat" im Radio. Beim ESC 2006 in Athen war Dima Bilan geschockt, als er von der finnischen Band "Lordi" auf Platz zwei verwiesen wurde. 2008 in Belgrad erreichte er sein Ziel und gewann den Wettbewerb. In Athen war Bilan, wie t.A.T.u im Jahr 2003, in Jeans und einfachem weißem T-Shirt aufgetreten. Für die Sieger-Performance 2008 ging Russland aufs Ganze. Der Auftritt wurde von dem US-amerikanischen Produzenten Timothy Zachary Mosley alias "Timbaland" produziert. Der ukrainisch-ungarische Geiger Edvin Marton begleitete Bilan auf einer Stradivari. Dazu drehte der Olympiachampion im Eiskunstlauf Jewgenij Pljuschenko auf einer künstlichen Eisbahn Pirouetten um die Musiker. Auch mit der Entscheidung auf Englisch zu singen – in Russland hatte man "Believe" vor dem Wettbewerb in der russischen Fassung als "Pust tebe pomoschet nebo" ("Möge Dir der Himmel helfen") zu hören bekommen – wandte Bilan sich eindeutig an das internationale Publikum. Die Strategie seines Auftritts ähnelte der von Alsou, die 2000 Zweite geworden war und in ihrer Performance auf westlich-europäische Modernität gesetzt hatte. Dima Bilan ging noch einen Schritt weiter, indem er mit Pljuschenkos Auftritt an ein weiteres Element internationaler Ausstrahlung anspielte, nämlich Russlands Erfolge bei großen Sportereignissen. Russland präsentierte sich als zugänglich, verständlich, international – europäisch. Und gewann. Putin und Medwedjew gratulierten Dima Bilan und dankten ihm dafür, dass er Russlands Image international befördert habe. Putin schrieb in einem Telegramm: "Dies ist nicht nur Dima Bilans persönlicher Erfolg, sondern ein weiterer Triumph für ganz Russland."

Anastasija Prichodko: "Mamo" (2009)

Der russische Beitrag zum ESC in Moskau 2009 enthielt viel Subtext. Eine Sängerin aus "Russlands rebellischem Nachbarland", wie der BBC-Journalist Paul Henley die Ukraine bezeichnete, war ausgewählt worden, um den Titel zu verteidigen. Anastasija Prichodko, in Kiew geboren, wollte ursprünglich für die Ukraine beim ESC antreten, doch im Semifinale des ukrainischen Vorentscheids wurde sie disqualifiziert, weil sie ein anderes als das angekündigte Auftrittslied vortrug. Als der russische Fernsehsender "Erster Kanal" sie aufforderte, am russischen Vorentscheid teilzunehmen, tat sie dies unter einer Bedingung: "Das russische Auswahlkomitee hat meiner Grundforderung zugestimmt, dass ich ›Mamo‹ auf Ukrainisch und Russisch singen kann". Damit löste Prichodko sowohl in Russland als auch in der Ukraine negative Reaktionen aus und wurde hier als Hochstaplerin, dort als Verräterin beschimpft. Iosif Prigoschin, der Producer der englisch singenden Kandidatin Walerija, protestierte erbost: "Ein Lied, das auf Ukrainisch vorgetragen wird, kann nichts, aber auch gar nichts mit Russland zu tun haben." Die Ukraine vergab acht Punkte an Russland, später behauptete der ukrainische Jurypräsident, das Urteil der Jury sei bei der kombinierten Bewertung aus Juryurteil und nationalen Anruferzahlen nicht berücksichtigt worden; die Jury habe Russland keinen einzigen Punkt zugestanden. Eine russische Unterstützerin Prichodkos sagte über die Ukrainer: "Das sind doch sowieso alles Unsere, Slawen". Anna Prichodkos "Mama/Mamo" kann als Versuch Russlands gesehen werden, die Kluft zur Ukraine zu überbrücken. Konstantin Meladse, der georgische Komponist von Prichodkos Lied, sagte, es zeige die wahre Nähe der russischen und ukrainischen Seelen zueinander. Doch in Russland wurde der Beitrag weitgehend als nationale Schande abgelehnt.

Buranowskije Babuschki: "Party For Everybody" (2012)



Nach Englisch, Russisch und Ukrainisch kam 2012 mit Udmurtisch eine weitere Sprache ins Spiel, worauf in Russland und vielen weiteren Ländern positiv reagiert wurde. Der Auftritt von Buranowskije Babuschki ist symptomatisch für den "ethnic turn" des ESC, der in etwa mit Ruslanas Sieg für die Ukraine mit "Wild Dance" 2004 begonnen hatte. Die sechs "Babuschki" trafen kaum einmal denselben Ton, waren aber hübsch anzusehen, wie sie in ihren (pseudo-?)traditionellen Kostümen um einen Ofen herumtanzten und Plätzchen buken. Alina Subarewa, Journalistin des Online-Fernsehsenders "Georgian News", bemerkte, die Buranowskije Babuschki "leisteten einen wirklich eindrucksvollen Beitrag zum russischen Image in der Welt. Diese unglamouröse Gruppe hat die verbreiteten Stereotype zerstört und gezeigt, dass es im modernen Russland mehr gibt als Petrodollars, mit denen ein westlicher Lebensstil erkauft wird." Und sie schwärmte weiter: "Bescheiden, ehrlich, weise und geerdet geben sie ein würdiges Bild Russlands ab. Sie stehen für Tolstojs Traum vom echten Menschen, den man seiner Ansicht nach bei der Landbevölkerung finden kann." Anscheinend auch in der udmurtisch-sprachigen. Anastasija Prichodko hatte sich geweigert, sich ohne Vorbehalte zu Russland und der russischen Sprache zu bekennen, und wurde entsprechend abgestraft. Die Buranowskije Babuschki sind mit ihrem Lied in einer Sprache, die selbst in Russland kaum jemand versteht, ein Akt russischer Selbstorientalisierung. Ein Lied auf Udmurtisch konnte nun trotz seiner Fremdheit zu allem, was ansonsten als russisch gilt, akzeptiert werden, weil es von einer Gruppe von Großmüttern aufgeführt wurde, die als Verkörperung der russischen "narodnost" (Volkstümlichkeit") gelten konnten. Das teils auf Ukrainisch gesungene Lied von Anastasija Prichodko wurde gerade wegen der Nähe des Ukrainischen zum Russischen abgelehnt, weil hier die Grenzen unscharf und beiderseitige Ansprüche hoch sind.

Sprachenpolitik …

In der Russischen Föderation ist Russisch die allgemeingültige Amtssprache. Insgesamt gibt es in Russland etwa 100 Minderheitensprachen, darunter Ukrainisch und Udmurtisch. Die Republik Udmurtien ist eine der 21 Republiken – die Krim nicht mitgerechnet – mit dem Recht, eine zusätzliche Minderheitensprache als Amtssprache zu führen. Bis zur Annexion der Krim wurde Ukrainisch als Sprache eines semi-autochthonen, also nicht vollständig indigenen Volkes ohne eigene Verwaltungseinheit in der Russischen Föderation geführt, es hatte vor der Annexion der Krim nicht den Status einer Amtssprache. Die Bevölkerung Udmurtiens besteht zu etwa 30 Prozent aus Udmurten und zu 60 Prozent aus Russen. Udmurtisch ist Schulfach, aber nicht Unterrichtssprache. Udmurtisch zu lernen ist eher eine folkloristische Beschäftigung als eine politische Aussage. Mit Ukrainisch verhält es sich vollkommen anders. Russland hat die ukrainischen Bemühungen zum Nation-Building der 1990er und 2000er Jahre genau beobachtet und reagiert sofort nervös, sobald es die Rechte von russischen Muttersprachlern in der Ukraine angetastet sieht. Das ukrainische Sprachgesetz von 2012 erklärte Russisch in 13 der 27 ukrainischen Verwaltungseinheiten zu einer regionalen offiziellen Sprache. Der Versuch des ukrainischen Parlaments am 23. Februar 2014, diesen Status abzuschaffen, sorgte für einen merklichen Bruch zwischen der russischsprachigen Bevölkerung und der provisorischen Regierung. Russland fällt es schwer, die Unabhängigkeit der Ukraine zu akzeptieren. Der ausschließliche Status der des Ukrainischen als Amtssprache der Ukraine von 1991 bis 2012 wurde als Affront gegenüber Russland verstanden. Udmurtisch stellt keine Bedrohung dar, weil die kleine Minderheit der Udmurten nicht nach nationaler Unabhängigkeit oder größerer politischer Repräsentation strebt. Ein Lied in udmurtischer Sprache ist ein Bekenntnis zu Russland als multiethnischem Land und ohne Risiko für die russische Hegemonie.

Zurück ins Zentrum

Die Frage, ob Russland vor allem ein asiatisches Land ist oder seine europäischen Aspekte stärken sollte, hat die russischen Debatten im 19. Jahrhundert dominiert. Vor diesem historisch-kulturellen Hintergrund kann Russlands Umgang mit dem ESC als postsowjetischer Europäisierungsversuch gesehen werden, als Versuch, europäische Normen zu erfüllen. 2013 schickte Russland beim ESC Dina Garipowa ins Rennen, die Siegerin von 2012 bei der russischen Ausgabe von "The Voice". Dina hat tatarische Wurzeln, sie hat neben englischen, französischen und russischen auch tatarische Lieder im Repertoire. Beim ESC in Malmö sang sie aber "What If" auf Englisch und kehrte damit zur Strategie der europaweiten Verständlichkeit zurück: keine Experimente mit russisch-tatarischer multiethnischer und multireligiöser Identität. Russland ging mit seiner "russischen Adele" auf Nummer sicher. Die Tolmatschowa-Zwillinge und ihr internationales Team – die Schweden John Ballard und Ralph Charlie, der Malteser Gerard James Borg und der Grieche Dimitris Kontopoulos unterstützten den Producer Filip Kirkorow – machten das 2014 genauso. Nach einem kurzen Ausflug an die Peripherie der nationalen Identität strebt Russland musikalisch wieder ins Zentrum. Und die zentrale Sprache des europäischen Popkosmos ist eben Englisch.

Lesetipps

  • Raykoff, Ivan, Robert Deam Tobin (Hg.): A Song for Europe: Popular Music and Politics in the Eurovision Song Contest, Abingdon 2007.

  • Fricker, Karen, Milija Gluhovic (Hg.): Performing the "New" Europe: Identities, Feelings, and Politics in the Eurovision Song Contest, Palgrave Macmillan: London 2013.

Fussnoten

Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Dr. Yvonne Pörzgen ist seit 2008 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Geschäftsführerin des BA Integrierte Europastudien an der Universität Bremen tätig. Nach ihrer Dissertation zur russischen und polnischen Drogenliteratur arbeitet sie an einem Habilitationsvorhaben zur Dimension des freien Willens in slawischen Literaturen. In einem internationalen Forschungsprojekt befasst sie sich aktuell mit der Erinnerung an die Leningrader Blockade in Museen und publizierten Tagebüchern.