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Analyse: Das Damoklesschwert weitreichender Wirtschaftssanktionen gegen Russland | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Das Damoklesschwert weitreichender Wirtschaftssanktionen gegen Russland

Gunter Deuber

/ 21 Minuten zu lesen

Die gegenwärtige geopolitische Konfrontation zwischen Russland und den führenden westlichen Industrienationen, in erster Linie mit den USA, hat bereits merkliche Auswirkungen auf die russische Wirtschaft. Auch wenn die bisherigen Wirtschaftssanktionen eher symbolischer Natur sind, ist schon auf der aktuellen – zweiten – Eskalationsstufe 2014 mit einer milden Rezession und 2015 nur mit sehr bescheidenem Wachstum zu rechnen.

Sitz der VTB (Vneshtorgbank) in Moskau. Der russsiche Finanzsektor spürt ebenfalls die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen. (© picture-alliance/dpa)

Sanktionen noch mit geringen unmittelbaren Auswirkungen



Die führenden Industriestaaten (USA, Japan, Kanada und die großen EU-Länder) haben Sanktionen gegen etwa 60 russische Personen, u. a. hochrangige Konzernmanager, ausgesprochen. Sie beschränkten sich auf Reisebeschränkungen und Kontensperren. Die Sanktionen der USA gehen weiter und umfassen zudem einige wenige Unternehmen und Banken, v. a. kleinere Firmen oder Banken, bei denen direkte und explizite Verbindungen zur politischen Elite auf der Krim bzw. besondere Beziehungen zur politischen Elite in Moskau evident sind. Bislang wurde die Wirtschaft Russlands jedoch noch nicht merklich getroffen. Die vier auf der US-Sanktionsliste stehenden Kreditinstitute (Bank Rossija, Sobin Bank, InvestCapitalBank und Bank SMP) zum Beispiel stehen nur für ein Prozent der Bankenaktiva in Russland. Sie sind damit national nicht systemrelevant. Als weitergehenden Schritt haben bislang nur die USA ein Exportverbot für höherwertige dual-use-Technologiegüter verhängt. Bislang implementieren die USA, EU und Kanada oder Japan ihre verhängten Sanktionen nicht einheitlich. Die Listen der betroffenen Personen und Firmen sind nicht abgestimmt, was für die Betroffenen einen Umgehungspielraum eröffnet. Die Führung Russlands zeigt sich laut einiger Beobachter durch die bereits verhängten Sanktionen bzw. die Sanktionsdrohungen des Westens wenig beindruckt. Es scheint sogar, dass die Sanktionen genutzt werden, um längerfristige innen- oder außenpolitische Ziele zu befördern; etwa das De-Offshoring, eine reduzierte Integration in die Weltwirtschaft oder die Hinwendung zu anderen aufstrebenden Ländern, beispielsweise nach China. Zudem ist aus russischer Sicht bereits in den letzten Tagen zur Deeskalation beigetragen worden (u. a. auch durch eine konziliantere Positionierung von Präsident Putin auf dem Petersburger Wirtschaftsforum), was in Russland zu der Einschätzung führt, dass weitere Wirtschaftssanktionen nicht gerechtfertigt wären und damit auch nichts zu befürchten sei. Möglicherweise werden die Sanktionswirkungen in Russland auch unterschätzt, weil an jenen Tagen, an denen die konkreten Sanktionsmaßnahmen verkündet wurden, sowohl der Rubel als auch der russische Aktienmarkt kurzfristig zulegten. Dies mag allerdings darin begründet sein, dass die Sanktionen der führenden Industriestaaten meist noch hinter den Erwartungen vieler Marktteilnehmer, v. a. auch aus dem angelsächsischen Raum, zurückblieben. Hier ist allerdings zu betonen, dass gerade auch das Schaffen von negativen Erwartungen und Unsicherheit eben ein Ziel von Sanktionen ist – auch dann, wenn diese gegebenenfalls "nur" angekündigt werden. Zudem gilt, dass die erfolgten und in den Raum gestellten politischen und v. a. wirtschaftlichen Sanktionen diesmal unverkennbar schärfer sind, als etwa im Jahr 2000 (Tschetschenien) oder beim Russland-Georgien Konflikt 2008. Letzteres erklärt warum auf russischer Seite einige Politik- und Wirtschaftsakteure zunächst etwas überrascht waren angesichts der im Lichte dieser historischen Umstände doch bereits recht weitgehenden diplomatischen und ökonomischen Sanktionen.

Weitreichende sektorale Wirtschaftssanktionen: Energie- oder Finanzsektor?



Auf EU-Ebene wurde bislang nur über die Möglichkeit weitreichender Wirtschaftssanktionen (die sog. Stufe-3-Sanktionen) gegen Russland diskutiert; in den USA hingegen wurde dem Präsidenten schon die Möglichkeit eingeräumt, sektorale Sanktionen, bezogen auf einzelne Industriesektoren aber auch auf den Finanzsektor, zu verhängen. Im Kontext der Sanktionsdebatte(n) werden v. a. zwei Wirtschaftsbereiche regelmäßig erwähnt: Der Energiesektor und der Finanzsektor. Angesichts der extrem hohen Abhängigkeit Russlands und vor allem seines Staatshaushalts vom Energiesektor scheint dieser prädestiniert, um über weitreichende Sanktionen spürbaren Druck auf die Regierung Russlands auszuüben. Allerdings gibt es hier einige keineswegs triviale Hindernisse. Im Energiesektor sind vor allem die Europäer besonders abhängig von Russland. Damit ist die Position der USA, direkt Druck auf Russland auszuüben eingeschränkt. Der Hebel der USA bestünde vor allem darin, in Russland tätigen US-Firmen, die wichtige spezialisierte Dienstleister im Bereich der Öl- und Gasförderung sind, Geschäfte bzw. ein Neugeschäft in Russland zu untersagen. Zudem ist das Energiegeschäft von sehr langfristigen Lieferverträgen geprägt, die teils auch bei Nichtabnahme durch die Bezieherländer Zahlungen und/oder Konventionalstrafen – auch gegenüber Subunternehmen – implizieren. Des Weiteren findet man im internationalen Energiegeschäft – also etwa unter den 30 global führenden Unternehmen weltweit – etwa ein Drittel, nämlich zwischen sieben und zehn bedeutende Firmen, aus anderen großen aufstrebenden Ländern wie China oder auch Indien, die eventuell Sanktionen der führenden westlichen Industrienationen konterkarieren könnten. Unter den 30 weltweit bedeutendsten Energiekonzernen sind auch vier russische Unternehmen, was zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, gegebenenfalls Sanktionen der westlichen Industrieländer zu unterlaufen.

Im Banken- und Finanzsektor sind die relativen Abhängigkeiten deutlich asymmetrischer gelagert. Die direkte Abhängigkeit der führenden Industrieländer, darunter auch der USA, von Russland selbst ist relativ gering, während Russland stark auf die globalen Finanzmärkte bzw. reibungslos funktionierende Bank- und Zahlungsverbindungen zum Ausland angewiesen ist. Unter den 30 weltweit führenden Banken, die als sog. globale systemrelevante Banken eingestuft werden, befinden sich nur zwei Kreditinstitute aus China (keines aus Russland); der Rest kommt aus großen westlichen Industrieländern bzw. ihnen nahe stehenden Nationen (etwa der Schweiz, Schweden oder den Niederlanden). Das Russlandgeschäft europäischer und US-amerikanischer Banken macht im Durchschnitt nur etwa ein Prozent ihres gesamten internationalen Engagements aus und stellt damit kein Systemrisiko dar.



Zudem haben im Banken- und Finanzbereich die USA eine deutlich stärkere Rolle gegenüber den Europäern im Vergleich zum Energiesektor. Auf Einzelländerbasis sind die USA nach Frankreich der zweitwichtigste westliche Bankensektor aus der Sicht des Banken- und Finanzsektor Russlands. Die prominente Rolle der USA im Bankensektor spiegelt zwei wichtige Aspekte wider. Einerseits ist im Russland-Geschäft vor Ort (im sog. On-shore Geschäft) die amerikanische Citibank neben den europäischen Großbanken Unicredit/Bank Austria (Italien, Österreich), Société Générale (Frankreich) und Raiffeisen Bank (Österreich) die viertwichtigste ausländische Bank in Russland. Alle vier westlichen Banken repräsentieren etwa 65 % des Marktanteils ausländischer Kreditinstitute auf dem russischen Markt.

Andererseits sind die international führenden amerikanischen Investment- und Großbanken (Citibank, Goldman Sachs, JP Morgan, Morgan Stanley) auch im internationalen Bank- und Kapitalmarktgeschäft (im sog. Off-shore Geschäft) sehr wichtige Marktspieler auf dem russischen Markt bzw. für große russische Firmen. Nahezu jedes russische Großunternehmen unterhält Geschäfts- bzw. Finanzierungsrelationen mit den amerikanischen Branchengrößen. Hier ist auch darauf zu verweisen, dass russische Firmen bei der Abwicklung ihrer Energiegeschäfte den Zugang zum Zahlungsverkehr in US-Dollar über westliche Großbanken und strukturierte Handelsfinanzierungen mit westlichen Großbanken nutzen. Insofern könnte daher über Sanktionen im Banken- und Finanzsektor auch indirekt der Energiesektor getroffen werden. Nicht zu vergessen ist, dass die US-Großbanken und weitere internationale Großbanken auch viele russische vermögende Privatkunden betreuen. Sanktionen im Banken- und Finanzsektor könnten zudem Herausforderungen für die beiden russischen Großbanken Sberbank und VTB (Vneshtorgbank) bedeuten. Beide sind in den letzten Jahren stark ins internationale Kapitalmarktgeschäft expandiert. Dieser Aspekt wäre insofern von Relevanz, weil unter gegebenen Umständen zu erwarten ist, dass diese beiden Großbanken – neben der Vneshekonombank – nach Vorstellung der russischen Regierung einen Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur in Russland leisten sollen. Dies ist angesichts des geringen fiskalischen Spielraums des Staates von Relevanz. Zudem gibt es einige praktische Gründe, warum Sanktionen im Banken- und Finanzsektor relativ einfach zu implementieren wären. Vor allem auf nationalstaatlicher Ebene, aber zum Teil auch international ist der Bankensektor einer der am stärksten überwachten Wirtschaftssektoren. Es gibt bei den zuständigen Aufsichtsbehörden auf Monatsbasis detaillierte Aufschlüsselungen über Bilanzkenngrößen. Insofern liegt es nahe, dass im Finanzsektor – im Falle einer weiteren Eskalation und dann auch im Falle einer ausbleibenden Deeskalation – eher rasch mit schärferen Sanktionen zu rechnen ist. Zumal sich unter den führenden russischen Banken große Staatsbanken befinden und im Bereich der Finanzsektorsanktionen die USA allein handeln und damit dann auch die Europäer – ganz gleich, ob diese mitziehen wollen oder nicht – unter Druck setzten könnten. Der Fall des Iran hat gezeigt, wo Schwierigkeiten im internationalen Zahlungsverkehr (v. a. vorangetrieben von den USA) die Handelsbeziehungen sogar viel stärker stören können als faktische Exportrestriktionen. Transaktionen waren nur noch über indirekte und intransparente Kanäle in diversen Drittländern (wie etwa China oder Belarus) möglich. Zudem fürchteten europäische Banken auch weitere direkte und indirekte Sanktionen der USA bei weiteren Irangeschäften (etwa bei Geschäften mit USA-Bezug) und fuhren daher ihre Irangeschäfte substanziell zurück.

Wirkungen auf die russische Wirtschaft



Kurzfristig hat die verschärfte Konfrontation zwischen Russland und den führenden Industrienationen die russische Wirtschaft bereits über mehrere Kanäle empfindlich getroffen. Dies zeigt sich an zunehmend abwärts gerichteten Trends in einem eh schon von Abschwung bzw. Schwäche geprägten Konjunkturbild. Die russische Wirtschaft befindet sich entgegen dem Trend in der Weltwirtschaft und der EU derzeit bereits im dritten Jahr eines Abschwungs. Die Zuwächse bei den Einzelhandelsumsätzen und realen Einkommen befinden sich seit langem in einer Abwärtsbewegung, die sich nun verstärkt. Dennoch waren in den letzten Monaten im privaten Sektor noch reale Einkommenszuwächse zu verzeichnen und die Arbeitslosigkeit ist noch niedrig. Beides zeigt, dass russische Firmen in den kommenden Monaten wohl noch Anpassungen vornehmen müssen, etwa in Bezug auf Lohnkürzungen oder Entlassungen. Zudem wird die Einkommensposition der Haushalte in Russland durch die Rubelschwäche bzw. höhere Preise für Importgüter belastet.



In einer solchen Situation wird auch der kreditfinanzierte Konsum, die Konjunkturstütze in Russland der letzten Jahre, kaum noch zum Wirtschaftswachstum beitragen. Auch die Stimmungsumfragen bei Einkaufsmanagern in Russland deuten seit längerem auf eine Stagnation bzw. milde Rezession hin. Nach dem jüngsten Fall auf die tiefsten Werte seit vier Jahren und einer besonders schlechten Einschätzung hinsichtlich der Erwartungen ist bei diesem Stimmungs- bzw. Vorlaufindikator derzeit keine Trendwende in Sicht. Sieht man von der infrastrukturellen Anbindung der Krim an die Russische Föderation ab, deren Kosten auf ca. 10–20 Milliarden Dollar geschätzt werden, stehen auch keine staatlichen Großprojekte mehr an. Dies verschärft den bereits schwachen Trend bei den Investitionen weiter.



Das Umfeld für Investitionen in der Real- und Finanzwirtschaft ist bereits erheblich beeinträchtigt. Die Exporte Deutschlands nach Russland beispielsweise sind im ersten Quartal bereits um 13 Prozent eingebrochen (entgegen einem allgemeinen Zuwachs von drei Prozent für deutsche Exporteure im gleichen Zeitraum), was nochmals eine Beschleunigung im bereits angelegten Abwärtstrends darstellt – bereits 2013 waren die Exporte Deutschlands nach Russland um fünf Prozent zurückgegangen. Besonders stark waren die Exportrückgänge mit 17–18 Prozent im ersten Quartal bei Maschinen bzw. Investitionsgütern und bei anderen höherwertigen Gütern wie Fahrzeuge.

Prognosen



Die Folgewirkungen der zuvor skizzierten Trends sind bereits in aktuellen Wachstumsprognosen für die russische Volkswirtschaft zu spüren. Fast alle relevanten Beobachter der russischen Volkswirtschaft und auch die Russische Notenbank haben in den letzten Tagen und Wochen ihre Wachstumsprognosen für 2014 deutlich nach unten korrigiert. Wobei die berechtigte Annahme besteht, dass viele Beobachter – wie der IWF oder die Notenbank, die immerhin für 2014 noch ein leichtes Wirtschaftswachstum von 0,2 bis 0,5 Prozent erwarten – teils noch ein zu optimistisches Konjunkturbild haben. Dieses Phänomen ist schon die letzten 6–12 Monate zu beobachten gewesen, wo etwa die Prognostiker des IWF oder der Russischen Notenbank in ihren BIP-Wachstumsprojektionen tendenziell immer zu optimistisch waren. Im Februar erwartete die Notenbank Russlands noch ein Wachstum von zwei Prozent, obwohl die russische Wirtschaft im ersten Quartal bereits schrumpfte.



In gewisser Weise scheint aber auch die Notenbank Russlands ungeachtet des offiziell für 2014 erwarteten Wirtschaftswachstums mehr und mehr die Abwärtsrisiken zu beachten. Auch der Vorstandsvorsitzende der Sberbank erklärte beim Petersburger Wirtschaftsforum schon offener, dass 2014 mindestens eine Stagnation drohte. Aktuellen Trends zufolge ist für 2014 selbst in einen Szenario ohne weitere Sanktionen mit einer Rezession bzw. einem Schrumpfen des BIP um etwa 0,3 Prozent zu rechnen. Einige Beobachter wie die Ratingagentur "Moody’s" oder das Washingtoner "Institute of International Finance" sind noch vorsichtiger und erwarten 2014 sogar einen BIP-Rückgang um einen Prozentpunkt. Ein derart negatives Abschneiden dürfte v. a. durch einen für 2014 wahrscheinlichen signifikanten Rückgang der Investitionen um nominal sechs bis sieben Prozent (bzw. inflationsbereinigt um ein Prozent) getrieben sein. Der private Konsum könnte 2014 noch moderat zulegen, wobei der Zuwachs deutlich unter den Vorjahresniveaus liegen dürfte.



Wichtig ist vor allem, dass diesmal der Zentralstaat nicht mehr über jenen fiskalischen Spielraum wie noch 2008/2009 verfügt, um der abwärts gerichteten Wirtschaftsentwicklung substanziell etwas entgegen zu setzten, wenn auch die Rubel-Abwertung das zentralstaatliche Budget, weniger aber das der Regionen etwas entlasten dürfte. Denn die internationale Länderrisikobewertung Russlands ist in den letzten Monaten deutlich unter Druck gekommen. Zudem wurde hier ein negativer Ausblick beibehalten. Das ist ein schlechtes Zeichen für eine größere Volkswirtschaft, die normalerweise über einen gewissen Grad an Resilienz gegenüber externen Schocks verfügen sollte. In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass Russland in fast allen relevanten Kategorien der Länderrisikobewertung im Vergleich zu Staaten mit ähnlicher Bewertung merklich schwächer abschneidet. Lediglich die hohen Devisen- und Fiskalreserven wirken derzeit noch weiteren Abstufungen der Ländereinschätzung Russlands entgegen. Letzteres verweist auf die Bedeutung einer Beibehaltung dieser Puffer. Am Finanzmarkt zeigen Marktpreise (etwa für sog. Kreditausfallversicherungen) derzeit an, dass viele Marktteilnehmer weitere Herabstufungen für die Länderbewertung Russlands erwarten.

Investitionsklima



Bei der Herabstufung der Länderrisikobewertung, die auch internationale Finanzierungen mit Russlandbezug erschwert, haben nicht nur rein ökonomische Faktoren (z. B. schwacher Wirtschaftsausblick, massive Kapitalabflüsse) eine Rolle gespielt. Unmissverständlich wurden steigendende und unkalkulierbare politische Risiken, die auch in weiteren und v. a. schärferen politischen und wirtschaftlichen Sanktionen münden können, benannt. Denn jüngste Entwicklungen haben deutlich gemacht, dass die aktuelle Führung Russlands geopolitische Interessen, die zumindest kurzfristig auch innenpolitisch opportun sein können, deutlich höher gewichtet als längerfristige ökonomisch-rationale Eigen- und Kooperationsinteressen. Zudem hat die bereits bisher erfolgte Eskalation einiges an politischem Kapital vernichtet. Auf dem jährlichen Jahrestreffen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), der führenden multilateralen Entwicklungs- und Förderbank in Osteuropa mit großem Russlandgeschäft, haben im Mai wichtiger Anteilseigner (etwa der USA oder einiger EU-Länder) spürbaren Druck ausgeübt mit dem Ziel, die geplanten Investitionen der EBWE in Russland (dem größten Empfängerland der EBWE) zurückzufahren bzw. der Sanktionspolitik anzupassen. Solche Entwicklungen sind für die Modernisierung der russischen Volkswirtschaft kontraproduktiv, weil die EBWE im Rahmen ihres Russlandengagements stark den Privatsektor, wirtschaftlich schwächere russische Regionen oder kleine und mittlere Unternehmen (KMU) unterstützt. Auch die Europäische Investitionsbank (EIB), die in den letzten Jahren ihre Mittel für EU-Nachbar- und Partnerländer wie Russland oder die Ukraine und hier v. a. für die KMU-Finanzierung erhöht hat, ist angesichts des aktuellen Umfeldes derzeit in Bezug auf mögliche Russlandengagements vorsichtig.

Währungsstabilität



Selbstverstärkend wirken in Bezug auf das sich deutlich verschlechternde Investitionsklima die massiven Kapitalabflüsse sowie eine zunehmende Verschlechterung der Bedingungen, die auf dem heimischen und internationalen Finanzmarkt für Finanzierungen mit Russlandbezug bestehen. Allein im ersten Quartal wurde ein Kapitalabfluss von etwa 50–70 Milliarden Dollar registriert (je nachdem, welche Transaktionen man genau als Kapitalabfluss wertet und ob man die Zahlen um Transaktionen im Zusammenhang mit der TNK/BP-Rosneft Transaktion bereinigt), was in etwa den Jahreswerten von 2012 und 2013 entspricht bzw. auf Quartalsbasis Werten aus der Krisenzeit von 2008/2009 gleich kommt. Der Rubel hat – trotz Erholung in den letzten Tagen – in den letzten 12 Monaten über 10 Prozent an Wert verloren, was die Investitionsunsicherheit gesteigert hat und auch die Inflation wieder in Richtung acht Prozent ansteigen lassen wird; zuvor lagen die Werte bei sechs Prozent. Hier ist zu betonten, dass in der akuten Phase der jüngsten Rubelabwertung umfangreiche Umtauschtransaktionen von Rubel in Devisen vorgenommen wurden. Es wurden circa 20 Milliarden US-Dollar umgetauscht und hier v. a. von den älteren Bevölkerungsschichten; jüngere Bevölkerungsschichten haben der Tendenz nach dem Rubel bzw. der Stabilität des Bankensystems in höherem Maße getraut. Letzteres hat den durch Abwertungsdruck auf den Rubel etwas entschärft. Gleichzeitig lasten die wachsenden Wechselkursrisiken zunehmend auf in Russland tätigen internationalen Firmen bzw. auf russischen Importeuren (etwa im Bereich der Handelsfinanzierungen und des Forderungsmanagements). Des Weiteren verteuert der schwächere Rubel vor allem die Einfuhr von wichtigen Kapitalgütern zur Modernisierung der russischen Wirtschaft. Um die Rubelabwertung zu begrenzen war die Notenbank Russlands zudem bis Mai zu – an sich ungewollten – kriseninduzierten Devisenmarktinterventionen von 45 Milliarden US-Dollar (etwa 10 Prozent der Devisenreserven der Notenbank) und zu krisenbedingten Leitzinsanhebungen gezwungen, was dem lokalen Finanzmarkt zusätzlich Liquidität entzieht und die Finanzierungskosten damit zusätzlich erhöht. Beides passt per se nicht zu dem jetzt schon schwachen Konjunkturbild. Bis zu einem gewissen Grad kann man derzeit sogar schon von einem Trend zu Stagflation reden, also einem Umfeld von niedrigem Wachstum und hoher Inflation. Solch ein Umfeld ist in der Regel wenig förderlich für Investitionen, weil Firmen in einer solchen Situation den Preisdruck schwer abwälzen bzw. weitergeben können.

Finanzmarkt



Auch am Aktienmarkt in Russland sind die Preise erheblich eingebrochen, der Börsenindex hat rund 20 Prozent an Wert verloren. Dadurch wurde ein Marktwert in russischen Aktien von mindestens 100 Milliarden Dollar (an der Moskauer Börse und bei Notierungen in London) vernichtet. Oftmals wurde hier vereinfacht geschlussfolgert, dass dies v. a. Ausländer betreffe, da diese etwa 70 Prozent der in Russland notierten Aktien halten. Allerdings hat der Kursverfall auch heimische Akteure getroffen. In vielen Finanzierungsrelationen in Russland etwa werden Aktien als Sicherheiten hinterlegt; verlieren diese Wertpapiere dann als Wert müssen zusätzliche Sicherheiten bereitgestellt werden. Letzteres ist in der aktuellen Situation der Liquiditätsknappheit in Russland kein einfaches Unterfangen, zumal der Aktienmarkteinbruch auch Neuemissionen von Aktien zur Eigenkapitalbeschaffung erschwert. In Bezug auf Börsengänge zur Eigenkapitalbeschaffung hat das Jahr 2014 – trotz der zum Jahresanfang starken Hoffnungen – bis dato enttäuscht, und es wird keine wirkliche Erholung im Jahresverlauf erwartet. Zudem wird russischen Firmen am internationalen Finanzmarkt zunehmend weniger Fremdkapitalfinanzierung bereitgestellt. Im ersten Quartal 2014 emittierten russische Firmen international Anleihen im Wert von 4,5 Milliarden US-Dollar. Faktisch gab es seit Ende Februar kaum noch nennenswerte Transaktionen. Im Vergleichszeitraum 2013 sind es noch 17 Milliarden US-Dollar gewesen. Das internationale Großkreditvolumen privater Banken nach Russland ist ähnlich stark eingebrochen. Und bei dennoch bereitgestellten internationalen Kreditfinanzierungen werden in die Kontrakte immer öfter besondere Vertragsklauseln eingefügt, die eine vorzeitige Rückzahlung auslösen können – wenn etwa eine Firma auf die Sanktionsliste der EU und/oder USA gesetzt würde. Damit geht für Kreditnehmer und -geber ein Stück Planbarkeit in langfristigen Finanzierungsverträgen verloren.



Zudem spielen bei den internationalen institutionellen Investoren mögliche Reputationsrisiken im Zusammenhang mit Russlandgeschäften derzeit eine immer größere Rolle. Auch auf dem lokalen Anleihenmarkt in Russland, normalerweise eine wichtige Quelle für langfristige Finanzierungen in Rubel, wurden im ersten Quartal 2014 Finanzierungen im Volumen von umgerechnet nur rund 3 Milliarden US-Dollar aufgestellt. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden hier noch Rubel-Anleihen im Wert von 14 Milliarden US-Dollar begeben. Das sich deutlich verschlechternde Finanzierungsumfeld auf dem lokalen Rubel-Anleihenmarkt kann vor allem negative Auswirkungen auf längerfristige Finanzierungsvorhaben haben, etwa für sog. Infrastrukturanleihen, wie sie die russische staatliche Eisenbahngesellschaft emittiert. Gerade nichtstaatliche Firmen wie MegaFon, Bashneft, Promsvyazbank oder die Credit Bank of Moscow hatten in den letzten Wochen bzw. Monaten durchaus Probleme, hinreichend gewünschte Eigenkapital- oder Fremdkapitalfinanzierung aufzustellen. Insgesamt gilt damit: Das heimische Zinsniveau in Russland ist viel zu hoch angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Schwäche, während (Re-) Finanzierungsmöglichkeiten im Eigen- und Fremdkapitalbereich derzeit fehlen.

Sanktionsvorbereitungen und Ausweichmöglichkeiten



Bis zu einem gewissen Grad scheinen sich russische Behörden und Firmen durchaus auf weitere Sanktionen, gegebenenfalls auch im Banken- und Finanzbereich, einzustellen. Der jüngste Rückgang bei den Beständen von in den USA deponierten US-Staatsanleihen der Russischen Notenbank, kann als Vorsichtsmaßnahme gewertet werden, um im Krisenfall über hinreichend Dollarliquidität zu verfügen. Einige staatsnahe Großbanken haben in den letzten Wochen ebenso darauf geachtet, ihre Dollarpositionen in Russland deutlich zu erhöhen. Auch die Kreditkartenanbieter Visa und Mastercard, die etwa 90 Prozent des Kreditkartenzahlungsverkehrs in Russland abwickeln, müssen gemäß einem neuen russischen Gesetz ab 1. Juli Sicherheitsguthaben bei der Russischen Notenbank hinterlegen (im Umfang von etwa je zwei Milliarden US-Dollar), was nach internationalen Standards unüblich ist. Und falls Visa oder Mastercard wieder Kreditkarten in Russland sperren sollten, werden von diesen Guthaben empfindliche Strafzahlungen in Russland fällig. Bis zu einem gewissen Umfang können weitreichende Sanktionen im Finanzbereich von Russland substituiert werden. Finanzierungsmöglichkeiten auf asiatischen Kapitalmärkten sind hier eine Möglichkeit. Russische Großunternehmen haben in der Vergangenheit schon Anleihen in chinesischen Yuan/Renminbi oder anderen asiatischen Währungen begeben und waren unlängst auch auf Investorenmeetings in Hong Kong und Singapur vertreten. Auch die Vneshekonombank hat im Mai eine neue Niederlassung in Hong-Kong gegründet, um den asiatischen Finanzmarkt für Projektfinanzierungen in Russland anzuzapfen. Allerdings ist zu beachten, dass auch asiatische Investoren, die in der Regel auch viele Geschäfte auf den US-Finanzmärkten tätigen, Sanktionen der USA im Finanzbereich durchaus als Risiko für ihre eigenen Geschäfte sehen. Zudem sind die Finanzmärkte in Asien nicht groß und liquide genug, um kurz- und mittelfristig den Zugang russischer Großunternehmen zum US-Dollar Markt auszugleichen. Zumal hier auch weniger langfristige Finanzierungen darstellbar wären, als auf dem US-Dollar Markt. Die russische Führung betont, dass die moderne Welt multipolar sei und bezieht sich auf neue formelle Wirtschaftskooperations- und Finanzierungsabkommen mit anderen Schwellenländern, vor allem mit China. Bis zu einem gewissen Grad ist dies kein neuer und durchaus rationaler Prozess. Mittel- bis langfristig kann China sich als wichtigerer Financier der russischen Wirtschaft und als Energieabnehmer etablieren, was das im Mai geschlossene, etwa 400–500 Milliarden US Dollar schwere und lange ausgehandelte Gasabkommen mit China bzw. zwischen Gazprom und China National Petroleum (das auch 20 Milliarden Dollar an Investitionen in die Energieinfrastruktur in Russland beinhaltet) andeutet. Allerdings sollten auch hier die kurzfristigen Substitutionseffekte, v. a. im Gasbereich, nicht überschätzt werden. Das jüngste und viel beachtete Gasgeschäft mit China sieht eine Lieferung ab 2018 vor und große Teile der notwendigen Infrastruktur – auch in China selbst – existieren noch gar nicht. Des Weiteren braucht Russland für eine Modernisierungspartnerschaft auch weiterhin die führenden westlichen Industriestaaten mehr als China. Denn substanzielle westliche ausländische Direkt- und Finanzmarktinvestitionen in Russland haben während der letzten Dekade auch die betriebswirtschaftliche Effizienz und Unternehmensführung in russischen Firmen befördert. Dieser Aspekt könnte bei Wirtschaftskooperations- und Finanzierungsabkommen mit anderen Schwellenländern und hier v. a. China in den Hintergrund treten.

Folgewirkungen und Zahlungsbereitschaft in der EU und USA



Bislang haben führende westliche Firmen ihre Russlandstrategien keiner substanziellen Anpassung unterzogen. Insgesamt setzen viele Wirtschaftsakteure noch auf eine Entspannung in den kommenden Monaten. Es wird darauf verwiesen, dass auf beiden Seiten zu viel ökonomisches Interesse daran bestünde, die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Allerdings scheint die russische Führung momentan stark von nicht-ökonomischen Interessen geleitet zu sein. Auch sind die Folgewirkungen weitreichender Russland-Wirtschaftssanktionen für die führenden Industrienationen eher gering. Denn wichtige Kennzahlen legen klar den Schluss nahe, dass sich die führenden Industrienationen und vor allem die EU eine weitere Eskalation, politisch und ökonomisch, eher leisten könnten als Russland. Lediglich ein Prozent der gesamten durch EU-Staaten außerhalb der EU getätigten Direktinvestitionen liegen in Russland. Russland hingegen hat 40–60 Prozent seiner ausländischen Direktinvestitionen innerhalb der EU (je nachdem, wie stark man Investitionen in begünstigten Steuerlokationen hier einrechnet). Die direkten Handelsbeziehungen zwischen Russland und der EU sind für die EU insgesamt von eher untergeordneter Bedeutung: Der EU-Außenhandel mit Russland (inklusive dem Energiehandel) liegt bei etwa 350 Milliarden Euro im Jahr bzw. ca. 10 Prozent des EU-Außenhandels (in etwa das gleiche Volumen wie mit der Schweiz). Im Energiebereich, wo etwa 20–30 Prozent der fossilen Brennstoffe aus Russland kommen, bestehen selbstredend höhere Abhängigkeiten, wobei ein völliger Ausfall im Energiehandel mit Russland als sehr unwahrscheinlich zu gelten hat. Für Russland ist der EU-Handel von ganz anderer Bedeutung – Russland wickelt etwa 40 Prozent seines Außenhandels mit der EU ab. Die Auswirkungen von Sanktionen auf einzelne EU-Länder unterscheiden sich jedoch erheblich, je nachdem ob real- oder finanzwirtschaftliche Verflechtungen im Vordergrund stehen. Die unterschiedliche Betroffenheit einzelner EU-Länder begründet natürlich auch gewisse Partikularinteressen. Deutschland oder auch Finnland und das Baltikum sind etwa stark im Russlandhandel engagiert. Zudem ist Deutschland im Vergleich zu anderen großen EU-Ländern, ähnlich wie viele osteuropäische EU-Länder, durch eine hohe Abhängigkeit im Energiebereich gekennzeichnet. Frankreich, Italien, Österreich und Zypern haben hingegen sehr starke finanzwirtschaftliche Verflechtungen mit Russland.

Im europäischen Kontext haben sich vor allem Teile der deutschen Wirtschaft prominent gegen Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland ausgesprochen. In einem Papier an die Bundesregierung wurde von der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer sehr deutlich vor einer Hinwendung der russischen Wirtschaft und Politik nach Asien und insbesondere nach China gewarnt, was ein Verlust von Marktpositionen mit sich bringen könnte, die angesichts schon schwieriger Marktbedingungen dann auch langfristig und nachhaltig sein könnten. Diese Haltung ist differenziert zu bewerten. Eine Verschärfung der Sanktionen gegenüber Russland würde die EU und v. a. Deutschland natürlich deutlich stärker treffen als die USA. Aus europäischer Sicht könnte dies Europa auch nahe an den Rand einer Rezession bringen, was auch aktuelle Stabilisierungsfortschritte in der Eurozonenkrise bzw. im europäischen Bankensektor konterkarieren könnte. Allerdings sollten die wirtschaftlichen Effekte auf Deutschland – trotz starker Partikularinteressen einzelner deutscher Firmen – auch nicht überschätzt werden. Russland steht für drei bis vier Prozent des deutschen Außenhandels. Laut Statistischem Bundesamt führen nur etwa 10 Prozent aller exportierenden deutschen Firmen Waren nach Russland aus, ein Prozent aller importierenden deutschen Firmen beziehen Waren aus Russland. Insofern sind Abschätzungen zu möglichen Verlusten bei einer substanziellen Verschlechterung im Russland-Handel, etwa in Bezug auf ein schwächeres Wirtschaftswachstum in Deutschland, nicht unbedingt. Dieses Jahr wird die deutsche Wirtschaft voraussichtlich mit über zwei Prozent zulegen und in schärferen Szenarien würde eine Eskalation im Wirtschafts- und Warenaustausch mit Russland etwa 0,5 Prozentpunkte Wachstum kosten. Zumal sich die deutsche Wirtschaft sonst gern selbstbewusst präsentiert und die global nachgefragte besonderen Mischung deutscher Produkte in Bezug auf eine schwer zu substituierbare preisliche und qualitative Wettbewerbsfähigkeit sowie in Bezug auf komplexe Problemlösungskompetenzen preist. Im Sinne möglicher Folgewirkungen ist nicht zu unterschätzen, dass russische Regierungsvertreter in den letzten Tagen und Wochen klar angedeutet haben, dass weiter gehende Sanktionen der führenden westlichen Industrieländer, und v. a. auch der EU, durchaus Folgewirkungen haben werden. Dann würde offiziellen Statements zufolge auch darüber nachgedacht werden, wer in welcher Form in Russland tätig ist und dies eben auch in Schlüsselsektoren (wie etwa Energie). Im schlimmsten Falle könnten hier dann Enteignungen (was in gewisser Weise auch den Trend zur Renationalisierung der letzten Jahre stützen würde) und langjährige Rechtsstreitigkeiten vor internationalen Gerichten drohen. Zudem gilt hier zu betonen: In Russland kann auch de facto erheblicher Gegenwind von lokalen Behörden gegenüber westlichen Firmen drohen, selbst wenn weiterhin offiziell bzw. de jure auf harte Vergeltungsmaßnahmen verzichtet würde

Zusammenfassung und Ausblick



Derzeit gibt es in den Verlautbarungen von offizieller Seite sowohl auf Seiten der führenden Industrieländer als auch auf russischer Seite eine Tendenz, die Folgewirkungen der bereits erreichten Anspannung in den Wirtschaftsbeziehungen (noch) zu unterschätzen. Dies liegt u. a. daran, dass noch die unmittelbaren Folgen der bis dato getroffenen Sanktionen eher gering sind. Die mittelbaren Konsequenzen für die russische Wirtschaft sind jedoch schon deutlich sichtbar. Dies gilt v. a. im Banken- und Finanzmarktbereich. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass die Prognosen vieler Bankvolkswirte für 2014 derzeit etwas vorsichtiger sind als die von internationalen Institutionen wie dem IWF oder der Notenbank Russlands. Einige privatwirtschaftliche Beobachter sehen die mittelbaren Folgen im Banken- und Finanzmarktbereich als deutlich gewichtiger an, als die unmittelbaren Sanktionen bzw. deren Wirkung. Vor allem sollten auch kurz- und mittelfristige Folgewirkungen von weiteren und weitreichenden Wirtschaftssanktionen – vor allem auf russischer Seite – nicht unterschätzt werden. Der konzentrierte oligarchisch-staatliche russische Kapitalismus macht es leichter, über personenbezogene Sanktionen Wirkungen zu entfalten. Zumal weitreichende Wirtschaftssanktionen gegen Russland praktisch gesehen recht leicht implementierbar sind. Ist die russische Volkswirtschaft doch in besonderer Weise von einigen wenigen Großunternehmen abhängig. Insgesamt ist auch darauf zu verweisen, dass Russland heute in viel größerem Umfang auf internationalen Technologieimport aus den westlichen Industriestaaten und funktionierenden internationalen Finanzmarktzugang angewiesen ist, als die frühere Sowjetunion. Viele Wirtschaftsakteure aus Russland und dem Ausland nennen auch den Wahlkalender in Russland als Faktor, warum sie mittelfristig wieder auf Entspannung setzten. Denn für die 2016 und 2018 anstehenden Wahlen wird die russische Führung wohl wieder wirtschaftlichen Rückenwind brauchen; auch wenn sich eine Rezession in diesem Jahr und ein schwacher Rubel (noch) als angemessenen Preis zur Wiedergewinnung der Krim darstellen lassen. Zumal derzeit sich sogar die junge, urbane und wirtschaftlich bzw. berufliche Bevölkerungsschicht vermehrt hinter die aktuellen russischen Machthaber stellt, was im Kontext der letzten Jahre ein eher ungewöhnliches Phänomen ist. Das jedoch muss nicht weiterhin so bleiben, denn der aktuell deutlich länderspezifisch erfolgende wirtschaftliche Abfall Russlands – in einem Umfeld der deutlichen Wirtschaftserholung in Europa und den USA – birgt auch gewisses innenpolitisches Spannungspotential. Einige Debatten auf dem jüngsten Petersburger Wirtschaftsforum haben immerhin gezeigt, dass es einige eher reformorientierte Wirtschaftsliberale in der russischen Elite gibt, die mit sehr staatszentrierten Offiziellen noch eine Debatte wagen. Dort wurde auch klar thematisiert, dass die jüngsten Entwicklung deutlich technische bzw. administrative Fortschritte (wie die leichte Verbesserung der Position Russlands im Doing Business Index der Weltbank von Rang 129 im Jahr 2011 auf Rang 92 im Jahr 2013) gefährdet. Finanzmarktinvestoren könnten etwas schneller nach Russland zurückkehren, falls die kommenden Monate eine Stabilisierung bringen. Dies gilt angesichts des höheren Zinsniveaus v. a. für den Anleihen- bzw. Fremdkapitalbereich, weniger für den Eigenkapital- bzw. Aktienmarkt. Letzterer wird sicher noch länger den schwachen Wirtschaftsausblick zu verdauen haben. Direktinvestitionen aus dem Ausland werden sicher nicht so schnell wieder zunehmen, obwohl es derzeit billig wäre, sich in Russland einzukaufen. Doch die jüngste Verschlechterung in den Wirtschaftsbeziehungen hat einige langfristige Investoren in der Realwirtschaft Russlands deutlich vorsichtiger werden lassen; bei einigen Akteuren könnte das auch in Rückzugsplänen münden. Und hier gilt zu betonen, dass Russland bis dato und abgesehen von vagen Drohungen noch auf greifbare Gegenmaßnahmen weitestgehend verzichtet hat.

Lesetipps

  • Gaddy, Clifford G.; Ickes, Barry W.: Can Sanctions Stop Putin? Washington, D.C.: Brookings, June 3, 2014, 4. Juni 2014

    • Eriksson, Mikael: West’s Sanctions against Russia: Grand Strategy in the Making? FOI Memo 4933. RUFS Briefing. Project No: A14101, May, 2014





    Fussnoten

    Gunter Deuber leitet in Wien die volkswirtschaftliche Osteuropaanalyse bei der Raiffeisen Bank International AG, einer der größten in Russland tätigen Auslandsbanken. Der vorliegende Beitrag repräsentiert die persönliche Auffassung des Autors und nicht notwendigerweise die der Raiffeisen Bank International.