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Kommentar: Kampfrhetorik und "saubere Siege" Die ausgestreckte Hand Putins ist unabdingbar | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Kampfrhetorik und "saubere Siege" Die ausgestreckte Hand Putins ist unabdingbar

Professor Dr. Gerhard Mangott

/ 7 Minuten zu lesen

Putin konnte sich bei den Wahlen auf die große Mehrheit der Wähler verlassen, die ihn nach wie vor stützen. Die Opposition stellt trotz der Erfolge bei den Massenprotesten keine glaubwürdige Konkurrenz dar. Dennoch wäre der neue Präsident gut beraten, der Protestbewegung die Hand zu reichen und Teile von ihnen in die Regierungspolitik zu integrieren, so G. Mangott.

Wladimir Putin gilt für viele russische Bürger noch immer als Anker der Stabilität (© AP)

Anker der Stabilität

Dieser Sieg sei eine Niederlage für jene, die Russland zerstören und die Macht usurpieren wollen. Hart und aggressiv wirkte Putin in seiner Siegesrede auf dem Manegeplatz am 4. März; eine ausgestreckte Hand sieht anders aus. Aber Putin wird auf die moderaten Mitglieder der städtischen Proteste zugehen müssen. Es war kein »sauberer Sieg«, wie zahlreiche Belege für Manipulationen zeigen; auch waren die Gegner Putins medial und administrativ deutlich benachteiligt. Aber dennoch: die Mehrheit der russischen Wähler steht auch nach Ansicht regierungskritischer Experten noch immer im Lager Putins. Dies nicht zuletzt, weil Putin von den Bürgern als berechenbarere Variante angesehen wird. Er gilt für viele noch immer als Anker der Stabilität – vor allem für die weniger gebildeten, älteren, einkommensschwächeren und kleinstädtisch-ländlichen Wähler. Putin wird auch zugeschrieben, die Realeinkommen erhöht und die staatlichen Transferleistungen gesichert zu haben. Ihm ist es in den letzten Wochen vor der Wahl auch gelungen, unterschiedlichste Hoffnungen und Erwartungen der Wähler zu bedienen. Die Stärke Putins ist nicht zuletzt aber auch das Ergebnis der Farblosigkeit seiner Rivalen; dies gilt für die anderen Kandidaten wie auch für die Mehrzahl der Anführer der Proteste, insbesondere der "Jelzin-Liberalen" wie B. Nemzow, W. Ryschkow oder M. Kasjanow.

Die Schwäche der Opposition

Zu Recht ist einzuwenden, dass dies auch das Ergebnis der strikten medialen Kontrolle durch Putin ist. In den letzten Jahren wurden Kritiker von den staatlich kontrollierten elektronischen Medien marginalisiert oder dämonisiert. Aber das erklärt die mangelnde Attraktivität der Opposition nicht zur Gänze. Prochorow, Nawalnyj, Nemzow oder Kasparow haben keine (überzeugenden) Konzepte für das Land vorzulegen vermocht. Die harsche und bedingungslose Kritik an den korrupten und autoritären Verhältnissen war unabdingbar; aber als Wegweiser, wohin sich Russland entwickeln soll, ist das zu wenig. Das erklärt auch, warum viele der "alten" politischen Funktionäre, die sich an der Protestbewegung beteiligen – wie Jawlinskij, Ryschkow oder Kasjanow – bei den demonstrierenden Bürgern nicht sonderlich angesehen sind. Es sind vielmehr Schriftsteller, Journalisten und Künstler wie Boris Akunin, Leonid Parfjonow, Sergej Parchomenko oder Jurij Schewtschuk, die als authentische Vertreter einer auf Teilhabe pochenden städtischen Bevölkerung gesehen werden; sie haben sich in der "Liga der Wähler" zusammengeschlossen. Die strukturelle Schwäche der Bewegung bleibt aber ihre inhaltliche Heterogenität, die mangelnde Glaubwürdigkeit oder aber die Radikalität einiger ihrer Anführer. Der gerade von ausländischen Beobachtern als charismatische Führungsfigur stilisierte Aleksej Nawalnyj ist zwar wirklich ein unerschrockener Aktivist gegen die staatliche Korruption und auch ein überzeugender Kampagnenredner, er ist aber auch ein radikaler russischer Nationalist, der als Aktivist der Bewegung Narod [»Volk«. Nationale russische Befreiungsbewegung] rassistische Ausfälle gegen Kaukasier zu verantworten hat. Nawalnyjs Versuch, nationalistische und liberale Ansätze zu verbinden, erlaubt es ihm, weit über die kleine(re) liberale Wählerklientel hinaus, Anhänger zu mobilisieren. Die zentrale Losung der Bolotniki [der Demonstranten auf dem Bolotnaja Ploschtschad am 10. Dezember und am 4. Februar] – "Russland ohne Putin" – wird nur von einer Minderheit der russischen Bürger geteilt. Aus den Daten des regierungskritischen Lewada-Institutes wird deutlich, dass nur sechs Prozent diese Forderung voll unterstützen, und nur 12 Prozent dem »eher«. 29 Prozent "eher nicht" und 38 Prozent "gar nicht" zustimmen. Auch die Bereitschaft an Demonstrationen teilzunehmen ist mit 13 Prozent sehr gering.

Ein Programm für Putin

Putin wäre gut beraten, auf die moderaten Kräfte zuzugehen, einen Teil von deren Agenda zu kooptieren, insbesondere wirksame Aktionen gegen die staatliche Korruption. Ohne politische Reformen aber – von denen einige bereits eingeleitet wurden – wird der öffentliche Unmut nicht zu beenden sein. Entscheidend ist in dieser Hinsicht die Bildung der neuen Regierung. Gerade weil Putin das Vertrauen vieler aktiver Bürger verloren hat und als autoritäre Kraft verstanden wird, ist ein liberaler Gegenentwurf bei der Berufung der Regierungsmitglieder unabdingbar. Putin muss frische, junge und kompetente Gesichter in die Schlüsselfunktionen berufen. Zwar hat Putin mehrfach öffentlich versichert, Dmitrij Medwedew die Regierung anzuvertrauen; es ist aber unbestritten, dass dieser nicht die Kraft hat, die moderaten Kräfte der Protestbewegung zu überzeugen. Der unrühmliche Verzicht auf eine zweite Amtszeit und die Ankündigung der Ämterrochade (rokirowka) im September 2011 haben Medwedew als führungsstarke und unabhängige politische Gestalt diskreditiert. Medwedew wird es kaum mehr gelingen, die kritische städtische Öffentlichkeit wieder an das Regime zu binden. Den besonnenen liberalen Finanzminister Kudrin damit zu betrauen, wäre ein wirksameres Signal zu Dialog und Reformbereitschaft nach Innen, aber auch gegenüber den ausländischen Kritikern Russlands; klug wäre es auch, Prochorow als moderaten Vertreter der Bolotniki in die Regierung aufzunehmen. Putin hat Prochorow dies auch schon angeboten, der ziert sich aber (noch). Allerdings ist der Widerstand der silowiki gegen ihn als Leiter der Regierung zu groß. Auch kann sich Putin nicht sicher sein, inwieweit Prochorow in dieser Funktion für ihn kontrollierbar bliebe. Mit Kudrin und mit Medwedew verbindet Putin persönliche Loyalität, für Prochorow gilt dies nicht. Kudrin würde den Vorsitz der Regierung nicht übernehmen, ohne Bedingungen zu stellen. Dazu zählt mit Sicherheit auch eine Kürzung des langfristigen Ausgabenprogrammes für die Verteidigung. Das von Putin im Wahlkampf bekräftigte Vorhaben, bis 2020 23 Billionen RR (583 Mrd. €) für die Modernisierung der Streitkräfte auszugeben, wird Kudrin nicht mittragen. Neben persönlichen Motiven war dieses Vorhaben einer der entscheidenden Gründe für das, auch öffentlich ausgetragene, Zerwürfnis zwischen ihm und Medwedew. Überdies wird Kudrin auch Reform im Pensionssystem, insbesondere die Anhebung des Antrittsalters fordern. Das aber hat Putin wiederholt öffentlich ausgeschlossen. Putin kann es auch wohl kaum riskieren, durch Kürzungen staatlicher Transferleistungen seine "eiserne Wählerklientel" zu antagonisieren. Zudem ist unklar, ob die zuletzt eingefrorenen Verkaufspreise für Gas, Strom und andere kommunale Dienstleistungen derzeit angehoben werden können, ohne den Rückhalt Putins in der Bevölkerung weiter zu schwächen. Die Regierungsumbildung wird aber ziemlich sicher erst nach der Vereidigung Putins als Präsident erfolgen. Verfassungsrechtlich ist vorgesehen, dass die amtierende Regierung aus diesem Anlass ihren Rücktritt einreicht.

Im Netz der alten Freunde

Putin aber hat bei diesen Entscheidungen auch andere Machtzirkel zu berücksichtigen. In seiner Führungsriege drängen manche auf einen repressiveren Kurs; dazu zählen nicht zuletzt Vertreter aus den Sicherheits- und Nachrichtendiensten. Deren Sorge gilt nicht zuletzt ihren Vermögen, die sie in den letzten Jahren unter dem Schutz ihres Patrons Putin anhäufen könnten. Putin ist dabei verstrickt in ein Netz aus kleptokratischen Bindungen. Ein liberales Regierungskabinett wäre nötig, um das autoritärer denkende Dreigestirn von S. Naryschkin (Vorsitzender der Staatsduma), S. Iwanow und W. Wolodin (beide im Präsidialamt) auszugleichen. Zudem wird Putin die bisherige Staatspartei "Einiges Russland" radikal reformieren müssen. Ende Mai werden auf dem Parteitag der "Partei der Gauner und Diebe" [inzwischen die gängige Bezeichnung für »Einiges Russland«] radikale Entscheidungen erwartet. Möglich ist eine Umbenennung und personelle Erneuerung, aber auch die Auflösung des Netzwerkes grauer Funktionäre und Karrieristen. Allerdings wird Putin wohl die Tradition fortsetzen, als Präsident selbst keine Partei zu führen; die "Abwicklung" oder der Umbau der Staatspartei wären wohl durch den neuen Vorsitzenden der Regierung durchzuführen. Kudrins und Medwedews Strategien dafür können als unterschiedlich erwartet werden, aber auch hier gilt, dass Medwedews angeschlagene Autorität nicht hilfreich sein wird den zu erwartenden Widerstand von Funktionären der Staatspartei zu brechen.

Die Erfolge der Massenproteste

Derzeit ist ein zahlenmäßiges Anwachsen der Proteste nicht zu erkennen. Die Bereitschaft, an den Demonstrationen teilzunehmen, ist nach einer Umfrage des Lewada-Institutes gering. Zwar unterstützen 38 Prozent der Befragten die Demonstrationen, 45 Prozent aber nicht. Überdies wollten nur 3 Prozent "sicher" und 10 Prozent "eher" an solchen Manifestationen teilnehmen; 30 Prozent aber "eher nicht" und 49 Prozent "sicher nicht". Um das kleinstädtische und ländliche Wählerklientel zu erreichen, müssten auch soziale Forderungen und Konzepte formuliert werden. Eine effiziente Bildungs- und Gesundheitspolitik und die innovative Lösung erodierender kommunaler Dienstleistungen aber sind mit Umschichtungen in den Staatsausgaben alleine nicht zu bewältigen. Dazu wäre auch eine (gestaffelte) Anhebung der Einkommenssteuer von derzeit 13 Prozent dringend geboten. Das aber dürfte für viele der einkommensstarken städtischen Protestzirkel unattraktiv sein. Die Bolotniki haben schon sehr viel erreicht. Die städtischen Bürger legen die politische Apathie und den resignativen Rückzug in das private Leben ab. Kreativ und mutig sind die Forderung nach politischer Teilhabe und das Begehren, staatliche Willkür in die Schranken zu weisen. Aber es müssen darüber hinaus konkrete, erreichbare Ziele gesetzt werden, um eine wirkliche inhaltliche Alternative zu Putin aufzubauen. Jenseits der Kernforderungen nach dem Rücktritt Putins und der Durchführung von Neuwahlen, sowohl der Staatsduma als auch des Präsidenten, lässt sich aber kaum ein politischer Konsens finden. Die Bewegung muss auch das Land und die ärmeren Schichten der Bevölkerung mobilisieren können. Wenn es nicht gelingt, dieser Bewegung auch eine organisatorische Struktur und charismatische Führungsfiguren zu geben, wird sie rasch an Kraft verlieren. Zweifellos gibt es bei den Bolotniki auch radikale Kräfte, die an einer Eskalation der Proteste interessiert sind, weil sie nur darin eine Möglichkeit sehen, die Agenda umzusetzen. Dazu zählen sicherlich Udalzow und Nawalnyj; beide haben das Einschreiten der OMON bei der Demonstration am Puschkin-Platz provoziert. Nawalnyj scheint in repressiven Übergriffen der Sicherheitskräfte wohl die Chance zu sehen, die Proteste auszuweiten und zu einer entscheidenden Konfrontation mit Putin zu führen. Das eskalative Verhalten Nawalnyjs wird von einigen Mitstreitern wie der Umweltaktivistin E. Tschirikowa auch bereits kritisiert. Ein revolutionärer Bruch ist in Russland derzeit nicht zu erwarten. Zu diskutieren ist auch, ob dies wünschenswert sein kann, angesichts des derzeitigen Zustandes der politischen Gegeneliten. Graduelle inhaltliche und personelle Änderungen wären aus Stabilitätserwägungen wohl vorzuziehen.

Fussnoten

Professor Dr. Gerhard Mangott, Politologe an der Universität Innsbruck; Forschungsbereiche sind die Innen- und Außenpolitik Russlands, die russische Gaswirtschaft sowie die Energiesicherheit der EU im Öl- und Gassektor.