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Kommentar: Strategien der russischen Opposition | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Strategien der russischen Opposition

Christoph Laug

/ 7 Minuten zu lesen

Ein kommunistischer Parteianhänger hält eint Porträt des ehemaligen sowjetischen Diktators Josef Stalin während einer Kundgebung anlässlich der bolschewistische Revolution von 1917 in Moskau. (© AP)

Systemische und nichtsystemische Opposition

Am 4. Dezember 2011 finden in Russland Wahlen zur Staatsduma statt. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Parteien "Einiges Russland", Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) sowie die Liberaldemokratische Partei Russlands (LDPR) erneut in die Staatsduma einziehen. "Gerechtes Russland" könnte nach jüngsten Umfragen die 7%-Hürde überschreiten, die übrigen drei, zur Wahl zugelassenen Parteien, Jabloko, "Rechte Sache" sowie die "Patrioten Russlands", werden höchstwahrscheinlich nicht in die Duma einziehen.

Seit einiger Zeit wird innerhalb der Opposition darüber gestritten, welche Strategie bei den bevorstehenden Dumawahlen verfolgt werden soll. Die "Opposition" kann grob in eine "systemische" und eine "nichtsystemische" oder treffender "außerparlamentarische" unterschieden werden. Zur "systemischen Opposition" zählen die Parteien KPRF, LDPR sowie "Gerechtes Russland", die sich in Opposition zur "Partei der Macht" (d. h. "Einiges Russland") positionieren, aber das System de facto mittragen und nur mit erheblichen Einschränkungen als Opposition bezeichnet werden können. Die "außerparlamentarische" Opposition umfasst auf der einen Seite die zur Wahl zugelassenen Parteien Jabloko und die "Patrioten Russlands", auf der anderen Seite die nicht zur Wahl zugelassene Partei der Volksfreiheit (PARNAS) sowie zahlreiche Bewegungen mit unterschiedlichen politischen und ideologischen Ausrichtungen. Die Zusammenarbeit innerhalb der "außerparlamentarischen" Opposition ist aufgrund der ideologisch und inhaltlich stark differierenden Ausrichtungen eher schwach ausgeprägt.

Was tun?

Die folgende Darstellung der unterschiedlichen Oppositionsstrategien zum "Wahlverhalten" bei den Dumawahlen bezieht sich im Wesentlichen auf die "außerparlamentarische" Opposition, da sich die "systemische" Opposition ihres Wiedereinzugs in die Staatsduma relativ sicher sein kann. Die "nichtsystemische" Opposition diskutiert derzeit folgende vier Positionen:

  • Die Wahl boykottieren

  • Den Wahlschein ungültig machen

  • Eine beliebige Partei außer "Einiges Russland" wählen

  • Eine der "Oppositionsparteien" wählen

Was beinhalten diese Strategien und wer propagiert welches Wahlverhalten mit welchem Interesse?

Wahlboykott

Aktive Aufrufe, den 4. Dezember doch lieber auf der Datscha zu verbringen, werden vor allem von Regierungskritikern geäußert. Im Zentrum steht hierbei die Aberkennung der Legitimität der Wahlen. Zentraler Befürworter einer solchen Strategie ist der Journalist und Bürgerrechtler Alexandr Podrabinek, der seine Einstellung folgendermaßen verdeutlicht:

"Wir, die am 4. Dezember nicht zur Wahl gehen, die zu Hause bleiben, sich um ihre Sachen kümmern, machen dies nicht, weil wir zu faul sind, zum Wahllokal zu gehen. Nicht, weil uns die Zukunft unseres Landes egal wäre. Nicht, weil wir nicht wüssten, wen wir in der Staatsduma sehen wollen. Sondern aus dem Grund, dass uns die bestehende Staatsmacht das Recht genommen hat, unsere Vertreter selbst zu wählen. Die Parteien, die wir wählen wollten, wurden nicht zugelassen. Die Politiker, denen wir unsere Stimme geben wollten, können nicht gewählt werden, da die Direktwahl von Kandidaten abgeschafft wurde."

Die Stimme ungültig machen

Bei einem Wahlboykott ist jedoch zu beachten, dass dadurch die starken Parteien, und hier besonders "Einiges Russland", unterstützt werden. In dem die Anzahl aller Stimmen sinkt, steigt das Gewicht der abgegebenen Stimmen. Daher fordert die sogenannte "Nach-Nach" [Anm. d. Red.: unübersetzbares russisches Wortspiel] Strategie dazu auf, zur Wahl zu gehen, aber einen ungültigen Stimmzettel abzugeben. Dies hat zum einen den Vorteil, dass durch die Erhöhung der Wahlbeteiligung der prozentuale Anteil für "Einiges Russland" gesenkt wird, zum andern kann damit verhindert werden, dass ungenutzte Stimmzettel per Wahlfälschung doch noch in die Wahlurne gelangen, mit einem Kreuz für die "Partei der Macht". Wladimir Ryshkow (PARNAS) rät deswegen, erst kurz vor Schließung der Wahllokale zur "Nicht-Wahl" zu gehen, um gleichzeitig zu überprüfen, ob der eigene Stimmzettel nicht schon in der Wahlurne ist. Die Protestbewegung "Nach-Nach - Stimme gegen alle", fordert mit dieser Strategie zudem die Wiedereinführung der Wahlmöglichkeit "gegen alle". Zentrale Figuren dieser Bewegung sind Boris Nemzow (Solidarnost und PARNAS) sowie der Schriftsteller Dmitrij Bykow.

Für Wladimir Ryshkow, Co-Vorsitzender der nicht zur Wahl zugelassenen Partei der Volksfreiheit (PARNAS), würde eine Teilnahme an den Wahlen eine Unterstützung des bestehenden Systems bedeuten:

"Dem Regime ist es gelungen, auf zynische Weise ein Mehrparteiensystem zu imitieren [...]. Das aktuelle Siebenparteiensystem in Russland ähnelt, im Wesentlichen, dem Fünfparteiensystem der DDR, in der Putin diente, und in der es eine regierende Monopol-Partei (SED) gab. Die tatsächliche Rolle von Systemparteien in einem solchen System der Imitation von Demokratie und Wahlen ist die Gewährleistung der Legitimität des Regimes und der Anerkennung durch den Westen. [...] Die Wahl einer beliebigen zugelassenen Partei schwächt das autoritäre Regime nicht, sondern stärkt es im Gegenteil." [...]

Doch bleibt anzumerken, dass die Strategie der ungültigen Stimme aus zwei Gründen eine gegenteilige Wirkung haben kann. Zum einen werden hierbei eher Stimmen der "Protestparteien" KPRF oder LDPR abgezogen und diese gegenüber "Einiges Russland" geschwächt. Zum anderen erhöht sich durch die ungültige Wahl zwar die Wahlbeteiligung, im Endeffekt wird aber der prozentuale Anteil aller Parteien reduziert. Dies wiederum kann im aktuellen Fall dazu führen, dass die Partei "Gerechtes Russland" an der 7%-Hürde scheitert und die ca. 30 Mandate, die sie im Falle eines Einzugs in die Duma auf sich vereinen könnte, auf die mit aller Wahrscheinlichkeit in der Duma weiterhin vertretenen Parteien "Einiges Russland", KPRF und LDPR verteilt werden - eine Protestwahl somit die Anzahl der Mandate für die Parteien, gegen die sich der Protest ursprünglich gerichtet hat, erhöht.

Beliebige Partei außer "Einiges Russland" wählen

Diese dritte Variante wird als "Methode Nawalnij" bezeichnet, benannt nach dem bekannten Juristen und Blogger Alexej Nawalnij. Hierbei geht es um eine Art konstruktive Wahl. Die Wählerstimme wird hierbei nicht "verschenkt" (ungültig oder für eine Partei, die nicht in die Duma einzieht), sondern stärkt die bestehenden Kräfte gegenüber "Einiges Russland".

"Die bestehenden Parteien sind feige und verängstigt, stehen unter Kontrolle der Staatsmacht. Sie wollen sich jedoch aus dieser Kontrolle lösen. Dabei sollten wir ihnen helfen. Wir sind alle gegen Einiges Russland. Sjuganow, Jawlinskij [KPRF und Jabloko, a.d.Ü.] sind auch dagegen, trauen sich nur nicht, dies zu sagen". (A. Nawalnij)

Der Unterschied von Nawalnijs Position gegenüber den vorhergehenden ist, dass sie die Wahlen als solche nicht ablehnt, sondern sie als eine Möglichkeit sieht, auf die bestehenden Kräfte in der Duma, außer "Einiges Russland", Druck auszuüben, damit diese gegen die von Nawalnij so bezeichnete "Partei der Diebe und Gauner" stimmen und unabhängige politische Entscheidungen treffen. Die Position Nawalnijs versucht somit, alle Kräfte, die sich gegen die "Partei der Macht" stellen, zusammenzubringen und ist hierbei bemüht, die Gegensätze innerhalb der russischen Opposition zu überwinden.

Anzumerken ist, dass von dieser Strategie im wesentlichen die Kommunistische Partei KPRF, die rechts-nationale LDPR sowie die Partei "Gerechtes Russland" profitieren könnten, letztere könnte die 7% Hürde überschreiten und erneut in die Duma einziehen.

Bestehende Oppositionsparteien wählen

Diese Position unterscheidet sich von der vorhergehenden nur insofern, als nur ein Teil der "Oppositionsparteien" als oppositionell angesehen wird. Dies ist primär eine individuelle Einschätzung. Die Strategie wird hauptsächlich von Vertretern der Parteien Jabloko und den "Patrioten Russlands" geäußert, die dabei Stimmen für sich erhoffen. Die Betonung auf "Oppositionsparteien" zielt darauf ab, dass vor allem die KPRF, die LDPR und "Gerechtes Russland" in den vergangenen Jahren in einer Linie mit "Einiges Russland" gestimmt haben und somit nicht als Oppositionsparteien anzusehen sind, da sie Teil des Systems, im Oppositions-Sprech, teil des "Regimes" sind.

In jüngster Zeit, besonders nach der Absetzung des Parteivorsitzenden Sergeij Mironow vom Vorsitz im Föderationsrat, gibt sich "Gerechtes Russland" in vielen Äußerungen wie eine echte Oppositionspartei. Teilweise betrifft dies auch die KPRF. Nach Ansicht Ewgenij Feldmans (Journalist der Nowaja Gaseta) bestätigt dies jedoch nur die allgemeine Tendenz, dass die Wähler vor den Wahlen immer zu vergessen scheinen, wie sich die Parteien in den vergangenen vier Jahren verhalten haben. Von der KPRF, der LDPR wie auch "Gerechtes Russland" kann nicht behauptet werden, sich besonders aktiv gegen die Politik von "Einiges Russland" gestellt zu haben.

***

Eine erfolgversprechendere und die Opposition einigende Strategie könnte dagegen sein, den Ablauf der Wahlen so intensiv wie möglich zu beobachten und auf Unregelmäßigkeiten und Fälschungen offensiv hinzuweisen. Hervorzuheben ist hierbei vor allem das Projekt "Bürger Beobachter" (http://nabludatel.org), das in Kooperation mit der Wahlbeobachtungs-Organisation "Golos" eine kontinuierliche und systematische Beobachtung und Kontrolle der Planung sowie der Durchführung der Wahlkampagne in Russland anstrebt. Die Beobachtung soll hierbei unparteiisch und freiwillig sowie an möglichst vielen Wahllokalen erfolgen. Auf der Website von "Golos" werden zudem umfassende Materialien und Lehrvideos zur Vorbereitung von Wahlbeobachtern und Mitgliedern von Wahlkommissionen bereitgestellt.

Quellen und Links:

Fussnoten

Christoph Laug, B.A., studiert in Konstanz und Moskau Politische Wissenschaften. Die Grundstruktur dieses Beitrags stammt aus einem Interview mit Jewgenij Feldman, Journalist der Nowaja Gaseta.