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Analyse: Russlands Politik für die Städte des hohen Nordens | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Russlands Politik für die Städte des hohen Nordens

Alexander Piljasow

/ 8 Minuten zu lesen

Wenn auch die Bevölkerung in den arktischen Gebieten Russlands in den vergangenen zwei Jahrzehnten merklich zurückgegangen ist, bleibt die Region in hohem Maße urbanisiert. Der Prozess zur Entwicklung von nachhaltigen, wirtschaftlich selbständigen und in sozialer Hinsicht elastischen urbanen Zentren verlangt die Umsetzung einer wohlinformierten und zielgerichteten Politik auf föderaler wie lokaler Ebene. Als Informationsgrundlage für eine bessere Politik stellt dieser Beitrag eine Reihe von Kategorien städtischer Zentren vor, definiert nach wirtschaftlicher Struktur, politischer Situation und sozialen Netzwerken. Die Wirkungsmöglichkeiten von Politik werden anhand zweier Fallbeispiele, der Städte Murawlenko und Gubkinskij analysiert; die eine unterschiedliche Entwicklung genommen haben, trotz geographischer Nähe und struktureller Ähnlichkeit. Schließlich folgen einige Politikempfehlungen für die unterschiedlichen Städtekategorien aufgrund der verschiedenen Bedürfnisse und Merkmale.

Ein kurzer statistischer Überblick über die arktischen Städte Russlands

Die arktischen Städte Russlands unterscheiden sich von denen anderer arktischer Regionen durch ihre Größe. Die bevölkerungsreichsten Städte der Arktis liegen in ihrer Mehrheit in Russland. Ihre Größe geht auf den "Triumph der Städte" der Sowjetzeit zurück und ist weiterhin auf eine neue wissensbasierte, vorwiegend auf die moderne urbane Zentren ausgerichtete Wirtschaft fokussiert. Archangelsk ist die größte der arktischen und subarktischen Städte Russlands, gefolgt von Murmansk und Norilsk. Zwei weitere Städte, Nojabrsk und Nowyj Urengoj, haben eine Bevölkerung von über 100.000 Einwohnern. Es ist bezeichnend, dass die Städte im westlichen Teil der russischen Arktis bevölkerungsreicher sind, als die in den östlichen Regionen. Werden Beschäftigungsdaten angelegt, lassen sich zwei Gruppen arktischer Städte unterscheiden. Bei der ersten Gruppe ist die Zahl der Angestellten auf dem örtlichen Arbeitsmarkt nahezu mit der der Schichtarbeiter vergleichbar. Bekannte Beispiele dieses Stadttyps sind Nowyj Urengoj, Selechard, Narjan-Mar, Bilibino und Pewek. Bei der zweiten Kategorie ist weniger als ein Drittel der Gesamtbevölkerung in der Stadt angestellt; hier arbeiten viele Bewohner auf dem Beschäftigungsmarkt benachbarter großer Städte. Beispiele für diese zweite Kategorie sind vor allem Olenegorsk, Kirowsk, Murawlenko und Apatity. Eine Sondergruppe bilden große urbane Zentren wie Archangelsk, Murmansk, Norilsk und Workuta, in denen die Zahl der Arbeitnehmer etwas größer ist als die Bevölkerung im beschäftigungsfähigen Alter. In den Städten der ersten Gruppe sind vor allem Arbeitnehmer zu finden, die dorthin gekommen sind, um bei der Gewinnung von Energieträgern und Metallen aus nahegelegenen Vorkommen zu arbeiten, während in den größeren Städten der Anteil von Rentnern und Kindern an der Einwohnerschaft größer ist, als in monoindustriellen Städten. Die Städte mit dem höchsten Durchschnittseinkommen sind die Öl- und Gasstädte auf der Jamal-Halbinsel und die Monostadt Poljarnyje Sori (Gebiet Murmansk), sowie die Verwaltungszentren Selechard, Anadyr, Bilibino und Narjan-Mar. In den größten Städten betragen die höchsten Einkommen im Vergleich zu den geringsten das Dreifache. Die attraktivsten Sektoren (hinsichtlich der Einkommen) sind gewöhnlich öffentliche Verwaltung, Finanzen und Bergbau. In den monoindustriellen Städten sind die Unterschiede zwischen höchstem und niedrigstem Einkommen gewöhnlich größer; manchmal betragen sie das Sechsfache, in extremen Fällen bis zum Dreizehnfachen. In den kleineren Städten können Anbieter von Finanzdienstleistungen Monopolrenten und hohe Gewinne erzielen, da sie die einzigen Akteure auf den kleinen lokalen Märkten sind. Über die größten kommunalen Haushalte verfügen die Städte Norilsk und Nowyj Urengoj, gefolgt von großen Verwaltungszentren wie Archangelsk und Murmansk. Eine Analyse des unternehmerischen Engagements anhand der Entwicklungsdaten kleiner Unternehmen ist ebenfalls aufschlussreich. Der neutralste Indikator ist hier das Niveau der Unternehmenssteuern im lokalen Haushalt, gemessen pro Einwohner. An der Spitze stehen hier Gubkinskij, Narjan-Mar, Selechard, Labytnangi und Anadyr. Diese Städte gewähren den lokalen Kleinunternehmen die stärkste Förderung. Die Städte, die als große Verwaltungszentren fungieren, erhalten offiziell weniger Einnahmen durch Kleinunternehmen, da hier in größerem Maße Schattenwirtschaft besteht.

Typologie arktischer Städte

Neben einem Vergleich der unterschiedlichen Beschäftigungsstruktur in den Städten können wir eine dreigliedrige Typologie der arktischen Städte anhand ihrer industriellen Funktion erstellen. Die erste Kategorie besteht hier aus den großen Verwaltungszentren, die sich einer Universität rühmen können, in denen eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur besteht, mittelgroße Unternehmen angesiedelt sind, ein großer kommunaler Haushalt entsteht, ein Teil der Arbeiter zu nahegelegenen Rohstoffvorkommen pendelt und die Einkommensunterschiede auf den örtlichen Arbeitsmärkten sich in Grenzen halten. Der zweite Typus ist am zahlreichsten vertreten und besteht aus Monostädten unterschiedlicher Größe. In diesen ist eine beträchtliche Zahl von Schichtarbeitern angestellt; die Städte sind um ein großes Industrieunternehmen gruppiert und leiden unter erheblichen Einkommensunterschieden auf dem lokalen Beschäftigungsmarkt. Die zukünftige Entwicklung dieser Städte ist von den jeweiligen Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt sowie von staatlichen und kommunalen Fördermaßnahmen zur Diversifizierung der örtlichen Wirtschaft abhängig. Zwei arktische monoindustrielle Städte geben hier interessante Fallbeispiele ab. Die Städte Murawlenko und Gubkinskij liegen im südlichen Teil des Autonomen Bezirks der Jamal-Nenzen, sind ungefähr gleich alt (sie wurden 1984 und 1986 gegründet), industriell gleich ausgerichtet (Ölgewinnung), sie sind ungefähr gleich groß (25.000 und 33.000 Einwohner), die städtischen Haushalte sind vergleichbar (3,9 Milliarden und 3,3 Milliarden Rubel), und sie ähneln sich auch in Bezug auf die im letzten Jahrzehnt zurückgegangene Ölproduktion. Die Entwicklungsbahnen bei der Diversifizierung der Wirtschaft unterscheiden sich jedoch in diesen beiden Städten drastisch. Der Schlüsselfaktor für diese Unterschiede ist die geographische Lage dieser Städte in Bezug auf das subregionale Zentrum, die Stadt Nojabrsk (109.000 Einwohner): Murawlenko liegt nur 120 km von Nojabrsk entfernt (anderthalb bis zwei Autostunden), während Gubkinskij 240 km entfernt ist (3 ½ Autostunden). Dieser anscheinend geringe geographische Unterschied hatte eine bedeutsame institutionellen Differenzierung zur Folge: Murawlenko ist zur institutionellen Peripherie geworden, während Gubkinskij ein eigenständiges Subzentrum wurde. Das zentrale ölproduzierende Unternehmen von Murawlenko wurde bis 2008 vom Hauptquartier des Unternehmens "Gaspromneft-Nojabrskneftegas" geleitet, bis die örtliche Firma "Murawlenkowskneft" (inzwischen "Gaspromneft-Murawlenko") gegründet wurde. Während der ersten sechs Jahre ihres Bestehens war die Stadt verwaltungstechnisch ein Teil von Nojabrsk, ungeachtet der 120 Kilometer Entfernung. Ursprünglich wurde auch das ölproduzierende Unternehmen in Gubkinskij vom Hauptquartier in Nojabrsk aus verwaltet, wegen des über diese geographische Entfernung schwer zu handhabenden Managements der Anlagen war jedoch 1986 ein unabhängiges Unternehmen mit Sitz in Gubkinskij gegründet worden ("Rosneft-Purneftegas"); die Siedlung wurde nahezu umgehend (im Jahr 1988) eine eigenständige Verwaltungseinheit. Diese Unterschiede in ihrer institutionellen Stellung waren eine Folge unterschiedlicher Besitz- und Machtverhältnissen, die sich herausgebildet haben: In Murawlenko entwickelte sich ein koloniales Modell (die reale Kontrolle über das Vermögen und die Macht vor Ort lag in Nojabrsk), während sich in Gubkinskij ein integrierendes Model entwickelte. In Murawlenko bildete sich angesichts des kolonialen Modells der Besitzverhältnisse ein autoritäres Modell der Selbstverwaltung heraus. Charakteristischerweise orientiert es sich an der Interaktion mit den Ansprechpartnern in Nojabrsk, was bedeutet, dass der lokalen Gemeinschaft minimale Aufmerksamkeit geschenkt wird. In Gubkinskij hat sich ein demokratischeres Modell der Lokalverwaltung herausgebildet. Das spiegelt sich beispielsweise in der Anzahl gesellschaftlicher Räte bei der örtlichen Regierung und deren Ämtern (17 in Murawlenko und 54 in Gubkinskij) wieder, und in einer besseren Finanzierung für das örtliche Museum (das Museum in Murawlenko hat einen Forscher, während das in Gubkinskij über deren sechs verfügt, was sich in 3,6 Besuchern pro 10.000 Einwohner niederschlägt, gegenüber 9,1 in Gubkinskij; Stand 2011). Die örtlichen Behörden in Gubkinskij sind der lokalen Gemeinschaft gegenüber verantwortlich, während sich die Behörden in Murawlenko vor ihren Berufsgenossen in Nojabrsk verantworten müssen. Der wichtigste Indikator, ob die lokalen Behörden eher externen (in Nojabrsk sitzenden) Chefs Aufmerksamkeit zu schenken haben, oder der lokalen Gemeinschaft, liegt in ihrer Haltung zu kleinen Unternehmen: in Murawlenko ist die öffentliche Unterstützung für kleine Unternehmen beträchtlich geringer als in Gubkinskij. Dort betrugen die Haushaltsausgaben zur Förderung kleiner Unternehmen 2011 25.500 Rubel pro Unternehmen und 1.700 Rubel pro Einwohner. In Murawlenko waren die entsprechenden Zahlen erheblich niedriger: 2.200 und 100 Rubel. Angesichts des kolonialen Modells hält die Politik der Kommunalregierung in Murawlenko die Möglichkeiten zur Diversifizierung der Wirtschaft dieser monoindustriellen Stadt eng begrenzt. Unter dem integrierenden Modell in Gubkinskij setzt sich die Lokalregierung für eine Entwicklung der kleinen Unternehmen ein, die zu einem wichtigen Instrument zur Diversifizierung der Monostadt geworden sind. Der dritte Typus schließlich sind die Hafenstädte entlang der Nordostpassage, unter anderem Dudinka, Tiksi und Pewek. Einer Vielzahl von Kennziffern zufolge verfügen diese über die schwächste Wirtschaftsstruktur unter den arktischen Städten.

Eine Politik für die arktischen Städte

Gegenwärtig versuchen sämtliche arktischen Städte Russlands, die Herausforderungen einer Transformation ihres wirtschaftlichen Profils zu schultern, einer Transformation von der Industrie zur Dienstleistung, zur Modernisierung alter Industrieunternehmen und zum Aufbau von Innovationszentren für die umliegenden Gebiete. Der Umbau der städtischen Wirtschaft folgt bei jeder der Kategorien arktischer Städte einem eigenen Pfad. Für die großen Verwaltungszentren ist es wichtig, sich zu Universitätszentren zu entwickeln, die mit ihren Innovationen auf die umliegenden Gebiete ausstrahlen können. Für die Monostädte ist es entscheidend, das industrielle Erbe zu überwinden und Wirtschaft und Gesellschaft zu diversifizieren, um eine nachhaltige lokale Entwicklung zu ermöglichen. Für die Hafenstädte ist es erforderlich, intelligente Logistikkomplexe, Seenotrettungszentralen zur Sicherheit des Schiffsverkehrs sowie andere maritime Dienste entlang der Nordostpassage zu etablieren. Den Städten der ersten Kategorie und den großen monoindustriellen Städten könnte sich eine vielversprechende Perspektive dadurch eröffnen, dass sie sich zu arktischen urbanen Großräumen entwickeln. Dieses Szenario ist für Murmansk, Archangelsk, Bilibino, Anadyr, Selechard, Norilsk und Workuta von Bedeutung. Es ist weltweit eine übliche Praxis, Megastädte durch eine Integration benachbarter Städte (in einem Umkreis von 1–1 ½ Autostunden) entstehen zu lassen. Diese neuen Großräume können erweiterte integrierte Beschäftigungs-, Wohnungs- und differenzierte Warenmärkte entwickeln. Das Problem besteht hier nicht nur in der Stimulierung einer Zusammenarbeit zwischen den Kommunen, sondern auch in einer Intensivierung einer solchen Zusammenarbeit, indem vor allem eine Reihe gemeinsamer Institutionen und Normen für kleine Unternehmen, einheitliche Regeln für den Wohnungsmarkt und die Kreditmärkte sowie abgestimmte Behördensprechzeiten innerhalb eines Großraumes eingeführt werden. Städtische Großräume können die Anzahl von Doppelfunktionen verringern und dadurch bei der Bereitstellung von Dienstleistungen Kosten sparen, indem beispielsweise gemeinsame Servicezentren, medizinische Fachzentren und Logistikzentren eingerichtet werden. Die integrativen Kräfte eines Großraumes hängen in ihrer Ausrichtung von den Bedingungen vor Ort ab. Sie können zusätzlich durch Innovationsareale, Logistikkomplexe oder gemeinsame Erholungsgebiete stimuliert werden. Eine weitere Möglichkeit für den wirtschaftlichen Umbau der arktischen Städte Russlands besteht in Unternehmens- und Wissensdienstleistungen, durch die Elemente einer informationsbasierten Wirtschaft, also Ressourcenmanagement und Wirtschaftsberatung in die lokale Wirtschaft eingeführt werden. Die Zukunft der arktischen Städte liegt in zunehmendem Maße in der Entwicklung ihrer geistigen Ressourcen.

Fussnoten

ist Direktor des Zentrums für die Wirtschaft des Nordens und der Arktis, einer Forschungseinrichtung des Rates zur Erforschung der Produktivkräfte, des Ministeriums für Wirtschaftliche Entwicklung und der Russischen Akademie der Wissenschaften.