Zusammenfassung
Mit Beginn des Jahres 2010 ist die Eurasische Zollunion formal aus der Taufe gehoben worden. Bereits zwei Jahre später, im Januar 2012 wurde die Gründung eines Einheitlichen Wirtschaftsraumes von Belarus, Kasachstan und Russland verkündet. Damit dieser, wie geplant, im Januar 2015 funktionsfähig ist, wird bereits jetzt an einer kohärenten und transparenten Gesetzesgrundlage der Union gearbeitet. Auf dieser Grundlage soll bis zum 1. Mai 2014 der Vertragsentwurf für die Union ausgearbeitet werden, um die rechtzeitige Unterzeichnung des Vertrags und die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente sicherzustellen, damit die Union bis Anfang 2015 gegründet werden kann. Diese neue supranationale Konstruktion baut zum einen auf der über Jahrzehnte gewachsenen Vernetzung der beteiligten Volkswirtschaften während der Sowjetunion auf. Zum anderen sind auch schon mit der Einrichtung der GUS wesentliche politische und auch rechtliche Vorarbeiten geleistet worden, auf denen die Kernländer der Zollunion aufbauen können. Mit dem Beitritt Russlands in die WTO ist das Interesse an einer Assoziierung mit der Zollunion international gewachsen. Da auch Belarus und Kasachstan beim Handel mit Gütern bereits jetzt de facto die WTO-Kriterien erfüllen, und angesichts der zügigen Konsolidierung der Eurasischen Zollunion wird sich auch die Europäische Union einer Annäherung nicht verschließen können. Noch ist es zu früh, die durch die Eurasische Zollunion entstehenden wirtschaftlichen Folgen abzuschätzen. Gleichzeitig ist bereits jetzt deutlich geworden, dass sowohl Belarus als auch Kasachstan lediglich eine wirtschaftliche Zusammenarbeit anstreben. Ein erweitertes Aufgabengebiet für die Union, das von Russland angestrebt wurde, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorgesehen.
Die Geschichte der Eurasischen Wirtschaftsunion
Die Zollunion von Belarus, Kasachstan und Russland besteht seit 2010. Ihre Gründung war ein weiterer Schritt in der eurasischen wirtschaftlichen Integration, einem Prozess, dessen Geschichte bis in die frühen 1990er Jahre zurückreicht. Während sich die erklärten Ziele kontinuierlich entwickelten, erfolgte deren Umsetzung bis in die jüngste Zeit recht uneinheitlich. Bereits die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) hatte im Januar 1993 ein Statut verabschiedet, dessen Artikel 19 die Richtungen zukünftiger Zusammenarbeit festlegte, unter anderem "die Schaffung eines gemeinsamen, auf marktwirtschaftlichen Beziehungen basierenden Wirtschaftsraumes und einen freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit«. Nach Verabschiedung des Statuts schritt die GUS schnell zur Vereinbarung von Maßnahmen zur wirtschaftlichen Integration. Im September 1993 unterzeichneten die Staatschefs von neun GUS-Mitgliedern in Moskau einen ambitionierten Vertrag über die Schaffung einer Wirtschaftsunion. Der Vertrag sah einen schrittweisen Integrationsprozess vor, der von einem Freihandelsverbund zu einer Zollunion, dann über einen gemeinsamen Markt mit einem freien Strom von Waren, Dienstleistungen, Arbeit und Kapital in eine Währungsunion münden sollte. Ein Zeitplan wurde nicht festgelegt. Dieser Absichtserklärung folgte bald, im April 1994, ein Abkommen zur Schaffung einer GUS-Freihandelszone. Das Abkommen hatte keine praktischen Folgen, da es von Russland nicht ratifiziert wurde. Im Jahre 1995 jedoch wurde die Schaffung einer "Zollunion"verkündet, die zunächst aus Belarus, Kasachstan und Russland bestehen, und später auf Kirgistan und Tadschikistan ausgeweitet werden sollte. All diesen Initiativen war wenig Erfolg beschieden. Für alle postsowjetischen Länder hatte Markttransformation und nicht Marktintegration Vorrang, und die Integrationsbemühungen berücksichtigten zu diesem Zeitpunkt auch nicht die Implikationen einer möglichen WTO-Mitgliedschaft. Real wurden die Wirtschaftsbeziehungen in der GUS durch ein komplexes Netz bilateraler Abkommen geregelt. Ein ambitionierter Vorschlag des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew von 1994 zur Bildung einer Eurasischen Union stieß auf wenig positive Resonanz. Für den russischen Präsidenten Boris Jelzin und die meisten anderen Staatschefs war ein solcher Schritt verfrüht und erinnerte zu sehr an die UdSSR. Nach der Finanzkrise von 1998 lebte das Interesse an einer wirtschaftlichen Integration wieder auf, nun allerdings auf einer realistischeren Grundlage. Die Bildung der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (russ.: JewrAsES) im Jahr 2000 durch die Mitgliedsstaaten der "Zollunion"eröffnete die nächste Entwicklungsphase. Als wichtigstes Ziel der JevrAsES wurde von Anfang an die Schaffung einer Zollunion und dann eines Einheitlichen Wirtschaftsraumes (russ.: JeEP) verkündet. Das grundsätzliche Übereinkommen zur Gründung einer Eurasischen Zollunion von Belarus, Kasachstan und Russland wurde im August 2006 erreicht. Dieses Mal sollte sich die Handelspraxis in vollem Einklang mit den WTO-Regeln und -Vorschriften befinden. Zu diesem Zweck wurde im Oktober 2007 ein umfassendes Paket von Abkommen verabschiedet. Die Kommission der Zollunion (russ.: KTS) wurde 2009 eingerichtet, mit dem bekannten Wirtschaftsfachmann und Politiker Sergej Glasjew als Leiter des Sekretariats (2012 wurde Glasjew zu Putins Berater für die eurasische Wirtschaftsintegration ernannt). Es würde verkündet, dass die Eurasische Zollunion formal mit Beginn des Jahres 2010 Bestand haben würde. Angesichts des wahrscheinlichen Beitritts Russlands zur WTO wurde die Harmonisierung der Zölle durch eine möglichst weitgehende Übernahme der russischen Tarife bewerkstelligt. Im Juli 2011 wurden alle Zollkontrollen an den Grenzen zwischen den drei Ländern abgeschafft. Es wurde nicht verhehlt, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, die für Russland und andere Volkswirtschaften der GUS schwere Folgen gehabt hatte, ein wesentlicher Grund für die schnelle Gründung der Eurasischen Zollunion und für weitere Initiativen zur eurasischen wirtschaftlichen Integration war. Es spielte aber auch die Überlegung eine Rolle, dass die Gründung einer Eurasischen Zollunion die Verhandlungsmacht der Mitgliedsländer erhöhen würde – sowohl gegenüber der EU, als auch gegenüber den aufstrebenden Volkswirtschaften in Asien.
Beziehungen zur WTO
Im August 2012 ist Russland der WTO beigetreten. Der Beitrittsprozess von Kasachstan kommt ebenfalls voran, wobei eine Mitgliedschaft bis Ende 2013 sehr wohl ein realistisches Ziel ist. Belarus, bis vor kurzem noch ein Nachzügler, hat seine Beitrittsbemühungen verstärkt; Vertreter der Regierung in Minsk haben kürzlich von einem Beitritt im Jahr 2014 oder Anfang 2015 gesprochen. Es gibt nun also eine funktionierende, auf WTO-Prinzipien gegründete Eurasische Zollunion, obwohl noch ein erheblicher Weg zurückzulegen ist, bis die Union ihre volle Wirkung entfaltet (siehe WTO-Status der GUS-Staaten auf S. 6–7). Es wurde von Anfang an klargestellt, dass die Eurasische Zollunion anderen Ländern offen steht, insbesondere den Vollmitgliedern der JewrAsES und denen mit Beobachterstatus. Für einen Beitritt Kirgistans zur Eurasischen Zollunion wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Es wird erwartet, dass sie bis Ende 2013 eine "Roadmap"für den Beitrittsprozess vorlegen wird, der die Möglichkeit eines Beitritts bis 2015 eröffnet. Im März dieses Jahres trat Tadschikistan als 159. Mitglied der WTO bei; ein formaler Beitrittsantrag bei der Eurasischen Zollunion könnte folgen. Armenien, Moldowa und die Ukraine haben bei der JewrAsES Beobachterstatus. Bedingung für einen Beitritt zur Eurasischen Zollunion ist, dass das betreffende Land eine gemeinsame Grenze mit einem Mitgliedsland haben muss. Das hat Russland jedoch nicht von Versuchen abgehalten, Armenien in den Prozess der eurasischen wirtschaftlichen Integration einzubinden: Jüngst wurde ein Memorandum über Zusammenarbeit unterzeichnet. Auch wurden Versuche unternommen, Moldowa für das Projekt zu gewinnen. Der Hauptpreis für Moskau wäre jedoch ein Beitritt der Ukraine zur Eurasischen Zollunion, ein Thema, das im Beitrag von Veronika Movchan erörtert wird. Diese Entwicklungen haben Auswirkungen auch auf die JewrAsES selbst. Deren Sekretariat ist bereits verkleinert worden, und es ist möglich, dass die Organisation in zwei oder drei Jahren aufgelöst wird.
Verwaltungsstruktur
Die Eurasische Zollunion ist mehrstufig aufgebaut. Die Gesamtstrategie und -ziele werden vom Obersten Eurasischen Wirtschaftsrat, auf der Ebene der Staats- oder Regierungschefs festgelegt. Ständiges Kontrollorgan ist die Eurasische Wirtschaftskommission, die Anfang 2012 gebildet wurde und die nun die frühere Kommission der Zollunion ersetzt. Unter dem Vorsitz des ehemaligen russischen Industrieministers Viktor Christenko hat sich die Kommission schnell entwickelt und bereits als supranationales Gremium Autorität erlangt. Der Rat der Wirtschaftskommission besteht aus drei stellvertretenden Ministerpräsidenten (Sjarhei Rumas für Belarus, Kairat Kelimbetow für Kasachstan und Igor Schuwalow für Russland). Das Kollegium (unter dem Vorsitz von Christenko) besteht aus neun Mitgliedern, die jeweils ein Aufgabengebiet betreuen und Ministerrang haben, jeweils drei aus jedem der Mitgliedsländer. Mit Sitz am Smolenskij-Boulevard in Moskau, hat die Kommission nun einen Mitarbeiterstab von rund 800 Personen, der zum Ende des Jahres wohl auf 1.100 anwachsen wird. Die Kommission verfügt über ein weites Spektrum supranationaler Zuständigkeiten, unter anderem zur Festlegung und Anpassung von Importzöllen, die Anwendung von nichttarifären Handelsinstrumenten, technischen Bestimmungen, zu kartellrechtlichen Untersuchungen, zu veterinär-, sanitär- und phytosanitären Regelungen und zu Fragen der Zollverwaltung.
Auswärtige Beziehungen
Von Beginn an wurde aktiv ein Programm für ein internationales Engagement betrieben. Über dreißig Länder haben ihr Interesse an einer Assoziierung mit der Zollunion bekundet. Die Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Vietnam, Neuseeland und den EFTA-Staaten sind gut vorangeschritten. Bisher hat es acht Verhandlungsrunden zwischen der Eurasischen Zollunion und der EFTA gegeben; der Abschluss eines Freihandelsabkommens würde ein zukünftiges Abkommen mit der EU erheblich beeinflussen. Zur Stärkung der internationalen Präsenz wird eine Politik aktiver Diplomatie betrieben. Allein in diesem Jahr wurden Gespräche u. a. mit Vertretern von China, Japan, Kanada und den USA geführt. Die Europäische Kommission in Brüssel hat bislang bei der Aufnahme eines Dialogs Zurückhaltung gezeigt, angeblich wegen des Umstandes, dass zwei Mitgliedsstaaten der Eurasischen Zollunion noch keine WTO-Mitlieder sind. Das gilt jedoch nur vorübergehend, und diese Haltung lässt den Umstand außer Acht, dass Belarus und Kasachstan beim Handel mit Gütern bereits jetzt de facto die WTO-Kriterien erfüllen. Angesichts der zügigen Konsolidierung der Eurasischen Zollunion und deren zunehmender internationaler Anerkennung wird Brüssel seinen Standpunkt wohl anpassen müssen.
Die EU mit Vorbildfunktion?
Im Zentrum der Bemühungen steht nun unter anderem die Entwicklung des Einheitlichen Wirtschaftsraumes (russ.: JeEP), dessen Einführung formell zum 1. Januar 2012 verkündet wurde. Ziel des JeEP ist es, den freien Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Arbeit und Kapital zu gewährleisten und die Politik unter anderem in den Bereichen makroökonomische Steuerung (hier durch eurasische Gegenstücke zu den Maastricht-Kriterien), Wettbewerb, Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und Energie zu harmonisieren. Der freie Verkehr von Gütern hat bislang gute Fortschritte gemacht, das gilt allerdings weniger für Dienstleistungen; in Bezug auf Arbeit und Kapital sind nur geringe Fortschritte zu verzeichnen. Es muss hier in beträchtlichem Umfang eine neue Gesetzgebung entworfen, verabschiedet und ratifiziert werden. Das Ziel ist, bis 2015 einen voll funktionsfähigen Einheitlichen Wirtschaftsraum zu erreichen. Christenko und seine Kollegen machen kein Geheimnis aus der Tatsache, dass sie aus den Erfahrungen der EU schöpfen und versuchen, die dortigen politischen Fehler – das, was als solche wahrgenommen wird – zu vermeiden. Insbesondere wird bei der Erweiterung der Eurasischen Zollunion bzw. der künftigen Wirtschaftsunion mit Vorsicht vorgegangen werden. "Vertiefung"wird stärker betont als "Erweiterung«. Es gibt gegenwärtig keine Pläne zur Einführung einer gemeinsamen Währung. Auch bei der Ausarbeitung und Harmonisierung der Gesetze und technischen Bestimmungen für die Eurasische Zollunion und den Einheitlichen Wirtschaftsraum hat sich die Kommission auf die EU-Praxis gestützt.
Zukünftige Entwicklung
Die nächste Stufe der Integration, auf die man sich grundsätzlich Ende 2011 geeinigt hat, wird in der Gründung einer Eurasischen Wirtschaftsunion bestehen. Aufschlussreich ist die Entwicklungsgeschichte der Unionsidee. Den vorliegenden Unterlagen zufolge ist klar, dass Russland seine ursprüngliche Position anpassen musste, um den Bedenken von Kasachstan zu begegnen. Anfang 2011 hatte Russland eine Union vorgesehen, die weit über wirtschaftliche Belange hinausging, und auch die Bereiche Verteidigung, Grenzsicherheit und Außenpolitik umfassen sollte. Das war auf den Widerstand von Kasachstan gestoßen, das darauf bestand, dass nur von einer Wirtschaftsunion die Rede sein könne. Trotz des Umstandes, dass Nasarbajew Autor der Idee von einer Eurasischen Union ist, wollte Astana von dem Begriff "Union"Abstand nehmen und sie schlicht als Einheitlichen Wirtschaftsraum bezeichnen. Letztendlich wurde die Bezeichnung "Wirtschaftsunion"beibehalten, doch scheint es, als würde es sich um wenig mehr als einen voll funktionstüchtigen Einheitlichen Wirtschaftsraum handeln. Astana besteht darauf, dass das Verwaltungszentrum seinen Sitz in Kasachstan haben müsse. Bei einem kürzlichen Treffen der Ministerpräsidenten von Belarus und Kasachstan haben beide Regierungschefs eigens betont, dass eine zukünftige Union nur die Wirtschaft abdecken könne, ein Hinweis, dass Moskau immer noch ein erweitertes Aufgabengebiet für die Union anstreben könnte. Zur Schaffung einer kohärenten und transparenten Gesetzesgrundlage der Union wird derzeit an der Kodifizierung aller bisher geschlossenen internationalen Abkommen gearbeitet, um die eurasische wirtschaftliche Integration voranzutreiben. Auf dieser Grundlage soll bis zum 1. Mai 2014 der Vertragsentwurf für die Union ausgearbeitet werden, um die rechtzeitige Unterzeichnung des Vertrags und die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente sicherzustellen, damit die Union bis Anfang 2015 gegründet werden kann.
Wirtschaftliche Folgen
Es wird bisweilen argumentiert, dass die Zollunion wenig Vorteile mit sich bringe, da sie derzeit aus drei ganz verschiedenen Volkswirtschaften mittleren Entwicklungsniveaus besteht und es keine eindeutige und dynamische Führungsnation gibt, die in der Lage wäre, die institutionelle Modernisierung voranzutreiben und die schwächeren Volkswirtschaften mitzuziehen. Es wird allerdings schon jetzt sichtbar, dass die Konkurrenz innerhalb der Union eine positive Rolle spielt. So bemühen sich alle Mitgliedsländer um eine Verbesserung ihres Geschäftsklimas und der Bedingungen für ausländische Direktinvestitionen; beides unterliegt gegenwärtig der nationalen Gesetzgebung. Mit der Entwicklung des Einheitlichen Wirtschaftsraumes ist allerdings hier eine gewisse Harmonisierung zu erwarten. Angesichts dieser Umstände können die potentiellen Vorteile einer Integration nicht einfach an Hand der Auswirkungen des neuen Zollregimes bewertet werden, obwohl die voranschreitende Reduzierung der Zölle in den kommenden Jahren ebenfalls Vorteile mit sich bringen dürfte. Es ist zu früh, die durch die Eurasische Zollunion entstehenden wirtschaftlichen Folgen abzuschätzen, doch hat im Jahr 2012 der Binnenhandel der Zollunion zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten um fast 9 Prozent zugenommen, während der Außenhandel der drei Länder um 3,2 % anstieg.
Dieser Binnenhandel war zudem stärker diversifiziert als der jeweilige Außenhandel, mit einem größeren Gewicht von Maschinen und anderen verarbeiteten Gütern. In dieser frühen Phase ist es noch nicht möglich, eine real stattfindende Verlagerung der Handelsströme festzustellen. Es lassen sich jedoch erhebliche Asymmetrien zwischen den Handelsstrukturen ausmachen. Während der Handel von Belarus im Rahmen der Eurasischen Zollunion fast die Hälfte des Außenhandels des Landes ausmacht, liegt dieser Anteil in Kasachstan bei unter zwanzig und in Russland bei unter zehn Prozent.
Schlussfolgerungen
Vergleicht man die Entwicklung der wirtschaftlichen Integration in der GUS mit der anderer regionaler Zusammenschlüsse (etwa der Europäischen Union oder Mercosur) darf nicht vergessen werden, dass die gemeinsame Vergangenheit der Mitgliedsstaaten, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte, zur Folge hat, dass es sich bei diesen Prozessen gleichermaßen um Re-Integration wie um Integration handelt. Der Umstand, dass die betreffenden Volkswirtschaften noch vor zwanzig Jahren Teil des gleichen kohärenten Wirtschaftssystems (wenn es sich bei diesem auch nicht um eine Marktwirtschaft handelte) war, Teil einer gemeinsamen Infrastruktur mit ihren Systemen für Verkehr, Kommunikation, Energie, Gesundheit, Bildung und Forschung sowie einer gemeinsamen Verwaltungssprache, macht den Integrationsprozess zweifellos leichter und grundsätzlich weniger herausfordernd und zeitaufwendig als es etwa die Schaffung der EU war und ist. In diesem Zusammenhang ist auch die langjährige Rolle der GUS beachtenswert. Es ließe sich argumentieren, dass deren vielfältige und ausgedehnte Koordinationsarbeit dazu beigetragen hat, dass die Grundlagen für eine bedeutsame wirtschaftliche Integration gelegt wurden. Aufgrund einer Entscheidung von acht GUS-Staaten (Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan, Moldowa, Russland, Tadschikistan und der Ukraine, später auch von Usbekistan) vom Oktober 2011 ist die GUS-Freihandelszone auf WTO-kompatibler Grundlage neu geschaffen worden. Dieses Mal hat sie mehr Erfolgschancen als noch in den 1990er Jahren.
Meiner Ansicht nach verdient die Entwicklung der eurasischen wirtschaftlichen Integration eine eingehende Betrachtung. Für einige Beobachter hat die Erfahrung der 1990er Jahre ihre Schatten geworfen, was den Schluss nahelegt, dass eine gewinnbringende Integration unwahrscheinlich ist. Außerdem wäre da noch der Aspekt einer "Wiedererrichtung der UdSSR«, die einige Beobachter des heutigen Russland und dessen Beziehungen zu den GUS-Partnern immer noch umtreibt. Es wird eindeutig vieles davon abhängen, ob auch weiterhin allein die Wirtschaft im Zentrum stehen wird, und Sicherheit sowie andere potentiell strittige Themen anderen Strukturen (seien sie nationaler oder supranationaler Art) überlassen werden. Die Eurasische Zollunion und die Kommission sind nun Realitäten, mit denen sich Regierungen, internationale Organisationen und Unternehmen werden arrangieren müssen. Es hat ein Lernprozess eingesetzt. Pragmatismus und Flexibilität werden sichtbar. Die eurasische wirtschaftliche Integration kommt stärker in Schwung. Dieses Mal könnte sie funktionieren und ihren Mitgliedern tatsächliche wirtschaftliche Vorteile bringen; in der Zukunft könnte sie die Grundlage für eine erweiterte EU-eurasische Freihandelszone bereiten.
Lesetipps:
Internetauftritt der Eurasischen Wirtschaftskommission: Externer Link: http://www.eecommission.org
Polownikow, Alexandra: Die Zollunion zwischen Belarus , Kasachstan und Russland – Motive, Entwicklungen und Perspektiven (= Arbeitspapier Nr.01/2012 der Forschungsgruppe Russland/GUS), Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2012; Externer Link: http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/arbeitspapiere/arbpap_FG5_polownikow_zollunion.pdf.
Dragneva, Rilka, Kataryna Wolczuk: Russia, the Eurasian Customs Union and the EU. Cooperation, Stagnation or Rivalry? (= Russia and Eurasia Programme, Briefing Paper Nr. 1/ 2012) London: Chatham House, August 2012. Externer Link: http://www.chathamhouse.org/sites/default/files/public/Research/Russia%20and%20Eurasia/0812bp_dragnevawolczuk.pdf.
Dragneva, Rilka, Kataryna Wolczuk (Hrsg.): Eurasian Economic Integration. Law, Policy, and Politics, Cheltenham (UK) u. a.: Edgar Elgar, 2013 (im Druck).