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Analyse: Russlands Diplomatie im Syrienkonflikt | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Russlands Diplomatie im Syrienkonflikt Auswirkungen auf Russlands Beziehungen zu anderen Ländern im Nahen Osten und Nordafrika

Prof. Ph.D Mark N. Katz

/ 8 Minuten zu lesen

Die fortgesetzte Unterstützung Moskaus für die Anstrengungen der Assad-Diktatur zur Unterdrückung ihrer Gegner hat sich nicht nur auf Russlands Beziehungen zum Westen negativ ausgewirkt, sondern auch auf seine Beziehungen zu vielen anderen Staaten, die die syrische Opposition unterstützen. Das allerdings in sehr unterschiedlichem Maße. Dieser Beitrag untersucht, in welcher Weise der Konflikt in Syrien die Beziehungen Russlands zu den sunnitisch geprägten Regierungen in sechs wichtigen Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas beeinträchtigt hat, die in Opposition zum Regime Assad und dessen Unterstützung durch Russland stehen (Saudi-Arabien, Katar, Türkei, Jordanien, Ägypten und Libyen); aus Platzgründen können hier nicht mehr Länder betrachtet werden. Anschließend sollen die Auswirkungen des Konfliktes auf die Beziehungen Moskaus zum Nahen Osten insgesamt beschrieben werden.

Saudi-Arabien

Der Konflikt in Syrien hat Moskaus Beziehungen zum Königreich in besonderer Weise beeinträchtigt. Die russisch-saudischen Beziehungen, die während des Kalten Krieges nicht existent waren, haben sich dann in den 1990er und 2000er Jahren, als Moskau dem Königreich eine Unterstützung der tschetschenischen Rebellen vorwarf, im Großen und Ganzen schlecht gestaltet: Offizielle und Beobachter in Russland waren der Ansicht, dass Riad eine Zunahme des sunnitischen Radikalismus in den muslimischen Teilen Russlands, Zentralasiens und des Kaukasus fördere. 2003 kam es jedoch zu einer Annäherung zwischen den beiden Ländern. Während einige Differenzen bestehen blieben (hauptsächlich in der Haltung zum Iran), schienen die beiden Länder ein gemeinsames Interesse an einer Festigung des Status Quo in der Region zu haben. Moskau hoffte insbesondere, dass verbesserte Beziehungen zu Saudi-Arabien einen umfangreichen Export von Waffen und anderen Gütern sowie Investitionsmöglichkeiten für russische Ölfirmen dort mit sich bringen würden. Kurz nach Ausbruch des arabischen Frühlings Anfang 2011 kam es jedoch wieder zu Spannungen zwischen Moskau und Riad. Da Saudi-Arabien die Oppositionen gegen die von Moskau gestützten Regime in Libyen und besonders in Syrien unterstützte, verstärkte sich wieder das alte russische Bild von Saudi-Arabien als Förderer radikaler sunnitischer Islamisten nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Russland selbst. Viele Beobachter in Russland stellen Saudi-Arabien als Kraft dar, die noch finsterer sei als die USA. Während die Unterstützung der Obama-Regierung für die Aufstände in den arabischen Ländern auf der – aus Moskauer Sicht falschen – Vorstellung gründe, dass Demokratie in arabischen Ländern möglich ist, unterstütze Saudi-Arabien, das in Moskau nicht als Vorkämpfer für Demokratie gilt, die Protestbewegungen bewusst, um sunnitischen Radikalismus zu stärken. Auch zeigten sich Beobachter in Russland enttäuscht, dass Moskaus frühere Hoffnungen auf eine Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen zum Königreich sich weitgehend nicht erfüllt haben. Ohne Linderungsfaktoren werden die russisch-saudischen Beziehungen wohl äußerst gereizt bleiben, solange der Konflikt in Syrien anhält; vielleicht sogar darüber hinaus

Katar

Russlands Beziehungen zu Katar, die sich bereits vor dem Syrien-Konflikt oft schwierig gestalteten, haben sich durch den Aufstand in Syrien ebenfalls verschlechtert. Wie im Falle Saudi-Arabiens sieht Moskau in Katars Unterstützung für die syrische Opposition den Wunsch, sunnitischen Radikalismus sowohl innerhalb Syriens als auch darüber hinaus zu stärken, etwa im Nordkaukasus. Moskau ist besonders durch den Umstand verärgert, dass ein so kleines Land wie Katar sich in Opposition zu Russlands Interessen verhält. Die Differenzen zwischen Katar und Russland über Syrien haben jedoch den russischen Gasriesen Gazprom nicht daran gehindert, im Dezember 2012 ein Abkommen über den Erwerb "großer Mengen" verflüssigten Erdgases (LPG) von Katar zu unterzeichnen und dort im Februar 2012 eine Vertretung zu eröffnen.

Türkei

Zwischen Moskau und Ankara ist es wegen Syrien zu ernst zu nehmenden Differenzen gekommen. Die Türkei, die die Versorgung einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen aus Syrien sowie grenzüberschreitenden Beschuss durch syrische Regierungstruppen zu bewältigen hat, war unzufrieden, dass Moskau weiterhin das Assad-Regime unterstützt. Moskau wiederum ist verärgert, dass Ankara die syrische Opposition unterstützt sowie den Rücktritt Assads und – was noch beunruhigender für Russland ist – ein aktives NATO-Engagement in Syrien gefordert hat. Besonders aufgebracht war Moskau, als die Türkei im Oktober 2012 ein Flugzeug zur Landung zwang, das sich auf dem Weg von Russland nach Syrien befand. Es hatte Hinweise aus den USA gegeben, dass russische Waffen für Damaskus an Bord seien. Einem russischen Pressebericht zufolge, habe es sich bei der Ladung "lediglich" um Radartechnik für Luftabwehr- und Raketensysteme gehandelt. Ungeachtet der Differenzen in Bezug auf Syrien sind die russisch-türkischen Beziehungen dennoch gut geblieben. Der türkische Präsident Erdoğan stattete Moskau im Juli 2012 einen Besuch ab, bei dem eine Reihe "wichtiger wirtschaftlicher Vereinbarungen" unterzeichnet wurde. Putin besuchte seinerseits im Dezember 2012 die Türkei. Obwohl Putin und Erdoğan ihre Differenzen über Syrien ansprachen, schien ihr Augenmerk vor allem den bilateralen Handelsbeziehungen zu gelten. Vor dem Hintergrund des beträchtlichen Handelsvolumens von 32 Milliarden US-Dollar im Jahre 2011 äußerten Putin und Erdoğan die Hoffnung, dass es in einem Jahr 100 Milliarden Dollar erreichen werde. Gestützt durch umfangreiche Energie- und Bauverträge sowie den Tourismus (2011 haben 3,5 Millionen Menschen aus Russland die Türkei besucht), sind die bilateralen russisch-türkischen Wirtschaftsinteressen sowohl für Moskau als auch Ankara schlichtweg zu wichtig, als dass eine der Seiten sie durch Differenzen über Syrien gefährdet sehen möchte. Ein prominenter Beobachter in Russland bezeichnete dann auch den US-Tipp an Ankara über die Waffenladung des Flugzeuges als eine amerikanische List, die türkisch-russische Zusammenarbeit empfindlich zu stören.

Jordanien

Auch zwischen Moskau und Amman hat es Differenzen wegen Syrien gegeben. Wie die Türkei musste Jordanien eine große Menge Flüchtlinge aus Syrien bewältigen und ist dadurch unzufrieden mit der fortgesetzten russischen Unterstützung für das Assad-Regime, die den Konflikt in die Länge zieht. Moskau hingegen ist verärgert, dass die syrische Opposition über Jordanien Waffen erhält. Auch hier sind die beiden Regierungen jedoch zum Schluss gekommen, dass die Differenzen über Syrien nicht die sich verbessernden bilateralen Beziehungen beeinträchtigen sollten. Am 19. Februar 2013 empfing Putin Jordaniens König Abdullah II. in Moskau. Sie behandelten zwar Syrien und den Friedensprozess im Nahen Osten, konzentrierten sich aber auf die zunehmenden Handelsbeziehungen (426,5 Millionen US-Dollar im Jahr 2011), eine mögliche russische Beteiligung beim Bau des ersten jordanischen Atomkraftwerks und sogar auf die militärisch-technische Zusammenarbeit (die sich in den Worten Putins "gut entwickelt").

Ägypten

Viele Kommentatoren in Russland haben in Bezug auf Ägyptens neuen islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi und die ihn unterstützende Muslimbruderschaft Befürchtungen geäußert. Die russische Regierung hat ihm gegenüber jedoch eine pragmatischere Haltung eingenommen. Obwohl die neue ägyptische Regierung dem Assad-Regime kritisch gegenüber steht, schätzt Moskau doch sehr, dass Mursi seinen Widerstand gegen fremde (sprich: nichtarabische) Einmischung in den Konflikt erklärt hat. Während Mursi durch sein Bemühen um eine Verbesserung der ägyptischen Beziehungen zum Iran Washington aufgebracht hat, kümmerte diese Initiative Moskau kaum, da Russland relativ gute Beziehungen zum Iran unterhält. Russische Touristen besuchen Ägypten weiterhin in großen Zahlen. Einem Bericht zufolge sind sowohl 2010 (im Jahr vor dem Sturz Mubaraks), als auch 2012 (dem Jahr nach dem Sturz) jeweils über eine Million Menschen aus Russland nach Ägypten gefahren. Im Februar 2013 riet Sergej Kirpitschenko, der Botschafter Russlands in Ägypten, dass "das Maß der Islamisierung Ägyptens nicht überschätzt werden sollte". Er machte für die bisherige Islamisierung das vorherige Regime verantwortlich: "Das Land hat bereits in den 1970er Jahren den Weg der Islamisierung beschritten, als Anwar El-Sadat […] begann, mit der Moslem-Brüderschaft und anderen islamischen politischen Kräften anzubandeln, und die Revolution von 2011 hat diese Kräfte an die Macht gebracht." Vielleicht ist insbesondere in dem Umstand, dass die Regierung Mursi Differenzen sowohl mit den USA als auch mit Saudi-Arabien und Katar hat, der Grund zu sehen, warum Moskau beschlossen hat, sich eher auf jene Bereiche zu konzentrieren, in denen die Regierungen Russlands und Ägyptens übereinstimmen, und nicht auf die Differenzen über Syrien.

Libyen

Präsident Putin, Außenminister Lawrow und andere hochgestellte Amtsträger in Russland haben oft darauf verwiesen, dass die Bestimmungen der Resolution 1973 des UNO-Sicherheitsrates über die Errichtung eine Flugverbotszone über Libyen durch den Westen und dessen arabische Verbündete "überschritten" worden seien, um den Fall des Gaddafi-Regimes herbeizuführen. Es wurde als Grund genannt, warum Russland sogar weniger scharfen Sicherheitsratsresolutionen gegen das Assad-Regime nicht zustimmen werde. Russland beharrt darauf, in Syrien kein Szenario zuzulassen, das sich bereits einmal in Libyen abgespielt hat. Die Ironie besteht nun darin, dass Russland trotz der anfänglichen Schwierigkeiten relativ gute Beziehungen zur neuen Regierung in Libyen entwickelt hat. Michail Bogdanow, einer der stellvertretenden Außenminister Russlands, erklärte im Dezember 2012, dass es zwischen Moskau und Tripolis Gespräche über eine Ausbildung libyscher Militärangehöriger gebe. Die russische Ölfirma Tatneft führte im Januar 2013 Gespräche mit Libyens Nationaler Ölgesellschaft über eine Wiederaufnahme der Geschäfte durch Tatneft. Und im Februar 2013 erklärte der russische Föderale Dienst für militärtechnische Zusammenarbeit (FSWTS), dass er Gespräche über neue Waffenlieferungen an Libyen führe. Die libysch-russischen Beziehungen nach Gaddafi sind also ein weiterer Fall, in dem versucht wird, verbesserte bilaterale Beziehungen nicht durch Differenzen über Syrien zu gefährden.

Schlussfolgerungen

Syrien ist zwischen Moskau einerseits und den sechs erwähnten sunnitisch geprägten Regierungen andererseits ein Streitpunkt gewesen. Russlands Beziehungen sind allerdings nur mit zweien der sechs wahrhaft schlecht, mit Saudi-Arabien und Katar. Im Unterschied dazu sind Moskaus Beziehungen zu den vier anderen (Türkei, Jordanien, Ägypten, Libyen) auf dem bestehenden Niveau aufrechterhalten oder sogar verbessert worden. Obwohl die Befürchtungen Russlands, dass Saudi-Arabien und Katar sunnitische Radikale nicht nur in Syrien, sondern auch in der ehemaligen UdSSR aktiv unterstützen, die schlechten Beziehungen zu den beiden Monarchien weitgehend erklären, ist auch fest zu halten, dass sich Moskau verbesserte Wirtschaftsbeziehungen zu den anderen vier erhofft oder sich diese bereits tatsächlich verbessert haben. Das legt nahe, dass das bestehende Maß an Animositäten in den Beziehungen zu Saudi-Arabien und Katar sich erheblich verringern könnte, falls diese sich dazu überwinden, ihre wirtschaftlichen Bande zu Russland zu stärken. Es bedeutet aber auch, dass nach einem möglichen Sturz des Assad-Regimes eine neue, sunnitisch dominierte Regierung ebenfalls gute Beziehungen zu Moskau entwickeln könnte, wenn sie weiterhin russische Waffen kauft, russischen Ölfirmen Geschäfte in Syrien erlaubt und vielleicht sogar weiterhin Zugang zu den Militäranlagen in Tartus gewährt, die Russland gegenwärtig nutzt. Während die Regierung Katars bereits Schritte in dieser Richtung unternommen hat, ist es ungewiss, ob die saudische oder eine zukünftige sunnitisch dominierte Regierung in Syrien hierzu geneigt wäre. Moskau wiederum wäre im Falle verstärkter Unruhen durch Moslems im Nordkaukasus und anderen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion umso geneigter, Saudi-Arabien, Katar und vielleicht andere sunnitisch dominierte Regierungen im Nahen Osten dafür verantwortlich zu machen, ganz gleich, ob tatsächlich zu Recht oder nicht.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Lesetipps

  • Katz, Mark: Moscow and the Middle East: Repeat Performance?, in: Russia in Global Affairs, 7 October 2012 http://eng.global affairs.ru/number/Moscow-and-the-Middle-East-Repeat-Performance-15690.

    • Dannreuther, Roland: Russia and the Middle East: A Cold War Paradigm?, in: Europe-Asia Studies, 64.2012, Nr. 3, S. 543–560.

    Fussnoten

    Professor für Regierungswesen und Politik an der George Mason University (Fairfax, Virginia). Persönliche Website: www.marknkatz.com