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Analyse: Gesetze und NGOs in Russland | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Gesetze und NGOs in Russland

Bill Bowring

/ 10 Minuten zu lesen

Im November 2012 trat ein neues NGO-Gesetz in Kraft, das Nichtregierungsorganisationen in Russland, die ausländische Fördermittel erhalten und eine "politische Tätigkeit" betreiben, dazu verpflichtet, sich als "ausländische Agenten" registrieren zu lassen. Dieser Beitrag zeichnet die Entwicklung der NGO-Gesetzgebung in Russland in den vergangenen zwei Jahrzehnten nach und unternimmt eine Einschätzung, welche Auswirkungen das neue Gesetz voraussichtlich haben wird. Die These lautet, dass die meisten NGOs gegenwärtig noch versuchen, eine Klarstellung über die genaue Bedeutung der vagen Begriffe im Gesetz zu erhalten, während es klar zu sein scheint, dass das Gesetz gegen jene gerichtet ist, die als politische Bedrohung für das Putin-Regime wahrgenommen werden.

Menschenrechtsorganisationen unter Druck

Zwei der ältesten Menschenrechtsorganisationen sehen sich durch ein neues föderales Gesetz der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder gar der Zwangsauflösung gegenüber. Es handelt sich zum einen sich um die "Moskauer Helsinki-Gruppe", die 1976 unter anderem von dem Physiker Jurij Orlow sowie der derzeitigen, nunmehr 85-jährigen Vorsitzenden Ljudmila Aleksejewa gegründet wurde, um die Einhaltung der Helsinki-Schlussakte von 1975 in der UdSSR zu überwachen. Die zweite Organisation ist die Gesellschaft "Memorial", die im Januar 1989 als "Gesellschaft für historische Aufklärung" unter ihrem ersten Vorsitzenden Andrej Sacharow gegründet wurde. Zu den Vorstandsmitgliedern gehört Sacharows enger Mitstreiter Sergej Kowaljow, der wegen antisowjetischer Tätigkeit eine harte Strafe in einem Arbeitslager verbüßen musste, weil er eine Sektion von Amnesty International in der UdSSR aufbauen wollte, und der unter Präsident Jelzin Russlands erster Menschenrechtsbeauftragter wurde. Ich gestehe offen, dass ich in Bezug auf "Memorial" nicht neutral bin: 2003 habe ich mit Fördermitteln der Europäischen Kommission von einer Million Euro zusammen mit dem Menschenrechtszentrum Memorial das "European Human Rights Advocacy Centre" (EHRAC) gegründet, das Bürger Russlands dabei unterstützen soll, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerden gegen die Russische Föderation einzureichen. Das Projekt unter der Leitung von Professor Philip Leach arbeitet weiterhin gut und erfolgreich. Ein Team aus engagierten jungen Anwälten ist in der Zentrale von Memorial in Moskau tätig, wie auch ihre Kollegen in Tschetschenien, Inguschetien und St. Petersburg. Memorial ist in ganz Russland vernetzt. 2005 gewannen Mandanten des EHRAC die ersten sechs Tschetschenien-Verfahren und das erste Umweltverfahren gegen Russland. Inzwischen gibt es einige Hundert durch EHRAC betreute Verfahren.

Was ist dieses neue Gesetz eigentlich?

Ich möchte mich für die Nennung seines vollen Namens entschuldigen, aber es ist hier notwendig. Am 21. November trat das neue föderale Gesetz Nr. FZ-121 vom 20. Juli 2012 "Über die Änderung einiger Gesetzesakte der Russischen Föderation bezüglich der Regulierung der Tätigkeit nichtkommerzieller Organisationen, die die Funktion eines ausländischen Agenten ausüben" in Kraft, das am 23. Juli in der "Rossijskaja Gaseta" veröffentlicht worden war. Bei der Verabschiedung des Gesetzes in der Staatsduma stimmten 374 Abgeordnete dafür, drei dagegen, einer enthielt sich und 72 nahmen gar nicht an der Abstimmung teil. Das Änderungsgesetz war von Präsident Putin eingebracht worden. Am 16. November 2012 leckte sich eine Gegnerin von Menschenrechtsaktivismus in Russland bereits die Lippen. Sie ist ein führendes Mitglied von Präsident Putins Partei "Einiges Russland". "Ein Sabotieren der Einhaltung von Bestimmungen des Gesetzes durch einzelne nichtkommerzielle Organisationen wird zur Einstellung ihrer Tätigkeit führen", sagte Olga Batalina, Abgeordnete der Staatsduma und stellvertretende Sekretärin des Generalrates von "Einiges Russland" laut dem Pressedienst der Partei. Sie fügte hinzu: "eine Anzahl nichtkommerzieller Organisationen, die faktisch politisch tätig sind und ausländische Finanzierung erhalten, wie etwa die ›Moskauer Helsinki-Gruppe‹ oder ›Memorial‹, haben offen erklärt, dass sie die Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes sabotieren werden." Diese und eine Reihe anderer NGOs haben in der Tat erklärt, dass sie sich nicht als "ausländische Agenten" registrieren lassen und keine Strafen zahlen werden. Ljudmila Aleksejewa sagte gegenüber Interfax: "Wir haben erklärt, dass wir keine ausländischen Agenten sind. Wir können uns nicht zu solchen erklären. Wenn ›das gesamte Einiges Russland‹ uns für solche hält, dann sollen sie beweisen, dass die Moskauer Helsinki-Gruppe und ich ausländische Agenten sind. Ich halte mich nicht für eine ausländische Agentin und habe nicht vor zu lügen." Es gibt schätzungsweise mehr als 250.000 NGOs in der Russischen Föderation, obwohl die bedeutsamen Menschenrechtsorganisationen weniger als 50 zählen. Die meisten NGOs sind wohl in der sozialen Fürsorge und im Umweltschutz tätig. Ein großes Problem, dem sich alle Menschenrechtsorganisationen und viele andere NGOs gegenüber sehen, ist die Finanzierung. Die derzeitige Steuergesetzgebung in Russland ist alles andere als ermutigend für Philantropie – Michail Chodorkowskij, der letzte der Oligarchen, der bedeutende Summen für charitative Aktivitäten ausgab, sitzt immer noch im Gefängnis. Es gibt keine bedeutenden russischen philantropen Stiftungen. Ein System des "social contracting" bedeutet, dass NGOs im Sozialbereich um die Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen im Auftrag des Staates konkurrieren können. Jüngst hat in Moskau der staatlich gesponsorte 3. Kongress der Nichtkommerziellen Organisationen mit mehr als 900 Delegierten aus allen 83 Regionen Russlands stattgefunden. Der Menschenrechtsarbeit kommen staatliche Gelder allerdings nicht zugute. Es ist nicht überraschend, dass alle NGOs, mit denen ich vertraut bin, rundum abhängig von Fördermitteln aus dem Westen sind: vom britischen Department for International Development (DFID; seit 2003), dem Außenministerium in London, der Europäischen Kommission, der Open Society Stiftung (George Soros), von USAID (bis deren Tätigkeit im September 2012 eingestellt wurde), von der amerikanischen National Endowment for Democracy (NED), der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung aus Deutschland, der niederländischen, schwedischen, Schweizer Regierung, von verschiedenen westlichen wohltätigen Stiftungen. Also von ausländischen Geldern. Es besteht allerdings ein entscheidender Unterschied zwischen britischen oder amerikanischen NGOs und denen in Russland. In Großbritannien kann eine beliebige Gruppe von Menschen eine NGO gründen. Rechtlich wird das als "unincorporated association" (nicht rechtsfähiger Verein) bezeichnet. Es ist eine Gruppe von Personen, die als Ehrenamtliche die Abmachung eingehen, eine Vereinigung oder Organisation zur Erreichung eines Zwecks gründen. Die englischen Gerichte haben die "unincorporated association" als eine Situation definiert, "in der zwei oder mehr Personen sich zur Verfolgung eines oder mehrerer gemeinsamer Ziele durch gegenseitige Versprechen in einer Organisation verbinden, in der gegenseitige Pflichten und Regeln bestehen, die festlegen, wer die Organisation leitet und über die Mittel verfügt, und aus der man nach Belieben aus und in sie eintreten kann." (Conservative and Unionist Central Office v Burrell [1982] 1 WLR 522) In Großbritannien gibt es, wie in den meisten Ländern, keine anderen Formalitäten außer dem geschriebenen oder ungeschriebenen Statut oder Reglement, und auch keinen Zwang zur Registrierung. Nur in dem Falle, dass eine Gesellschaft den Status der Gemeinnützigkeit mit steuerlichen und anderen damit verbundenen Vergünstigungen anstrebt, wird ein komplexes rechtliches Gründungsverfahren und regelmäßige Aufsicht verlangt. In Russland ist das anders. Es hat in der UdSSR nämlich keine Vereinigungen von Bürgern gegeben, die rechtlich vom Staat unabhängig waren. Die "Adwokatura", die sowjetische Anwaltsvereinigung, verfügte über einen ungewöhnlich hohen Grad an Unabhängigkeit und Selbstverwaltung, ist aber in letzter Konsequenz stets unter staatlicher Kontrolle geblieben. Darüber hinaus ist die Gründung einer NGO ein Vorgang von außerordentlicher Komplexität. Zunächst gibt es zwei Organisationsformen, unter denen die Gründer zu wählen haben. Zum einen gibt es die "gesellschaftliche Vereinigung" nach dem föderalen Gesetz Nr. 82-FZ vom 19. Mai 1995 "Über gesellschaftliche Vereinigungen". Zweitens gibt es "nichtkommerzielle Organisationen" nach dem föderalen Gesetz Nr. 7-FZ vom 12. Januar 1996 "Über nichtkommerzielle Organisationen". Ich habe Experten in Russland gefragt, warum es zwei Gesetze gibt, die im Grunde den gleichen Gegenstand regulieren. Die Antwort ist, dass die beiden Gesetze gleichzeitig in zwei verschiedenen Ausschüssen der Staatsduma ausgearbeitet und dann beide verabschiedet wurden. Paragraph 7 des Gesetzes über gesellschaftliche Vereinigungen legt fest, dass auf Grundlage dieses Gesetzes gesellschaftliche Vereinigungen in folgender Form gegründet werden können:

  • als gesellschaftliche Organisation

    • als gesellschaftliche Bewegung

    • als gesellschaftliche Stiftung

    • als gesellschaftliche Einrichtung

    • als Organ gesellschaftlicher Selbstbetätigung

    • als politische Partei


    Alle NGOs dieser Art sind unbedingt beim Justizministerium zu registrieren und durch die Generalstaatsanwaltschaft zu beaufsichtigen. Die älteren NGOs gediehen (bis zum Jahr 2006), und Tausende neuer NGOs schossen aus dem Boden. Es bestand jedoch immer die Möglichkeit von Eingriffen durch den Staat. Im Juli 2005 war ich in Nischnij Nowgorod, als die Gesellschaft der Russisch-Tschetschenischen Freundschaft und ihr Gründer Stas Dmitijewskij Ziel eines dreifachen Angriffs wurden. Das Justizministerium hob die Registrierung der Gesellschaft auf. Das Finanzministerium legte fest, dass Fördermittel, die die Gesellschaft von der Europäischen Kommission und der NED erhalten hatte, als Reingewinn der Gesellschaft zu versteuern seien, obwohl sämtliche Gelder in den Projekten ausgegeben wurde, für die sie gewährt wurden. Das Ganze war einer peniblen Wirtschaftsprüfung unterzogen worden. Ich war zugegen, als Dmitriejwskij eine riesige Steuerforderung einschließlich Strafzahlung erhielt. Schließlich wurde Dmitrijewskij wegen Anstachelung zu interethnischen Hass angeklagt und verurteilt (seine Tätigkeit wollte dem Frieden und der Freundschaft zwischen Russen und Tschetschenen dienen). Er musste nicht ins Gefängnis, kann aber nach russischer Gesetzgebung wegen seiner Verurteilung nicht Mitglied einer NGO sein. Das Gesetz wurde jedoch 2006 drastisch verschärft, als unter Präsident Putin das föderale Gesetz Nr. 18-FZ "Über die Änderung einiger Gesetzesakte der Russischen Föderation" vom 10. Januar 2006 verabschiedet wurde. Durch diese Gesetzesänderung wurden NGOs zu einer aufwendigen Berichterstattung gegenüber den Behörden verpflichtet, bei deren Nichterfüllung empfindliche Strafen drohten. Darüber hinaus wurde ein neues und ebenfalls aufwendiges Registrierungsverfahren für russische und in Russland tätige ausländische NGOs eingeführt. Zudem erhielt die Registrierungsbehörde neue, weitreichende Vollmachten zur Beaufsichtigung der Tätigkeit von NGOs. Das neue Gesetz sorgte auch deshalb für besondere Befürchtungen, weil es eine weite und restriktive Auslegung erlaubte. Alle Menschenrechtsorganisationen, darunter die Moskauer Helsinki-Gruppe und Memorial, sind fast täglich einer Einmischung durch die Behörden ausgesetzt gewesen, besonders durch die Steuerpolizei. Die kleinsten Fehler im Antrag auf die obligatorische Neuregistrierung können zu Verzögerungen oder direkt zur Ablehnung des Antrags führen. Nach seiner Wahl zum Präsidenten 2008 versuchte Dmitrij Medwedew Putins Gesetzesänderungen von 2006 entschärfen, und es wurde am 12. Januar 2009 ein weiteres Änderungsgesetz verabschiedet. Die Erleichterung war jedoch nur von kurzer Dauer.

    Was bringt nun das neue NGO-Gesetz mit sich?

    Das Gesetz führt eine neue Konzeption für die Bedeutung von "ausländische Agent" ein. Der Begriff bezieht sich auf jene NGOs, die "an politischer Tätigkeit beteiligt sind" und Fördermittel aus dem Ausland erhalten. Eine NGO gilt dann als eine solche Organisation, wenn sie sich "an der Organisierung und Durchführung von politischen Aktionen beteiligt, die die Entscheidungen staatlicher Organe oder die von diesen durchgeführte staatliche Politik beeinflussen sollen, oder an der Bildung der öffentlichen Meinung zu diesem Zwecke" (§ 2 Abs. 2 Gesetz Nr. FZ-121 vom 20. Juli 2012). Diese NGOs werden in einem eigenen Register zusammengefasst. Religiöse Organisationen, staatliche Unternehmen und Firmen sowie von ihnen gegründete NGOs sind von der Regelung ausgenommen. Folgende Tätigkeitsbereiche fallen nicht unter die Kategorie "politische Tätigkeit von NGOs": Wissenschaft, Kultur, Kunst, Gesundheit, Gesundheitsvorsorge, soziale Fürsorge, Mütter- und Jugendpflege, Behindertenarbeit, gesundheitliche Aufklärung, Sport, Schutz der Flora und Fauna, sowie gemeinnützige Tätigkeit, darunter charitative und Freiwilligenarbeit. Pawel Tschikow, Direktor der in Kasan ansässigen NGO "Agora", hat zu dem neuen Gesetz Seminare in Moskau, Nischnyj Nowgorod, Nowosibirsk, Perm, St. Petersburg, Woronesch und dem Nordkaukasus veranstaltet, an denen Vertreter von rund 300 unterschiedliche NGOs teilgenommen haben, nicht nur Menschenrechtsorganisationen. Am 5. Oktober 2012 gab Tschikow der unabhängigen (und menschenrechtsorientierten) "Nowaja Gaseta" ein Interview. Die Anwälte bei "Agora" seien, so Tschikow, aufs Dringlichste darum bemüht, eine Klärung solch "flexibler" rechtlicher Begriffe wie "Bildung der öffentlichen Meinung" oder "Entscheidungen staatlicher Stellen beeinflussen" zu erhalten. Diese undurchsichtigen Begriffe sind nun Kennzeichen "politischer" NGOs. Wenn diese NGOs irgendwelche ausländischen Gelder erhalten, sind sie verpflichtet, sich als ausländische Agenten registrieren zu lassen. Die Anwälte bei "Agora" sind davon überzeugt, dass diese Kennzeichen mehr oder weniger auf alle NGOs zutreffen. Dennoch unternehmen die meisten Anführer der NGOs in diesem Zusammenhang nichts, obwohl sie bei Nichteinhaltung der Bestimmungen des Gesetzes mit harten Geldstrafen und strafrechtlicher Verfolgung rechnen müssen. Die Strafe kann in einem Verbot der Tätigkeit bestehen, aber auch in Geldstrafen von Millionen Rubeln für die Organisation oder von bis zu 50.000 Rubeln für deren Leiter. Einem neuen Paragraphen des Strafgesetzbuches zufolge kann das zur strafrechtlichen Verurteilung des Leiters der NGO und einem Freiheitsentzug von bis zu zwei Jahren führen (§ 330.1 Strafgesetzbuch der Russischen Föderation: "Böswillige Nichterfüllung der Pflichten, die in der Gesetzgebung der Russischen Föderation für nichtkommerzielle Organisationen gelten, die die Funktion eines ausländischen Agenten ausüben"). Darüber hinaus hat ein weiteres föderales Gesetz die Bestimmungen des Strafgesetzbuches zu Spionage und Landesverrat neu gefasst. Es gibt nun einen neu definierten Tatbestand: "die Absicht, Informationen weiterzugeben". Hierzu zählt die Sammlung jedweder Informationen, die Russlands Sicherheit gefährden sowie deren Weitergabe an eine internationale Organisation. Selbst ein Antrag beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte könnte demnach als Landesverrat geahndet werden, wenn die im Antrag enthaltenen Informationen die Sicherheit Russlands gefährden. Flächendeckende Repressionen gegen NGOs sind dennoch nicht zu erwarten. Das Putin-Regime ist auf das spezialisiert, was Gordon Hahn als "Tarnkappen-Autoritarismus" bezeichnet hat. Die Maßnahmen sind aller Wahrscheinlichkeit nach gegen jene NGOs gerichtet, die als politische Gefahr gelten. Pawel Tschikow berichtete, dass einer Reihe von NGOs durch regionale Stellen des Justizministeriums bedeutet wurde: "Was regen Sie sich denn auf? Sie fallen doch nicht unter dieses Gesetz. Sie organisieren ja keine Demonstrationen, und Sie haben ja nichts mit Wahlen zu tun." Die Beamten fügten dann allerdings sofort hinzu, dass das nur ihre persönliche Einschätzung sei und sie auf klärende Instruktionen aus Moskau warteten. Die Moskauer Helsinki-Gruppe und Memorial werden sich, wie auch die bekanntesten und angesehensten Menschenrechtsorganisationen, dem Gesetz jedenfalls widersetzen. Wie weit wird Putin gehen, um in dieser neuen politischen Eiszeit seinen Willen aufzuzwingen? Die Bedrohung ist so real und akut, dass elf führende russische Menschenrechtsorganisationen am 6. Februar 2013 beim Europäischen Gerichthof für Menschenrechte Beschwerde gegen das Gesetz eingelegt haben. Sie argumentieren, dass das neue Gesetz ihre Rechte auf Vereinigungsfreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung verletze (Artikel 11 und 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) und beantragen eine vordringliche Bearbeitung des Falles durch den Gerichtshof. Die Beschwerde wurde von Memorial und dem European Human Rights Advocacy Centre eingereicht, und zwar im Namen von Ecodefense!, Golos, Bürgerkontrolle, dem "Komitee Bürgerhilfe", dem "Komitee gegen Folter", Maschr, der Internationalen Gesellschaft "Memorial", der Moskauer Helsinki-Gruppe, von "Gesellschaftliches Verdikt", dem Menschenrechtszentrum "Memorial" und der Bewegung für Menschenrechte. Viele glauben, dass die Organisation "Golos" ["Stimme"], die unabhängige Wahlbeobachtungen durchführt, einen erheblichen Beitrag für das jüngste Anwachsen der Protestbewegung in Russland geleistet hat: Das neue Gesetz ist eine Reaktion des Regimes darauf. Die NGOs argumentieren, dass das neue Gesetz sie unnötiger- und ungerechterweise mit erheblichen Strafen bedroht, unter anderem mit der strafrechtlichen Verfolgung einzelner Personen und der möglichen Auflösung ihrer Organisationen. Darüber hinaus sagen die Beschwerdeführer, dass der Begriff "ausländischer Agent" in Russland wegen seiner Assoziationen mit "Spion" sehr negative Konnotationen hat und daher ihr Ansehen und ihre Möglichkeiten für eine wirkungsvolle Arbeit beeinträchtigt. Das Fehlen einer klaren Definition von "politischer Tätigkeit" in der russischen Gesetzgebung wird ebenfalls bemängelt, da zu befürchten sei, dass das Gesetz dadurch von den Behörden willkürlich angewandt werden kann.

    Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

    Fussnoten

    ist Professor für Recht am Birkbeck-Institut der University of London; er arbeitet als Barrister für Field Court Chambers in Gray’s Inn (London) und hat etliche Beschwerdeführer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten. Zu seinen Veröffentlichungen zählen Werke über Aspekte des internationalen Rechts sowie die Rechtssysteme in Russland und anderen Nachfolgerstaaten der Sowjetunion. Er ist häufig als Experte bei internationalen Organisationen sowie als Gerichtsexperte in England tätig.