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Wirtschaftswandel in Polen | Polen | bpb.de

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Wirtschaftswandel in Polen Entwicklungen seit dem EU-Beitritt

Piotr Koryś

/ 8 Minuten zu lesen

Trotz globaler Unsicherheiten wächst die polnische Wirtschaft. Jedoch bremsen Inflation und Arbeitskräftemangel diesen Trend aus. Moderne Wirtschaftszweige und die Vereinfachung des Steuersystems sollen das ändern.

Warschau ist zu einem Wirtschafts- und Handelszentrum in Mittel- und Osteuropa geworden. (© picture-alliance)

Der Interner Link: Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2004 ermöglichte Polen – 15 Jahre nach der Systemtransformation – eine weitere Chance der Entwicklung, die bis heute anhält. Zum Zeitpunkt des Beitritts war dies nicht offensichtlich: Einerseits öffnete sich der Zugang zu EU-Finanzmitteln, andererseits trat Polen in den wettbewerbsintensiven europäischen Binnenmarkt ein. Die polnische Wirtschaft war während des Beitritts in guter Verfassung, obwohl die makroökonomischen Indikatoren einen erheblichen Abstand zu den am besten entwickelten Ländern der Welt aufwiesen. Das Interner Link: Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug nur 31 % des US-amerikanischen (bei Kaufkraftparitäten war der Unterschied in aktuellen Preisen viel größer). Die Arbeitslosigkeit war hoch, das Lohnniveau niedrig. Auch die Interner Link: Inflation und Interner Link: die Zinssätze waren relativ hoch.

Demografische Entwicklungen

Seit 1989 Interner Link: erlebte Polen eine demografische Krise, deren unmittelbares Anzeichen ein Rückgang der Geburtenzahl war: von über 700.000 Geburten Mitte der 1980er und über 500.000 Anfang der 1990er Jahre, auf etwa 350-400.000 in den 2000er und 2010er Jahren. Derzeit ist ein noch stärkerer Rückgang zu beobachten, auf etwa 250-270.000 Geburten in den Jahren 2023-2024.

Unmittelbar nach dem EU-Beitritt Interner Link: setzte eine enorme Abwanderung junger Polinnen und Polen in die alten EU-Länder ein, auf der Suche nach Arbeit und einer besseren Lebensqualität. Etwa zwei Millionen Menschen wanderten seither aus (d.h. ca. fünf Prozent der Bevölkerung, darunter vor allem 20- bis 40-Jährige, die zwischen 1970 und 1990 geboren wurden). Kurzfristig trug dies zur Stabilisierung und Entlastung der Sozial- und Gesundheitssysteme bei. Auch die Arbeitslosigkeit begann schnell zu sinken, doch langfristig verschärfte dies nur die demografischen Herausforderungen.

Auswirkungen des EU-Beitritts

Das Wirtschaftswachstum wurde durch den Zufluss von EU-Hilfsgeldern verstärkt. Polen konnte die Folgen der großen Finanzkrise von 2008 nahezu vermeiden. Das Wachstum wurde beibehalten, die Arbeitslosigkeit stieg nicht an. Nur der Złoty wurde langfristig geschwächt. Ende der 2000er Jahre hat der Zufluss von EU-Strukturfonds die Voraussetzungen für einen erheblichen Anstieg der Infrastrukturinvestitionen geschaffen. Der rasche Ausbau des Schnellstraßennetzes und die Modernisierung des Eisenbahnnetzes geben zusätzliche Impulse für weitere Wirtschaftsentwicklung. Durch den Zugang zum EU-Markt konnte Polen diese Dynamik rasch aufgreifen und gegenüber den westeuropäischen Ländern aufholen. Zu Beginn der 2010er Jahre war der Entwicklungsrückstand, Interner Link: ein Erbe des Kommunismus, fast gänzlich verschwunden. Die Zeit nach dem EU-Beitritt kann als letzte Phase der wirtschaftlichen Transformation betrachtet werden, die in den 1980er Jahren begann.

Die Inflationsrate hat sich an den EU-Durchschnitt angenähert, stieg allerdings durch die COVID-Pandemie erneut an. In den letzten zwei Jahrzehnten konnte Polen die hohe Arbeitslosigkeitsquote auf eine der niedrigsten in der EU senken. Das stabile BIP-Wachstum der letzten drei Jahrzehnte hat Polen zudem von einem armen Land, das durch die jahrzehntelangen wirtschaftlichen Fehler des Realsozialismus vernachlässigt wurde, zu einem Land mit einem BIP von 80 % des EU-Durchschnitts gemacht. Zusammen mit der Tschechischen Republik gehört es auch zu den Spitzenreitern im Entwicklungsstand der MOE-Länder.

Handelsbeziehung mit Russland

Russland blieb bis 2022 ein wichtiger Handelspartner von Polen. Zu den Importen gehöhrten Rohstoffe, insbesondere Erdöl und Erdgas, aber auch Kohle. Eine geringere Rolle spielte die Einfuhr von Stahl und – insbesondere in letzter Zeit – von Lebensmitteln. Russische Unternehmen, vor allem solche, die sich mit der Rohstoffförderung und -ausfuhr befassen – wie Lukoil oder Gazprom – waren ebenfalls auf dem polnischen Markt präsent.

Im 21. Jahrhundert haben sich die polnisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen allmählich abgekühlt. Der entscheidende Faktor war Interner Link: Russlands Aggression gegen die Ukraine im Jahr 2022. Doch bereits davor hatten Ereignisse wie der Interner Link: Konflikt in Georgien im Jahr 2008, der Absturz des polnischen Regierungsflugzeugs in Smolensk im Jahr 2010, die Interner Link: Krim-Annexion im Jahr 2014 und der Interner Link: Krieg im Donbas im selben Jahr erhebliche Auswirkungen. Infolgedessen hat Russland bis zum Ende der 2020er Jahre seinen Status als wichtiger Rohstofflieferant verloren. Der Ausbau von Hafenanlagen und Gaspipelines ermöglichte es, nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine auf russische Importe zu verzichten.

Wirtschaftliche Beziehungen im Wandel

Zunächst spielten die wirtschaftlichen Beziehungen Polens innerhalb des ehemaligen Interner Link: Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) noch eine wichtige Rolle. In den 1990er Jahren verlagerte sich der polnische Handel hingegen zunehmend nach Westeuropa. Durch den EU-Beitritt verstärkte sich dieser Prozess. Gleichzeitig wurden die meisten ehemaligen RGW-Länder und baltischen Staaten Mitglieder der EU, sodass die Handelsbeziehungen neu geknüpft und verstärkt werden konnten.

Seit Beginn der Transformation ist Polens Beitrag zum Welthandel gestiegen, ein Indiz für die zunehmende Globalisierung des Landes. Noch im Jahr 2000 lag der Anteil Polens an den weltweiten Exporten bei 0,5 % und an den Importen bei 0,7 %. Im Jahr 2022 erreichte dieser in beiden Fällen 1,4 %. Derzeit geht ein großer Teil der polnischen Exporte in die EU-Länder, insbesondere nach Deutschland (28 % im Jahr 2023), während Deutschland (ca. 21 %) und China (ca. 12 %) auch die wichtigsten Importziele sind.

Entwicklungen der Wirtschaftssektoren

In der sektoralen Wirtschaftsstruktur Polens sind ebenfalls Veränderungen zu beobachten, die sich sowohl am Beschäftigungsstand abzeichnen, als auch an den BIP-Anteilen der jeweiligen Sektoren. So lässt sich etwa ein Bedeutungsverlust der Landwirtschaft feststellen. Nach dem Schock der 1990er Jahre erfuhr sie im 21. Jahrhundert eine tiefgreifende Modernisierung, die durch Interner Link: EU-Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und den Zugang zum europäischen Binnenmarkt unterstützt wurde. Das Ergebnis war eine Steigerung der Produktivität und ein Rückgang der Beschäftigung in der Landwirtschaft sowie eine Veränderung der Produktionsstruktur. Heute spielen moderne, spezialisierte Betriebe und Großbetriebe eine Schlüsselrolle in der landwirtschaftlichen Produktion. Die Bedeutung der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft hat stark nachgelassen, was zu einer Abwanderung aus dem ländlichen Raum geführt hat.

Industrie

Der Industriesektor hat ebenfalls tiefgreifende Veränderungen erfahren. Polen gehört nach wie vor zu den am stärksten industrialisierten EU-Ländern und konkurriert weiterhin mit einem niedrigen Lohnniveau. Allerdings haben sich die Eigentumsverhältnisse in der Industrie verändert, ebenso wie das Produktionsprofil. Viele traditionelle Industriezweige haben ihre Bedeutung verloren oder sind dabei, sie zu verlieren. An ihre Stelle sind moderne Industrien getreten: Automobilindustrie und Elektronik. Die Lebensmittelindustrie wurde umfassend modernisiert – in diesem Sektor sind Unternehmen entstanden, die auf dem regionalen und dem EU-Markt eine bedeutende Rolle einnehmen.

Die meisten Unternehmen mit mehrheitlich polnischem Kapital sind kleine und mittlere Betriebe, obwohl einige in ihren Nischen zentrale Rollen spielen (wie zum Beispiel Fakro, einer der größten Hersteller von Dachfenstern in Europa). Seit Anfang der 1990er Jahre hat ausländisches Kapital, darunter auch deutsches, eine Schlüsselfunktion bei der Modernisierung und dem Strukturwandel der polnischen Industrie eingenommen. Der Industriesektor befindet sich mittlerweile größtenteils in Privatbesitz, mit einem hohen ausländischen Kapitalanteil. Der Staat behielt hingegen eine wesentliche Rolle im Brennstoff- und Energiebereich.

Energie

Polen durchläuft seit einigen Jahren eine Energiewende: Seit den 1980er Jahren hat der Kohlebergbau an Bedeutung verloren. Die aktuellen Pläne der Regierung sehen einen starken Rückgang von Braun- und Steinkohle in der Energieerzeugung vor (von insgesamt fast 70 % der Bruttostromerzeugung im Jahr 2020 auf 25 % im Jahr 2030, 10 % im Jahr 2035 und weniger als 2 % im Jahr 2040). Stattdessen sollen On- und Offshore-Windenergie, Solarenergie und Kernenergie im Jahr 2040 für ca. 80 % der Stromerzeugung verantwortlich sein. Die Inlandsnachfrage nach Kohle wurde zunehmend durch Importe und nicht mehr durch den Bergbau gedeckt. Die Erzeugung von Energie aus Wind und Gas wurde nach 2010 ausgebaut. In den letzten Jahren gab es zudem einen Boom bei Photovoltaik-Anlagen. Polen ist innerhalb Europas zu einem führenden Land bei der Installation von Photovoltaik-Anlagen geworden – insbesondere aufgrund der Installationen in Privathaushalten.

Der Energiemix in Polen befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die sehr kohlenstoffintensiven Kohlekraftwerke spielen zwar nach wie vor eine dominierende Rolle, aber ihre Bedeutung nimmt von Jahr zu Jahr ab. Die letzten Investitionen in neue Kohlekraftwerke liegen mehr als zwei Jahrzehnte zurück, und die meisten der in Betrieb befindlichen Anlagen wurden vor 1989 gebaut.

Dienstleistung

Schließlich betreffen die weitreichsten Veränderungen den Dienstleistungssektor, der in der sozialistischen Wirtschaft vor 1989 eine untergeordnete Rolle spielte. Während dieser in den späten 1980er Jahren ein Dutzend Prozent des BIP ausmachte, liegt sein Anteil heute bei über 50 %. Vor allem der Handel und das Bankwesen haben sich rasch entwickelt. Der Zufluss von ausländischem Kapital spielte dabei eine wichtige Rolle. Schließlich begannen sich moderne Informations- und Kommunikationstechnik-Dienstleistungen (IKT) zu entwickeln. Polen wurde zu einem wichtigen Markt für die Erbringung von IKT-Dienstleistungen in Europa.

Herausforderungen für das Wirtschaftswachstum

Der wirtschaftliche Erfolg der Systemtransformation ist unbestreitbar. Die kommenden Jahre werden jedoch eine Reihe von Herausforderungen mit sich bringen, um das Entwicklungsniveau und die Dynamik des Wirtschaftswachstums aufrechtzuerhalten. Das erste Risiko ist zweifelsohne der demografische Wandel: Sinkende Geburtenraten wirken sich bereits jetzt auf den Arbeitsmarkt aus – das erste Anzeichen war ein anhaltender Rückgang der Arbeitslosigkeit, gefolgt vom Auftreten eines dauerhaften Arbeitskräftemangels, insbesondere bei Niedriglohntätigkeiten. Bisher wurde darauf mit Maßnahmen zur Erhöhung des Mindestlohns und der Erwerbsbeteiligung reagiert (u.a. Steuerbefreiungen für junge Menschen, Anreize für eine Beschäftigung im Rentenalter, Diskussion über eine Anhebung des Rentenalters, insbesondere für Frauen – nachdem es vor einigen Jahren gesenkt wurde). Auch die Interner Link: Beschäftigung von Menschen aus dem Ausland nimmt zu: Ukrainerinnen und Ukrainer, insbesondere nach der russischen Aggression im Jahr 2022, Belarussinnen und Belarussen, aber auch eine wachsende Zahl von Migrantinnen und Migranten aus Asien und in geringerem Maße aus Afrika spielen hierbei eine wichtige Rolle.

Die Zeit nach dem EU-Beitritt hat in der polnischen Bevölkerung zu raschen Verbesserungen der Lebensqualität geführt, einschließlich eines Anstiegs der Löhne. Dies hat andererseits auch zu einem Anstieg der Arbeitskosten geführt. Infolgedessen verliert Polen langsam einen seiner wichtigsten Wettbewerbsvorteile, die niedrigen Arbeitskosten.

Wieso baut Polen ein Atomkraftwerk?

Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Stabilität des Stromnetzes während der Energiewende aufrechtzuerhalten. Die Lebensdauer vieler Kohlekraftwerke neigt sich dem Ende zu. Der Ausbau der Stromerzeugung auf Erdgasbasis ist ein kurzfristiges Rezept zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen, das jedoch mit hohen Energiekosten verbunden ist. Der Ausbau erneuerbarer Energien geht noch nicht mit der Entwicklung einer ausreichenden Speicherkapazität einher. Die Antwort der polnischen Regierung auf einige dieser Herausforderungen soll die Förderung der Kernenergie sein. Allerdings ist die Inbetriebnahme des ersten Kraftwerks, mit dessen Bau gerade begonnen wird, nicht vor 2033 geplant. Nationale und europäische Subventionen unterstützen die Entwicklung der erneuerbaren Energien und den Ausbau des Stromnetzes.

Auch die Verflechtung mit der deutschen Wirtschaft ist ein Risikofaktor. Diese war in den letzten Jahrzehnten ein klarer Wachstumsmotor, aber die wirtschaftliche Abschwächung in Deutschland und der damit verbundene Nachfragerückgang könnte einige polnische Unternehmen treffen. Bislang haben diese Faktoren die Wettbewerbsfähigkeit der polnischen Wirtschaft nicht wesentlich beeinträchtigt, aber das Risiko steigt.

Seit einiger Zeit werden eine Reihe von wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen, um den genannten Risiken entgegenzuwirken. Dazu gehören Bemühungen, das Steuersystem einfacher und vorhersehbarer zu machen, die Produktivität zu steigern und die Entwicklung moderner Wirtschaftszweige zu unterstützen (jüngste Beispiele sind die Batterieherstellung und die Computerspielindustrie). Doch trotz dieser Herausforderungen scheinen die 2020er Jahre ein weiteres erfolgreiches Jahrzehnt für die polnische Wirtschaft zu werden.

Aus dem Englischen von Karolina Golimowska

Weitere Inhalte

Dr. Piotr Koryś, Wirtschaftswissenschaftler und -historiker, ist außerordentlicher Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Warschau.

Seine Forschungsinteressen umfassen die Polnische Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, einschließlich der Industrialisierungsgeschichte und der ökonomischen Ideengeschichte in Polen. Ergänzt werden diese u.a. von der polnischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der postsozialistischen Transformation.

Zu seinen Publikationen gehören: Poland From Partitions to EU Accession: A Modern Economic History, 1772–2004 (Palgrave 2018) und Sozialistische Ökonomie im Spannungsfeld der Modernisierung (with H-J. Wagener and M. Tymiński; Springer 2021).