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Beziehungen zwischen Deutschland und Polen | Polen | bpb.de

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Beziehungen zwischen Deutschland und Polen

Markus Krzoska

/ 7 Minuten zu lesen

Polen und Deutschland verbindet eine komplexe und schwierige Geschichte. Welches Verhältnis haben die Länder aktuell zueinander? Und wie hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dies verändert?

Grenztor zwischen Ahlbeck und Swinemünde (Świnoujście) auf Usedom. (© picture-alliance, ZB | Peer Grimm)

Produktion und Instrumentalisierung von Vergangenheit

Zu Beginn der 2000er Jahre schienen die großen Fragen von deutscher Schuld und Entschädigung für das an der polnischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg verursachte Leid abgeschlossen zu sein. Diverse Vertragswerke und Vereinbarungen, darunter der Interner Link: „Deutsch-Polnische Nachbarschaftsvertrag“, hatten eine rechtliche Grundlage hierfür geschaffen. Dass es dann anders kam, hatte verschiedene Ursachen. Hierzu zählte eine gewisse Unzufriedenheit mit deutschen Reaktionen auf polnische erinnerungspolitische Initiativen – so wurde die wissenschaftliche und publizistische Aufarbeitung der Aussiedlung/Vertreibung der Deutschen in den 1990er Jahren praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Hinzu kommt das Comeback rückwärtsgewandter Opfernarrative auf beiden Seiten, Interner Link: wie in den Debatten um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ sichtbar wurden.

Diese Trends verstärkten sich seit den 2010er Jahren: Das oftmals fehlende deutsche Wissen über die polnische Rolle im Zweiten Weltkrieg, das mit einer Abwesenheit von Empathie einherging, traf auf die immer deutlicher werdenden Bemühungen der rechtspopulistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), Interner Link: nationale Geschichtspolitik zu betreiben undInterner Link: antideutsche Vorurteile zu verstärken. Jüngste Beispiele für eine wahltaktische Instrumentalisierung sind etwa die erneute Forderung deutscher Entschädigungszahlungen und die Reduzierung des muttersprachlichen Unterrichts für Angehörige der deutschen Minderheit.

TextauszugFeindbild Deutschland

Antideutsche Töne bzw. große Skepsis gegenüber Deutschland sind im rechten Parteienspektrum Polens nichts Neues. Diese Tendenz war bereits in den frühen 1990er Jahren zu beobachten, beispielsweise bei der Zentrumsallianz (Porozumienie Centrum), der Vorläuferpartei der PiS. Ein Teil der PiS-Wähler reagiert positiv auf scharfe Kritik an Deutschland – mal stärker, mal verhaltener. Nach 2015, mit dem erneuten Regierungsantritt der PiS, sind die antideutschen Töne allerdings lauter geworden. Das gilt nicht nur für das öffentliche Auftreten von Parteien des rechten Spektrums, sondern auch für die von ihnen dominierten Medien. Im Rundfunksender Polskie Radio ist deutschlandfeindliche Propaganda an der Tagesordnung, regelmäßig auch in den Sendungen der Fernsehstationen von Telewizja Polska. Natürlich haben solche Tendenzen eine deutlich innenpolitische Funktion.

Wenn Deutschland angegriffen wird, dann vor allem in zweierlei Hinsicht. Erstens geht es darum, Deutschland als die absolut dominante Macht in Europa darzustellen, deren Ziel es sei, die anderen Staaten auf dem Kontinent zu beherrschen. Nicht selten wird dabei an das 19. Jahrhundert erinnert, als Deutschland zu den Teilungsmächten Polens gehörte, oder an die deutsche Besetzung des Landes im Zweiten Weltkrieg. […]

Zum Zweiten geht es darum, Deutschland als das Land zu charakterisieren, das neben Russland die größte Verantwortung für die Aggression gegen die Ukraine trägt und außerdem das größte Hindernis für eine wirksame politische und vor allem militärische Hilfe für die Ukraine ist. […]

Autor: Reinhold Vetter Interner Link: Hier finden Sie den ganzen Artikel (Polen Analyse Nr. 296).

Sicherheitspolitische Lage

Interner Link: Der russische Überfall auf die Ukraine hat die internationale Rolle Polens verändert und auch das polnische Bewusstsein gestärkt, eine politische und militärische Schlüsselrolle in Ostmitteleuropa zu spielen. Dies knüpft an intensive Bemühungen an, seit den 1990er Jahren vor allem mit den USA das eigene geopolitische Gewicht zu steigern. Die in Polen hochangesehene eigene Armee soll in den nächsten Jahren zu einer der stärksten Streitkräfte Europas ausgebaut werden. Die Anwesenheit US-amerikanischer Truppen im Land wird verstärkt. Ein weiterer Ausbau der NATO-internen militärischen Verbindungen ist in Zukunft zu erwarten, auch wenn sich Deutschland und Polen über die Rolle der Ukraine und das Ausmaß an Waffenlieferungen nicht immer einig sind.

Entgegen der Aushandlungen auf sicherheitspolitischer Ebene, verläuft die militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen weitgehend reibungslos. Zentrales Symbol hierfür ist das in Stettin beheimatete Multinationale Korps Nordost der NATO. Dieses wurde unter leitender Mitwirkung Dänemarks 1999 gegründet und seitdem weiter ausgebaut.

Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist die Bedeutung des Militärs, die in Polen seit jeher groß war, auch in Deutschland sichtbarer geworden. Polen plant in den nächsten Jahren, unter weitaus stärkerer Akzeptanz der Bevölkerung, eine deutliche Aufrüstung. Die polnische Regierung beruft sich auf ihre wiederholten Warnungen vor dem imperialen Russland. Dies gilt auch für die jahrelang angeprangerte wirtschaftliche Zusammenarbeit Deutschlands mit jenem Russland, wie die beiden Erdgaspipelines in der Ostsee, aber auch die unkritische Verflechtung ganzer Wirtschaftsbereiche. Dabei wird allerdings häufig außer Acht gelassen, dass auch Interner Link: Polen russisches Erdgas und Erdöl eingekauft hat.

Migration und Flucht

Migration ist in Deutschland ein dominierendes Thema, das in Polen lange Zeit kaum eine Rolle spielte bzw. lediglich als Negativfolie diente. Flüchtende aus Vorder- und Zentralasien sowie Nordafrika,Interner Link: die über die belarussische Grenze nach Polen kommen, werden vor allem als kulturell fremd stigmatisiert. Die staatlichen Stellen gehen davon aus, dass die Mehrheit Polen nur als Zwischenstation auf dem Weg nach Westeuropa ansieht. Dieses Verständnis belastet wiederum die deutsch-polnischen Beziehungen. Denn der Zufluss Asylsuchender über Oder und Neiße hat seit 2022 deutlich zugenommen. Externer Link: Ein durchgehender Grenzzaun soll die östliche Außengrenze der EU stärker als bisher sichern.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 flohen viele Menschen aus der Ukraine nach Polen. Die polnische Zivilbevölkerung leistete schnell Hilfe. (© picture-alliance, Caro | Matzel)

Der kritischen Haltung – auch großer Teile der polnischen Bevölkerung – gegenüber Flüchtenden aus dem Nahen Osten und ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken, scheint die unbürokratische Interner Link: Aufnahme von beinahe einer Million Menschen aus der Ukraine zu widersprechen. Diese ist seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 erfolgt und übersteigt prozentual die Aufnahme in Deutschland.

Dies fällt umso mehr ins Gewicht, da die polnisch-ukrainischen Beziehungen seit Ende des Ersten Weltkriegs als schwer belastet gelten. Neben der Empathie für die Flüchtenden aufgrund ihres Schicksals, einer gewissen slawischen Verbundenheit und der gemeinsamen Abneigung gegen Russland, gibt es einen Nebeneffekt: Viele der Neuangekommenen (wie schon zahlreiche Ukrainer*innen in den Jahren zuvor) nehmen wichtige Positionen auf dem Arbeitsmarkt ein, insbesondere im Pflegebereich und im Sektor der Geringqualifizierten.

Demokratie unter Druck

Der zweifellos größte Störfaktor an der polnischen Regierung, sind aus deutscher Sicht diverse Maßnahmen zur Einschränkung gesellschaftlicher Pluralität – insbesondere im Justiz- und Mediensektor. Hinzu kommen Unterschiede in grundlegenden weltanschaulichen Fragen, wie dem Interner Link: Umgang mit der LGBTQ-Bewegung, Interner Link: dem Recht auf Abtreibungen oder allgemein dem Gender-Thema.

Während die letztgenannten Themen auch in der deutschen Öffentlichkeit breit und kontrovers diskutiert werden, wird die Einschränkung demokratischer checks and balances seit Längerem kaum noch diskutiert. Entsprechende Gegenmaßnahmen werden von politischen und/oder juristischen Organen auf EU-Ebene eingeleitet, was wiederholt zu Verboten bzw. Strafzahlungen geführt hat.

Da auch die polnische Gesellschaft in all diesen Fragen tief gespalten ist, wäre es falsch – wie Teile der polnischen Regierung – von einer von außen (Deutschland, EU) gesteuerten Kampagne zu sprechen. Es geht nicht etwa um alternative Entwicklungen innerhalb eines breit gesteckten demokratischen Rahmens, sondern im Falle der Interner Link: Justiz um eine eindeutige Einschränkung von Freiheitsrechten und in den Medien um die Beschneidung von gesellschaftlichen Kontrollmechanismen. Diese kann eine Einflussnahme der Regierung begünstigen, wie sie beim staatlichen Fernsehen TVP längst erreicht wurde.

In Wahlkampfphasen verstärkt vor allem die PiS-Partei die Kritik an Deutschland. Dabei spielt der Zweite Weltkrieg ebenso eine Rolle, wie die allgemeine Wahrnehmung bzw. Interpretation des deutschen Verhaltens als übergriffig und kolonial. Die politische Opposition wird dann zusätzlich als „Handlangerin deutscher Interessen“ dargestellt.

Umweltfragen als trennendes Element

Fragen des Umweltschutzes und des Klimawandels haben in der polnischen Gesellschaft, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht die gleiche Bedeutung wie in Deutschland. Dies wird auf politischer Ebene in Fragen der Energiesicherheit deutlich. Zwar beginnt sich eine allmähliche Abkehr von Kohle als wichtigstem Energieträger abzuzeichnen, dafür wird allerdings Kernenergie als ein wichtiger Ersatzlieferant verstanden. Der geplante Bau von Atomkraftwerken weist in diese Richtung. Der deutsch-polnisch-tschechische Streit um den Ausbau der Braunkohlegrube in Turów im Dreiländereck zwischen Zittau, Bogatynia und Liberec hat schon mehrere Gerichte beschäftigt, ohne dass eine dauerhafte Lösung in Sicht wäre.

Im August 2022 fand ein massives Fischsterben in der Oder statt. (© picture-alliance, EPA | Marcin Bielecki)

Interner Link: Das massive Fischsterben in der Oder im Sommer 2022, das vermutlich von einer Mischung aus Übersalzung, hohen Temperaturen und einer verstärkten Algenblüte ausgelöste wurde, hat in Verbindung mit den polnischen Ausbauplänen für den Fluss eine gewisse deutsch-polnische Sprachlosigkeit ausgelöst. Dies hat allen Bemühungen auf regionaler Ebene zum Trotz damit zu tun, dass sowohl Deutschland als auch Polen mit dem Rücken zur Oder leben.

In diesen Kontext fällt auch die jahrzehntelange Vernachlässigung des grenzüberschreitenden Schienenverkehrs. Diese hat zur völligen Überlastung deutscher Straßen beigetragen, da auf diese Weise offenbar existenziellen Güter aus Polen für die deutsche Wirtschaft transportiert werden. Vor allem auf deutscher Seite sind Maßnahmen zur Verbesserung der Bahninfrastruktur und zur Beseitigung der Kriegsschäden erst sehr spät oder gar nicht unternommen worden. Wichtige Anlaufpunkte im Personenverkehr wie Breslau, Stettin oder Krakau sind seit Jahren nicht angemessen erreichbar. Der Gütertransport von und nach Polen scheitert häufig unter anderem an den fehlenden Oberleitungen auf deutscher Seite.

Deutsch-polnischer Alltag

Seit 1989 hat sich, allen Unterschieden in der politischen Wahrnehmung und Praxis zum Trotz, ein enges nachbarschaftliches Geflecht herausgebildet. Dieses ist weniger als früher von gesellschaftlichen Organisationen geprägt als vielmehr von direkten zwischenmenschlichen Beziehungen. Getragen wird es von den sich Interner Link: dynamisch entwickelnden Wirtschaftsbeziehungen. Nach Daten des Statistischen Bundesamts war Polen im Jahre 2022 der fünftwichtigste deutsche Handelspartner. Ein zentraler Bereich ist zudem die Betreuung kranker und alter Menschen. Die Zahl der legal wie illegal tätigen polnischen Pflegekräfte in Deutschland dürfte sich auf über 200.000 belaufen. Hinzu kommen etwa 2 Mio. Menschen in Deutschland, die einen polnischen Pass besitzen.

Externer Link: Laut dem Deutsch-Polnischen Barometer empfinden ungefähr die Hälfte der Einwohner*innen beider Länder so etwas wie Sympathie für den Nachbarn. In Polen ist allerdings erkennbar, dass der Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen allmählich negativer eingeschätzt wird, als in Deutschland. Das Wissen übereinander ist freilich nach wie vor deutlich verbesserungswürdig. Auf der einen Seite ist es bemerkenswert, dass die Zahl deutscher Tourist*innen in Polen deutlich zugenommen hat (2022 waren es fast 3 Mio.). Auf der anderen Seite lässt sich in Deutschland ein unterschwelliges Interner Link: Weiterwirken antislawischer Stereotypen beobachten. Dies betrifft weniger den ökonomischen Bereich, wo die Parole von der „polnischen Wirtschaft“ kaum noch zu hören ist, als Vorurteile über vermeintlich rückständige gesellschaftliche Zustände und Verhaltensweisen.

Nicht unterschätzt werden darf wiederum, wie sehr die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs nach wie vor die polnische Gesellschaft prägen. Dies hat nicht nur mit der Weitergabe von Informationen in der Familie zu tun, sondern ist auch eine Folge der staatlichen Bildungs- und Geschichtspolitik der letzten Jahrzehnte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Was zwischenstaatliche bzw. internationale Beziehungen sind, ist eine Kernfrage der politischen Wissenschaften. Dementsprechend viele Erklärungsansätze gibt es hierzu. Dieser Text geht vom klassischen Modell gegenseitiger Abhängigkeiten aus, die beiden Seiten entsprechende Vorteile bringen. Für Deutschland und Polen im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts folgt daraus auf der Grundlage der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen eine sich verstärkende Interdependenz bei allmählich, aber sichtbar geringer werdenden Asymmetrien im bilateralen, europäischen und globalen Rahmen.

    Der folgende Beitrag wird im Themenfeld Schwerpunkte setzen, um verschiedene Blickwinkel abzubilden. Allen Teilen liegt ganz explizit die Prämisse zugrunde, dass es Akteur*innen mit ihren Praktiken sind, und nicht Strukturen, die die gegenseitigen Beziehungen prägen. Dies alles erfolgt unter stillschweigender Voraussetzung eines breiteren europäischen, ja globalen Netzes diverser Verflechtungen, von denen bilaterale Beziehungen heute weniger denn je separat verstanden werden können.

  2. In einem Krieg 1918/19 stritten sich die polnische und die ukrainische Nationalbewegung um die Zugehörigkeit Ostgaliziens. Hintergrund waren die Teilungen Polen-Litauens durch die Großmächte Russland, Preußen und Österreich. Der polnisch-ukrainische Konflikt flammte Ende des Zweiten Weltkriegs in Wolhynien wieder auf und führte u.a. zu Massakern an der polnischen Zivilbevölkerung.

  3. z.B. im Kampf gegen die Zerstörung des Rospuda-Tals und die Zerstörung von Teilen des Waldes von Białowieża durch die staatliche Forstverwaltung

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autor/-in: Markus Krzoska für bpb.de

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Markus Krzoska (*1967) studierte Osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft in Mainz. Nach der Promotion an der FU Berlin war er u.a. an der Universität Gießen tätig, wo er sich auch habilitierte. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg.