Produktion und Instrumentalisierung von Vergangenheit
Diese Trends verstärkten sich seit den 2010er Jahren: Das oftmals fehlende deutsche Wissen über die polnische Rolle im Zweiten Weltkrieg, das mit einer Abwesenheit von Empathie einherging, traf auf die immer deutlicher werdenden Bemühungen der rechtspopulistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS),
TextauszugFeindbild Deutschland
Antideutsche Töne bzw. große Skepsis gegenüber Deutschland sind im rechten Parteienspektrum Polens nichts Neues. Diese Tendenz war bereits in den frühen 1990er Jahren zu beobachten, beispielsweise bei der Zentrumsallianz (Porozumienie Centrum), der Vorläuferpartei der PiS. Ein Teil der PiS-Wähler reagiert positiv auf scharfe Kritik an Deutschland – mal stärker, mal verhaltener. Nach 2015, mit dem erneuten Regierungsantritt der PiS, sind die antideutschen Töne allerdings lauter geworden. Das gilt nicht nur für das öffentliche Auftreten von Parteien des rechten Spektrums, sondern auch für die von ihnen dominierten Medien. Im Rundfunksender Polskie Radio ist deutschlandfeindliche Propaganda an der Tagesordnung, regelmäßig auch in den Sendungen der Fernsehstationen von Telewizja Polska. Natürlich haben solche Tendenzen eine deutlich innenpolitische Funktion.
Wenn Deutschland angegriffen wird, dann vor allem in zweierlei Hinsicht. Erstens geht es darum, Deutschland als die absolut dominante Macht in Europa darzustellen, deren Ziel es sei, die anderen Staaten auf dem Kontinent zu beherrschen. Nicht selten wird dabei an das 19. Jahrhundert erinnert, als Deutschland zu den Teilungsmächten Polens gehörte, oder an die deutsche Besetzung des Landes im Zweiten Weltkrieg. […]
Zum Zweiten geht es darum, Deutschland als das Land zu charakterisieren, das neben Russland die größte Verantwortung für die Aggression gegen die Ukraine trägt und außerdem das größte Hindernis für eine wirksame politische und vor allem militärische Hilfe für die Ukraine ist. […]
Autor: Reinhold Vetter
Sicherheitspolitische Lage
Entgegen der Aushandlungen auf sicherheitspolitischer Ebene, verläuft die militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen weitgehend reibungslos. Zentrales Symbol hierfür ist das in Stettin beheimatete Multinationale Korps Nordost der NATO. Dieses wurde unter leitender Mitwirkung Dänemarks 1999 gegründet und seitdem weiter ausgebaut.
Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist die Bedeutung des Militärs, die in Polen seit jeher groß war, auch in Deutschland sichtbarer geworden. Polen plant in den nächsten Jahren, unter weitaus stärkerer Akzeptanz der Bevölkerung, eine deutliche Aufrüstung. Die polnische Regierung beruft sich auf ihre wiederholten Warnungen vor dem imperialen Russland. Dies gilt auch für die jahrelang angeprangerte wirtschaftliche Zusammenarbeit Deutschlands mit jenem Russland, wie die beiden Erdgaspipelines in der Ostsee, aber auch die unkritische Verflechtung ganzer Wirtschaftsbereiche. Dabei wird allerdings häufig außer Acht gelassen, dass auch
Migration und Flucht
Migration ist in Deutschland ein dominierendes Thema, das in Polen lange Zeit kaum eine Rolle spielte bzw. lediglich als Negativfolie diente. Flüchtende aus Vorder- und Zentralasien sowie Nordafrika,
Der kritischen Haltung – auch großer Teile der polnischen Bevölkerung – gegenüber Flüchtenden aus dem Nahen Osten und ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken, scheint die unbürokratische
Dies fällt umso mehr ins Gewicht, da die polnisch-ukrainischen Beziehungen seit Ende des Ersten Weltkriegs als schwer belastet gelten.
Demokratie unter Druck
Der zweifellos größte Störfaktor an der polnischen Regierung, sind aus deutscher Sicht diverse Maßnahmen zur Einschränkung gesellschaftlicher Pluralität – insbesondere im Justiz- und Mediensektor. Hinzu kommen Unterschiede in grundlegenden weltanschaulichen Fragen, wie dem
Während die letztgenannten Themen auch in der deutschen Öffentlichkeit breit und kontrovers diskutiert werden, wird die Einschränkung demokratischer checks and balances seit Längerem kaum noch diskutiert. Entsprechende Gegenmaßnahmen werden von politischen und/oder juristischen Organen auf EU-Ebene eingeleitet, was wiederholt zu Verboten bzw. Strafzahlungen geführt hat.
Da auch die polnische Gesellschaft in all diesen Fragen tief gespalten ist, wäre es falsch – wie Teile der polnischen Regierung – von einer von außen (Deutschland, EU) gesteuerten Kampagne zu sprechen. Es geht nicht etwa um alternative Entwicklungen innerhalb eines breit gesteckten demokratischen Rahmens, sondern im Falle der
In Wahlkampfphasen verstärkt vor allem die PiS-Partei die Kritik an Deutschland. Dabei spielt der Zweite Weltkrieg ebenso eine Rolle, wie die allgemeine Wahrnehmung bzw. Interpretation des deutschen Verhaltens als übergriffig und kolonial. Die politische Opposition wird dann zusätzlich als „Handlangerin deutscher Interessen“ dargestellt.
Umweltfragen als trennendes Element
Fragen des Umweltschutzes und des Klimawandels haben in der polnischen Gesellschaft, von wenigen Ausnahmen abgesehen,
Im August 2022 fand ein massives Fischsterben in der Oder statt. (© picture-alliance, EPA | Marcin Bielecki)
Im August 2022 fand ein massives Fischsterben in der Oder statt. (© picture-alliance, EPA | Marcin Bielecki)
In diesen Kontext fällt auch die jahrzehntelange Vernachlässigung des grenzüberschreitenden Schienenverkehrs. Diese hat zur völligen Überlastung deutscher Straßen beigetragen, da auf diese Weise offenbar existenziellen Güter aus Polen für die deutsche Wirtschaft transportiert werden. Vor allem auf deutscher Seite sind Maßnahmen zur Verbesserung der Bahninfrastruktur und zur Beseitigung der Kriegsschäden erst sehr spät oder gar nicht unternommen worden. Wichtige Anlaufpunkte im Personenverkehr wie Breslau, Stettin oder Krakau sind seit Jahren nicht angemessen erreichbar. Der Gütertransport von und nach Polen scheitert häufig unter anderem an den fehlenden Oberleitungen auf deutscher Seite.
Deutsch-polnischer Alltag
Seit 1989 hat sich, allen Unterschieden in der politischen Wahrnehmung und Praxis zum Trotz, ein enges nachbarschaftliches Geflecht herausgebildet. Dieses ist weniger als früher von gesellschaftlichen Organisationen geprägt als vielmehr von direkten zwischenmenschlichen Beziehungen. Getragen wird es von den sich
Externer Link: Laut dem Deutsch-Polnischen Barometer empfinden ungefähr die Hälfte der Einwohner*innen beider Länder so etwas wie Sympathie für den Nachbarn. In Polen ist allerdings erkennbar, dass der Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen allmählich negativer eingeschätzt wird, als in Deutschland. Das Wissen übereinander ist freilich nach wie vor deutlich verbesserungswürdig. Auf der einen Seite ist es bemerkenswert, dass die Zahl deutscher Tourist*innen in Polen deutlich zugenommen hat (2022 waren es fast 3 Mio.). Auf der anderen Seite lässt sich in Deutschland ein unterschwelliges
Nicht unterschätzt werden darf wiederum, wie sehr die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs nach wie vor die polnische Gesellschaft prägen. Dies hat nicht nur mit der Weitergabe von Informationen in der Familie zu tun, sondern ist auch eine Folge der staatlichen Bildungs- und Geschichtspolitik der letzten Jahrzehnte.