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Parteien und Wahlbündnisse | Polen | bpb.de

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Parteien und Wahlbündnisse Parlamentswahl 2023

Claudia-Y. Matthes

/ 15 Minuten zu lesen

Am 15. Oktober haben in Polen Parlaments- und Senatswahlen stattgefunden. Welche Parteien und Wahlbündnisse traten zur Wahl an? Und wie sind ihre programmatischen Ausrichtungen?

Bei der letzten Parlamentswahl 2019 wurde die nationalkonservative Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) stärkste Kraft. Sie erreichte 43,59 Prozent der Stimmen. Zweitstärkste Kraft wurde die liberalkonservative "Bürgerkoalition" mit 27,4 Prozent. (© picture-alliance, PAP | Leszek Szymanski)

Erneut gilt die kommende Parlamentswahl, die am 15. Oktober 2023 abgehalten wird, als Richtungsentscheid für die Zukunft Polens. Interner Link: Die Veränderungen, welche die Regierungsparteien im Justizwesen veranlassten und die zu diversen Sanktionen durch die EU wegen Mängeln in der Rechtstaatlichkeit führten, sowie Interner Link: die Verschärfung des Abtreibungsrechts haben das gesellschaftliche Klima im Land polarisiert. Seit 2015 geht es bei jeder Wahl nicht nur um die in Demokratien üblichen Debatten über Sachthemen, sondern sehr viel grundsätzlicher um das politische System sowie das Verhältnis Polens zu seinen Nachbarn und zur EU.

Insbesondere die jetzige nationalkonservative Regierung versucht ihre politische Konkurrenz mit falschen Anschuldigungen persönlich zu diskreditieren, sie schürt Ressentiments gegenüber Minderheiten und nutzt dafür auch die öffentlich-rechtlichen Medien, die sie kontrolliert (Horonziak 2022). Von den vielen politischen Gruppierungen haben folgende fünf Wahlbündnisse, bzw. Parteien, die größten Chancen ins Parlament einzuziehen.

Recht und Gerechtigkeit (PiS)

Die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, kurz PiS) stellt momentan die stärkste Fraktion im Parlament (Sejm) sowie den amtierenden Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Die Gründer der PiS, der derzeitige Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński, und sein verstorbener Zwillingsbruder Lech Kaczyński, kommen aus dem konservativ-nationalen Flügel der Interner Link: Gewerkschaft Solidarność und waren seit dem Systemwechsel 1989 in verschiedenen Funktionen und Gruppierungen politisch aktiv. Zum Kernthema der 2001 gegründeten Partei wurde ihre Kritik am Verfassungs-Kompromiss von 1989, obgleich Lech Kaczyński diesen mit ausgehandelt hatte (Ziemer/Matthes 2010: 247-248). Weiterhin postuliert die PiS, es hätte nach 1989 keine ausreichende „De-Kommunisierung“ etwa in der Justiz, Verwaltung und Wirtschaft gegeben. Damit begründet die Partei unter anderem mehrere Reformen, die auf den Umbau der Justiz abzielen. Schon in ihrer ersten Regierungszeit von 2005 bis 2007 verkündete die PiS den Beginn der Vierten Republik und setzte in der Schulbildung, in den staatlichen Museen, insbesondere beim Thema Zweiter Weltkrieg, sowie beim öffentlichen Gedenken an historische Ereignisse Interner Link: ihr national gefärbtes Bild der Geschichte durch.

Dazu gehört ebenfalls ein konservatives Familienmodell. Die PiS hat zwar einige wenige Ministerinnen in ihrer Regierung und Beata Szydło war von 2015 bis 2017 Regierungschefin, in ihrer Sozial-, Familien- und Bildungspolitik propagiert die PiS jedoch den Fortbestand traditioneller Rollenmodelle. Die Einführung eines Kindergelds zum April 2016, das zunächst für jedes zweitgeborene Kind 500 Złoty pro Haushalt vorsah, ab 2019 auch für jedes Erstgeborene, erwies sich als großer Erfolg für die Partei. Das Kindergeld besserte das Haushaltseinkommen vieler Familien um ca. zehn Prozent deutlich auf. Maßnahmen zur besseren Kinderbetreuung oder Vereinbarkeit von Familie und Beruf gab es nicht. Dafür steigerten mehrere Rentenerhöhungen und andere Sozialleistungen sowie überhaupt die Anerkennung sozialer Schieflagen, welche die Vorgängerregierung vernachlässigt hatte, die Unterstützung für die PiS (Matthes 2021: 125).

Mit dem faktischen Abtreibungsverbot hingegen hat sie große Teile der Bevölkerung gegen sich aufgebracht. Zu dem Gesetz kam es durch ein bestelltes Urteil des polnischen Verfassungsgerichts vom Oktober 2020, das in Kooperation mit Ordo Iuris entstand, einer ultrakonservativen juristischen Denkfabrik. Eine Abtreibung ist seitdem nicht mehr bei medizinischer Indikation, sondern nur noch bei Straftaten erlaubt. Da letztere bislang jedoch in nur zwei Prozent der Fälle der Grund für den Eingriff darstellten, gibt es kaum noch legale und damit gesundheitlich sichere Möglichkeiten für eine Abtreibung in Polen. Dieses Urteil führte zu wochenlangen heftigen Protesten, trotz der Beschränkungen während der Corona-Pandemie (Matthes 2021: 120, Gwiazda 2020). Interner Link: In der Beziehung zu Deutschland setzt die PiS immer wieder auf Konfrontation: In jüngster Zeit wurden etwa erneut die Forderung nach Kriegsreparationen von 1,3 Billionen Euro in die Debatte gebracht oder Deutschland wird vorgeworfen, sich in die polnische Innenpolitik einzumischen. Hinzu kommt Interner Link: seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ein starkes Drängen Polens auf mehr Waffenlieferungen und einen schnellen EU-Betritt. Das Misstrauen gegenüber der deutschen Politik erwuchs auch aufgrund ihres lange Zeit engen Verhältnisses zu Russland und dem Beharren auf der Nord Stream 2 Pipeline.

Schon früher und auch jetzt im Wahlkampf werden Politiker:innen der Opposition direkt angegriffen, insbesondere der ehemalige Ministerpräsident Donald Tusk, dem die PiS vorwirft, im Auftrag Deutschlands zu handeln (Lang 2022, Horonziak 2022: 278, Tagesschau 2023a). Generell sind die gegenseitigen Wahrnehmungen der Bevölkerungen beider Länder weiterhin gut, manche Beurteilungen korrelieren in Polen jedoch mit der politischen Einstellung der Befragten (Kucharczyk/Łada-Konefał 2023: 10).

Personell ist die PiS nach wie vor auf Jarosław Kaczyński zugeschnitten. Er führt die Regierung programmatisch, auch wenn er ihr nicht immer offiziell angehört. Nachdem er von Oktober 2020 bis Juni 2022 stellvertretender Regierungschef mit einem Portfolio für Sicherheit war, widmete er sich anschließend nach eigenen Aussagen wieder der Parteiarbeit. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki berief ihn im Juni 2023 erneut ins Kabinett, was Beobachter:innen als Reaktion auf die stagnierenden Umfragewerte im Vorfeld des Wahlkampfs deuten. Denn trotz der großzügigen Sozialpolitik nimmt die Kritik an den Maßnahmen der PiS zu: Ihre Praxis, wohlgesonnene Personen auf wichtige Posten zu hieven, wird zunehmend als Klientelismus wahrgenommen. Ihre Steuerreform vom Januar 2022, Nowy Ład (Polnische Ordnung), erwies sich aufgrund inhärenter Mängel als unvorteilhaft für die eigenen Wähler:innen, sodass Finanzminister Tadeusz Kościński in der Folge zurücktrat und das Programm kaum noch Erwähnung findet. Und obwohl Sicherheitsfragen infolge des Kriegs in der Ukraine die PiS in den Umfragen um etwa fünf Prozentpunkte nach vorne brachten, schmolzen die Popularitätspolster durch die steigende Inflation von 16,6 % im Dezember 2022 sowie für die Strom- und Gaspreise, wieder ab (Gregosz/Behrens 2023: 2).

Wahlbündnis Vereinigte Rechte

Für die Sejm-Wahl tritt die PiS erneut als Wahlbündnis Vereinigte Rechte (Zjednoczona Prawica, kurz ZP) an. Darin vereint sind weiterhin die Partei Souveränes Polen (Suwerenna Polska, kurz SP) unter Justizminister Zbigniew Ziobro, der sich 2012 von der PiS abgespalten hatte, sowie ein neuer Partner, die seit 2021 bestehende Republikanische Partei (Partia Republikańska, kurz PR) unter dem Vorsitz von Adam Bielan, der ebenfalls seit langem in der polnischen Politik aktiv ist. Die PR ersetzt die Partei des ehemaligen Wissenschafts- und späteren Wirtschaftsministers Jarosław Gowin, der mit seiner Partei Verständigung (Porozumienie) im August 2021 aus der Regierung ausgeschieden war. All diese Parteien wären alleine unter fünf Prozent geblieben, sodass ein Bündnis mit der PiS ihr politisches Überleben sichert. Im Wahlkampf versucht die Vereinigte Rechte weiter mit ihrer Sozialpolitik zu punkten. Sie beschloss das Kindergeld auf 800 Złoty zu erhöhen, Medikamente an unter 18- und über 65-jährige kostenlos abzugeben und die Mautgebühren auf Autobahnen abzuschaffen. Auch gilt seit Juli 2023 ein höherer Mindestlohn. Die Finanzierung dieser Maßnahmen ist allerdings bei der hohen Inflation und einem Wirtschaftswachstum von ca. einem Prozent schwierig. Belastet wird der Staatshaushalt zudem durch die Aufnahme vieler Geflüchteter aus der Ukraine. Deren offensive Unterstützung wird von nahezu allen Parteien getragen und ist kein Wahlkampfthema. Der Kompromiss zum EU-Asylrecht wird hingegen stark politisiert. Die PiS Regierung lehnt es ab, für Geflüchtete die das Land nicht aufnimmt, künftig Ausgleichszahlungen leisten zu müssen (Tagesschau 2023a).

Während die Unterstützung der Ukraine Polen viel Anerkennung in Europa einbrachte, bleibt neben dem Asylrecht die Rechtstaatlichkeit ein zentraler Konfliktpunkt. Ein neues Gesetz zum Obersten Gericht vom 8. Februar 2023, mit dem die PiS-Regierung erhofft hatte die Auflagen zu erfüllen, reichte der Europäischen Kommission nicht aus. Präsident Andrzej Duda legte ein Veto ein und leitete den Entwurf an das Verfassungsgericht weiter, doch seitdem stagniert die Angelegenheit. Sowohl das Art. 7-Verfahren, als auch aktuelle Klagen beim Europäischen Gerichtshof laufen weiter. So erhält Polen wegen der weiterhin bestehenden Mängel in der Rechtsstaatlichkeit immer noch kein Geld aus dem Covid-Wiederaufbaufonds.

Im Frühjahr 2023 wurde eine Debatte um den früheren Papst Johannes Paul II. wieder virulent, als bekannt wurde, dass er schon als Erzbischof von Krakau Missbrauchsfälle eines pädophilen Priesters gedeckt haben soll. Allerdings schadete dieses Thema und ihr Festhalten am positiven Bild des Papstes der PiS kaum. Vielmehr konnte sie die Berichterstattung als ungerechtfertigte Kritik am Papst zurückweisen und im Wahlkampf für sich nutzen, während die Opposition die Angelegenheit sehr unterschiedlich bewertete und sich dieser Streit in Umfragen eher negativ auswirkte.

Bürgerplattform (PO)

Die größte Oppositionspartei, die Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, kurz PO), entstand im Januar 2001 als liberal-konservative Partei. Die PO hat ideelle wie personelle Wurzeln in verschiedenen liberalen und konservativen Parteien, wie auch in der Solidarność-Bewegung. Von 2007 bis 2015 stellte sie mit Donald Tusk den Ministerpräsidenten. Der europäischen Integration steht sie sehr positiv gegenüber (Ziemer/Matthes 2010: 248). Nach seiner Regierungszeit in Polen war Tusk von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates und bis 2022 Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), in der auch die CDU/CSU Mitglied ist.

Die PO steht für eine liberale Wirtschaftspolitik, weswegen die PiS ihr stets Versäumnisse in der Sozialpolitik vorwirft. Sie hat sich aber schon vor den letzten Parlamentswahlen von 2019 klar dazu bekannt, das Kindergeld beizubehalten und die Rentenreformen nicht zu revidieren. Trotzdem hat sie mit dem Etikett zu kämpfen, dass sie die Interessen der urbanen, gebildeten und beruflich gut situierten Bevölkerung vertritt und zu abgehoben für ärmere oder auf dem Land lebende Menschen sei (Matthes 2016).

Gesellschaftspolitisch versucht die PO das liberale sowie das konservative Lager anzusprechen und schwankt bei Themen wie der gleichgeschlechtlichen Ehe, dem Verhältnis zur Kirche oder zur Abtreibung mal in die eine oder die andere Richtung. Inzwischen hat sie sich in der Abtreibungsdebatte deutlich positioniert und befürwortet eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs bis zur zwölften Woche. In der Frage der Justizreformen der PiS-Regierung steht sie klar auf Seiten der EU. Sie hat aber mit dem Vorwurf zu kämpfen, dass sie 2015 kurz vor der Übergabe der Amtsgeschäfte noch zwei Richter für das Verfassungsgericht besetzte, obwohl deren Amtszeit erst nach dem Regierungswechsel abgelaufen wäre.

Eigene Skandale, wie der Fall mehrerer abgehörter Treffen in Restaurants, bei denen wichtige Politiker und Unternehmer verschiedene Absprachen zu politischen Angelegenheiten trafen, und die ein Nachrichtenmagazin 2014 publik machte, verstärkten den Eindruck, die PO sei abgehoben und elitär. Ihr Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2020, Rafał Trzaskowski, seit 2018 Bürgermeister (Stadtpräsident) von Warschau, ist hingegen sehr populär. Amtsinhaber Andrzej Duda gewann im zweiten Wahlgang nur sehr knapp mit 51 %. Trzaskowski und auch Tusk, der im Oktober 2021 wieder Parteivorsitzender wurde, organisieren seitdem zahlreiche Diskussionsrunden und Veranstaltungen mit Bürger:innen im ganzen Land. Dieser Dialog hat der PO neuen Rückhalt beschert (Majcherek 2023).

Wahlbündnis Bürgerkoalition (KO)

Für die kommende Parlamentswahl tritt die PO wie schon 2019 im Bündnis mit weiteren Parteien als Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, kurz KO) an. Im Vorfeld war ein Zusammenschluss aller Oppositionsparteien wie zur Europawahl 2019 (Markowski 2020) als Europäische Koalition (Koalicja Europejska, kurz KE) lange diskutiert worden. Da sie aber in dieser Konstellation nicht mehr Stimmen als die Vereinigte Rechte erzielen konnte und die anderen Oppositionsparteien die Dominanz der PO fürchteten, blieb es für die Parlamentswahl 2023 bei getrennten Bündnissen.

In ihrem Wahlprogramm setzt die KO auf gesellschaftlichen Zusammenhalt, EU-Bindung und Sicherheit. Sie rückte auch näher an zwei ihrer Partner, die Grüne Partei (Partia Zieloni) und die liberale Moderne (Nowoczesna, kurz .N), die weiter links stehen als die PO. Beide Parteien kämen alleine nicht ins Parlament. Nachdem die .N 2015/16 für eine ganze Weile und auch 2019 in den Wahl-Umfragen sogar vor der PO lag, verlor sie nach einigen Personalquerelen an politischer Bedeutung. Die Bindung ihrer Wählerschaft und Stimmenanteile sind für den Erfolg der KO trotzdem relevant.

Die KO hat allerdings damit zu kämpfen, dass die PiS ihre Macht über die Medien nutzt und Unwahrheiten verbreitet, insbesondere über Donald Tusk. Ende Mai trat ein Gesetz in Kraft, das die Opposition als Lex-Tusk bezeichnete. Das Gesetz sieht vor, dass im Namen der polnischen Staatssicherheit ein Komitee russischen Einfluss auf die polnische Politik ab dem Jahr 2007, dem Amtsantritt der PO-PSL Regierung, untersuchen und Politiker:innen, die sich dieses Vergehens schuldig machen, für zehn Jahre aus politischen Ämtern verbannen soll. Donald Tusk wird von der PiS-Regierung vorgeworfen, ungünstige Gasverträge für Polenunterzeichnet zu haben (Majcherek 2023: 4-5). Die Europäische Kommission hat daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen initiiert, da das Gesetz „in unzulässiger Weise in den demokratischen Prozess eingreift“ (Süddeutsche Zeitung, 07.06.2023; Europäische Kommission, 08.06.2023).

Polska 2050

Die jüngste Partei in Polen, Polska 2050, formierte sich nach den Präsidentschaftswahlen im Juni/Juli 2020. Sie galt ebenfalls eine Zeitlang als ernstzunehmende Alternative zur PO. Denn ihr Vorsitzender Szymon Hołownia, ein ehemaliger, recht populärer katholischer Publizist und Fernsehmoderator, erreichte bei der Präsidentschaftswahl 2020 überraschend im ersten Wahlgang 14 % der Stimmen. Die Partei erlebte danach einen Höhenflug und erlangte in den Umfragen 2021 mitunter mehr als 20 % und lag somit vor der PO (Gregosz/Lemmen/Womela 2023: 3).

Die Programmatik von Polska 2050 ist eine Mischung aus christdemokratischen Werten und ökologisch-grünen Zielsetzungen. So unterstützt sie den New Green Deal der EU sowie sozialdemokratische Vorstellungen. Polska 2050 konnte damit einige Abgeordnete aus der PO, der .N und anderen Parteien zum Übertritt bewegen. Mit dem Wechsel der Europaabgeordneten Róża Thun von der PO zu Polska 2050 trat die Partei im EU Parlament der liberal-zentristischen Fraktion Renew Europe bei. Auch im Sejm hat sie nach Fraktionswechseln nun mehrere Abgeordnete.

Polnische Bauernpartei (PSL)

Die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, kurz PSL) ist die älteste und mitgliederstärkste Partei in Polen, deren Geschichte bereits Ende des 19. Jahrhunderts begann. Während des Sozialismus bestand sie als Satellitenpartei in der Nationalen Einheitsfront, reorganisierte sich aber nach 1989. Sie hat traditionell ihre Wählerschaft im ländlichen Raum, vertritt konservative Werte und ist gegenüber Polens EU-Zugehörigkeit ambivalent (Ziemer/Matthes 2010: 250). Seit sie bemerkt hat, dass dieser für die kleinräumliche polnische Landwirtschaft durchaus vorteilhaft war, tritt sie zumeist EU-freundlich auf und ist wie die PO Mitglied der EVP. Von 2007 bis 2015 war sie Koalitionspartner der PO und schon zuvor, in den 1990er Jahren, mehrmals Teil einer Regierung. Mit dem Erfolg der PiS erwuchs der PSL auf dem Land starke Konkurrenz, wobei sie mit dieser auch zusammenarbeitete.

Bei der Wahl ihrer Partner ist die PSL generell recht flexibel. So schloss sie sich bei der Europawahl im Mai 2019 der KE an und trat im Herbst des gleichen Jahres bei der Parlamentswahl als Polnische Koalition (Koalicja Polska, kurz KP) zusammen mit Kukiz'15 an, einer populistischen Partei, die kurzfristig politisch erfolgreich war und nach ihrem Vorsitzenden, dem ehemaligen Rocksänger Paweł Kukiz benannt ist. Für die kommende Wahl bildete sie als Dritter Weg (Trzecia Droga, TD) ein Bündnis mit Polska 2050. Ihren beiden Vorsitzenden Władysław Kosiniak-Kamysz (PSL) und Szymon Hołownia (Polska 2050), steht ein schwieriger Wahlkampf bevor: Denn das Interesse der PSL, die konservative Bauernschaft zu vertreten, und das von Polska 2050, die europäische Klimapolitik zu unterstützen, sind nicht einfach zu vereinen.

Bund der Demokratischen Linken (SLD)/ Neue Linke

Den größten Wandel inhaltlich, personell und hinsichtlich der Wahlerfolge durchlebte der Bund der Demokratischen Linken (Sojusz Lewicy Demokratycznej, kurz SLD), heute Teil der Neuen Linken (Nowa Lewica). Der SLD entstand 1991 aus der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, kurz PZPR) und gab sich zu Beginn der 1990er Jahre ein neues, sozialdemokratisches Profil. 1993 wurde er stärkste politische Kraft und bildete eine Koalition mit der PSL. Ministerpräsident wurde zunächst Waldemar Pawlak (PSL), später übernahm ein SLD-Vertreter. Von 1995 bis 2005 stellte der SLD mit Aleksander Kwaśniewski auch den Staatspräsidenten, wurde Mitglied der sozialdemokratischen Parteifamilie in Europa und stützte den Übergang zur Marktwirtschaft. Kleine, linke Parteien aus der Solidarność schlossen sich später dem SLD an und trugen mit dazu bei, dass dieser sich von seinem postsozialistischen Image entfernen konnte.

Aufgrund diverser Korruptionsskandale verlor die Partei die Wahlen 2005, nach ihrer zweiten Regierungszeit ab 2001 (Ziemer/Matthes 2010: 245-246). Hinzu kamen personelle Querelen, sodass der SLD einige Jahre in der Bedeutungslosigkeit versank. In der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung dominerten dann der Disput zwischen PiS und PO über die Geschichte und Rolle der Opposition im Sozialismus sowie die Bewertung des Systemwechsels.

Auch im Bereich der Sozialpolitik konnte der SLD gegenüber der PiS wegen ihrem Eintreten für staatliche Interventionen in die Wirtschaft längere Zeit nicht punkten. Erst seit 2019, als die Linke unter neuer Führung von Włodzimierz Czarzasty wieder ins Parlament einzog und sozialpolitische sowie gesellschaftlich linke, progressive Themen ansprach, gelang es ihr, neue Wähler:innenschichten zu erschließen (Markowski 2020: 1520). Der SLD ist zudem stark antiklerikal ausgerichtet, weswegen er gerade für weibliche Wählerinnen attraktiver erscheint als die PiS – aber auch als die PO, die als zu wirtschaftsliberal wahrgenommen wird und sich erst kürzlich in der Abtreibungsfrage positioniert hat.

Für die Sejm- und die Europawahl hatte sich der SLD u.a. mit der kleinen Partei Frühling (Wiosna) zum Wahlbündnis Lewica (Linke) zusammengeschlossen. Spitzenkandidat der Wiosna war Robert Biedroń, der ehemalige Bürgermeister von Słupsk. Er ist offen homosexuell, ein Novum in Polen, und sehr populär bei jungen Leuten. Als Politiker der Sacharbeit an der Basis leistet und dort Erfolge vorweisen kann, wurde er zum linken Hoffnungsträger und international bekannt. Mit der Wahl ins Europaparlament verschwand Biedroń in Polen aus der öffentlichen Wahrnehmung. Seit 2021 aber, als SLD und Wiosna formal zur Partei Nowa Lewica fusionierten, fungiert er neben Czarzasty als zweiter Vorsitzender. Die Partei vertritt weiterhin eine sozialdemokratische Programmatik und pro-europäische Werte.

Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit (KON)

Politisch am weitesten rechts steht die Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit (Konfederacja Wolność i Niepodległość, KON), ein Zusammenschluss der Parteien Neue Hoffnung (Nowa Nadzieja, kurz NN) und Nationale Bewegung (Ruch Narodowy, kurz RN) und anderen kleineren Formationen.

Auch sie repräsentiert Ideen und Personen, die schon längere Zeit in verschiedenen Formationen in Polen politisch aktiv sind. Die KON ist euroskeptisch, klar rechtsextrem und verfolgt in der Wirtschaftspolitik libertäre Ideen. Damit ist sie für die PiS ein schwieriger Koalitionspartner, auch wenn sich das Geschichts- und Gesellschaftsbild ähneln.

In den Umfragen legt sie seit Frühjahr 2023 stetig zu und liegt nach PO und PiS mit knapp elf Prozent der potentiellen Stimmen auf dem dritten Platz. Insbesondere der Ko-Vorsitzende Sławomir Mentzen, auch seit 2022 Chef der NN, ein junger Unternehmer, ist in den sozialen Medien äußerst populär. Er hat dort vier Mal so viele Follower wie andere bekannte Politiker:innen und ist vor allem bei jungen Männern durch seine zahlreichen Auftritte in Kneipen und an anderen öffentlichen Orten sehr beliebt. Ebenso wie Polska 2050 versucht sich die KON als Alternative zum Dualismus zwischen PO und PiS zu präsentieren. Ihre pro-russische und anti-ukrainische Haltung schadet ihr nicht. Sie nutzte etwa den Konflikt um den ukrainischen Weizen medial für sich (Großmann 2023, Gregosz/Behrens 2023: 7).

Senatswahl und Referendum

Relevant werden im Oktober zwei weitere Entscheidungen: So wird nicht nur über die Zusammensetzung des Sejms (Unterhaus), sondern auch über die zweite Kammer, den Senat (Oberhaus), abgestimmt. Seine 100 Abgeordneten repräsentieren 41 Wahlkreise, in denen sie mit relativer Mehrheit direkt gewählt werden. Hier gewann die Opposition 2019 eine sehr knappe Mehrheit, indem sie immer nur eine:n ihrer Kandiat:innen unterstützte. Für die kommende Abstimmung ist diese Strategie wieder vorgesehen. Da der Senat jedoch nur ein aufschiebendes Veto in der Gesetzgebung hat, zeigte diese andere Mehrheit in der politischen Praxis keine besondere Relevanz.

Außerdem hat die PiS für den Wahltag ein Referendum durchgesetzt, mit dem sie unter anderem über den EU-Asylkompromiss abstimmen lassen will – auch wenn das Ergebnis keinen Einfluss auf die bereits getroffene Entscheidung zwischen den Mitgliedstaaten hat. Die Frage soll in etwa so lauten: „Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegalen Einwanderern aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme?“ Die Opposition weist sie daher als manipulativ zurück. Auch die drei anderen Fragen, zur Privatisierung staatlicher Unternehmen, die suggeriert, dass der Ausverkauf polnischen Staatsvermögens an ausländische Investor:innen verhindert werden müsse, zum Renteneintrittsalter und zur Befestigung an der Grenze zu Belarus, sind so formuliert, dass sie nur mit „nein“ beantwortet werden können (Tagesschau 2023b).

Prognose

Umfragen zufolge könnte es für die PiS bzw. die Vereinigte Rechte bei der Parlamentswahl 2023, wieder auf eine Mehrheit der Mandate hinauslaufen. Wer aber letztlich eine Regierung bilden können wird, ist ungewiss. Zum einen wird die Sitzverteilung nach d’Hondt darüber entscheiden, welche Regierung zustande kommt – ein Verfahren, das die Partei mit den meisten Stimmen begünstigt. Zum anderen besteht für einzelne Parteien eine fünf Prozenthürde, für Wahlbündnisse aber eine acht Prozenthürde, sodass auch das Abschneiden der kleineren Bündnisse entscheidend dafür sein wird, wer am Ende Ministerpräsident:in wird.

Die Wahlbeteiligung ist in den letzten Jahren gestiegen. Die Polarisierung mobilisierte offensichtlich viele Wähler:innen: Während 2015 nur 50,92 % zur Wahl gingen, waren es 2019 wieder 61,74 %, eine ähnliche Quote wird für die kommende Wahl erwartet. Auch bei der Wahl zum Europarlament 2019 hatte sich die Teilnahme im Vergleich zu 2014 auf 45,68 % verdoppelt und bei den Präsidentschaftswahlen im Juni und Juli 2020, war sie mit 64,5 % im ersten und 68,2 % im zweiten Wahlgang ebenfalls höher als zuvor (Matthes 2021: 122). Zudem ist die Wähler:innenbindung zu Parteien über die Jahre gewachsen und nur sieben Prozent sind einer Umfrage zufolge noch unschlüssig, welche Partei sie wählen wollen (Warsaw Voice, 2023). Trotzdem bleibt die Dynamik im polnischen Parteiensystem bestehen und es ist offen, ob eher linke oder rechte Parteien das Zünglein an der Waage bilden werden.

Quellen / Literatur

  • Gregosz, David/Behrens, Thomas, 2023: For more years of “Law and Justice”? Parliamentary election scenarios for the PiS, Poland’s governing party. Länderbericht April, KAS Poland office, Warschau: Konrad-Adenauer Stiftung

  • Gregosz, David/Lemmen, Daniel J./Womela, Piotr, 2023: Is political change on the horizon? The Polish opposition ahead of the 2023 parliamentary elections. Länderbericht Februar, Foundation Office Poland, Warschau: Konrad-Adenauer-Stiftung

  • Externer Link: Großmann, Viktoria, 2023: Aufstieg der jungen Rechten, Süddeutsche Zeitung. (04.05.2023)
  • Gwiazda, Anna, 2021: Right-wing populism and feminist politics: The case of Law and Justice in Poland, International Political Science Review, 42/5, 580-595

  • Horonziak Sonia, 2022: Dysfunctional democracy and political polarisation: the case of Poland, Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 16, 265-289

  • Kucharczyk, Jacek/Łada-Konefał, Agnieszka, 2023: Zwiegespaltene Polen, Skeptische Deutsche. Gegenseitige Wahrnehmungen vor dem Hintergrund der polnischen und deutschen Geschichtspolitik. Deutsch-Polnisches Barometer 2023, Teil 2, Warschau: Institut für Öffentliche Angelegenheiten, Darmstadt: Deutsches Polen-Institut

  • Lang, Kai-Olaf, 2022: Warschaus konfrontative Deutschlandpolitik. Im bilateralen Verhältnis ist derzeit Konsolidierung, nicht Weiterentwicklung gefragt, SWP Aktuell Nr. 68 November, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik

  • Majcherek, Janusz A., 2023: Die innenpolitische Situation vor den Parlamentswahlen im Herbst, Polen-Analysen Nr. 313, 04.07.

  • Markowski, Radoslaw, 2020: Plurality support for democratic decay: the 2019 Polish parliamentary election, West European Politics, 43/7, 1513-1525

  • Matthes, Claudia-Y.: Polen, 2021: Erosion von Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit – Ausbau des Sozialstaats. Das konservativ-nationale Programm der PiS-Regierung, in: Verheugen, Günther/Vodička, Karel/Brusis, Martin (Hrsg.): Demokratie im postkommunistischen EU-Raum. Erfolge, Defizite, Risiken, Wiesbaden: Springer, 113-130

  • Matthes, Claudia-Yvette, 2016: The State of Democracy in Poland after 2007, in: Problems of Post-Communism, 63/5-6, 288-299

  • OSCE, 2023: Republic of Poland, Parliamentary Elections 2023, ODIHR Needs Assessment Mission Report, 18-24 May 2023, Warsaw

  • Externer Link: Süddeutsche Zeitung, 2023: EU-Kommission eröffnet Verfahren wegen Anti-Oppositions-Gesetz. (07.06.2023)
  • Externer Link: Tagesschau, 2023a: Per Referendum gegen den EU-Asylkompromiss. (24.06.2023)
  • Externer Link: Tagesschau, 2023b: Polen lässt über EU-Asylkompromiss abstimmen. (17.08.2023)
  • Externer Link: Warsaw Voice, 2023: Ruling party gains, opposition loses. (05.09.2023)
  • Ziemer, Klaus/Matthes, Claudia-Yvette, 2010: Das politische System Polens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas, Opladen: Leske + Budrich, 3. überarb. Aufl., 209-273

Fussnoten

Fußnoten

  1. Lech Kaczyński wurde 2005 zum Staatspräsidenten Polens gewählt und starb 2010 bei dem Absturz eines Regierungsflugzeugs in Smolensk.

  2. In Polen gilt die Zeit der polnisch-litauischen Adelsrepublik von 1569 bis zu den polnischen Teilungen 1795 als erste Republik, die Jahre zwischen 1918 und 1939 als zweite und die Zeit ab 1989 als Dritte Republik.

  3. rund 115 Euro (zum damaligen Wechselkurs)

  4. Da der ukrainische Weizen viel günstiger ist als der in der EU produzierte, fühlte sich die polnische Landwirtschaft bedroht und protestierte, sodass die PiS-Regierung im April 2023 schließlich beschloss, keinen Weizen mehr einzuführen.

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Claudia-Y. Matthes lehrt und forscht im Gebiet der Vergleichenden Politikwissenschaft zur europäischen Integration und zur Demokratie in Mittel- und Osteuropa. Sie ist akademische Leiterin der Internationalen Masterprogramme am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.