Die mit der Problematik literarischer Umbrüche, d. h. mit den Binnenzäsuren der literarischen Evolution befassten Kritiker sowie Literaturwissenschaftler sind sich weitgehend darin einig, dass das Jahr 1989 für die polnische Literatur keine grundlegenden Veränderungen mit sich brachte. Der Dichter und Kritiker Julian Kornhauser stellte fest: "Direkt nach 1989 erwartete man allgemein einen Umbruch auch in der Literatur. Das war zwar verständlich, doch aus historischer Perspektive völlig unbegründet."
Mit Sicherheit jedoch bewirkte das Jahr 1989 Umbrüche im Kulturbetrieb, die man durchaus als Schock oder Revolution bezeichnen könnte. Plötzlich gab es keine Zensur mehr. Seit sich in den 1960er Jahren unter maßgeblicher Beteiligung des literarischen Milieus eine sichtbare Opposition formiert hatte, war eine der wichtigsten Forderungen die Beschränkung oder Abschaffung der Zensur gewesen. Dass diese Forderung in der Folge auch von der ersten "Solidarność"-Bewegung übernommen wurde, war ein wichtiges Signal für die Verständigung der intellektuellen Eliten mit dem Arbeitermilieu. In der Praxis der 1980er Jahre hob die Regierung viele Verbote auf.
Die Abschaffung der Zensur bewirkte einen "Freiheitsschock" – allerdings wurden Publizistik, Literaturkritik und Literatur nun nicht zwangsläufig freier, sondern oft lediglich empfänglicher für Demagogie. Verbotenes zu äußern oder heimlich unbequeme Wahrheiten zu transportieren, war in der Volksrepublik Gegenstand eines Spiels zwischen Autoren, Zensoren und den Rezipienten gewesen, die nach Andeutungen und Doppelkodierungen suchten. Ironie und die Kunst der Anspielung hatten in hoher Blüte gestanden. Plötzlich stellte sich heraus, dass dieses Spiel sinnlos geworden war. An seine Stelle trat ein direktes Sprechen, welches für das Publikum oft weniger aufregend und künstlerisch uninteressant war.
Die Abschaffung der Zensur ermöglichte die Verwirklichung einer weiteren zentralen Forderung der Opposition: die Aufhebung der als ungerecht und zerstörerisch angesehenen Unterscheidung verschiedener Literaturumläufe.
Schockartig war auch der Wandel der ökonomischen Bedingungen, der sich grundlegend auf die Situation der Verlage und das System des Buchvertriebs auswirkte. Für eine kurze Zeit agierten nach 1989 viele Verlage des zweiten Umlaufs in einer Grauzone, Bücher wurden damals auf der Straße auf Feldbetten verkauft. Es galt das Schlagwort der ökonomischen Freiheit – "was nicht verboten ist, ist erlaubt". Dann stellte sich heraus, dass man Steuern zahlen musste. Nur wenige Verlage des zweiten Umlaufs verwandelten sich in normale, am Markt orientierte Unternehmen und von den Literaturverlagen überlebte kein einziger.
Die Krise erfasste auch die von alten Kadern geleiteten großen offiziellen Verlage, die auf die Bedingungen des freien Marktes und des Wettbewerbs nicht vorbereitet waren. Spektakuläre Bankrotte waren nur deshalb nicht zu verzeichnen, weil die Verlage meist in großen Gebäuden saßen und Räume vermieten konnten; darüber hinaus gingen sie mit Neuauflagen von Klassikern auf Nummer sicher. Mit dem Zusammenbruch des Hauptgroßhändlers der Volksrepublik, der zu Beginn der 1990er Jahre viele kleinere Häuser mit sich riss, verschärfte sich die Krise. Die Bibliotheken schränkten nach dem Wegfall staatlicher Subventionen ihre Anschaffungen drastisch ein, der Buchmarkt brach zusammen.
Unter den Jüngeren erwachte nach der Wende das Interesse am Feminismus. Es tauchten neue Autorinnen wie Manuela Gretkowska, Izabela Filipiak oder Magdalena Tulli auf. Besondere Aufmerksamkeit verdient Olga Tokarczuk, deren Werke beachtliche Erfolge beim Publikum erzielten. Kennzeichnend für ihre Prosa sind mythologisierende Verfahren, die Suche nach weiblichen Archetypen sowie Frauenfiguren, die von Anfang an nicht in traditionelle Rollenmuster passen und häufig mit magischen Kräften begabt sind. In jüngster Zeit ist auf der anderen Seite eine Blüte der homosexuellen Erzählprosa zu beobachten. Hier kann man von der sukzessiven Überwindung eines sittlichen Tabus sprechen. In Michał Witkowskis bekanntem Roman "Lubiewo" (2005, dt. Lubiewo) geht es jedoch weniger um die Aneignung westlicher Muster als vielmehr um die Darstellung einer polnischen Subkultur noch zu Zeiten der Volksrepublik.
Das Phänomen der Homosexuellen-Literatur ist ebenfalls nicht aus dem Nichts entstanden: Grzegorz Musiał hatte schon in den 1980er Jahren das homosexuelle Milieu geschildert. Nun weckt es aber das Interesse der Medien, nicht zuletzt im Kontext der Diskussionen über die Liberalisierung der Gesellschaft, die noch immer geführt werden – einem erstarkenden Konservatismus zum Trotz. Dieser findet, meist in Werken mittlerer Qualität, ebenfalls seinen literarischen Ausdruck. Viele Autoren aus dem rechten Lager, die zeitgleich mit dem Systemwechsel debütierten (Cezary Michalski, Rafał Ziemkiewicz, Andrzej Horubała), schalten sich mit Romanen in die aktuellen Debatten ein, welche Menschen auf der Suche nach Werten zeigen und die als oberflächlich empfundene Gegenwartskultur kritisieren.
Eine Generation noch jüngerer Prosa-Autoren, die in den 1970er und 1980er Jahren geboren wurden, zum Beispiel Dorota Masłowska, interessiert sich noch viel weniger als die Generation derer, die in den 1990er Jahren ihren literarischen Durchbruch erzielten, für politische Diskussionen. Ihr Bild Polens, das sich in ihren Werken widerspiegelt, ist durch Ironie, das Gefühl des Chaos und der Demaskierung der Falschheit offizieller Klischees gekennzeichnet.
Übersetzung: Bernhard Hartmann