Unter der Regierung von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS ) stürzte Polen in eine Krise der Rechtsstaatlichkeit. Die Teilung und gegenseitige Kontrolle der Gewalten – der Regierung, des Parlamentes und der Justiz – verschwinden. Die Exekutive hält zunehmend mehr Macht in ihren Händen. Anstatt ein Ort der Debatte über inhaltliche Entscheidungen, Zielsetzungen und die Wege, sie zu realisieren, zu sein, wurde der Sejm zu einer unreflektierten Abstimmungsmaschine für die von der Regierung eingebrachten Gesetze. Allein die Abgeordneten der Opposition und des Senats (in dem seit 2019 die Opposition die Mehrheit hält) bemühen sich, eine kontrollierende Funktion auszuüben. Fast alle zentralen Institutionen des Staates wie das Verfassungstribunal (Trybunał Konstytucyjny), die Polnische Nationalbank (Narodowy Bank Polski – NBP) oder der Landesrundfunk- und Fernsehrat (Krajowa Rada Radiofonii i Telewizji – KRRiT) sind ebenfalls der regierenden Partei untergeordnet. Die Regierung greift immer ausufernder nach den Ressourcen und Kompetenzen der kommunalen Behörden. Sie schwächt ihre Autonomie und finanziellen Möglichkeiten und bietet ihnen zunehmend Gelder an, die auf intransparente Art und Weise aus den zentral verwalteten Fonds vergeben werden. Damit entfernt sich die Regierung vom verfassungsmäßigen Prinzip der Subsidiarität und betreibt den Aufbau klientelistischer, korruptionsanfälliger Beziehungen zwischen dem Zentrum und den lokalen politischen Vertretern. Ähnlich wird mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen verfahren.
Die PiS vertieft auch den von ihr betriebenen Etatismus. Die vom Staat gehaltenen Unternehmen sind nicht nur reichhaltige Pfründe für die Regierungstreuen, sondern ihre Ressourcen werden auch dafür eingesetzt, Partikularinteressen der Regierungspartei zu realisieren, z. B. in Form von Wahlkampfunterstützung. Gleichzeitig trägt der auswuchernde Staat in seiner Zentralismus- und Etatismusgebärde nicht dazu bei, die Umsetzung der Regierungstätigkeit zu verbessern. Er ist reaktiv. Das Regierungslager hat nicht die Fähigkeit des strategischen Denkens. Anstatt seine wesentliche Verwaltungsressource, den öffentlichen Dienst, zu stärken, eignet er sich diesen parteipolitisch an und besetzt ihn entsprechend. So wird das Feld für Inkompetenz, behördlichen Missbrauch und Korruption erweitert. Schlüsselentscheidungen werden immer häufiger intransparent und informell getroffen, und zwar auf der Parteiebene und nicht auf der Ebene der Regierung oder anderer staatlicher Organe. Die Machthaber sind nicht an einem Dialog mit den Bürgern und ihrer Teilhabe an der Gesetzgebung und anderen Entscheidungsprozessen interessiert.
So bereitet man den Boden für die grand corruption, die Korruption auf höchster Ebene. Sie betrifft vor allem die Eliten aus den Bereichen Politik, Verwaltungsbehörden und Wirtschaft. Verankert im institutionell-rechtlichen System, beruht sie auf Partikularismus, d. h. der Verteilung der staatlichen Ressourcen – die prinzipiell allen gleich zugänglich sein sollten – in einer Weise, die das Regierungslager und die mit ihr verbundenen Interessengruppen bevorzugt.
In einem Staat der grand corruption befasst sich die parteipolitisch instrumentalisierte Staatsanwaltschaft nicht mit Machtmissbrauch an der Spitze. In einem solchen Staat wird der Zugang zu öffentlichen Informationen beschränkt und das Prinzip der Kontrolle der Staatsbeamten verschwindet. Dagegen werden zu den wichtigsten Grundsätzen des Regierens die von einer Person ausgehende parteipolitisch geprägte Entscheidungsfindung, die Aufweichung von Kompetenzen, die Institutionalisierung und die Straflosigkeit. In einem solchen Staat wird die Korruption nicht beschränkt, sondern für den politischen Kampf gegen die Opposition eingesetzt, aber auch gegen die Feinde im eigenen Lager. Hier wird nach der Methode verfahren, diesen etwas anzuhängen, um ihre politische Loyalität zu erzwingen.
Der Rückfall in den Zentralismus trifft die Kommunen
Die Zentralisierung zielte vor allem auf die kommunale Selbstverwaltung (Kreise, Städte und Gemeinden). Die Regierungskoalition der Vereinigten Rechten (Zjednoczona Prawica) unternahm viele Maßnahmen mit dem Ziel, die Selbstverwaltung auszuhöhlen, ähnlich wie es bereits bei den staatlichen Schlüsselinstitutionen (Verfassungstribunal, Landesjustizrat, Landesrundfunk- und Fernsehrat, öffentlicher Dienst) der Fall ist. Mit dieser Umwandlung des rechtlichen Systems sollen der Kommune die Autonomie und die Möglichkeit genommen werden, Lokalpolitik zu betreiben, damit sie ein weiterer Handlanger der Regierung wird.
Diese Logik kam beispielsweise darin zum Ausdruck, wie die Regierung die Kommunen während der COVID-19-Pandemie bei der Erarbeitung und Umsetzung der Anti-COVID-Politik gängelte – trotz vieler Appelle, dezentral zu handeln und den Kommunen mehr Autonomie, Kompetenzen und Mittel zu gewähren, damit sie in größerer Selbständigkeit die Pandemie vor Ort bekämpfen können. Die öffentliche Meinung nahm dennoch gerade die Kommunen als die – im weiten Sinne staatlichen – Institutionen wahr, die am besten mit der Krise zurechtkamen, während die Regierung das genaue Gegenteil darstellte. Die Zentralregierung bot den Kommunen nicht nur keine ausreichende Unterstützung beim Kampf gegen die Pandemie an, sondern schwächte sie sogar, indem sie ihre Ressourcen übernahm und dies mit zweifelhaften Sachargumenten begründete. Ein einschlägiges Beispiel für solche Praktiken war, dass den Landkreisen gleich nach dem ersten Lockdown der Einfluss auf die Besetzung der Stellen der Sanitätsaufsichtsbehörde auf Kreisebene genommen wurde. Schon nach wenigen Monaten zeigte sich, wieviel schwieriger es dadurch wurde, auf die Krise zu reagieren.
In der Mehrheit der Fälle beruhen die Maßnahmen, die die Kommune schwächen, darauf, dass schrittweise und indirekt (seltener direkt) ihre Kompetenzen und Ressourcen beschnitten werden. Deutliche Beispiele für die Zentralisierung sind hier der geradezu drastische Anstieg von Aufsichtsentscheidungen und Übergangsverfügungen der von der Regierung eingesetzten Woiwoden gegenüber den Kommunen. Während es im Jahr 2014 knapp 2.000 waren, stieg die Anzahl in den folgenden Jahren sukzessiv und lag 2019 bei fast 3.000. Hier zeigt sich der politische Interventionismus des Zentrums bei lokalen Angelegenheiten, die doch im Handlungsbereich der lokalen Institutionen bleiben sollten.
Die Zentralisierung vollzieht sich auch im finanziellen Bereich. Ein Ergebnis ist, dass der Anteil der zweckgebundenen Zuwendungen im Budget der Kommunen wächst. Während er im Jahr 2013 auf Gemeindeebene bei etwas über 20 Prozent lag, waren es Ende 2020 bereits mehr als 35 Prozent. Gleichzeitig verringert sich u.a infolge von Änderungen im Steuersystem (z. B. Senkung der Einkommensteuersätze, Befreiung der unter 26-Jährigen von der Einkommensteuer) seit Jahren sukzessiv der Anteil der Einnahmen aus Einkommen- und Unternehmensteuer in den Haushalten der Kommunen. Zusätzlich sinken auch die eigenen Einnahmen der Kommunen.
Die Zentralisierung der Zivilgesellschaft
Im Jahr 2017 gründete die Regierung das Nationale Freiheitsinstitut – Zentrum zur Entwicklung der Zivilgesellschaft (Narodowy Instytut Wolności – Centrum Rozwoju Społeczeństwa Obywatelskiego – NIW – CRSO). Allein sein Name gibt zu denken und wirft die Frage auf, warum die Zentralregierung die Zivilgesellschaft entwickeln soll.
Im Rahmen des NIW – CRSO wurden einige zentral verwaltete Fonds eingerichtet, die über ein Jahresbudget von 100 bis 170 Millionen Zloty verfügen. Aufgabe der Fonds ist es, öffentliche Gelder an zivilgesellschaftliche Organisationen zu transferieren. Es ließ sich leicht vorhersehen, dass sie der Unterstützung oder direkt der Schaffung regierungsfreundlicher Organisationen und dem Aufbau klientelistischer Verbindungen dienen. Der beste Beleg dafür ist die Zuteilung sog. institutioneller Zuschüsse (die für den Kauf von Immobilien oder anderen Sachwerten bestimmt sind) in Höhe von bis zu mehreren Millionen Zloty für einzelne Organisationen. Nach mehreren Ausschüttungsrunden gingen dann große Summe nicht nur an Organisationen, die der Regierung weltanschaulich nahe stehen (z. B. offen nationalistische oder homophobe Organisationen), sondern auch personell mit ihr verbandelt sind. Es kam auch dazu, dass finanzielle Mittel des NIW – CRSO Organisationen erhielten, die erst unmittelbar vor der Ausschreibung gegründet wurden, gewissermaßen "auf Bestellung".
Die Fonds des NIW – CRSO sind jedoch geradezu pluralistisch im Vergleich zu anderen Fonds, die die PiS-Regierung mit Blick auf die Schaffung und Stärkung rechtsgerichteter zivilgesellschaftlicher Organisationen eingerichtet hat. Der Minister für Kultur und Nationales Erbe gründete im Jahr 2020 den Patriotischen Fonds (Fundusz Patriotyczny), der vom Institut für das Erbe des Nationalen Denkens – Roman Dmowski- und Ignacy Jan Paderewski-Institut (Instytut Dziedzictwa Myśli Narodowej im. Romana Dmowskiego i Ignacego Jana Paderewskiego – IDMN) verwaltet wird, einer weiteren Regierungsinstitution. Der Fonds ist auf Organisationen mit einem bestimmten weltanschaulichen Profil festgelegt. Seit 1989 hatte es dieser Art Regierungsinstitutionen nicht gegeben, die aus öffentlichen Mitteln ausschließlich einen bestimmten Typ von Initiativen finanzieren und – was damit einhergeht – auch Organisationen, die einem konkreten politischen Lager nahestehen, das dazu noch an der Macht ist. Es handelt sich hier um extremen Partikularismus im öffentlichen Leben, der sich als Ausdruck der Pflege von Traditionen, nationalem Erbe und Patriotismus darzustellen versucht. Innerhalb von zwei Jahren verteilte der Patriotische Fonds mehr als 70 Millionen Zloty. Zuwendungen in Höhe von etlichen Millionen gingen u. a. an extreme, nationalistische und katholische Organisationen – zum großen Teil nicht einmal für die Umsetzung konkreter Projekte, sondern abermals für den Kauf von Immobilien und anderen Besitztümern.
Das sind nur zwei Beispiele für Fonds, mit deren Hilfe das PiS-Lager die Zivilgesellschaft polarisiert und ihr weltanschaulich nahestehende Organisationen unterstützt. Hunderte Millionen öffentlicher Gelder werden solchen Organisationen von bestimmten Ministerien fast ohne Kontrolle gegeben. Ein Beispiel für diese Praktik ist der Skandal, der Anfang 2023 im Zusammenhang damit ausbrach, dass der Minister für Bildung und Hochschulwesen (entgegen den Empfehlungen von Experten, die die Anträge begutachtet hatten) 40 Millionen Zloty aus einem Fonds verteilte, der theoretisch Schulen und andere Bildungseinrichtungen unterstützen sollte. Die Summe ging größtenteils an Organisationen, die nicht viel mit Bildung gemein haben, aber ideologisch und personell mit dem Regierungslager verbunden sind. Wieder einmal wurde ein großer Teil der Gelder für den Kauf von Immobilien eingesetzt, woraufhin der Skandal die Bezeichnung "Villa+" erhielt. (Interessanterweise wurden diese Art und Weise, öffentliche Mittel auszugeben, abermals durch Vorschriften erleichtert, die im Rahmen der Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie geschaffen worden waren.) Auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe reagierte der Minister, indem er verneinte, gegen das Recht oder irgendwelche Standards verstoßen zu haben. In einer seiner Äußerungen stellte er fest, dass die Kriterien für die Ausgabe öffentlicher Mittel darauf beruhen, dass "[…] wir den Linken und den Kommunisten kein Geld geben" – ganz einfach.
Paradoxerweise erinnert das genau an Aktivitäten zur Zeit des Kommunismus, als die zentralistische, autoritäre Regierung ihr genehme gesellschaftliche Organisationen finanzierte, die im Gegenzug die Linie der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza – PZPR) aktiv unterstützten, deren Mitglieder und Sympathisanten um sich sammelten, dabei aber weder Autonomie anstrebten noch die Machthaber zu kontrollieren.
Etatismus à la PiS
Die Hinführung zum Etatismus, d. h. die immer tiefere Einmischung des Staates in die Wirtschaft und andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, verläuft gewissermaßen parallel zur Zentralisierung. Unter der Regierung des rechtsnationalistischen Lagers wurden enorme Ressourcen des Staates mobilisiert, um seine Beteiligung v. a. in der Wirtschaft weiter zu vergrößern.
Das Regierungslager hat das von seinen Vorgängern ererbte Beutesystem nicht nur aufrechterhalten, sondern auch deutlich ausgeweitet. Bereits zum Zeitpunkt der Machtübernahme waren einige Dutzend der größten polnischen Unternehmen in den Händen oder unter der Kontrolle des Staates verblieben. Es war also ein Leichtes, sie zu vereinnahmen, bedenkt man, dass völlige Freiheit herrschte, die Unternehmensleitungen passend zu besetzen. Umso mehr, als die Vorgänger der Vereinigten Rechten trotz vieler Anläufe zivilgesellschaftlicher Organisationen und Expertenkreise nichts getan hatten, um die Möglichkeit zu begrenzen, die Führungsebenen der staatlichen Unternehmen nach dem Parteischlüssel zu besetzen.
Das rechtsnationalistische Lager vergrößerte die staatliche Beteiligung in Wirtschaftsbereichen, die für die Regierung Schlüsselbedeutung haben. Ein gutes Beispiel dafür ist die Übernahme der Bank Pekao S.A. durch die staatliche Bank PKO BP im Jahr 2015. Daten der Kommission für Finanzaufsicht (Komisja Nadzoru Finansowego) zufolge vergrößerte sich damit der Anteil der staatlichen Aktiva im Bankensektor von 41 Prozent auf über 48 Prozent im Jahr 2023.
Das Regierungslager verzichtete sogar darauf, jeglichen Schein zu wahren, dass die Aufrechterhaltung und Erweiterung des Beutesystems im Sektor der Staatsunternehmen etwas anderem diene als der Realisierung ihrer eigenen Interessen. Im September 2020 wurde der stellvertretende Sprecher der PiS, Radosław Fogiel, von einem Journalisten des Radiosenders RMF FM gefragt, warum das Regierungslager keine Institution in Form eines Expertenrates geschaffen habe, der sich professionell mit der Besetzung von Leitungspositionen in staatlich kontrollierten Unternehmen befasst. Fogiel antwortete: "Wir waren mit einem ähnlichen Problem konfrontiert, als wir in den Jahren 2005 bis 2007 an der Macht waren. Damals gingen wir sehr in die Experten-Richtung, in Richtung offener Wettbewerbe, und was die Aufsichtsräte betrifft, so kamen dort Marktexperten hin, Personen mit akademischen Titeln, von der Wirtschaftshochschule Warschau (Szkoła Główna Handlowa – SGH) und anderen Hochschulen. Und das Problem lag darin, dass ihre Art über Wirtschaft und Management zu denken vollkommen im Gegensatz zu dem stand, was Recht und Gerechtigkeit in ihrem Programm hat."
Ein extremes Beispiel für die Etatisierung in Kombination mit der Einmischung in den freien Markt ist die Nutzung der Ressourcen von Orlen [polnischer Mineralölkonzern und Tankstellenbetreiber, d. Übers.] zu dem Zweck, Anfang 2021 die Verlagsgruppe Polska Press zu übernehmen. Auch in diesem Fall hat das Regierungslager seine Absichten nicht verhehlt, als es die Transaktion als eine Form der "Repolonisierung der Medien" vorstellte, um diese angeblich aus den Händen des ausländischen Kapitals wiederzuerlangen. Das, was jedoch nicht klar ausgesprochen wurde, war das offensichtliche Ziel, die Einflussnahme auf die öffentliche Meinung mit Hilfe der lokalen Medien zu vergrößern und auf diese Weise eine bessere Position im Wahlkampf für die Parlaments- und Kommunalwahlen 2023 bzw. 2024 zu erlangen. Im Laufe von nur wenigen Monaten nach der Übernahme des Pressekonzerns durch den staatlichen Mineralölkonzern entledigte man sich regierungskritischer Journalisten. Die von Orlen kontrollierten Medien füllten sich mit Beiträgen, die die Regierung unterstützten.
Die parteipolitische Personalbesetzung des öffentlichen Dienstes
Der sich zentralisierende und etatisierende Staat müsste eine rechtliche und institutionelle Infrastruktur aufbauen, die eine effektive Planung und Bewirtschaftung der wachsenden Ressourcen erlaubt. Es gibt allerdings keine Anzeichen, dass solche Prozesse der organisatorischen Stärkung des Zentrums tatsächlich stattgefunden haben.
Das wird an der weitgehenden parteipolitischen Instrumentalisierung des öffentlichen Dienstes deutlich, eines Teils der öffentlichen Administration, der das eigentliche Rückgrat der Regierung ist und nicht nur bei der Umsetzung der Staatstätigkeit (public policy) beteiligt ist, sondern sie auch vorbereitet. Eine der ersten Entscheidungen des rechtsnationalistischen Lagers am Anfang seiner Regierung war es, im Jahr 2016 eine Gesetzesnovelle über den öffentlichen Dienst zu verabschieden. Diese ermöglichte es, in nur wenigen Monaten knapp ein Drittel der höchsten Beamten des öffentlichen Dienstes zu entlassen, herunterzustufen oder zu versetzen. Auf diese Weise veränderte sich für mehr als 1.000 Beamte ihr Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst bzw. verließen sie diesen und es rückten Personen nach, die dem Parteischlüssel entsprechend benannt werden konnten. Die Novelle hob das offene, auf Wettbewerb beruhende Bewerbungsverfahren für diese Stellen auf und schmälerte wesentlich die qualitativen Anforderungen an die Kompetenzen des neuen Personals. Auf diese Weise wurde so etwas wie eine Nomenklatura, ein System der herrschenden Klasse, geschaffen, in dem Kompetenzen und andere fachliche Voraussetzungen aufhören, das Hauptkriterium für die Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst zu sein.
Typisch ist, dass 2020, während der COVID-Pandemie mehr als 1.000 Beamtenstellen auf höchster Ebene neu besetzt wurden. Gleichzeitig ging ein Drittel der neuen hohen Beamten außerhalb des öffentlichen Dienstes in eine Beschäftigung. Das zeigt nicht nur die unverständliche, sondern auch gefährliche (insbesondere in der Zeit einer Krise) Rotation auf höchster Ebene der Administration sowie auch die Fortsetzung der Praktik, dass sich die Besetzung hoher Posten im öffentlichen Dienst an parteipolitischer Loyalität orientiert.
Der Staat der "grand corruption"
Der Marsch in Richtung Zentralisierung und Etatisierung in Verbindung mit einem schwächelnden, immer weniger leistungsfähigen Staat näherte Polen einem System an, dessen wichtigstes Funktionsprinzip die Korruption ist. In der Mitte Juni 2021 veröffentlichten europäischen Untersuchung der öffentlichen Meinung zu Korruption (Transparency International: "Global Corruption Barometer") fanden sich die Polen im Kreise derjenigen Gesellschaften wieder, die ihr Land am schlechtesten beurteilen. Knapp drei Viertel (72 Prozent) der Befragten vertraten die Überzeugung, dass Korruption in Polen ein großes Problem ist. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Polen glaubte, dass die Korruption zwischen Ende 2019 und Ende 2020 gestiegen ist.
Zu den am stärksten von Korruption betroffenen Institutionen zählten nach Meinung der Polen die Regierungsadministration (34 Prozent der Befragten), das Amt des Ministerpräsidenten (32 Prozent) und das Parlament (31 Prozent). Vor diesem Hintergrund schnitten die Gerichte (20 Prozent der Angaben), der private Sektor (20 Prozent) und die kommunale Selbstverwaltung (21 Prozent) besser ab. Als am wenigsten bestechlich beurteilten die Polen die Polizei (10 Prozent) und zivilgesellschaftliche Organisationen (12 Prozent). Zwei Drittel der Befragten sagten, dass die Regierung nicht gut mit der Korruption zurechtkommt. Nur 16 Prozent der Befragten waren bereit zuzugestehen, dass angemessene Maßnahmen gegenüber Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die an Korruption beteiligt sind, ergriffen werden. Über 20 Prozent waren davon überzeugt, dass die Machthaber Korruption für die Realisierung eigener Interessen einsetzen. 21 Prozent stimmten der Aussage zu, dass "Korruption in der Regierung akzeptabel ist, so lange sie gute Ergebnisse hervorbringt". Nur 25 Prozent der Befragten sagten, das die Zentralregierung die COVID-19-Pandemie unter Einhaltung der Transparenzstandards bekämpft hat. Die Tatsache, dass das Regierungslager in dieser Zeit trotz so negativer Bewertungen mehr als 30 Prozent Zustimmung in den Meinungsumfragen erhielt, führt leider dazu, die These von der Demoralisierung eines nicht unwesentlichen Teils der Gesellschaft aufzustellen.
Nach den Parlamentswahlen 2015 hat das rechtsnationalistische Lager viel dafür getan, Polen in die grand corruption zu drängen. Der Begriff bezeichnet in der Fachliteratur die Situation, dass vor allem die Eliten in Politik, Behörden und Wirtschaft von Korruption betroffen sind. Eine Eigenschaft der grand corruption ist der Partikularismus. Das heißt, die Verteilung von Gütern, zu denen der Zugang prinzipiell gleich sein sollte (z. B. Zuschüsse, Aufträge, öffentliche Ämter), gestaltet sich in der Praxis so, dass eine bestimmte Gruppe bevorzugt wird – eine politische Partei, ihr Apparat, Wählergruppen, die die Machthaber unterstützen, usw. Letztlich ist die grand corruption dadurch gekennzeichnet, dass sie in die institutionell-rechtlichen Strukturen integriert ist. Deshalb ist es nicht möglich, diese Korruption einzig und allein in den Kategorien einer Straftat zu betrachten, denn häufig wird sie von den Institutionen der Machthaber toleriert, als Mittel zur Umsetzung der Politik aufgefasst oder sogar legalisiert.
Es gibt zahlreiche Argumente für die These, dass das rechtsnationalistische Lager einen Staat der grand corruption aufbaut. Das Hauptargument ist die fortschreitende Auflösung des Systems der Teilung und gegenseitigen Kontrolle der Gewalten. Ein weiteres Symptom für den Aufbau des Systems der grand corruption sind die bereits beschriebenen Prozesse des Aufbaus und der Stärkung des Klientelismus in den Kommunen und den zivilgesellschaftlichen Organisationen und insbesondere der Niedergang des öffentlichen Dienstes.
Die zunehmende Besetzung der öffentlichen Verwaltung mit parteikompatiblem Personal ist eine Anleitung zur Korruption in den Behörden. Mit ihren Ausprägungen haben wir es bereits auf höchster Ebene zu tun. Es sei nur daran erinnert, dass hohe Beamte des Finanzministeriums in Steuerbetrug und Geldwäsche verwickelt waren. Ihr Vorgesetzter war Marian Banaś, der zu der Zeit, als er der Regierung politisch genehm war, auf den Posten des Chefs der Obersten Kontrollkammer (Najwyższa Izba Kontroli – NIK) gesetzt wurde, entgegen den Warnungen der Opposition und eines Teils der Medien. Kurze Zeit nach seiner Amtsübernahme zerstritt sich Banaś mit dem Regierungslager. Er hatte es gewagt, dessen kontroverseste Investitionen und Entscheidungen zu kontrollieren, und wurde zum Feind der PiS. Nun war er eine Person, der der Zugang zu geheimen Informationen entzogen werden musste. Gegen ihn sowie seine Familie und Angehörigen wurden Untersuchungen eingeleitet. Ein deutlicheres Beispiel lässt sich kaum dafür anführen, dass sich Schlüsselentscheidungen der Regierung in Personalfragen nicht auf fachliche Kriterien stützen. Alle Verfahren oder Anforderungen an Kompetenzen und Voraussetzungen waren nur zum Schein inszeniert. Das Wichtigste ist die Loyalität gegenüber der Partei. Wenn sie aus irgendwelchen Gründen schwindet, verschwindet der Betreffende aus seiner Funktion und/oder wird zum "öffentlichen Feind", so wie im Fall von Marian Banaś.
Es lohnt sich, diese Angelegenheit noch genauer zu betrachten, denn sie zeigt, wie sich grand corruptionals Störung des demokratischen Wahlprozedere auswirken konnte. Die Kumulation der Probleme, deren Hintergrund die zerrütteten Beziehungen zwischen dem Regierungslager (konkretPiS-Chef Jarosław Kaczyński) und dem Präsidenten der NIK sind, erreichte ihren Höhepunkt Mitte Mai 2021. Damals veröffentlichte die NIK einen Bericht über die Organisation der Präsidentenwahlen als Briefwahlen, eine Wahlform, die aufgrund der Bedingungen in der Corona-Pandemie vom Regierungslager befürwortet worden war. Zu den Wahlen, vorgesehen für Mai 2020, kam es nicht, aber die Entscheidung, sie in der Form durchzuführen, kostete die polnischen Steuerzahler mehr als 100 Millionen Zloty. Die Entscheidung war rechtswidrig, und zwar nicht nur in der Bewertung der Kontrolleure der NIK, sondern auch des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts (Wojewódzki Sąd Administracyjny – WSA), das bereits 2020 in seinem Urteil verkündet hatte, dass keine Grundlagen bestünden, solche Wahlen zu organisieren und zu diesem Ziel Ausgaben zu tätigen, und dass die Pandemiesituation nicht als Umstand behandelt werden könne, ein solches Vorgehen zu rechtfertigen (Urteil des WSA in Warschau, AZ SA/Wa 992/20). Die NIK unter der Leitung von Marian Banaś ging einen Schritt weiter als das Gericht: Die Folge ihres Berichts vom Mai 2021 war, dass bei der Staatsanwaltschaft Strafanträge wegen des begründeten Verdachts auf Ausübung einer Straftat durch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, Innenminister Mariusz Kamiński und Jacek Sasin, Minister für Staatliche Aktiva, gestellt wurden sowie auch gegen den Vorstand der Polnischen Post (Poczta Polska) und der Staatlichen Wertpapierdruckerei (Państwowa Wytwórnia Papierów Wartościowych), die in der Beurteilung des WSA und der NIK rechtswidrig den Auftrag für den Druck und den Versand der Wahlunterlagen ausgeführt hatten. Die Post hatte zudem gegen polnische und EU-Vorschriften verstoßen, als sie begonnen hatte, persönliche Daten der Wähler zu sammeln – mit der ebenfalls rechtswidrigen Zustimmung eines Teils der Kommunen. Als Reaktion auf den Bericht der NIK bestritten der Ministerpräsident und die Regierung, der Generalstaatsanwalt inbegriffen, fast umgehend, dass es zu einer Straftat gekommen ist. Auf diese Weise gab insbesondere der Generalstaatsanwalt, der gleichzeitig Justizminister, also ein Politiker, ist, eindeutig zu verstehen, dass es vonseiten der Staatsanwaltschaft keine Strafverfolgung geben wird, und sollte sie doch eingeleitet werden, das Ergebnis leicht vorhersehbar sein würde, das heißt sie würde schnell eingestellt werden.
Wären der kritische Bericht über die Organisation der Wahlen im Jahr 2020 oder auch andere gegen die Regierung gerichtete Kontrollen der NIK ans Tageslicht gekommen, wenn Banaś sich nicht mit dem Regierungslager zerstritten hätte? Das ist eher zweifelhaft. Es kann schwerlich davon ausgegangen werden, dass diese und andere Angelegenheiten sich dann so wie beispielsweise in Österreich entwickelt hätten, wo sich 2021 Bundeskanzler Sebastian Kurz mit Vorwürfen der österreichischen Staatsanwaltschaft auseinandersetzen musste, weil er im Verdacht einer Falschaussage in einer anderen Angelegenheit – Vetternwirtschaft bei der Besetzung der staatlichen Holding ÖBAG – stand. In Polen unter der PiS-Regierung ist ein solches Szenario ausgeschlossen. In einem Staat der grand corruption müssen Institutionen, Recht und Verfahren den partikularistischen Parteiinteressen nachgeben, und die Politiker und Beamten bleiben unbehelligt.
Ein weiterer Hinweis auf den Aufbau des Systems der grand corruption ist die Schaffung der rechtlichen Infrastruktur zur Legalisierung von Korruption. Ein Beispiel dafür sind die im Jahr 2020 verabschiedeten Verordnungen, die den Rechtsbereich öffentlicher Aufträge betreffen und Angehörige des öffentlichen Dienstes von strafrechtlicher und disziplinarrechtlicher Verantwortung bei Amtsmissbrauch oder Nichterfüllung der Dienstpflichten befreien – unter der nebulösen Bedingung, dass der Missbrauch im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie stattfand. Diese Vorschriften dienten der Führung des Gesundheitsministeriums dazu, im Fall des mehrere Millionen schweren Kaufes von nutzlosen Schutzmasken sowie Beatmungsgeräten im Jahr 2020 der Verantwortung zu entgehen. Charakteristisch ist, dass Jarosław Kaczyński als Reaktion auf die Skandale sofort verkündete, dass es "keine Hinweise auf die Möglichkeit des Missbrauchs gegeben hat".
In einem Staat der grand corruption gibt es auch keinen Platz für Transparenz. Eine der Folgen ist, dass das Vermögen der wichtigsten Politiker und Beamten sowie ihrer Angehörigen, auf die sie ihr Eigentum überschreiben, ein Geheimnis bleibt, das nur Investigativjournalisten zu enthüllen versuchen können. Reformen des Systems der Vermögenserklärungen werden nicht durchgeführt. Gleichzeitig hat die dem Regierungslager genehme Erste Präsidentin des Obersten Gerichts (Sąd Najwyższy) Anfang 2021 einen Klärungsantrag an das von der Regierungspartei kontrollierte Verfassungstribunal gestellt, der wesentliche Bestandteile des Gesetzes über den Zugang zu öffentlichen Informationen in Frage stellt. Allein die Tatsache, dass der Antrag gestellt wurde, hatte zur Folge, dass verschiedene Institutionen dies als Vorwand nutzten, den Zugang zu Informationen zu verwehren. Der Spruch des Verfassungstribunals, der mit großer Sicherheit im Sinne des Regierungslagers ausfallen wird, wird den Zugang zu öffentlichen Informationen deutlich beschränken und den Medien und Kontrollorganisationen die Arbeit erschweren.
Das letzte Argument schließlich, das die ausufernde grand corruption belegt, betrifft den Partikularismus. Abgesehen davon, dass er bei der Übernahme staatlicher Institutionen oder der Besetzung der höchsten öffentlichen Ämter offensichtlich ist, gibt es bereits deutliche Anzeichen, dass er sich auch auf den Durchschnittsbürger auswirkt. Ein Beispiel ist die partikularistische Art und Weise, wie die -zig Millionen Zloty im Rahmen des Regierungsfonds für lokale Initiativen (Rządowy Fundusz Inicjatyw Lokalnych – RIFL) verteilt werden. Jarosław Flis und Paweł Swianiewicz untersuchten mehrere Vergaberunden des Fonds und zeigten, dass der Hauptnutznießer der kommunale Apparat des Regierungslagers ist. Es reicht an dieser Stelle, eine Zahl anzuführen: Eine durchschnittliche Gemeinde, die von der PiS regiert wird, erhält eine zehnmal höhere Zuwendung pro Kopf als eine von der Opposition geführte Gemeinde. So wird der Regierungsfonds für lokale Initiativen zu einem Instrument, klientelistische und nicht partnerschaftliche Beziehungen zwischen der Zentralregierung und den Kommunen aufzubauen. Partnerschaftliche Beziehungen entsprächen jedoch dem verfassungsmäßigen Prinzip der Subsidiarität. In diesem Zusammenhang ist die Angst begründet, dass die EU-Mittel des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021–2027 und die des Landesaufbauplans (Krajowy Plan Odbudowy) in ähnlicher Weise "verwaltet" werden. Dass das sehr wahrscheinlich ist, belegen Untersuchungen und Analysen der Situation in Tschechien und Ungarn.
Fazit
Seit 2015 unterzieht das rechtsnationalistische Lager den Staat systematisch der Zentralisierung und Etatisierung. Dabei baut es das System der grand corruptionauf. Hier hat der parteipolitische Partikularismus Vorrang vor dem öffentlichen Interesse; Affären, die Politiker, hohe Beamte oder andere mit dem Machtzentrum verbandelte Personen betreffen, werden weder von den zuständigen Organen noch von den parteipolitisch vereinnahmten, regierungstreuen Medien aufgeklärt; absichtlich geschaffene Rechtsvorschriften und Institutionen legalisieren die Korruption; der Zugang zu öffentlichen Informationen wird nicht nur verweigert, sondern es wird systematisch versucht, ihn unter Einsatz der zuvor übernommenen und parteipolitisch besetzten Institutionen abzuschalten.
Dieser Staat konzentriert auf der einen Seite immer mehr Kompetenzen und Ressourcen in den Händen der Exekutive. Es ist ein Staat, der immer stärker in die Wirtschaft und andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens eingreift, die in einer gesunden Demokratie autonom sein sollten, wie etwa das zivilgesellschaftliche Handeln. Gleichzeitig ist es ein Staat, der Mechanismen schafft, mit denen er intransparent und unverantwortlich gegenüber seinen Bürgern handelt, indem er die Gleichgültigkeit seiner Funktionäre kaschiert und Korruption nicht ahndet – anstatt sich zu reformieren, seine wachsende Bedeutung mit Mechanismen der good governance auszustatten, ein Potential an Experten und Strategien aufzubauen und den öffentlichen Dienst zu stärken.
Trotz der hier dargestellten Probleme erhält das PiS-Lager immer noch eine relativ große Unterstützung in Wahlumfragen. Das lässt sich als Ausdruck des Unvermögens aufseiten der öffentlichen Meinung verstehen, ein moralisches Urteil über das Vorgehen der Machthaber zu fällen. Wenn die PiS die Parlamentswahlen 2023 gewinnt, werden sich die Probleme zweifellos verstärken und eine wachsende politische und wirtschaftliche Krise nach sich ziehen.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate