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Die Geflüchteten konzentrieren sich in den großen Städten [in Polen, Anm. d. Übers.], wo es praktisch keine Mietwohnungen mehr gibt. Der Rat der Stiftung für den Mietmarkt hat einen Brief an den Ministerpräsidenten geschrieben, dass das Fehlen einer schnellen Reaktion der Regierung und der Kommunen zu einer Obdachlosenkrise unter den Geflüchteten führen kann.
Weil man die Lage koordinieren muss. Und das kann man auch sofort machen, z. B. indem man Übernachtungsräumlichkeiten wie in der Warschauer Torwar Halle auch in kleineren Orten schafft, insbesondere in den Satellitenstädten der Großstädte. Personen, die dort untergekommen sind, wären eher geneigt, Wohnungen in der näheren Umgebung zu suchen. Es wäre auch gut, Informationen zu sammeln, ob die Migranten vorher in großen oder in kleinen Städten gelebt haben, und sich zu bemühen, sie in ähnliche Orte zu bringen, damit sie sich nicht verloren fühlen.
Und wie sollte das auf längere Sicht aussehen?
Auf längere Sicht wäre das Beste, was die Regierung machen kann, möglichst viele Kompetenzen, Vereinfachungen und Gelder den Kommunen zu übergeben. Und nicht zu stören.
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In den Stadtzentren gibt es schon jetzt viel Leerstand, nicht selten ist der mit Problemen bei den Eigentumsverhältnissen belastet. Aber einen Teil dieser Ressourcen kann man zugänglich machen. Ein gesondertes Thema ist, dass sich in den polnischen Städten bisher eher keine Ghettos gebildet haben, obgleich wir schon vor dem Krieg in der Ukraine über eine Million Migranten aus Osteuropa hatten. Aber noch einmal: Das gehört in den Kompetenzbereich der Kommunalverwaltungen, dass sie Migrations- und Flüchtlingspläne erstellen. Mit der Zeit wird die Binnenrelozierung aufgrund der Zugänglichkeit von Kindergärten, Krippen und Schulen erfolgen. Wenn es in der einen Einrichtung keine Plätze für die Kinder gibt, muss man woanders wohnen. Viele Stadtpräsidenten arbeiten hervorragend zusammen und würden es gemeinsam schaffen, das zu verwalten.
Das bedeutet, es bedarf keiner langfristigen Migrationspolitik, deren Fehlen der Regierung jahrelang vorgehalten wurde und auch jetzt wird?
Längerfristig brauchen wir das Engagement der Zentralregierung bei Konsultationen auf EU-Ebene, um den Grundsatz der Subsidiarität zu unterstützen. Mich besorgt, dass sich die polnische Regierung nur in geringem Maße an andere EU-Länder wegen solidarisch-sozialer Unterstützung wendet. Alle Plattformen, die Unterkünfte und Unterstützung für die Flüchtlinge aus der Ukraine organisieren, sind an der Basis entstanden und auch vom Ausland aus zugänglich. Es ist wirklich ein großer Wert, dass unsere europäischen Partner uns nicht die deutliche Absage der Teilnahme an der Relozierung der Flüchtlinge während der sog. Migrationskrise im Jahr 2015 in Erinnerung rufen wollen und bereit sind, uns jetzt zu helfen. Allerdings muss letztlich eine gemeinsame Haltung zu künftigen Migrationswellen ausgearbeitet werden. Denn in den nächsten Jahren werden an den Toren Europas wieder Migranten aus Afrika stehen, die aufgrund von Klimaveränderungen und den damit einhergehenden bewaffneten Konflikten fliehen.
Hat Sie vielleicht jemand in einen Expertenrat eingeladen, der die Regierung beim Nachdenken darüber unterstützt?
Ich glaube, auch wenn ein solcher Rat entstehen würde, würde er nach einem ähnlichen Prinzip wie der Medizinische Rat beim Ministerpräsidenten während der Corona-Pandemie funktionieren. Die Experten würden das eine sagen, die Minister würden das andere machen. Ich sehe keine Bereitschaft eine auf Wissen basierte öffentliche Politik zu gestalten – aber deren Fehlen schafft eine "Post-Wahrheit". Heute also ist vor allem Beratung für die Stadtpräsidenten notwendig. Den Woiwoden, die von den aktuellen Problemen an der Basis zu weit entfernt sind, sollten die Kompetenzen entzogen und an ihrer Stelle den städtischen Behörden – mitsamt den Geldern – übertragen werden. Das würde erlauben, auch Nichtregierungsorganisationen einzubeziehen, die die Probleme der Migranten und Flüchtlinge am besten verstehen.
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Welche Branchen können vom Flüchtlingszustrom profitieren?
Wir wissen, dass ein Teil der Ukrainer, die im Baugewerbe und in der Landwirtschaft gearbeitet haben, in die Ukraine gegangen ist, um zu kämpfen, und dass Frauen mit Kindern gekommen sind, die die entstandenen Vakanzen nicht ersetzen können. Aber berücksichtigen wir auch die Arbeit für andere. Die Polinnen und Polen haben eine unglaubliche karitative Mobilisierung auf die Beine gestellt, aber die Menschen verlieren die Energie. Sie könnten ihre Erfahrungen den Ukrainerinnen vermitteln, die diese Arbeit gern übernehmen. Auf jeden Fall kann auch der Handelssektor profitieren, die Supermärkte und Lebensmitteldiscounter. Es sei daran erinnert, dass sich Migranten durch ein großes Unternehmertum auszeichnen – sie arbeiten mehr und effektiver als im eigenen Land. Z. B. wurde in Großbritannien während des Brexit berechnet, dass die dort angestellten Polen und Polinnen mehrere Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Bei uns, in der aktuellen Migrationswelle, kann auch der Pflegebereich außerordentlich profitieren, insbesondere die Betreuung von Senioren und chronisch Kranken, ein Bereich, in dem der Mangel an Arbeitskräften schon seit längerer Zeit zu spüren ist.
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Aber damit die Geflüchteten arbeiten können, brauchen sie Betreuung für die Kinder, mit denen sie gekommen sind, und Bildung. Hier hat die Regierung besonders schlechte Vorschriften vorbereitet. Was das kommende Schuljahr anbelangt, gibt es nicht einmal Ankündigungen, wie der Schulunterricht für die ukrainischen Kinder aussehen soll. Wie ist man in anderen Ländern mit ähnlichen Herausforderungen zurechtgekommen?
Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass sich am meisten die gemeinsame Bildung bewährt, d. h. in unserem Falle der Verzicht auf die Einteilung in polnische Klassen und Abteilungen für Ukrainer. Aber die jungen Menschen sollten auch die Möglichkeit des Zugangs zu den ukrainischen staatlichen Prüfungen haben. Die ukrainischen Kommissionen sollten dabei unterstützt werden, sie zu organisieren, damit die Betreffenden im Distanz- oder hybriden Format an ihnen teilnehmen können. Damit wir nicht zu spät erwachen, wie es im Fall von Syrien war, als die Welt eine ganze Generation junger Syrer und Syrerinnen verlor.
Kann das Vorgehen, dass die Bürger der Ukraine fast genauso behandelt werden wie die Polen, auf Migranten und Flüchtlinge aus anderen Ländern ausgeweitet werden, wenn es sich bewährt?
Meiner Meinung nach wird das die aktuelle Regierung nicht tun. Sie betreibt eine inoffizielle, aber sichtbar selektive Politik. Sie hat keine solidarische Politik in der Flüchtlingskrise von 2015 begonnen, sie hat die [außereuropäischen, Anm. d. Red.] Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze aufgehalten. Sollte eine neue Flüchtlingswelle z. B. aus Moldawien oder Ländern des Balkan kommen oder die oppositionelle belarussische Emigration stärker werden, ist die Beibehaltung jenes Vorgehens möglich. Jedoch gegenüber Menschen aus Ländern, in denen die religiösen und kulturellen Unterschiede größer sind, wird sie mit Sicherheit die Selektivität aufrechterhalten.
Sprechen irgendwelche rationalen Argumente dafür?
Das ist ein komplexes Thema. Auf EU-Ebene werden nach Jahren Erfahrungen immer noch richtige Ansätze gesucht. Eine wesentliche Frage, die heute unter die Lupe genommen wird, sind z. B. die Erfahrungen des Postkolonialismus, die ganz Ostmitteleuropa betreffen. Sie sind mit den Teilungen verknüpft, danach mit den Grenzverschiebungen, der Herrschaft der UdSSR. Komplett anders sind die Erfahrungen ehemaliger Imperien, die expansiv entfernte Gebiete kolonisiert haben.
Die Multikulturalität entstand in Großbritannien gerade deshalb, weil das Land eine koloniale Ausdehnung in die ganze Welt hatte. Im Falle der Niederlande fanden diese Prozesse früher statt, aber sie erleichtern bis heute den Zufluss von Immigranten. Die Traditionen und postkolonialen Korridore existieren. Wenn ein Zufluss von Migranten aus dem verknüpften Land auftritt und gut durchdacht ist, kann die Ghettoisierung vermieden werden, aber auch die Situation desmelting pot , wo wir eine Vielzahl von Vertretern sehr unterschiedlicher Kulturen und Ethnien an einem Ort haben. Nach jahrelangen Untersuchungen und Beobachtungen zeigt sich, dass dies mit Blick auf den Aufbau der gesellschaftlichen Bindungskraft sehr schwierig ist. Letzterem dient vielmehr die begrenzte Unterschiedlichkeit, die ein Zusammenleben, ohne jemanden zur Assimilation zu zwingen, ermöglicht. Davon rückt man im Übrigen in der EU vollständig ab. Heute wird über das Zusammenleben aus zwei Perspektiven nachgedacht, sowohl aus der der Migranten als auch aus der der lokalen Aufnahmegesellschaft. Wir haben die Chance, das jetzt in Polen umzusetzen.
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Im gesellschaftlichen Zusammenhalt sind schon Risse zu sehen. Es treten Klagen und Ängste auf nach dem Motto: "Wir werden jetzt gar keinen Arzttermin mehr bekommen".
Gesellschaftliche Spannungen und Ermüdung, die zu der Erschöpfung infolge der Corona-Pandemie hinzukommen, werden ganz gewiss auftreten und wachsen. Umso mehr, je weniger die Regierung bereit sein wird, den Kommunen Entscheidungsbefugnis und Geld zu geben und Unterstützung in den EU-Ländern zu suchen. Zumindest derart, dass Migranten grenzübergreifend eine medizinische Versorgung nutzen können, d. h. die Behandlung in anderen Ländern. An Herausforderungen fehlt es auch im Bildungsbereich nicht. Am wenigsten könnten meiner Meinung nach am Arbeitsmarkt auftreten, aber da, wo wir von den Dienstleistungen des Staates abhängig sind, werden sie sich nicht vermeiden lassen. Es ist nicht möglich, von einem Tag auf den anderen die Zahl der Lehrerinnen, Ärzte und Krankenschwestern radikal zu verändern. Ich bin jedoch immer noch der Meinung, dass der Nutzen aus der Situation, in der wir uns befinden, die Kosten und Herausforderungen überwiegen kann. Andere Gesellschaften haben Migranten und Flüchtlingen aus Polen in verschiedenen historischen Zeiten geholfen. Jetzt sind wir an der Reihe.
Das Gespräch führte Joanna Cieśla.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Quelle: Polityka Nr. 16 (13.04.–19.04.2022), mit freundlicher Genehmigung