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Analyse: Polen nach dem globalen Abschwung: ein fiskalpolitischer Balanceakt | Polen-Analysen | bpb.de

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Analyse: Polen nach dem globalen Abschwung: ein fiskalpolitischer Balanceakt

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Zusammenfassung

Auch dieses Jahr wird Polen zu den wachstumsstärksten Volkswirtschaften Europas gehören, die Banken sind stabil und der Ausblick auf die wirtschaftliche Entwicklung ist besser als fast überall in West- und Ostmitteleuropa. In den westeuropäischen Medien wird Polen daher (noch) als »Wirtschaftswunderland« gefeiert. Die bislang günstige Entwicklung verleitet indes zu wirtschaftspolitischer Trägheit, vor allem bei der Budgetkonsolidierung. Die aktuelle fiskalpolitische Gratwanderung ist gefährlich, da die Erwartungen an Polen angesichts des relativ guten Abschneidens in der globalen Krise hoch sind.

Einleitung

Mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,7% im Jahr 2009 ist Polen als einziges großes EU-Land nicht in die Rezession geraten. Im Kontrast zu Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, den Niederlanden oder Großbritannien ist die absolute Wirtschaftskraft in nahezu jedem Quartal von 2008 bis 2010 kontinuierlich angestiegen. Länder wie Deutschland, Spanien oder Großbritannien dagegen werden zum Jahresende 2010 das Niveau ihres BIP aus der Zeit vor der Krise noch nicht erreicht haben. Unter den OECD-Ländern - zu denen auch Länder wie Australien, Kanada, Südkorea, die Schweiz oder Mexiko gehören - ist Polen ebenfalls am besten durch die Krise gekommen. Dieses Jahr wird Polen erneut zu den wachstumsstärksten EU-Ländern gehören. Für das Gesamtjahr 2010 erscheint ein Zuwachs von 3,4% erreichbar, 2011 könnte die Wirtschaft 3,1% zulegen. Der aktuelle Konsens der Bankvolkswirte ist noch optimistischer. Sie erwarten auch 2011 einen BIP-Zuwachs von 3,7% (bei Spitzenwerten in der Prognoseumfrage von 4,4%). Mit einem BIP-Wachstum von 3,4% würde Polen 2010 indes den Spitzenrang unter den (großen) EU-Ländern verlieren bzw. müsste ihn sich zumindest teilen. Schweden und Deutschland werden mit Zuwachsraten von 3,5-4% im Jahr 2010 ähnlich stark oder sogar stärker zulegen. Wie eingangs erwähnt, hinkt dieser Vergleich, trotz der gegenwärtigen Konjunktureuphorie in Deutschland, jedoch gewaltig: Polens Wirtschaft ist seit 2008 kontinuierlich gewachsen, während Schweden oder Deutschland bezogen auf das BIP noch nicht wieder ihr Vorkrisenniveau erreicht haben und nach einem tiefen Einbruch aktuell »nur« Rückpralleffekte verbuchen können, zumal es nach einem Schrumpfen der Wirtschaft im Jahr 2009 in der Wirtschaftsrechnung einfach ist, 2010 ein deutliches Wachstum gegenüber dem Vorjahr auszuweisen.

Aber nicht nur das Abschneiden in der Krise zählt. Von 2000-2008, in der Zeit vor der Krise, war die Qualität des Wachstums in Polen ebenfalls deutlich höher als in vielen anderen west- und ostmitteleuropäischen EU-Ländern. Es wurden keine erheblichen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte aufgebaut, die Kreditexpansion im privaten Sektor war nicht exzessiv, die Inflationsraten für eine aufstrebende Ökonomie waren moderat und der reale effektive Wechselkurs des Zloty - Indikator der internationalen Wettbewerbsfähigkeit - ist keinesfalls überbewertet. Im Gegensatz zu Polen leiden derzeit viele Länder an der südwestlichen sowie süd- und nordöstlichen Peripherie der Europäischen Union bzw. der Europäischen Währungsunion (EWU), d. h. Spanien, Portugal, Irland, Griechenland, Bulgarien, Rumänien und das Baltikum, unter der Korrektur nicht tragfähiger Leistungsbilanzen bzw. real überbewerteter Wechselkurse, die eine Folge von nicht tragfhigen Kredit- bzw. Immobilienblasen und der langjährigen Ignoranz von Risiken im privaten und/oder öffentlichen Sektor sind.

Polens Solidität am Finanzmarkt

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) bescheinigt Polen in den jährlichen sogenannten Artikel-IV-Konsultationen die Implementierung nachhaltiger wirtschaftspolitischer und bankenregulatorischer Maßnahmen. Daher braucht der polnische Bankensektor keine umfangreichen staatlichen Kapital- und Liquiditätsspritzen. Die meisten lokalen polnischen Töchter ausländischer Kreditinstitute waren 2009 profitabler als ihr Mutterhaus. Die in Polen tätigen europäischen Großbanken, die für 80% der Auslandsforderungen gegenüber dem polnischen Bankensektor stehen, haben während der Krise daher sogar mehr grenzüberschreitende Kredite bzw. Kreditlinien bereitgestellt. Nun zieht die Kreditvergabe auf einem gesunden Niveau wieder an, und die Zahl der notleidenden Kredite sollte sich bei regional moderaten 10% aller Kredite stabilisieren. Auch die einzige polnische Großbank, die unmittelbar am europäischen Bankenstresstest teilnahm, hat vorzüglich abgeschnitten: Mit einer Kernkapitalquote im Bereich von 13,3-15,7% (je nach Analysezeitpunkt und Szenario) hat die PKO Bank (Powszechna Kasa Oszczednosci) nahezu alle getesteten Kreditinstitute aus Österreich, Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Schweden, Großbritannien oder den Niederlanden hinter sich gelassen.

Angesichts seiner real- und finanzwirtschaftlichen Solidität ist Polen auch mittel- bis langfristig zu den potenziell dynamischsten EU-Ökonomien zu zählen. In Indizes der Bewertung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, etwa des World Economic Forum oder dem Global Manufacturing Index des Beratungsunternehmens Deloitte, hat Polen viele westeuropäische Länder hinter sich gelassen. Die wirtschaftliche Schwäche an der südwestlichen sowie süd- und nordöstlichen Peripherie der EU belastet Polen kaum, da es stark mit dem wirtschaftlichen Kern der EU verflochten ist. Rund 70% der Direktinvestitionen kommen aus soliden europäischen Kernstaaten (aus Deutschland, Österreich, den Beneluxstaaten, den nordischen Ländern, der Schweiz und Teilen Ostmitteleuropas), 60% der polnischen Exporte gehen in diese Länder und nur 4-5% des Exports gehen in die schwächelnden Wirtschaften an der Peripherie (nach Portugal, Irland, Griechenland, Spanien, Bulgarien, Rumänien und in das Baltikum). Trotz des positiven Wachstumsausblicks sind im Falle Polens aber Niveaueffekte nicht zu unterschätzen. Bezogen auf sein Pro-Kopf-BIP gehört Polen zu den absolut ärmsten EU-Mitgliedern und auf einem solchen Niveau lassen sich Zuwächse der Wirtschaftsleistung noch relativ leicht realisieren. Zudem braucht das Land ein hohes Wachstum, um weiter aufzuschließen.

Trotz des erheblichen Wohlstandsdifferenzials wird die Solidität Polens am Finanzmarkt eindeutig honoriert. Im Jahresverlauf 2010 haben die Finanzmärkte eine realistischere Risikopreisung vorgenommen und differenzieren nun klar zwischen den EU-Ländern in Bezug auf ihre eigenständige Kreditqualität. Es zählt dabei nicht mehr, ob ein Land in West- oder Ostmitteleuropa liegt und Mitglied der EWU ist oder eine souveräne Währung hat. Die Länderrisikoprämie Polens liegt derzeit nahe bei derjenigen für relativ solide EWU-Länder mit einem hohen Wohlstandsniveau. Einige EWU-Länder werden am Finanzmarkt sogar als deutlich größeres Risiko eingeschätzt. Derzeit notieren zehnjährige Euro-Anleihen der Republik Polen 170-180 Basispunkte über deutschen Bundesanleihen, was einer Verzinsung von 3,5-4% entspricht. Polnische Eurobonds rentieren damit klar unter dem »Hilfszins« der EU im Rahmen des Griechenland- bzw. EWU-Rettungspakets und polnische Staatspapiere müssen von keiner Zentralbank gestützt werden. Manche EWU-Länder wie Portugal oder Irland können sich derzeit nicht zu einem Zinssatz von 3-4% langfristig am Kapitalmarkt refinanzieren. Insofern ist es aufgrund des eigenen Interesses an grenzüberschreitender europäischer Finanzstabilität, das in der hohen Ausländerbeteiligung im eigenen Kreditwesen begründet liegt, - auch konsequent, dass sich Polen wie Schweden und im Gegensatz zu Tschechien im Bedarfsfall freiwillig an eventuell notwendigen Aktionen im Rahmen des Euro-Rettungsschirms (European Financial Stability Facility - EFSF) beteiligen will. Die Frage der Einführung des Euro scheint für die Bewertung der Kreditqualität Polens wenig relevant zu sein. Insofern bietet es sich an, zu gegebener Zeit eine ehrliche und selbstbewusste Kosten-Nutzen-Analyse in Bezug auf die Einführung der gemeinsamen Währung bzw. den gewünschten Zeitpunkt dafür anzustellen. Die Eurokrise hat gezeigt, dass der EWU-Beitritt nicht für jede EU-Volkswirtschaft und zu jedem Zeitpunkt eine optimale Strategie ist. Ein vorschneller bzw. schlecht vorbereiteter Beitritt einer Konvergenzökonomie kann sogar erhebliche Wohlstandseinbußen induzieren.

Implizit bedeutet die aktuell niedrige Kreditrisikoprämie für Polen auch, dass die Erwartungen vieler Investoren an die künftige Entwicklung der polnischen Wirtschaft und Staatsfinanzen hoch sind. Auf längere Sicht könnte sich Polen daher ein wirtschaftspolitisches Bein gestellt haben, denn angesichts des guten Abschneidens in der globalen Krise ist das Selbstbewusstsein der Politik und der führenden Wirtschaftsakteure sehr hoch. Polen hat unlängst die im Frühjahr 2009 beim IWF beantragte Flexible Kreditlinie (Flexible Credit Line - FCL) für grundsolide Länder bis in den Sommer 2011 verlängert. Dies war angesichts der verbleibenden Risiken auf den europäischen Kapitalmärkten sowie der hohen Budgetdefizite in Polen ein richtiger Schritt. Die vorsichtsorientierte FCL-Verlängerung war allerdings im innenpolitischen Diskurs sehr umstritten. Erst die klare Haltung der Polnischen Nationalbank (Narodowy Bank Polski - NBP) unter dem neuen Präsidenten Marek Belka sorgte für eine Verlängerung. Es schien in Vergessenheit zu geraten, dass gerade die FCL es Polen gestattete, in der Krise eine stark expansive Fiskalpolitik umzusetzen und zugleich bei der Begebung von Staatsanleihen günstige Konditionen zu erzielen. Ein weiterer Indikator des ungebremsten Optimismus ist der schleppende Verlauf der groß angekündigten (Teil-)Privatisierungsoffensive. Ein exklusiver Privatisierungspartner auf Seiten der Investmentbanken kann noch immer nicht präsentiert werden, obgleich sich viele Banken, von dieser Option gelockt, zum Ausbau ihrer lokalen Aktivitäten entschlossen haben, wobei den Kriterien entsprechend sowieso nur fünf bis zehn internationale Großbanken in Frage kommen. Darüber hinaus waren die Preisvorstellungen auf polnischer Seite bei einigen der Privatisierungsvorhaben beträchtlich: Bei größeren Transaktionen wurden 10-20% Preisaufschlag auf die aktuell nicht niedrigen Aktiennotierungen gefordert. Die OECD mahnte in ihrem jüngsten Länderreport realistischere Preisvorstellungen an. Vor allem sind Fortschritte bei der Privatisierung nicht nur zur Konsolidierung der Staatsfinanzen notwendig, sondern kann eine verzögerte Privatisierung angesichts der ambitionierten Dividendenpolitik der Regierung auch zu Unterinvestitionen in staatsnahen Firmen führen.

Risikofaktoren Budgetdefizit und mangelnde Bereitschaft zu Strukturreformen

Trotz aller wirtschaftspolitischen Baustellen schätzt selbst die eher konservative NBP die wirtschaftliche Entwicklung sehr optimistisch ein und erwartet gemäß dem jüngsten Inflationsreport für 2011 ein Wachstum von 4,6% (IWF-Prognose 3,5%, Konsens der Bankvolkswirte 3,7%). Es scheint in den Hintergrund zu treten, dass der merkliche Abschwung in der globalen Krise die unverkennbare binnenwirtschaftliche Überhitzung in Polen in der Vorkrisenzeit - also ein Wachstum deutlich über Potenzial - gerade rechtzeitig und abrupt beendet hat. Auch die Ursachen der Überhitzung, zu denen vor allem eine sehr prozyklische Fiskalpolitik gehörte, werden wenig thematisiert. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass Polen seine fiskalpolitischen Schwächen zögerlicher angeht als andere west- oder ostmitteleuropäische Länder. Die Verschuldung der öffentlichen Hand in Polen und weiteren Ländern Ostmitteleuropas liegt (mit Ausnahme von Ungarn) zwar deutlich unter dem Niveau vieler westeuropäischer EU-Länder, dennoch dürfen die fiskalpolitischen Risiken nicht unterschätzt werden. Vor allem in Polen haben sich die Budgetdefizite im Abschwung, also beim Rückgang des BIP-Wachstums von 5,2% im Jahr 2008 auf 1,7% im Jahr 2009 und auf »nur« knapp über 3% im Jahr 2010, merklich vergrößert; quasi spiegelbildlich nahmen die Defizite zu (2007: 1,9%, 2008: 3,9%, 2009: 7,1%). Dieser Trend ist zunächst erstaunlich, da der unmittelbare Fiskalimpuls zur Krisenbekämpfung mit 0,7-1% des BIP relativ gering war. Die erdrutschartige Budgetverschlechterung hängt also sehr eng mit der Überhitzung in der Zeit vor der Krise zusammen. Denn das damalige Wachstum über Potenzial hat dazu beigetragen, dass das Staatsbudget vordergründig nahezu ausgeglichen erschien, aber sehr prozyklisch orientiert und strukturell nicht abgesichert war. Im Boom von 2003 bis 2007 wurde das Defizit von 6,3% auf 1,9% des BIP gedrückt. Diese Reduktion fußte aber vorranging auf Steuereinnahmen über den Budgetplanungen sowie niedrigen Ausgaben, beides getrieben durch das Wirtschaftswachstum über Potenzial. Das strukturelle Defizit konnte kaum zurückgefahren werden und nun weist Polen eines der größten strukturellen Budgetdefizite in der EU sowie unter den Schwellen- und Industrieländern auf. Die strukturell schwache Fiskalposition impliziert auch, dass das Defizit nun in der Erholung nicht rasch schrumpft. Jüngste Verlautbarungen über das Defizit im Jahr 2010 - es könnte erneut 7-8% des BIP betragen - bestätigen dieses Bild.

Polnische offizielle Vertreter haben den IWF lange dafür gerügt, global zu viel fiskalpolitische Expansion in der Krise gefordert zu haben, und forderten ihrerseits global mehr fiskalische Verantwortlichkeit ein. Es ist aber bislang wenig passiert, um das ausufernde heimische Defizit in den Griff zu bekommen. Erst im August wurde ein fiskalischer Rahmen für die Jahre 2010-2013 präsentiert. Die avisierte Konsolidierung baut allerdings vor allem auf hohes Wachstum und (temporäre) Einmaleffekte bei den Einnahmen. So soll die Mehrwertsteuer ab 2011 für drei Jahre von 22% auf 23% angehoben werden. Dies kann jährliche Mehreinnahmen von etwa 5 Milliarden Zloty bzw. 0,3-0,5% des BIP generieren. Umfassende Reformen im Rentensystem sind jedoch auf 2012 verschoben worden. Das Gros der angestrebten Konsolidierung von rund 50 Milliarden Zloty sollen vage formulierte Effizienzsteigerungen (etwa im Finanzmanagement der öffentlichen Hand) sowie Nicht-Steuereinnahmen (Privatisierungserlöse und Dividenden) beisteuern. Obwohl die Einbeziehung der Ausgabenseite die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Konsolidierung erhöhen würde, setzen wenige Maßnahmen der Haushaltsplanung dort an. Zudem ist der fiskalpolitische Teil des der EU vorgelegten Konvergenzprogramms sehr nach hinten ausgelegt. Die größte Defizitreduzierung soll 2012 erfolgen (sie wäre eine der größten in der polnischen Wirtschaftsgeschichte der letzten 20 Jahre), es werden aber keine konkreten Maßnahmen genannt. Die Konsolidierungsstrategie als Ganzes unterschätzt offenbar die zu erwartende schwächere wirtschaftliche Dynamik in der Eurozone und in Polen sowie die wahrscheinlichen Rückkoppelungseffekte der fiskalischen Konsolidierung auf die binnenwirtschaftliche Dynamik. Die deutsche Wirtschaft, wohin 25% der polnischen Exporte gehen, wird 2011 um 1,5-2 Prozentpunkte weniger zulegen können als im Jahr 2010. Und im offiziellen Konvergenzprogramm Polens wird - trotz eigener angestrebter Sparanstrengungen - nur ein marginaler Rückgang des Wirtschaftswachstums von 4,5% (2011) auf 4,2% (2012) erwartet; sogar die NBP erwartet für 2012 »nur« ein Wachstum von 3,7%. Zudem wird sich auch in Polen das Wachstum schon im zweiten Halbjahr 2010 abschwächen und damit der weitere Beschäftigungszuwachs gering sein. Ferner hat es in Polen in dieser Phase des Rückgangs des Wachstums im Vergleich zu früheren Krisen relativ wenige Entlassungen gegeben. Die Kehrseite dieses an sich positiven Trends ist, dass in den kommenden Jahren wenig Spielraum für Lohnzuwächse vorhanden ist und ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit nicht schnell einsetzen wird. Dies wird die Dynamik der Konsumnachfrage im Inland bremsen und damit auch die aktuellen Budgetplanungen zusätzlich herausfordern.

Angesichts der optimistischen Budgetplanung besteht das Risiko, dass Polen seine nationalen Limits beim öffentlichen Schuldenstand von 55% und 60% des BIP überschreitet. Zudem droht Polen auch im Regionalvergleich haushaltspolitisch zurückzufallen. Im Gegensatz zu den Nachbarländern Tschechien oder Slowakei werden viel weniger strukturelle Schwächen angegangen. Ferner könnte bei einer weiterhin halbherzigen fiskalpolitischen Konsolidierung seitens der Regierung ein Konflikt mit der NBP drohen. Ihr Präsident Marek Belka wird keine Auseinandersetzung scheuen, falls ihm dies im Sinne einer allgemeinen Stabilitätsorientierung geboten scheint. Er ist zwar als politisch gemäßigt agierender Notenbanker einzuschätzen und derzeit sieht er (noch) keine unmittelbare Gefahr seitens der Fiskalpolitik. Das vorgelegte Budget für 2011 bezeichnete er als akzeptabel, aber nicht als Durchbruch. Für 2012 erwartet er aber deutlichere Schritte, wie er unlängst auf dem XX. Wirtschaftsforum im September im südpolnischen Krynica unterstrich, denn er sieht die Gefahr, dass kontinuierlich hohe Defizite Polens Zinskosten deutlich nach oben treiben können, was eine Schuldenstabilisierung immer schwieriger gestalten würde. Bei der Debatte über die stabilitätsgefährdende Fremdwährungskreditvergabe hat sich Belka öffentlich als entschiedener Gegner dieser Gewohnheit positioniert und als erfahrener Politiker und Stabilitätswächter - er war Ministerpräsident, stellvertretender Ministerpräsident, Finanzminister und Direktor der Europaabteilung beim IWF - wird er kaum einer schleichenden fiskalpolitischen Schwächung Polens zuschauen. Nicht zu vergessen, dass Belka sich gemeinsam mit dem Finanzminister beim Ersuchen um die FCL-Verlängerung auf die Einhaltung des fiskalischen Rahmens des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes bzw. des polnischen Konvergenzprogrammes verpflichtet hat.

Weitere wirtschaftspolitische Herausforderungen in Polen legen ebenso eine stärker antizyklische bzw. über den Konjunkturzyklus nahezu ausgeglichene Fiskalpolitik nahe. Der Zufluss an EU-Geldern (inkl. der Agrarfonds) wird von 2011-2015 jährlich etwa 3% des BIP ausmachen. Diese Gelder könnten pro Jahr einen BIP-Wachstumsbeitrag von bis zu einem Prozentpunkt induzieren und müssen ohne erneute binnenwirtschaftliche Überhitzung absorbiert werden. Zudem erfordern die meisten EU-Mittel eine Kofinanzierung. Damit können sie die Budgetkonsolidierung erschweren und eine erneute prozyklische Ausrichtung der Fiskalpolitik begründen. Insofern erscheint es auch vor dem Hintergrund der erwarteten Zuflüsse an EU-Geldern angezeigt, die strukturelle Budgetsituation rasch zu verbessern. Dazu sind Reformen in Bereichen wie Landwirtschaft und Beschäftigungspolitik sowie eine selektive Ausweitung der Steuerbasis notwendig. Wirtschaftswachstum ist nur eine flankierende, aber keine hinreichende Voraussetzung für eine strukturelle Haushaltskonsolidierung.

Fiskalpolitische Fragen in der politischen Debatte

Um eine antizyklische Budgetpolitik zu flankieren, sollte Polen seine umfangreiche fiskalpolitische Gesetzgebung qualitativ aufwerten und schärfere Ausgabebegrenzungen einführen. So könnte das strukturelle Defizit bei etwa 1% des BIP stabilisiert und einer prozyklischen Fiskalpolitik in Zeiten einer besonderen Wirtschaftsdynamik vorgebeugt werden. Zum Vergleich: Im trendmäßig wachstumsschwächeren Deutschland sieht die 2009 eingeführte Schuldenbremse ab 2016 nur noch ein strukturelles Defizit von höchstens 0,35% des BIP vor. Zur Überwachung und Darlegung der fiskalpolitischen Spielräume könnte ein einschlägiger Fiskalrat aus fünf bis sieben erfahrenen Experten ohne eigene politische Ambitionen (aus der Nationalbank, der Politikberatung, den Ministerien und der Wissenschaft) etabliert werden, um die Analyse der strukturellen und zyklischen Fiskalposition mit Sachverstand zu betreiben. Zudem sollte dem Fiskalrat eine hinreichende Publikations- und Argumentationsplattform geboten werden. So könnte die Budgetgestaltung partiell dem unmittelbaren politischen Geschehen bzw. dem dominanten Interesse, wiedergewählt zu werden, entzogen werden. Zugleich sollte die polnische Statistik der Staatsschulden klar der Maastricht-Definition entsprechen, um der Irritation externer Beobachter vorzubeugen. Beispielsweise wird allein der Landesstraßenfonds (Krajowy Fundusz Drogowy), der kommisarisch über die BGK Bank (Bank Gospodarstwa Krajowego) läuft, bis zum Jahresende 2010 Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 2% des BIP in Form von Anleihen und Krediten aufgebaut haben, die gemäß der nationalen Methodik keine Staatschulden sind. Mit klaren Statistiken und klugen fiskalpolitischen Regeln wäre Polen gut für die 2011 anstehende EU-Ratspräsidentschaft vorbereitet, zumal die transparente und regelgebundene fiskalische Konsolidierung erst einmal bestimmendes Thema in der EU bleiben wird. Gleichzeitig sichert nur eine kluge und rechtzeitige fiskalische Konsolidierung Polen die notwendigen Spielräume in der Zukunft. Das Land braucht in den kommenden Jahren einige Zukunftsinvestitionen. Beispielsweise liegen der Technologieanteil in der Exportproduktpalette und die Investitionen in Forschung und Entwicklung unter den entsprechenden Kennzahlen in anderen ostmitteleuropäischen Ländern.

Der immer noch schwach ausgeprägte wirtschaftspolitische Reformkurs zeigt, dass der Umgestaltungsdrang auch nach Ende der Kohabitation bzw. dem Wahlsieg von Staatspräsident Bronislaw Komorowski nicht merklich gestiegen ist. Viele externe Beobachter hatten sich unter einem Staatspräsidenten und einem Ministerpräsidenten aus dem Lager der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska - PO) mehr proaktiven Reformschwung erhofft. Der derzeit von der an sich markt- und investorenfreundlichen PO-Regierung verfolgte Weg des geringen (wirtschafts-)politischen Widerstands soll offenbar helfen, ihr Mandat zu festigen bzw. klar zu erneuern. Eine Intensivierung der jüngsten Straßenproteste gegen die ersten Sparankündigungen oder ein wenig PO-freundliches Wahlergebnis bei den anstehenden lokalen Selbstverwaltungswahlen im November könnten den politischen Appetit auf Reformen kurzfristig noch weiter schwächen. Es bleibt indes abzuwarten, ob Polen auch bis zu den Parlamentswahlen im Oktober 2011 - in denen die PO ihr Mandat erneuern will - ohne klarere fiskalpolitische Maßnahmen unter dem Radar der Investoren und der EU segeln kann.

In den kommenden Jahren werden fiskalpolitische Fragen die politische Debatte in Polen auf jeden Fall stärker prägen als bis dato geschehen. Die aktuell vorgesehene Konsolidierung reicht keinesfalls, um die Staatsfinanzen nachhaltig, d. h. ohne weiteren kontinuierlichen Schuldenanstieg, aufzustellen. Sollte Polen allerspätestens nach den Parlamentswahlen 2011 nicht ähnlich klare fiskalpolitische Schritte wie einige ostmittel- und westeuropäische Nachbarn (Tschechien, die Slowakei, Deutschland) unternehmen, kann der Ruf als »Stabilitätsanker« und »Wirtschaftswunderland« leiden. Vor allem wären dann auch negative Kommentare und weitere Schritte seitens der EU sowie der internationalen Agenturen zur Bewertung der Länderbonität wahrscheinlich. In Bezug auf das aktuelle polnische Konvergenzprogramm ließ die EU verlauten, dass es - mit Ausnahme der Wachstumsannahmen - wenig ambitioniert erscheint und die Maastricht-Budgetziele in den kommenden Jahren außer Reichweite zu liegen scheinen. Die zentrale Frage wird sein, ob erst noch der Druck des Marktes zunehmen muss, bevor fiskalpolitisch reagiert wird. Solch ein Prozess kann schmerzhaft sein. Finanzmärkte können überreagieren, wie die Zloty-Bewegung der letzten Jahre zeigt - zumal für die Risikowahrnehmung am Finanzmarkt nicht nur der in Polen (noch) recht niedrige öffentliche Schuldenstand oder die recht lange durchschnittliche Laufzeit der Staatsschulden relevant sein können, sondern ab einem gewissen Niveau vor allem das Budgetdefizit. Eine aus einer zunehmenden Skepsis an der Stabilitätsorientierung resultierende erneute Schwäche des Zloty könnte vor allem Hypothekennehmer in Fremdwährung unter Druck setzten (etwa 60% aller Hypotheken sind in Schweizer Franken vergeben). Solch ein Risikoszenario, das erhebliche Teile der Bevölkerung und der PO-nahen Wählerschaft beträfe, sollte ein Ansporn sein, die strukturell schwache Budgetposition rechtzeitig anzugehen. Die Erfahrungen in der Eurokrise zeigen, dass es schwer ist, einmal verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen; das gilt auch für ehemalige Wachstumsstars, wie das Beispiel Irland zeigt.

Eine realistische fiskalische Konsolidierungsstrategie sollte auch keine voreiligen Erwartungen hinsichtlich der Einführung des Euro schüren. Ein voreilig gesetztes Ziel könnte ein größeres Enttäuschungspotenzial bergen. Letzten Endes ist eine Eurostrategie für Polen nur sinnvoll, wenn die Fiskalpolitik hinreichend antizyklisch ist, notwendige Strukturreformen zum langfristigen Bestehen in der EWU angegangen sind und Klarheit darüber besteht, ob man als Konvergenzökonomie (schon) im Großen und Ganzen dem wirtschaftspolitischen Modell der Eurozonen-Kernländer und damit vor allem dem Deutschlands (Lohndisziplin, strikte Haushaltsdisziplin und Exportorientierung) folgen kann und will.

Über den Autor

Gunter Deuber, Ökonom, ist bei Deutsche Bank Research in Frankfurt/Main tätig, wo er in der Abteilung Global Risk Analysis für Potenzial- und Risikoanalysen der aufstrebenden Volkswirtschaften Osteuropas zuständig ist.

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