Zusammenfassung
Im Folgenden werden Ausmaß, Ursachen und Konsequenzen der Migration der Polen nach dem EU-Beitritt (2004) unter besonderer Berücksichtigung der Erwerbsmigration nach Deutschland dargestellt. Auf der Grundlage der Trends, die im Migrationsverhalten der Polen in der Vergangenheit und Gegenwart festgestellt werden können, werden Schlussfolgerungen und Prognosen zur Migration nach Deutschland für die Zeit nach dem 1. Mai 2011 aufgestellt, dem Zeitpunkt, zu dem Deutschland seinen Arbeitsmarkt für Polen öffnet.
Einleitung
In den 1990er Jahren wurde die Migration in Polen vor allem durch die Systemtransformation hervorgerufen. Im Verlauf der Jahre sank sie erheblich, was zu der Annahme führte, dass sich Polen nun langsam von einem Land der Emigration in ein Land der Transitimmigration entwickele. Dies war allerdings nicht der Fall.
Die nach dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 beobachtete Abwanderung aus Polen - sowohl die befristetete als auch die dauerhafte Auswanderung - ist die größte Migrationswelle, die Polen in der gesamten Nachkriegszeit (mit Ausnahme einer kurzen Phase in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre) erlebt hat. Nach Schätzungen des Statistischen Hauptamts (Glowny Urzad Statystyczny - GUS) für die Zeit von 2004 bis 2009 hielten sich 1 Mio. (2004) bis 2,27 Mio. (2007) Menschen zwecks Erwerbstätigkeit länger als drei Monate im Ausland auf. Im Jahr 2009 verzeichnete GUS einen Rückgang der polnischen Erwerbsmigranten und schätzte die Anzahl auf 1,87 Mio. Hervorzuheben ist dabei, dass nach derselben Quelle 70% der Erwerbsmigranten aus Polen länger als ein Jahr im Ausland bleiben. Im Grunde sollten sie also als Residenten aufgefasst werden.
In Bezug auf die Kosten-Nutzen-Bilanz sowie die Konsequenzen, die sich aus der jüngsten Welle der Erwerbsmigration aus Polen ergeben, ist es schwierig, eindeutige Ergebnisse zu präsentieren. Zurzeit deutet es jedoch darauf hin, dass das Ausmaß der Abwanderung zur Folge hat, dass die negativen Konsequenzen der Migration, insbesondere auf einen längeren Zeitraum bezogen, den Nutzen überwiegen (wozu beispielsweise der Geldtransfer aus dem Ausland gehört), insbesondere, weil die Kosten-Nutzen-Rechnung davon abhängig ist, wieviel Prozent der Migranten nach Hause zurückkehrt. Obwohl sowohl polnische als auch ausländische Medien von einer massenhaften Rückkehr der Polen während der letzten Wirtschaftskrise sprachen, war erstens die Anzahl derer, die zurückkehrten, nicht groß, und handelte es sich zweitens hauptsächlich um eine befristete Rückkehr.
Eine Reihe von Analysen und Untersuchungen weist auf die Schwierigkeiten bei der Integration der rückkehrenden Migranten in den polnischen Arbeitsmarkt hin. Der unflexible Arbeitsmarkt, hohe Arbeitskosten und, damit einhergehend, niedrige Löhne und bürokratische Schwierigkeiten bei der Gründung einer eigenen wirtschaftlichen Existenz sind Faktoren, die junge Menschen mit Arbeitserfahrung und Auslandsaufenthalt nicht zur Rückkehr ermuntern.
Diese Meinung bestätigen die neuesten Daten des Labour Force Survey, die zeigen, dass nur ein geringer Prozentsatz von Polen während der Wirtschafts- und Finanzkrise aus Großbritannien nach Polen zurückkehrte und sich dieser marginale Trend auch schnell wieder umkehrte. Schon im ersten Halbjahr 2010 wird wieder eine steigende Anzahl von Polen in Großbritannien verzeichnet. Im ersten Halbjahr 2010 erreichte sie eines der höchsten Niveaus seit 2004, nämlich 537.000 Personen.
Konsequenzen für die Bevölkerungsstruktur
Was die Folgen der Abwanderung nach dem EU-Beitritt Polens betrifft, so muss unterstrichen werden, dass neben dem Rückgang der Geburtenrate die Migration der zweite Faktor für den tatsächlichen Bevölkerungsrückgang in Polen ist. Das negative Bevölkerungswachstum stieg von minus 0,01% im Jahr 1997 auf minus 0,08% im Jahr 2006 (GUS, 2008).
Zum Nutzen der Migration auf der Makroebene gehört eindeutig die Verringerung der sozialen Spannungen, die sich aus der schwierigen Lage am Arbeitsmarkt ergaben (Stichworte Lohnniveau und die Gefahr der Verarmung). Die Arbeitslosenquote sank von 20% Anfang 2004 auf 11,5% Anfang 2010. Es kann daher schwerlich davon gesprochen werden, dass der polnische Arbeitsmarkt darunter gelitten hat, dass ihm junge und ausgebildete Kräfte abhanden kamen. Vielmehr hätte der polnische Arbeitsmarkt die Scharen junger, neu hinzukommender Jahrgänge kurzfristig nicht aufnehmen können.
Eine andere Konsequenz aus der Abwanderung aus Polen nach 2004 sind jedoch die zum ersten Mal in der Geschichte Nachkriegspolens beobachteten perspektivischen Defizite auf dem Arbeitsmarkt (trotz permanent hoher Arbeitslosigkeit). Diese verursachten, dass aufgrund des Drucks der Arbeitgeber eine Änderung des polnischen Immigrationsrechts vorgenommen wurde und eine schrittweise Öffnung hin zu den östlichen Nachbarn stattfand.
Das Phänomen massenhafter Abwanderung junger und ausgebildeter Menschen verursacht langfristig den Abfluss von Wissen und die Reduzierung des Humankapitals. Die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Transformation hatte einen erhöhten Bedarf an Wissen und entsprechenden Qualifikationen zur Folge. Dies schlug sich in einem ungewöhnlich dynamischen Anstieg der Studierendenzahlen in den letzten zwei Jahrzehnten nieder. 1991 studierten in Polen 374.000 Personen, 2006 waren es schon über 1,941 Mio. Dies bedeutet einen Anstieg von fast 520%. Dieses dynamische Wachstum war dank der Entstehung privater Hochschulen möglich. Dabei ist allerdings die Verbindung zwischen dem Angebot der Hochschulen und dem Bedarf des gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitsmarktes schwach - daher auch, unter anderem, die große Emigration unter Hochschulabsolventen, die sich Wissen und Qualifikationen angeeignet haben und dennoch keine Arbeit nach Beendigung des Studiums in Polen finden. Neben der mangelnden Vereinbarkeit von Ausbildungsmarkt und Bedarf des Arbeitsmarktes bestimmte auch der demographische Faktor den Wegzug aus Polen. Anfang des 21. Jahrhunderts begann die Generation des demographischen Hochs aus der ersten Hälfte der 1980er Jahre auf den Arbeitsmarkt ihren Platz zu suchen.
Die Abwanderung ausgebildeter und junger Menschen wird in relativ kurzer Zeit ernstzunehmende Konsequenzen für die demographische Situation in Polen haben. Die Migrationsforscherinnen Zofia Kostrzewa und Dorota Szaltys schrieben 2009: »Einen wesentlichen Einfluss auf die demographische Situation Polens hat und wird weiterhin die Auslandsmigration haben, insbesondere die beträchtliche Emigration. Da viele Migranten dauerhaft im Ausland bleiben, verringert sich die Bevölkerungszahl in Polen. Es emigrieren vor allem junge Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren, die ihre Pläne, eine Familie zu gründen, im Ausland realisieren.« Eine weitere Gefahr für die Lage und die Struktur der Bevölkerung Polens ergibt sich aus der befristeten Migration. Dazu die genannten Autorinnen: »Wenn die Altersstruktur aller Personen, die sich im Ausland aufhalten (nach Schätzungen von GUS 2,27 Mio.), die gleiche wäre wie die Altersstruktur der Bevölkerung, die sich im Ausland aufhält und ihre Ausreise in den Einwohnermeldeämtern gemeldet hat, würde sich zeigen, dass jeder vierte Pole im Alter von 20 bis 29 Jahren im Ausland lebt.«
Die sozialen Folgen
Eine weitere Frage verbindet sich mit den sozialen Kosten des Abwanderungsprozesses, als da wären die Trennungen in den Familien, der Zerfall von Familien sowie die Schwächung der Wachstumsdynamik mancher Regionen durch die Schwächung der sozialen Netzwerke. In den vergangenen Jahren entstand im Mediendiskurs über die Auswirkungen der Migration der Terminus »Euro-Waisen«, das sind Kinder, die in Kinderheime gegeben werden, weil ihre Eltern oder ein Elternteil im Ausland arbeiten. Die Medien berufen sich auf Daten, wonach es bereits 150.000 dieser »Euro-Waisen« in Polen gibt. Da es allerdings nicht möglich ist, dieses Phänomen korrekt zu schätzen, sollte diese Zahl meiner Meinung nach mit großer Vorsicht behandelt werden. Eine Untersuchung, von Februar/März 2008, die vom Büro des Beauftragten für die Rechte des Kindes in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass die Anzahl eventuell auf einem viel niedrigeren Niveau oszilliert, nämlich 10-15.000 Schüler, doch auch dies ist für sich genommen beunruhigend.
Der Geldtransfer aus der Migration ist eines der Positiva der Bevölkerungsabwanderung zwecks Arbeitssuche im Ausland. Nach einem Bericht des Wirtschaftsministeriums (2007) erreichte der Transfer der Einkünfte polnischer Emigranten im Jahr 2005 1% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das sind 3% des Exports und 30% des Jahresdurchschnitts der Einnahmen aus ausländischen Direktinvestitionen nach Polen in den Jahren 2004 bis 2005. Dieser Transfer kann also kurzfristig einen Rückgang ausländischer Direktinvestitionen nivellieren. Langfristig jedoch, darauf weist die Migrationstheorie hin, beginnen Erwerbsmigranten ihr Denken umzustellen - von den im Heimatland Verbliebenen auf das Leben im Aufnahmeland, was unter anderem einen Rückgang der Höhe des Transfers nach sich zieht.
Der finanzielle Transfer
Nach Schätzungen der Polnischen Nationalbank (Narodowy Bank Polski - NBP) haben die Emigranten 2007 über 20 Mrd. Zloty nach Polen transferiert. Dies waren 2,8 Mrd. Zloty mehr als der Transfer im Jahr 2006 und über zweimal so viel wie im Jahr 2004. Die größte Summe, bis zu 5 Mrd. Zloty, haben polnische Emigranten aus Großbritannien überwiesen. Auf Platz 2 liegt Irland mit 4,6 Mrd. Zloty. Deutschland, das 2005 noch den ersten Platz auf der Transferskala einnahm, fiel auf den dritten Platz zurück. Nach Angaben der NBP geht die Bedeutung der USA zugunsten weiterer EU-Länder zurück. Die wichtigsten sind Italien, die Niederlande, Frankreich und Norwegen.
Wie aus dem erwähnten Bericht des Wirtschaftsministeriums (2007) hervorgeht, stieg der Umlauf von Bargeld (außerhalb der Kassen der Banken) von 50 auf 67 Mrd. Zloty in der Zeit von Mai 2004 bis Oktober 2006. Da die Geldanlagen der Bevölkerung in dieser Zeit gleich geblieben sind, stellen die Autoren des Berichts die These auf, dass die Hauptursache dieses Anstiegs die Erhöhung der Menge an Fremdwährung ist, die in Wechselstuben in Zloty getauscht wird. In der Struktur des von Banken getätigten Ankaufs von Fremdwährungen - Verkäufer waren sowohl Privatpersonen als auch Wechselstuben - ist ein deutlicher Anstieg des Anteils an Britischen Pfund festzustellen. Im Jahr 2004 betrug der Ankauf dieser Währung nur 6% des Gesamtwertes der angekauften Währungen, was 401 Mio. Zloty ausmachte. 2005 lag der Wert des Ankaufes von Britischen Pfund bei 761 Mio. Zloty, was schon 12% des Gesamtwerts der angekauften Valuta waren. Im ersten Halbjahr 2006 waren es schon 15% (541 Mio. Zloty). Betrachtet man die Effekte des Geldtransfers, muss auch auf diese negative Wirkung hingewiesen werden: Wissenschaftler, die den Einfluss der Transfers aus der Migration auf das ökonomische Verhalten und die ökonomischen Strategien der Haushalte untersuchten, beobachteten, dass die Familien der Migranten im Heimatland anfangen, ihre Berufs- und Erwerbsaktivität einzuschränken und sich darauf verlassen, dass die Transfers ihr Dasein sichern. Dies kann im Ergebnis zu wirtschaftlicher Stagnation, insbesondere im regionalen Rahmen führen.
Die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes
Die Folgen der Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für polnische Arbeitnehmer im Mai 2011 bleiben hinsichtlich des Ausmaßes der Abwanderung sowie der strukturellen und qualitativen Merkmale eine große Unbekannte. Im Folgenden stelle ich Argumente vor, die mich schlussfolgern lassen, dass die Abwanderung aus Polen nach Mai 2011 erheblich sein wird, mit anderen Worten, dass Polen eine neue Emigrationswelle erwartet.
In Untersuchungen zur Migration wird eine Reihe von Faktoren betrachtet, die für das Ausmaß und den Charakter der Migration von Bedeutung sind. Dies sind die geografische Nähe, Lohnunterschiede, das unterschiedliche Entwicklungsniveau der betreffenden Länder, die Vertrautheit mit dem Arbeitsmarkt im Zielland und das Netzwerk zwischen den betreffenden Ländern. In den polnisch-deutschen Migrationsbeziehungen sind alle diese Faktoren gegeben. Mehr noch: Aus Literatur und Praxis ist bekannt, dass in den Situationen, in denen diese Faktoren zusammenwirken, sie die Rolle des Beschleunigers für den Migrationsprozess annehmen. Bis zum Jahr 2004 war Deutschland das Land, das die meisten polnischen Migranten aufnahm; nach 2004 fiel es auf Platz 2 zurück, aber trotz des geschlossenen Arbeitsmarktes arbeiten in Deutschland Jahr für Jahr ca. 400.000 Polen, vor allem zeitlich befristet, als Saisonarbeiter, als Selbständige oder in der wirtschaftlichen Grauzone. Dabei muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass nach 2004 die Emigration nach Deutschland deutlich anstieg. Der Arbeitsmarkt ist also gut bekannt, in Deutschland leben Verwandte und Bekannte und die Lohnunterschiede sind für manche Tätigkeiten außergewöhnlich groß. Des Weiteren ist in diesem Kontext die bereits fünfte und neueste Untersuchung der Lebensbedingungen und -qualität der Polen wesentlich, die die Diagnoza Spoleczna 2009 (Soziale Diagnose 2009) darstellt. Daraus geht hervor, dass sich im Jahr 2009 zum ersten Mal seit 2004 die Migrationspräferenzen der Polen verändert haben. Auf dem ersten Platz der bevorzugten Länder für Erwerbsmigration lag mit 30,4% der Befragten Deutschland. Großbritannien lag mit 26% auf Platz 2. So ist also Deutschland, das wichtigste Land für die Migrationsbewegung der Polen in der Vor-Beitrittsphase, auf die erste Position zurückgekehrt. Großbritannien und Irland haben Hunderttausende von polnischen Arbeitnehmern absorbiert und sind gegenwärtig, so scheint es, nicht in der Lage weitere aufzunehmen. Die Polen aber suchen weiterhin Arbeit im Ausland...
Dies ist nur die Angebotsseite. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass in der Migrationsrechnung die Nachfrageseite eine ebenso wesentliche Rolle spielt. Gäbe es den Bedarf auf der deutschen Seite nicht, wäre unser Problem kleiner. Aber die Deutschen brauchen die polnischen Arbeitnehmer. Deutschland kam in einer ordentlichen wirtschaftlichen Konstitution aus der Krise, die Arbeitslosigkeit sinkt, und für das kommende Jahr wird ein ansehnlicher Anstieg des BIP erwartet. Darüber hinaus altert die deutsche Gesellschaft, was bedeutet, dass es einen großen Bedarf an Arbeitskräften geben wird.
Hinzuweisen ist auch auf die Ergebnisse des Polish Migration Project (PMP), einer Untersuchung, die im Jahr 2005 von einem der renommiertesten Migrationsforscher, Douglas Massey, durchgeführt wurde. Amerikanische, deutsche und polnische Wissenschaftler verglichen das Migrationsverhalten und die Migrationsstrategie von Einwohnern Mexikos und Polens. Für Mexiko wurde die Migration in die USA analysiert und für Polen die nach Deutschland. Die gesammelten Daten erlauben es, beide Länder miteinander zu vergleichen.
Für Polen zeigte sich, dass sich zwischen zwei untersuchten Phasen der Anteil der Stadtbewohner, die Erfahrungen mit der Migration nach Deutschland hatten, nicht geändert hat. Allerdings stieg die Prozentzahl der Dorfbewohner, die nach 2004 begannen, Migrationserfahrungen mit Deutschland zu machen. Demnach verlagerte sich das hohe Migrationsrisiko aus den städtischen in die ländlichen Regionen. Nach Meinung der Autoren dieser Untersuchung ist der Anstieg der Prozentzahl der nichtbeschäftigten ländlichen Bevölkerung einer der wichtigsten Faktoren, der diese Bevölkerung ins Ausland drängt.
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, die vollständigen und ungeheuer faszinierenden Ergebnisse des Polish Migration Project darzulegen. Die meiner Meinung nach wichtigste Beobachtung dieser Untersuchung ist folgende: Die Autoren haben nachgewiesen, dass die Veränderungen des Wirtschaftsmodells in beiden untersuchten Ländern (Polen und Mexiko) sehr großen Einfluss darauf haben, dass die Wahrscheinlichkeit von Migration in den untersuchten lokalen Gesellschaften steigt. Außerdem wurde gezeigt, dass einmal begonnene Migrationen andauern, manchmal schwächt sich ihre Dynamik ab, manchmal steigt sie plötzlich, aber grundsätzlich sind sowohl Mexiko als auch Polen Länder, die dauerhaft Migranten schicken.
Ausblick
Migrationen sind ein selektiver Prozess, der zumindest in der Anfangsphase relativ gut ausgebildete, qualifizierte, produktive und hochmotivierte Menschen aus der heimischen Gesellschaft ins Ausland entlässt. Dies führt zur Reduzierung des Humankapitals in den Herkunftsregionen und seiner Akkumulierung in den aufnehmenden Regionen, wo die Produktivität der Arbeitskraft angehoben wird, während diese in den Herkunftsländern sinkt. Dies wiederum führt zu steigender Stagnation in letzteren und schließlich zu einem Anstieg der Migration. Diese Hypothese wird auch von der Migrationsforscherin Krystyna Romaniszyn bestätigt, die den Abfluss der Arbeitskraft nach dem EU-Beitritt Polens analysiert und schreibt: »Der dauernde Verlust von Humankapital dient nicht der gleichmäßigen Entwicklung des Landes, im Gegenteil wird er den Zustand der Marginalisierung und der fehlenden Entwicklung in den Abwanderungsregionen vertiefen. Er verstetigt außerdem den Status Polens als halbperipheres EU-Mitglied und Emigrationsland.«
Wie wird Polen die nächste Migrationswelle verkraften? Die, die bisher als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft gearbeitet haben, kehrten nach drei Monaten nach Polen zurück, lebten von ihrem gesparten Lohn, verdienten ein bisschen dazu und warteten auf die nächste Saison. Jetzt werden sie beginnen, ihre Aufenthalte in Deutschland zu verlängern, und langsam ihre Familien nachholen. Da wir eine niedrigere Arbeitslosenquote als vor sechs Jahren haben, werden diejenigen emigrieren, die Arbeit haben. Die polnischen Betriebe werden also schneller den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu spüren bekommen.
In manchen Regionen wird die nächste Migrationswelle die Armut und die Lethargie noch verstärken. Aus Polen B (den östlichen und nordöstlichen Regionen Polens, in die weniger investiert worden ist) emigrierten sechs Jahre lang die mutigsten und dynamischsten. Außerdem wird die nächste Migrationswelle die ohnehin schon schwierige demographische Situation verschlechtern. Nach Prognosen von Eurostat wird sich die Bevölkerung von derzeit 38 Mio. Polen auf nur 31 Mio. im Jahr 2060 verringern. Dabei berücksichtigen diese Prognosen noch nicht einmal die Migration und das Problem der alternden Gesellschaft sowie den Geburtenrückgang. Vor Polen wird kein anderer Weg liegen, als sich Immigranten zu öffnen.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Über die Autorin
Prof. Dr. hab. Krystyna Iglicka, Ökonomin und Expertin für Gesellschaftsdemographie, ist Professorin an der Ryszard-Lazarski-Hochschule für Handel und Recht in Warschau sowie Expertin der polnischen Regierung für Migrationsangelegenheiten. Mehrjährige Hochschultätigkeit an europäischen und US-amerikanischen Hochschulen.