Zusammenfassung
Der Beitritt Polens zum Schengen-Abkommen am 21. Dezember 2007 war von Befürchtungen auf beiden Seiten der Grenze begleitet. Während die damaligen Schengen-Mitglieder, insbesondere Deutschland, Zweifel daran äußerten, ob Polen schon auf effektive Kontrollen des längsten Abschnitts einer EU-Außengrenze vorbereitet sei, wurde in Warschau über den Einfluss des neuen Status auf das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn, vor allem zum strategischen Partner Ukraine, diskutiert. Versucht man, mehr als drei Jahre nach dem Beitritt Polens zum Schengen-Raum eine vorläufige Bilanz zu ziehen, müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden, die wachsende Bedeutung Polens für die Kontrolle der Migration in die EU und die Notwendigkeit, ein neues Modell für die nachbarschaftlichen Kontakte mit den Ländern außerhalb der EU zu entwickeln. Es kann davon ausgegangen werden, dass »Schengen« zurzeit nicht in technischer, sondern in politischer Hinsicht eine Herausforderung für Polen ist: Es geht um eine angemessene Politik gegenüber den östlichen Nachbarn unter Berücksichtigung der Zugehörigkeit Polens zum Schengen-Raum.
Einleitung
Die Beobachter hörten schnell auf, sich mit dem Aspekt der Aufhebung der Kontrollen an den Binnengrenzen zu beschäftigen, da bald klar geworden war, dass die neuen Bestimmungen für Grenzübertritte keinen wesentlichen Anstieg der illegalen Migration, der Schleusungskriminalität und anderer Auswüchse verursachten. Im Gegenteil war es in hohem Maß gelungen, das Kontrollnetz von den polnischen West- und Südgrenzen auf den östlichen Grenzabschnitt den Vorschriften entsprechend zu übertragen. Deutlich sichtbar ist der Rückgang der illegalen Migration in die westeuropäischen Länder, der Polen als Transitland dient. Dies erklärt der polnische Grenzschutz damit, dass potentielle Migranten durch verschärfte Kontrollen nicht nur an der östlichen Grenze Polens, sondern auch im Landesinneren abgeschreckt würden.
Die Einführung der Schengen-Vorschriften bedeutete, dass die Kontrollen auf einer Strecke von fast zwei Drittel Länge der Staatsgrenze aufgehoben und die Grenzkontrollen auf die verbleibenden 1.163 Kilometer konzentriert wurden. Besondere Bedeutung hat dabei die Kontrolle der Grenze zur Ukraine, auf die ca. 60 Prozent der offiziellen Grenzübertritte insgesamt entfallen. Der Erfolg des neuen Kontrollsystems wurde daran gemessen, ob die Aufhebung der Kontrollen an den polnischen Schengen-Binnengrenzen zu steigender illegaler Migration geführt hat. Eine erste Datenanalyse nach zweijähriger Schengen-Mitgliedschaft schien die Wirksamkeit der eingeführten Vorschriften zu bestätigen. Festzustellen ist, dass die Aufhebung der Grenzkontrollen an den polnischen Schengen-Binnengrenzen die Anzahl der Festnahmen dort nicht verringert hat. Tatsächlich stieg hier sogar deren Anzahl im Jahr 2008, dem ersten Jahr nach dem Beitritt zum Schengen-Abkommen, im Vergleich zu 2007. Allerdings lässt sich auch die Wirksamkeit der Grenzkontrollen an den Schengen-Außengrenzen ablesen: Dort wurde 2008 ein Anstieg der Festnahmen von über 260% notiert. 2009 konnte man von einem Rückgang der Festnahmen sowohl an den Binnen- als auch den Außengrenzen der Schengen-Zone sprechen, und zwar bis auf das Niveau von vor Einführung der Kontrollverschärfungen. Dies kann auf einen verminderten Andrang der illegalen Migration zurückgeführt werden und auf eine Stabilisierung der Situation deuten.
Die Grenzöffnung erforderte auch eine Verstärkung der Kontrollen im Landesinneren. Dank der Kompetenzerweiterung des Grenzschutzes auf das gesamte Staatsgebiet wurden 2008-2009 ca. 5 Prozent der illegalen Migranten im Landesinneren festgenommen. Eine Vereinbarung zwischen dem Grenzschutz und der Staatlichen Arbeitsinspektion (Panstwowa Inspekcja Pracy) ermöglichte die Durchführung gemeinsamer Kontrollen des Aufenthaltsstatus und der Beschäftigungsverhältnisse. Der Anteil der ausländischen Beschäftigten auf dem polnischen Arbeitsmarkt ist nach wie vor sehr gering. Die Verstärkung der Kontrollen ab Mitte 2007 zeigte, dass in der Zeit bis Ende 2009 jeder zehnte kontrollierte Ausländer (ca. 1.000 von mehr als 10.000 Kontrollierten) nicht die erforderliche Arbeitserlaubnis besaß.
Die Verschärfung der Kontrollen des Aufenthaltsstatus und der Arbeitserlaubnis fand unmittelbar vor dem Beitritt zur Schengen-Zone statt und setzte die Vorschriften des Ausländergesetzes um, das schrittweise seit 2001 eingeführt worden ist. Diesen Vorschriften entsprechend wird der unerlaubte Grenzübertritt als Straftat behandelt, die die Festnahme, die anschließende Abschiebung und das Verbot, innerhalb der nächsten drei Jahre in ein Schengen-Mitgliedsland einzureisen, zur Folge hat. Wird die Beschäftigung eines Ausländers ohne das obligatorische vorhergehende Genehmigungsprozedere aufgedeckt, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, das Land zu verlassen, während der Arbeitgeber eine Geldstrafe zahlen muss. Die Einführung dieser Verschärfungen fiel noch unter die Umsetzung der Beitrittsverpflichtungen.
Die Mitgliedschaft im Schengen-Abkommen gehört zu einem umfangreicheren Prozess der Europäisierung des polnischen Systems der Migrationskontrolle. Zwar war Polen kein Anhänger der Projekte eines europäischen Grenzschutzkorps und unterstrich die Bedeutung der Autonomie in Sachen landeseigene Kontrolldienste, aber dennoch wird die fortschreitende Abstimmung der agierenden polnischen Dienste mit den EU-Partnern deutlich. Die Rolle des Koordinators übernimmt zunehmend die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX), die ihren Sitz in Warschau hat. Beispielsweise nahm der polnische Grenzschutz im ersten halben Jahr nach dem Schengen-Beitritt an drei europäischen Operationen teil, die zum Ziel hatten, Informationen über Ausmaß und Richtungen der illegalen Migration zu sammeln. In diesem Kontext wurde festgestellt, dass eine gemeinsame Gefährdung u. a. vom indischen Subkontinent, von Afghanistan, vom Irak, von der Türkei, der GUS und dem westlichen Balkan ausgeht.
Ähnlich wie andere mitteleuropäische Staaten hat Polen ein relativ restriktives System der Einreise- und Aufenthaltskontrolle ausgearbeitet. Die Schengen-Mitgliedschaft ist dabei lediglich die Krönung dieses Prozesses. Die Umsetzung der EU-Richtlinie über »Gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung sich illegal aufhaltender Drittstaatenangehöriger« (2008/115/EC) führt keine wichtigen Veränderungen in die schon von den polnischen Diensten angewandten Verfahren ein.
Schengen als polnische Priorität
Der gelungene Start des Schengen-Systems ist nicht verwunderlich, wenn man sich die lange Vorbereitungszeit vor Augen führt, in der die Anpassung des polnischen Rechts im Bereich Grenzkontrolle und Migration an das EU-Recht erfolgte. In dieser Zeit entwickelte sich der polnische Grenzschutz von einer militärischen Formation zu einer Agentur, die über Polizeikompetenzen verfügt und auf dem Gebiet des gesamten Staates agieren darf. Eine ebenso wichtige Entwicklung war im Innenministerium festzustellen, das die Ausarbeitung der Migrationspolitik anstieß und die Ausländerbehörde (Urzad ds. Cudzoziemcow) einrichtete. Die Verhandlungen über die Umstrukturierung der Grenzkontrollen dauerten lang; sie wurden erst im Jahr 2003 abgeschlossen, wobei es nicht die technischen Fragen waren, die zu Kontroversen führten. In Anbetracht des nahenden EU-Beitrittstermins (2004) wurde die Einführung der Schengen-Vorschriften zu einem Beitrag innerhalb einer breiteren Debatte über die polnische Außenpolitik Richtung Osten. Zweifellos war der Beitritt Polens zum Schengen-Abkommen eine prioritäre Aufgabe für den Staatsapparat. Alle polnischen Regierungen unterstrichen die Notwendigkeit, die Kräfte zu konzentrieren und in die Infrastruktur zu investieren (d. h. vor allem, eine Ausländerdatenbank zu erstellen und die Daten in das SIS-Dateisystem zu integrieren), was wiederum soziale Kosten zur Folge hatte, zum Beispiel Stellenabbau beim Grenzschutz und dessen radikale Umstrukturierung. Die Mobilisierung von staatlichen Institutionen ergab sich nicht allein aus der Tatsache, dass der Beitritt zum Schengen-Abkommen ein integraler Bestandteil der EU-Beitrittsverpflichtungen war und das Prestige des polnischen Staates positiv beeinflusste. Die Politiker waren sich auch der symbolischen Bedeutung der Grenzöffnung in Hinblick auf die öffentliche Meinung bewusst. Nicht nur einmal wurde in den öffentlichen Debatten argumentiert, dass die Aufhebung der Grenzkontrollen an den West-und Südgrenzen mit dem endgültigen Niederreißen der letzten Barrieren aus der Zeit des Kalten Krieges gleichzusetzen sei und den gleichberechtigten Status der Polen gegenüber den Bürgern anderer EU-Mitgliedsstaaten bestätigen würde.
In symbolischer Hinsicht gewann Schengen eine außerordentliche Popularität. Über den Erfolg dieses Unternehmens geben Meinungsumfragen Auskunft, die vor und nach der Aufhebung der Grenzkontrollen durchgeführt wurden. Im November 2008, ein Jahr nach der Aufhebung der Kontrollen, nahmen laut Untersuchungen des Meinungsforschungsinstituts CBOS fast zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) den Schengen-Beitritt »eher positiv« auf, nur 15 Prozent bewerteten ihn negativ. Über die Hälfte (55 Prozent) der Befragten stimmte der Aussage zu, dass die Mitgliedschaft im Schengen-System das Image Polens und der Polen verbessere, nur knapp 7 Prozent waren der Ansicht, dass das Ansehen Polens dadurch leiden würde.
Ein anderer Schlüsselfaktor für den Erfolg bei der Umsetzung der Verpflichtungen in den Bereichen Grenzkontrolle und Migration wurde die Zusammenarbeit Polens mit den Herkunfts- und Transitländern der Migranten. Polen hat mit einer Reihe von Ländern Abkommen über die Abschiebung illegaler Migranten unterzeichnet. Für den Grenzschutz hat hier die Zusammenarbeit mit der Ukraine wesentliche Bedeutung, mit der Polen den längsten Abschnitt seiner EU-Außengrenze teilt. In den vergangenen zehn Jahren haben der polnische und ukrainische Grenzschutz ein Modell effektiver Zusammenarbeit ausgearbeitet, das die Auslieferung und Aufnahme von Personen umfasst, denen der illegale Aufenthalt im ausliefernden Land nachgewiesen werden konnte und die vorher legal im aufnehmenden Land gelebt hatten. Über die Effektivität dieses Mechanismus gibt die Statistik der Abschiebungen für den Zeitraum nach dem Schengen-Beitritt Polens Auskunft: Von Januar 2008 bis Juni 2010 nahm die ukrainische Seite 958 illegale Migranten auf und lehnte dies nur in zwei Fällen ab.
Schengen als Herausforderung für Polen
Nun waren es nicht die technischen und Image-Fragen, die Gegenstand der Debatte über eine Bilanz des Schengen-Beitritts waren. Seit 1998, als im Zusammenhang mit den Erfordernissen des EU-Beitritts erste Verschärfungen der Einreisebestimmungen für Belarussen, Russen und Ukrainer eingeführt wurden, dauert die Diskussion über die daraus resultierenden Konsequenzen für die grenzübergreifenden Kontakte und weiter gefasst für die Beziehungen Polens mit seinen östlichen Nachbarn an. In den Jahren 1998 und 2004, als den betreffenden Einreisewilligen die Bedingung gestellt wurde, finanzielle Mittel für den vorgesehenen Aufenthalt vorzuweisen bzw. eine Gebühr für Visa von kürzerer Dauer eingeführt wurde, wurde ein dramatischer Rückgang des Grenzverkehrs verzeichnet. Hingewiesen wurde auf die negativen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung des östlichen Grenzgebiets, wo der informelle Handel und die Beschäftigung von Saisonarbeitern aus den östlichen Nachbarländern eine große Rolle spielen.
Das hohe Niveau des Personengrenzverkehrs mit den östlichen Nachbarn aufrechtzuerhalten, wurde zur Priorität in der polnischen Visapolitik. In diesem Zusammenhang wurde das Netz der polnischen Konsulate in Belarus, Russland und der Ukraine ausgebaut und zahlreiche kostenlose Visa an die Bürger dieser Länder ausgegeben, nämlich jährlich über eine Million, wovon über 600.000 an ukrainische Staatsbürger gingen. Die Anzahl der abgelehnten Visumsanträge sowie die Einreiseverweigerungen wurde auf ein Minimum reduziert und die Dauer der Prozedur, ein Visum auszustellen, gehörte zu den kürzesten in der EU (sie betrug bis zu zwei Tage in der Mehrheit der Fälle, angestrebt war die Visumausgabe am selben Tag). Jedoch war Polen aufgrund der Beitrittsverpflichtungen gezwungen, die standardisierten Entgelte für Kurzvisa zu erheben (35 Euro für russische und ukrainische Staatsbürger, 60 Euro für Belarussen) und die Ausgabebedingungen sowie Grenzkontrollen zu verschärfen. Ein Teil der Schengen-Vereinbarungen wurde bereits im Jahr 2004 eingeführt, zum Beispiel die Einreiseverweigerung für Personen, die in anderen EU-Staaten unerwünscht waren, dagegen die Änderungen bei den Grenzkontrollen und des Visaprozedere (Ausgabe von Schengen-Kurzvisa) erst Ende 2007.
Die Einführung der Schengen-Vorschriften hatte verstärkte Schwierigkeiten bei der Einreise auf polnisches Gebiet zur Folge. Während europaweit, d. h. EU-Länder und EFTA, ein Rückgang der Einreiseverweigerungen um über ein Fünftel verzeichnet wurde (von 636.000 im Jahr 2008 auf 501.000 im Jahr 2009), wurden 2009 an den polnischen Grenzen 60% mehr Einreiseverweigerungen erteilt als ein Jahr zuvor: 27.000 im Vergleich zu 17.000. Zweifellos hing dies mit den Änderungen der Visapolitik zusammen: 45 Prozent der Verweigerungen wurden mit fehlenden Visa begründet und weitere 35 Prozent damit, dass das tatsächliche Ziel der Reise nicht mit dem auf dem Visum angegebenen übereinstimmte. Lediglich jede zehnte Ablehnung wurde mit fehlenden finanziellen Mitteln für den Aufenthalt begründet (siehe Grafik 4 auf Seite 8).
Die Erschwernisse betrafen vor allem die östlichen Nachbarn, die die große Mehrheit der Visaantragsteller für Polen ausmachen. Im ersten Jahr des vollständigen Inkrafttretens der neuen Vorschriften fiel die Anzahl der Visa, die von den polnischen Konsulaten Bürgern aus Belarus, Russland und der Ukraine ausgestellt wurden, um fast die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr (von 1.020.000 auf 590.000) und die durchschnittliche Bearbeitungszeit stieg von zwei auf acht Tage.
Die Bürger dieser Staaten sind auch die überwältigende Mehrheit derer, denen die Einreise nach Polen verwehrt wird - 2008 waren es 95 Prozent und 2009 immer noch 75 Prozent. Sie befinden sich auch an der Spitze der Migranten, die aufgrund eines festgestellten illegalen Aufenthalts oder einer illegalen Beschäftigung abgeschoben werden. Insbesondere war bei den ukrainischen Staatsbürgern ein rascher Anstieg von Fällen illegaler Beschäftigung festzustellen (332 Personen im Jahr 2009 im Vergleich zu 87 Personen im Jahr 2008).
Die Folgen von Schengen abmildern
Die Schengen-Mitgliedschaft Polens hat die prioritäre Ausrichtung der polnischen Politik, Erleichterungen im Personengrenzverkehr mit den östlichen Nachbarn zu unterstützen, nicht verändert. Dies wird in Äußerungen von Außenminister Radoslaw Sikorski deutlich, der beständig unterstreicht, dass das langfristige Ziel Polens der visafreie Verkehr zwischen der EU und Belarus, Russland und der Ukraine ist. Indem er im Juli 2009 die Einführung des Kleinen Grenzverkehrs zwischen Polen und der Ukraine ankündigte, bekräftigte er, dass Warschau weiterhin die Europäische Kommission und weitere Partner drängen werde, »das Ziel der vollständigen Liberalisierung der Visapolitik gegenüber der Ukraine umzusetzen«. Ähnlich äußerte er sich im April 2010 in der jährlichen außenpolitischen Grundsatzrede im Sejm, in der er es als Ziel der polnischen Diplomatie bezeichnete, »für die Länder der Östlichen Partnerschaft und auch für Russland eine Roadmap zur Erreichung des visafreien Verkehrs zu formulieren«.
Die Schengen-Mitgliedschaft brachte neue Bedingungen für die Visapolitik gegenüber den östlichen Nachbarn mit sich. Mit der Annahme des Acquis communautaire führte Polen im Jahr 2003 die Visapflicht für belarussische, russische und ukrainische Staatsbürger ein. Ab Ende 2007 galt in Gänze das verschärfte Prozedere der Visaausgabe entsprechend der Schengen-Standards. Eine Schlüsselbedeutung nimmt die restriktivere Anwendung der Bedingungen ein, dass das angegebene Reiseziel mit dem tatsächlichen übereinstimmt und dass die materiellen Mittel zur Sicherung des Aufenthalts vorhanden sind. Während es vor dem Schengen-Beitritt noch häufig vorkam, dass Ukrainer, Belarussen und Russen Touristenvisa zur Arbeitsmigration nach Polen nutzten, machen die nun verschärften Kontrollen an der Grenze und am Arbeitsplatz dieses Vorgehen unattraktiv.
Die genannten Restriktionen führten zu einer deutlichen Reduzierung des Grenzverkehrs an der Schengen-Außengrenze. Der Höhepunkt des Grenzverkehrs lag im Jahr 2006, als insgesamt fast 33 Millionen Grenzübertritte verzeichnet wurden, davon betraf die Mehrheit (fast 19,5 Millionen) die polnisch-ukrainische Grenze. 2007 wurden die ersten Anzeichen eines Rückgangs sichtbar, und zwar um 1,5 Millionen. 2008, im ersten vollständigen Jahr der Umsetzung des Schengen-Abkommens, wurde ein Rückgang um weitere 8 Millionen registriert (insgesamt übertraten 23,4 Millionen Personen die Grenze). Die Tendenz setzte sich 2009 mit einer noch niedrigeren Quote fort: 40 Prozent Grenzübertritte weniger als noch zwei Jahre zuvor, nämlich lediglich 18,9 Millionen.
Die härteren Bedingungen bei der Vergabe von Touristenvisa wurden seit 2006 von einem erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt für die östlichen Nachbarn begleitet. Indem er sich auf die »Mobilitätspartnerschaft« zwischen der Europäischen Union und ihren östlichen Nachbarländern berief, erließ der Minister für Arbeit und Sozialpolitik am 30. August 2006 eine Verordnung, die Staatsbürgern aus Belarus, Moldawien, Russland und der Ukraine erlaubt, sechs Monate im Jahr als Saisonarbeiter in Polen beschäftigt zu werden. Dabei wurde auch das Einstellungsprozedere für Saisonarbeiten vereinfacht, so dass Ausländer mit einer Bescheinigung des Arbeitgebers ein Arbeitsvisum beantragen können.
Diese Lösung wurde aufgrund der starken Nachfrage der polnischen Landwirtschaft und Bauwirtschaft eingeführt, die über Arbeitskräftemangel klagten. Dieser war darauf zurückzuführen, dass eine starke Emigrationsbewegung aus den ländlichen Regionen Polens wie auch unter Beschäftigten in der polnischen Bauwirtschaft in andere EU-Länder stattfand. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten (die neue Lösung wurde verzögert publik gemacht) hat sich dieses System bewährt und wurde auf andere Sektoren ausgeweitet. Im Jahr 2009 meldeten Unternehmer einen Bedarf von 191.524 Arbeitsplätzen für Ausländer (davon waren schließlich 183.281 ukrainische Staatsbürger). Zwei Drittel der Stellenangebote betrafen den landwirtschaftlichen Sektor und das Bauwesen (ca. 10 Prozent). Laut Informationen des Ministeriums für Arbeit soll dieses Programm für das Jahr 2011 und folgende verlängert werden.
Um den zwischenmenschlichen Kontakt in den Grenzgebieten auf- und auszubauen, wäre jedoch eine komplexere Lösung notwendig. Als Beispiel kann das am 28. März 2008 mit der Ukraine unterzeichnete Regierungsabkommen über den Kleinen Grenzverkehr genannt werden. Auch wenn es nicht für beide Seiten vollkommen zufriedenstellend ist (aus EU-rechtlichen Gründen konnte Lemberg nicht in das Gebiet des Kleinen Grenzverkehrs aufgenommen werden), erlaubte es 840.000 ukrainischen Staatsbürgern, die in einem 50 Kilometer breiten Grenzstreifen an der Grenze zu Polen wohnen, sich in innerhalb von sechs Monaten bis zu 90 Tage in den grenznahen Verwaltungskreisen auf polnischem Gebiet aufzuhalten. Von dem Interesse an dieser Lösung zeugt die Tatsache, dass seit ihrem Inkrafttreten am 1. Juli 2008 bis Ende September 2010 über 2,7 Millionen Grenzübertritte in diesem Rahmen registriert worden sind.
Eine noch größere Bedeutung haben die in die Wege geleiteten Einreiseerleichterungen für belarussische Staatsbürger, die den höchsten Kostensatz (60 Euro) für das Schengen-Visum zahlen müssen, da Minsk nicht Teilnehmer der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist. Ein Abkommen über den Kleinen Grenzverkehr wurde im Februar 2009 unterzeichnet und im November 2010 durch die untere Kammer des belarussischen Parlaments ratifiziert. Seitdem wartet es auf die Ratifizierung durch die obere Parlamentskammer und die Unterschrift des Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko. Jedoch stand der Umsetzung dieses Abkommens, das 800.000 belarussischen Staatsbürgern den freien Reiseverkehr in das polnische Grenzgebiet ermöglichen würde (wo übrigens die belarussische Minderheit stark vertreten ist), die krisenhafte Situation nach den belarussischen Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010 im Wege.
Als der Dialog über den Kleinen Grenzverkehr nach den Präsidentschaftswahlen eingefroren wurde, veranlasste Außenminister Sikorski, dass die polnischen Behörden seit dem 1. Januar 2011 belarussischen Staatsbürgern kostenfreie Landesvisa (d. h. mit einer Dauer von mehr als drei Monaten) ausstellen. Der Sprecher des Außenministeriums, Marcin Bosacki, unterstrich, dass dies »ein eindeutiges Symbol der polnischen Solidarität mit der belarussischen Gesellschaft« sei. Gleichzeitig machte er deutlich, dass sich Polen das Recht vorbehält, »Vertretern der belarussischen Staatsmacht, die an der präzedenzlosen Welle von Repressionen beteiligt waren, keine Einreise nach Polen zu gewähren«. Aus diesem Grund wird eine Liste in Polen unerwünschter Personen zusammengestellt, die auch dem Schengen-System zugänglich gemacht wird und den diplomatischen Vertretern anderer Länder als Warnung vor der Ausstellung einer Einreiseerlaubnis für die betreffenden Personen in die Schengen-Zone dienen soll. Das Außenministerium rechnet damit, dass die Aufhebung der Gebühren für Landesvisa (bisher hatten sie 20 Euro gekostet), von denen im Jahr 2010 über 50.000 ausgestellt wurden, die Nachfrage erhöhen wird.
Fazit
Seit dem Beitritt zur Schengen-Zone ist Polen ein wichtiges Element des europäischen Grenzkontrollsystems, worauf der Anstieg der Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen sowie im Landesinneren hinweisen. Zweifellos wurde die Reisefreiheit innerhalb der EU von den Polen enthusiastisch als Ende der aus den Zeiten des Kalten Krieges stammenden Teilung des europäischen Kontinents begrüßt. Gleichzeitig erforderte die Einführung von Verschärfungen der Einreisebestimmungen für das polnische Staatsgebiet, die die Staatsbürger postsowjetischer Länder betraf (mit denen Polen in jahrhundertealten kulturellen Beziehungen und Traditionen verbunden ist), Lösungen, die die negativen Folgen des Schengen-Abkommens abmildern. Obgleich Experten und Politiker darin übereinstimmen, dass erst die Integration von Belarus und der Ukraine in die Europäische Union (wozu auch der visafreie Verkehr gehören würde) sowie die Vertiefung des Dialogs mit Russland erlauben würden, die Kontaktbarrieren aufzuheben, so geben doch die derzeitigen Erfahrungen bilateraler Lösungen (Kleiner Grenzverkehr, Erleichterungen beim Eintritt auf den Arbeitsmarkt, kostenfreie Visa) Anlass zu einem gemäßigten Optimismus auf diesem Gebiet.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Über den Autor
Piotr Kamierkiewicz, Absolvent der Politikwissenschaften der US-amerikanischen Southern Oregon University (B.A.) und der Central European University in Budapest (M.A.), ist seit 2002 Mitarbeiter am Instytut Spraw Publicznych (Institut für Öffentliche Angelegenheiten) in Warschau und Berater internationaler Organisationen (u. a. der International Organization for Migration). Er ist Autor von Publikationen zur polnischen und ukrainischen Migrationspolitik, zum Grenzschutz sowie zur polnischen und europäischen Entwicklungspolitik.