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Analyse: Die Militarisierung der Oblast Kaliningrad und die Bedeutung für die Sicherheit Polens | bpb.de

Analyse: Die Militarisierung der Oblast Kaliningrad und die Bedeutung für die Sicherheit Polens Polen-Analysen Nr. 287

Agnieszka Legucka Warschau Polnisches Institut für Internationale Angelegenheiten Agnieszka Legucka

/ 13 Minuten zu lesen

Die Oblast Kaliningrad war für Russland seit jeher ein wichtiger Militärstützpunkt. Seit einigen Jahren wird die Region erneut militärisch intensiv ausgebaut. Dies stellt das angrenzende Polen vor sicherheitspolitische Herausforderungen.

Im September 2021 fahren russische Militärfahrzeuge während einer Parade in Kaliningrad. (© picture-alliance)

Zusammenfassung

Zusammenfassung>Die Oblast Kaliningrad ist für die Russische Föderation von großer Bedeutung. Dort ist die Baltische Flotte stationiert und werden die Strukturen der Landstreitkräfte ausgebaut. Seit einigen Jahren betreibt Russland eine starke Militarisierung der Exklave. Dazu gehören die Dislozierung des Luftabwehrsystems S-400, die Ausstattung der Marine mit Kalibr Lenkwaffen sowie der Beginn der Dislozierung von Iskander-Raketensystemen, was den Aufbau einer Anti-Access Area Denial (A2AD)-Zone ermöglicht. Für die angrenzenden NATO-Staaten, so auch Polen, bedeutet das, in unmittelbarer Reichweite russischer Massenvernichtungswaffen zu liegen.

Die Geographie und Geschichte der Militarisierung der Oblast Kaliningrad

Geographisch ist die an der Ostsee gelegene Oblast Kaliningrad der am weitesten im Westen gelegene Teil der Russischen Föderation. Es besteht keine direkte Landverbindung nach Russland. Die Exklave grenzt an Polen und Litauen sowie an die Ostsee. Die Oblast Kaliningrad ist mit ihren 15.100 km2 der kleinste Teil der Russischen Föderation. Dort leben 947.000 Einwohner. Bei einer Bevölkerungsdichte von 62,7 Personen pro km2 liegt sie jedoch auf Platz drei im russischen Vergleich. Die gemeinsame Grenze mit Polen ist 210 Kilometer lang; sie verläuft entlang der Woiwodschaft Ermland-Masuren (województwo warmińsko-mazurskie) und grenzt auf der Frischen Nehrung an die Woiwodschaft Pommern (woj. pomorskie).

Zur Zeit der Sowjetunion war die Oblast Kaliningrad einer der wichtigsten strategischen Punkte des Sowjetreiches, auch die "bewaffnete Faust der UdSSR an der Ostsee" genannt. Die Anzahl der stationierten Soldaten lag hier während des Kalten Krieges bei 500.000 und die Militärstützpunkte waren Moskau direkt unterstellt. Das Kommando der Baltischen Flotte wurde 1956 von Leningrad in den Hafen von Baltijsk (Pillau), den Vorhafen Kaliningrads, verlegt, der sich zum größten Marinestützpunkt der russischen Flotte an der Ostsee entwickelte. Im Kaliningrader Gebiet, das zum Baltischen Militärdistrikt gehörte, waren schlagkräftige Militäreinheiten der Roten Armee stationiert, v. a. der 11. Gardearmee, der Luftstreitkräfte, der Flugabwehr und des Grenzschutzes.

Die von Michail Gorbatschow, Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Ende der 1980er Jahre begonnene und von Boris Jelzin, dem ersten Präsidenten Russlands, fortgeführte Reduzierung der Streitkräfte in Verbindung mit den im Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag, 1990) vereinbarten Obergrenzen führte dazu, dass die russische Armee in eine Verteidigungsarmee transformiert wurde. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor die Baltische Flotte zugunsten der neuen unabhängigen baltischen Staaten wichtige strategische Infrastruktur: 80 Prozent ihrer Stützpunkte (14 von 16), 60 Prozent der Kais, 75 Prozent der Reparaturwerften, 30 Prozent der Treibstofflager und 30 Prozent der Flughäfen. Die Zahl der in der Oblast Kaliningrad stationierten Soldaten wurde ebenfalls reduziert. Im Juli 1992, in der Anfangsphase des Aufbaus der russischen Marine, hatte die Baltische Flotte ca. 90.000 Soldaten und Matrosen; zu ihrer Ausrüstung gehörten 188 Kampfflugzeuge und 397 Schiffe, davon 54 Kampfschiffe.

Zu der größten Konzentration der Landstreitkräfte in der Oblast Kaliningrad kam es im Zusammenhang mit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus der ehemaligen DDR und den ostmitteleuropäischen Staaten. Die Oblast Kaliningrad wurde zur Drehscheibe für das sowjetische Militärpersonal und schwere Gerät. Zwischen 1992 und 1994 stieg die Zahl der dort stationierten Militärangehörigen verschiedenen Angaben zufolge auf 100.000 bis 300.000. Auf die Nachbarn Polen und Litauen wirkte das beunruhigend, umso mehr als verhandelt worden war, dass der Abzug über Litauen gehen sollte, was für Konflikte in den litauisch-russischen Beziehungen sorgte. Der damalige polnische Präsident Lech Wałęsa, der im Februar 1992 die baltischen Staaten besuchte, bezeichnete die starke militärische Konzentration auf so kleinem Gebiet als "alarmierend".

Die strategische Bedeutung der Oblast Kaliningrad für Russland

Geographisch ist die an der Ostsee gelegene Oblast Kaliningrad der am weitesten im Westen gelegene Teil der Russischen Föderation. Es besteht keine direkte Landverbindung nach Russland. Die Exklave grenzt an Polen und Litauen sowie an die Ostsee. Die Oblast Kaliningrad ist mit ihren 15.100 km2 der kleinste Teil der Russischen Föderation. Dort leben 947.000 Einwohner. Bei einer Bevölkerungsdichte von 62,7 Personen pro km2 liegt sie jedoch auf Platz drei im russischen Vergleich. Die gemeinsame Grenze mit Polen ist 210 Kilometer lang; sie verläuft entlang der Woiwodschaft Ermland-Masuren (województwo warmińsko-mazurskie) und grenzt auf der Frischen Nehrung an die Woiwodschaft Pommern (woj. pomorskie).


Zur Zeit der Sowjetunion war die Oblast Kaliningrad einer der wichtigsten strategischen Punkte des Sowjetreiches, auch die »bewaffnete Faust der UdSSR an der Ostsee« genannt. Die Anzahl der stationierten Soldaten lag hier während des Kalten Krieges bei 500.000 und die Militärstützpunkte waren Moskau direkt unterstellt. Das Kommando der Baltischen Flotte wurde 1956 von Leningrad in den Hafen von Baltijsk (Pillau), den Vorhafen Kaliningrads, verlegt, der sich zum größten Marinestützpunkt der russischen Flotte an der Ostsee entwickelte. Im Kaliningrader Gebiet, das zum Baltischen Militärdistrikt gehörte, waren schlagkräftige Militäreinheiten der Roten Armee stationiert, v. a. der 11. Gardearmee, der Luftstreitkräfte, der Flugabwehr und des Grenzschutzes.


Die von Michail Gorbatschow, Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Ende der 1980er Jahre begonnene und von Boris Jelzin, dem ersten Präsidenten Russlands, fortgeführte Reduzierung der Streitkräfte in Verbindung mit den im Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag, 1990) vereinbarten Obergrenzen führte dazu, dass die russische Armee in eine Verteidigungsarmee transformiert wurde. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor die Baltische Flotte zugunsten der neuen unabhängigen baltischen Staaten wichtige strategische Infrastruktur: 80 Prozent ihrer Stützpunkte (14 von 16), 60 Prozent der Kais, 75 Prozent der Reparaturwerften, 30 Prozent der Treibstofflager und 30 Prozent der Flughäfen. Die Zahl der in der Oblast Kaliningrad stationierten Soldaten wurde ebenfalls reduziert. Im Juli 1992, in der Anfangsphase des Aufbaus der russischen Marine, hatte die Baltische Flotte ca. 90.000 Soldaten und Matrosen; zu ihrer Ausrüstung gehörten 188 Kampfflugzeuge und 397 Schiffe, davon 54 Kampfschiffe.

Zu der größten Konzentration der Landstreitkräfte in der Oblast Kaliningrad kam es im Zusammenhang mit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus der ehemaligen DDR und den ostmitteleuropäischen Staaten. Die Oblast Kaliningrad wurde zur Drehscheibe für das sowjetische Militärpersonal und schwere Gerät. Zwischen 1992 und 1994 stieg die Zahl der dort stationierten Militärangehörigen verschiedenen Angaben zufolge auf 100.000 bis 300.000. Auf die Nachbarn Polen und Litauen wirkte das beunruhigend, umso mehr als verhandelt worden war, dass der Abzug über Litauen gehen sollte, was für Konflikte in den litauisch-russischen Beziehungen sorgte. Der damalige polnische Präsident Lech Wałęsa, der im Februar 1992 die baltischen Staaten besuchte, bezeichnete die starke militärische Konzentration auf so kleinem Gebiet als »alarmierend«.

Die strategische Bedeutung der Oblast Kaliningrad für Russland


Die russische Grenze an der Ostsee ist 1.900 Kilometer lang und verläuft am Finnischen Meerbusen sowie auf einer Länge von 160 Kilometern an der Oblast Kaliningrad. Das Gebiet gilt als strategisch außergewöhnlich bedeutend. Es ermöglicht, die gesamte Ostsee zu kontrollieren und effizient Einfluss auf die Anrainerstaaten zu nehmen. Die wichtigsten Aufgaben der Baltischen Flotte sind die Abschreckung eines potentiellen Aggressors, Verteidigung der territorialen Integrität, Schutz der eigenen Küstenmeere und Unterstützung der russischen Außenpolitik.


Die geographische Lage der wichtigsten Marinestützpunkte in der Exklave erlaubt es Russland, eine strategische Position in der Ostsee zu halten. Der Stützpunkt bei St. Petersburg garantiert Russland nicht die entsprechenden Bedingungen für die Kontrolle der Seewasserstraßen in diesem Gebiet, denn er befindet sich am östlichen Rand des Finnischen Meerbusens und kann leicht von den Marinestützpunkten in Tallin (Estland) und Hanko (Finnland) blockiert werden. Daher ist der Marinestützpunkt in der Oblast Kaliningrad so wesentlich. Von hier aus hat die Russische Föderation günstige Bedingungen, auf Polen und Litauen sowohl von der Seeseite als auch von Land militärisch einzuwirken. Die im Kaliningrader Gebiet stationierten Seestreitkräfte haben eine gute Ausgangslage, die Danziger Bucht, insbesondere die Häfen der Dreistadt (Danzig/Gdańsk, Zoppot/Sopot, Gdingen/Gdynia), zu blockieren. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, die Seewasserstraßen zwischen den polnischen Häfen und denen anderer Staaten im gesamten Ostseeraum zu kontrollieren. Die Landstreitkräfte, die in der Oblast Kaliningrad stationiert sind, haben wiederum günstige Bedingungen für Angriffe auf das polnische Territorium in Richtung nördlicher Mittellauf und Unterlauf der Weichsel mit dem Ziel, die Häfen der Dreistadt sowie den Schiffsverkehr auf der Weichsel zu blockieren und somit Warschau von Westen aus zu bedrohen.

Trotz ihrer geographischen Isolation hat die Oblast Kaliningrad aus mehreren Gründen auch eine geostrategische Bedeutung für Russland. Es handelt sich hier nicht nur um das am weitesten westlich gelegene Territorium der Russischen Föderation, sondern auf diesem Gebiet befindet sich auch der einzige eisfreie Hafen der Baltischen Flotte. Der Marinestützpunkt in Baltijsk könnte eine stabilisierende Rolle im Ostseeraum einnehmen. Darüber hinaus verfügt das Kaliningrader Gebiet über bedeutende natürliche Ressourcen (Bernstein, Erdöl, Wälder, Fisch). In Programmen der Russischen Föderation zur Entwicklung einer Sonderwirtschaftszone in der Oblast Kaliningrad werden weitere strategische Interessen genannt. Neben der bereits erwähnten Sicherstellung der Souveränität der Russischen Föderation auf diesem Territorium beispielsweise die Gewährleistung der Verteidigungsfähigkeit für Russland unter Einsatz des Kaliningrader Gebietes und die Beschleunigung der Entwicklung außenwirtschaftlicher Beziehungen zu europäischen Staaten und die Transformation der Oblast von einer Empfängerregion zu einer Region, die in den Haushalt der Russischen Föderation einzahlt.

Weiter wird in diesen Programmen aufgeführt, dass die Oblast Kaliningrad die Interessen der Russischen Föderation realisieren soll. Dazu gehört auch, die Störung des militärischen Gleichgewichtes zwischen den Ostseeanrainerstaaten zu verhindern, die Verkehrsverbindungen mit Russland aufrecht zu erhalten und die nachbarschaftliche Zusammenarbeit auf der Basis der Grundsätze und Normen der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie des internationalen Rechtes zu entwickeln.

Die Erweiterung der NATO löste erneut eine Diskussion über die Rolle und Bedeutung der Oblast Kaliningrad für die Sicherheit der Russischen Föderation aus. Ende der 1990er Jahre tauchten Meldungen über eine mögliche Stationierung taktischer Nuklearwaffen auf dem Territorium auf, die wiederholt von Vertretern des russischen Verteidigungsministeriums dementiert wurden. Es sei daran erinnert, dass die Russische Föderation das Recht für sich beansprucht, Nuklearwaffen in folgenden Fällen einzusetzen: bei einem Angriff mit Atom- oder anderen Massenvernichtungswaffen auf Russland oder seine Verbündeten sowie bei großen Einsätzen konventioneller Waffen gegen Russland und seine Verbündeten, die zu einer schweren Gefährdung ihrer nationalen Sicherheit führen. In diesem Fall behält sich die Russische Föderation das Recht vor, Nuklearwaffen als Erste einzusetzen. Russland erklärt in seiner Militärdoktrin, dass es keine Nuklearwaffen gegen einen Staat einsetzen wird, der Mitglied des Atomwaffensperrvertrages (1968) ist und keine Atomwaffen besitzt. Ausnahmen wären ein Angriff auf die Russische Föderation, ihre Streitkräfte sowie andere Streitkräfte, Verbündete oder Staaten, gegenüber denen die Russische Föderation Schutzverpflichtungen hat.

Eine weitere Diskussion kam im Zusammenhang mit den US-amerikanischen Plänen auf, Teile eines Raketenschutzschildes in Europa zu errichten. Erneut verbreiteten sich Informationen über die Notwendigkeit, in der Oblast Kaliningrad aufzurüsten, um in der Lage zu sein, Russland vor den Plänen seiner Nachbarn Polen und Tschechien strategisch zu schützen. In diesem Zusammenhang schlug der damalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk dem russischen Außenminister Sergej Lawrow während seines Besuchs in Polen am 11. September 2008 vor, gemeinsam die Militäranlagen zu besichtigen. Im Gegenzug der russischen Inspektion in Redzikowo (westlich von Danzig) sollten polnische Beobachter die Militärbasen in der Oblast Kaliningrad besichtigen.



Der damalige Präsident Russlands, Dimitri Medwedew, bestätigte in seiner Rede vom 5. November 2008 die Nachricht, dass die Oblast Kaliningrad im Zusammenhang mit dem Bau des Raketenschutzschildes in Polen und Tschechien mit den ballistischen Boden-Boden-Kurzstreckenraketen »Iskander« (NATO-Code: SS-26 Stone) ausgestattet wird. Es handelt sich um ein fahrzeuggebundenes, mobiles Raketensystem, das gegen gegnerische Ziele an Land eingesetzt werden kann. Nach Aussage des russischen Präsidenten soll »die Stationierung der Iskander-Raketen das US-amerikanische Antiraketensystem neutralisieren«. Russland wolle kein neues Wettrüsten, sei aber gezwungen, auf Sicherheitsrisiken zu reagieren. Russland sei daher bereit, diese Entscheidung zurückzunehmen, wenn die USA vom Raketenschutzschild Abstand nähmen. Die Iskander-M können mit ihrer Reichweite von 400–500 Kilometer u. a. das polnische Territorium und Teile Tschechiens erreichen. Russische Politiker und Diplomaten versicherten darüber hinaus, dass »sich Polen im Visier des russischen Verteidigungssystems befindet […]. Das ist keine Drohung, sondern eine Bestätigung der Tatsachen. Alle Elemente der Verteidigungssysteme Russlands und Amerikas dienen der gegenseitigen Kontrolle […] das ist die Logik und das Wirkungsrecht dieser Systeme. Mit seiner Entscheidung für den Raketenschutzschild hat Polen eine Wahl getroffen und befindet sich in der Schusslinie«. Dimitri Rogosin, ständiger Vertreter Russlands bei der NATO, sagte, Russland sei bereit, sich aus den Vereinbarungen über die Beschränkung von Kurz- und Mittelstreckenraketen zurückzuziehen, die »uns [Russland, d.Verf.] bei einer symmetrischen Antwort behindern«.

Die Remilitarisierung der Exklave und die Konfrontation mit dem Westen

Der Remilitarisierungprozess des Kaliningrader Gebietes hatte die Umwandlung des Territoriums in eine Anti-Access Area Denial (A2AD)-Zone zur Folge [A2AD meint die Fähigkeit, gegnerischen Einheiten zu Lande, zu Wasser und in der Luft den Zugang und/oder die Bewegungsfreiheit in einem ausgewählten Operationsgebiet mit militärischen Mitteln zu versagen, mindestens aber zu erschweren, d.Red.]. Infolge der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 und der wachsenden Entfremdung zwischen Moskau und seinen westlichen Partnern erreichte die Militarisierung der Oblast Kaliningrad eine neue Qualität. Im Zusammenhang mit den Veränderungen bei der Kriegsführung investierte Russland außer in militärische Aktivitäten gleichzeitig deutlich in nicht-militärische Bereiche, beispielsweise Propagandatätigkeiten und Desinformation. Die russische Regierung schürte die Bedrohung vonseiten der NATO und begründete so organisatorische Veränderungen bei der Baltischen Flotte. Seit 2016 wurden für den Stützpunkt der bisherigen Landeinheiten, das 11. Armeekorps, Lieferungen neuer Ausrüstung angekündigt

Schätzungen zufolge sind insgesamt ca. 25.000 Soldaten in der Oblast Kaliningrad stationiert. Schlüsselbedeutung für die Kampffähigkeit der Streitkräfte der Russischen Föderation im Ostseeraum hatte die Aufstellung des Luftabwehrsystems S-400 mit einer Reichweite von 400 Kilometern in den Jahren 2012 bis 2013, des Raketensystems der Küstenverteidigung Bastion sowie der Beginn (Oktober 2016) der Dislozierung der Iskander-M mit einer Reichweite von mindestens 500 Kilometern im Kaliningrader Gebiet. Beim Raketensystem Bastion ist davon auszugehen, dass hier Kalibr-Lenkwaffen mit einer Reichweite von mindestens 1.500 Kilometern stationiert sind. Der Beginn der Modernisierung der Infrastruktur ging mit einer fortschreitenden Professionalisierung einher, vor allem jedoch damit, die Einheiten in der Exklave mit neuen Waffentypen auszurüsten. In den Jahren 2017 bis 2018 wurden u. a. Teile des Iskander-Systems erneuert, mit denen die 152. Raketenbrigade ausgestattet wurde, und wurde das 25. Raketenregiment der Küstenverteidigung mit den Raketensystemen Bal und Bastion ausgestattet. Außerdem wurde mit der Modernisierung der Infrastruktur weiterer militärischer Einheiten begonnen. Mitte 2019 wurde die Erneuerung eines Lagers, auch für Uranmunition, abgeschlossen.

Aufgrund der Dislozierung neuer Typen von Raketensystemen ist das Gebiet von sehr großer Bedeutung, um militärische Aktivitäten an der NATO-Ostflanke behindern oder stoppen zu können. Insofern hat es strategische Bedeutung für die Sicherheit Polens. Die Streitkräfte der Oblast Kaliningrad sind nicht nur ein wichtigen Teil der Baltischen Flotte, sondern auch der seit 2018 ausgebauten Luft-Land-Streitkräfte, die vor allem aus Offensiv-Einheiten bestehen.

Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren die Rolle der Exklave als Vorstoß-Basis für Geheimdienstaufgaben des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB (Grenzaufklärung) u. a. auf polnischem Gebiet vergrößerte.

Die Bedeutung für die Sicherheit Polens

Polen hat seit vielen Jahren auf die Militarisierung der Oblast Kaliningrad durch Russland, wozu die Stationierung neuer Waffenarten (u. a. Mittelstreckenraketen, die mit Nuklearsprengköpfen aufgerüstet werden können) gehört, aufmerksam gemacht. Russland hat sich aus wichtigen internationalen Vereinbarungen zurückgezogen, u. a. aus dem KSE-Vertrag. Zusätzlich stellt die Wiedereinsetzung eines Jagdgeschwaders in der Exklave Kaliningrad eine Herausforderung für die polnische Luftwaffe und die Luftstreitkräfte der NATO-Staaten dar, die an der Mission des NATO Baltic Air Policing (BAP) zum Schutz der Integrität des baltischen Luftraumes beteiligt sind. Möglich sind zunehmende Verletzungen des Luftraumes der baltischen NATO-Staaten durch russische Jagdflieger sowie Flüge direkt an der Grenze, was zu häufigeren Einsätzen im Rahmen der BAP führen würde.

In Strategiekonzeptionen der polnischen Regierung wird unterstrichen, dass Polen die Teilung Europas in Einflusszonen und die Beschränkung der staatlichen Souveränität nicht akzeptiert, wie Russland dies beispielsweise im Fall Georgiens oder der Ukraine, kombiniert mit der Forderung nach Garantie für die Nichterweiterung der NATO, praktiziert hat.


In der »Verteidigungskonzeption der Republik Polen« (Koncepcja obronna RP), herausgegeben vom Verteidigungsministerium im Mai 2017, wird die Bedrohung durch eine aggressive Politik Russlands als vordringliche Herausforderung bezeichnet. Dazu heißt es in der »Nationalen Sicherheitsstrategie der Republik Polen« (Strategia Bezpieczeństwa Narodowego Rzeczypospolitej Polskiej, 2020), dass »die Russische Föderation intensiv ihr militärisches Offensivpotential ausbaut (in westlicher Richtung), Anti-Access Area Denial-Zonen entwickelt, u. a. im Ostseeraum in der Oblast Kaliningrad, sowie Militärmanöver in großem Ausmaß durchführt, die sich auf Konfliktszenarien mit den Staaten des Nordatlantikpaktes, einen schnellen Durchmarsch großer Militäreinheiten und sogar den Einsatz von Nuklearwaffen stützen«. Aus strategischen Gründen hat die polnische Regierung entschieden, bis zum Jahr 2022 einen Schifffahrtskanal durch die Frische Nehrung auf polnischem Gebiet zu bauen. So soll verhindert werden, dass die Verlegung polnischer Einheiten durch das zu Russland gehörende Pillauer Tief blockiert wird. Langfristig soll der Kanal durch das Haff ca. einen Kilometer lang sein und die Schifffahrt zum Hafen in Elbing (Elbląg) unter Umgehung der russischen Hoheitsgewässer ermöglichen. Zudem soll Polen auch in wirtschaftlicher und touristischer Hinsicht von Russland unabhängig werden, zumal es in den 1990er Jahre Fälle gab, dass polnischen Schiffen keine Durchfahrtserlaubnis erteilt wurde.

Ein weiteres Problem ist die Gefährdung der ökologischen Sicherheit durch russische militärische Aktivitäten und Ausrüstung. Das Hauptproblem besteht in der Nutzung und Lagerung veralteter Militärtechnik und Munition, was im Verantwortungsbereich des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation liegt. Die bisherige Nutzung entspricht nicht den europäischen Standards und Normen.

Zusammengefasst

Die Militarisierung der Exklave Kaliningrad schreibt sich in die russische Konfrontationspolitik ein, die Russland seit einigen Jahren gegenüber dem Westen und insbesondere den Ländern der NATO-Ostflanke betreibt. Die Einrichtung einer Anti-Access Area Denial-Zone in der Oblast Kaliningrad sowie die Ausstattung mit Raketen, die mit Nuklearsprengköpfen bestückt werden können, führten zu Spannungen in den gegenseitigen Beziehungen. Weiter schlägt Russland eine Reihe von rechtlichen und politischen Vereinbarungen darüber vor, dass die USA und andere NATO-Staaten an der Grenze zu Russland keine Raketenabwehrsysteme errichten sollen (auch nicht in den Ländern der Bündnispartner), was auch den Raketenschutzschild in Polen (Redzikowo) beträfe. Die NATO solle zu ihren Bündnisgrenzen von 1997 zurückkehren. Außerdem will die Russische Föderation die Einschränkung von Militärübungen auf Gebieten der NATO-Partner, die an Russland grenzen. Um militärische Vorfälle zu vermeiden, sollen die NATO-Staaten und Russland darüber hinaus Sicherheitsabstände für ihre Kriegsschiffe und Militärflugzeuge in den internationalen Gewässern sowie im Luftraum vereinbaren. Im Austausch sei Russland bereit, den regelmäßigen Dialog mit dem US-Verteidigungsministerium sowie die Zusammenarbeit mit der NATO vollumfänglich wieder aufzunehmen. Russland will, dass militärische Sicherheitsaspekte von den Verteidigungs- und Außenministerien Russlands und der NATO-Staaten thematisiert werden. Allerdings bietet es im Gegenzug nicht den Abzug der Iskander-Raketen aus der Oblast Kaliningrad und die Reduzierung der militärischen Bedrohung in der Region an. Polen stellt daher klar, dass ein Dialog, der auf »Erpressung« gründet, keinen Nutzen für die europäische Sicherheit bringt. Zurzeit befinden sich in Russland mehr Nuklearsprengköpfe als bei den drei Atommächten der NATO – USA, Großbritannien und Frankreich – zusammen. Moskau unterhält ein ausdifferenziertes System, um seine Tausenden Atomwaffen – von Interkontinentalraketen über Langstrecken-Kampfflugzeuge bis zu Atom-U-Booten – zu verlegen. Es hat eine der drei stärksten konventionellen Armeen der Welt und ein Vetorecht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die Russische Föderation gehört daher zu den militärisch sichersten Staaten der Welt.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Quelle: Strategia Bezpieczeństwa Narodowego Rzeczypospolitej Polskiej [Nationale Sicherheitsstrategie der Republik Polen]. Warszawa 2020. S. 6–10. Externer Link: https://www.bbn.gov.pl/pl/prace-biura/publikacje/8808,Strategia-Bezpieczenstwa-Narodowego-Rzeczypospolitej-Polskiej.html (abgerufen am 31.01.2022).

Weitere Inhalte

Dr. habil. Agnieszka Legucka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Schwerpunkt Russland im Osteuropa-Programm des Polnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten (Polski Instytut Spraw Międzynarodowych – PISM), Warschau. Ihre Forschungsgebiete sind die Innen- und Außenpolitik Russlands, die Beziehungen Russlands zur Europäischen Union und zur NATO, Desinformationsaktivitäten und hybride Gefahren von Seiten Russlands sowie Fragen der Sicherheit und Konflikte in der östlichen Nachbarschaft der Europäischen Union. Außerdem ist sie als außerordentliche Professorin am Fachbereich Finanzen und Internationale Beziehungen der Akademie für Finanzen und Business Vistula (Akademia Finansów i Biznesu Vistula), Warschau, sowie stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Sprawy Międzynarodowe ("Internationale Angelegenheiten") tätig.