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Kommentar: Der homophobe Tsunami in Polen | bpb.de

Kommentar: Der homophobe Tsunami in Polen

Cecylia Jakubczak

/ 6 Minuten zu lesen

"Wenn Flaggen brennen..." In Polen zünden Demonstrierende Regenbogenflaggen an - am 76. Jahrestag des Warschauer Aufstandes. (© picture-alliance, NurPhoto, Aleksander Kalka)

Auch wenn das Jahr 2020 als das Jahr in die Geschichte eingehen wird, in dem ein homophober Tsunami durch Polen ging, begann der Kampf der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość  – PiS) gegen die mystische "LGBT-Ideologie" schon etwas früher, und zwar im Jahr 2018. Damals zeigte der PiS -Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński zum ersten Mal mit dem Finger auf LGBT-Personen, um sie ein Jahr später als öffentlichen Feind Nummer eins zu taufen und damit ein deutliches Angriffssignal zu geben. Und obwohl der Plan, die eigene Regierungsmacht mit Hilfe einer Sündenbock-Strategie aufrechtzuerhalten "zum Erfolg verurteilt" zu sein schien, hat der von Kirchenoberhäuptern und den diensteifrigen regierungsnahen öffentlichen Medien unterstützte Kaczyński eines nicht vorhergesehen: Die homophoben Aktivitäten der Regierung rufen in der polnischen Gesellschaft entschiedenen Widerspruch hervor. Im Folgenden wird dargestellt, was in der letzten Zeit in Polen dazu führte, dass die LGBT-Community sagte, "Es reicht!"

Sündenbock im Regenbogengewand

Die Zeitgeschichte weist zahlreiche Beispiele von Politikern auf, die sich mit dem Ziel, Macht zu erlangen oder zu erhalten, entschlossen, ihre Taktik auf den Sündenbockmechanismus abzustellen. Sie zeigen auf ein Opfer, das die Schuld für jedwedes Unglück trägt oder eine gesellschaftliche Bedrohung darstellt. Sich selbst ernennen sie zu Verteidigern der Nation. Diese Taktik wählte die PiS und bestimmte die LGBT-Community zum Sündenbock. Im April 2018 zeigte Kaczyński zum ersten Mal mit dem Finger auf sie, als er sagte: "So lange wir regieren, wird es keine homosexuellen Ehen geben". Er sah, dass das Thema die Kernwählerschaft der PiS mobilisierte, und entschied, während des Parteitages in Jasionka zu präzisieren, wer der Feind Polens sei. Und so wurde der Ort in der Woiwodschaft Vorkarpaten (województwo podkarpackie) im März 2019 Zeuge einer Rede, die für die weiteren Ereignisse in Polen Schlüsselbedeutung bekam. Kaczyński sagte damals laut und deutlich, dass die Hauptbedrohung für die polnischen Familien und ihre Kinder die "Aggressoren im Zeichen von LGBT" sind, die die Jüngsten "sexualisieren" wollen.

LGBT-freie Zonen

Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Als Reaktion auf Kaczyńskis Aufruf zogen erbitterte PiS -Bekenner in den Kampf und entzündeten das Feuer des Hasses in der polnischen Gesellschaft. Das Instrument, mit dem die lokalen Behörden die homophobe Stimmung der Polinnen und Polen anstachelten, waren Anti-LGBT-Beschlüsse. Der erste Kreis, in dem im März 2019 der Beschluss "Selbstverwaltung frei von LGBT-Ideologie" verabschiedet wurde, war der Kreis Świdnik in der Woiwodschaft Lublin (woj. lubelskie). Der homophobe Trend verbreitete sich rasend schnell in ganz Polen und weckte den entschiedenen Widerstand von Menschenrechtsorganisationen. Dann wurden die Anti-LGBT-Resolutionen von der "Kommunalen Charta der Familienrechte" (diese gründet auf der Initiative der fundamentalistischen Organisation Ordo Iuris) abgelöst. Doch in kurzer Zeit wurden 30 Prozent des polnischen Staatsgebietes in LGBT-freie Zonen verwandelt. Die Autoren des "Hass-Atlasses" (Atlas Nienawiści) und der LGBT-Aktivist Bart Staszewski dokumentierten das skandalöse Treiben und alarmierten die Welt; Staszewski war Ideengeber für die Fotoaktion der Tafeln mit der Aufschrift "LGBT-freie Zone". Auch wenn die Beschlüsse keine rechtlichen Folgen nach sich ziehen und nur eine symbolische Dimension haben, sind ihre Folgen im gesellschaftlichen Bereich real.

Das sind keine Menschen – das ist eine Ideologie

Die in ihrer Homophobie gestärkte, von der Kirche unterstützte PiS verschob Zentimeter um Zentimeter die Grenzen des Anstands und gewann immer mehr Raum für Hasssprache in der öffentlichen Debatte. So explodierte die vom Regierungslager vorbereitete homophobe Bombe mit einem Knall, als im Juni 2020 der erneut für das Amt des Präsidenten kandidierende Andrzej Duda auf einer Wahlkampfveranstaltung in Brzeg sagte: "Man versucht, meine Damen und Herren, uns einzureden, dass das Menschen sind. Aber es ist ganz einfach eine Ideologie". Die Entmenschlichung der LGBT-Community, die in Polen zwei Millionen Personen zählt, war integraler Bestandteil von Dudas Präsidentschaftswahlkampf. Den Hass auf Personen mit einer nicht heteronormativen sexuellen Orientierung heizten gemeinsam mit Duda führende PiS -Politiker an. Dass "Polen ohne LGBT besser" sei, twitterte Innenminister Joachim Brudziński. Ihm pflichtete der aktuelle Bildungsminister Przemysław Czarnek bei, dessen Worte schon als Beispiel aus dem Lehrbuch der Homophobie gelten können: "Hören wir auf, diesen Blödsinn über irgendwelche Menschenrechte und irgendeine Gleichheit anzuhören. Diese Leute sind normalen Menschen nicht gleich". Die homophoben Äußerungen Dudas und der ihn unterstützenden PiS -Politiker wurden von der Unterzeichnung der "Familienrechte-Charta" durch Duda begleitet. In dem Dokument, das die Kernwählerschaft der PiS ermuntern sollte, für Duda zu stimmen, verpflichtete sich der Präsident u. a. dazu, die Institution der Ehe zu verteidigen, womit er gleichzeitig zum Ausdruck brachte, dass er einer gleichgeschlechtlichen Ehe nicht zustimmt. Er betonte, dass er gegen die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare ist, und versicherte, dass er alles tun werde, um Kinder vor der – allerdings nicht vorhandenen – LGBT-Ideologie zu schützen.

Homophobie 24 Stunden täglich

Die homophoben Angriffe des Regierungslagers werden von Anfang an von den öffentlichen regierungsnahen Medien unterstützt, angeführt vom Fernsehsender Telewizja Polska (TVP). Der Informationskanal des TVP wandelte sich zum Sprachrohr der homophoben Propaganda, wo Journalisten und Publizisten den hasserfüllten Aussagen von Politikern beipflichten. Die "Gleichstellungsparaden" (parada/marsz równości) anzugreifen, LGBT-Aktivisten mit Schmutz zu bewerfen, homophobe Initiativen zu fördern – das sind die wiederkehrenden Inhalte der Sendungen, die von den polnischen Steuerzahlern bezahlt werden. Nur ein Beispiel ist die Produktion und Ausstrahlung der extrem homophoben Reportage "Inwazja" (zu Deutsch: Die Invasion). Außer in den Medien machte es sich die Homophobie auch dauerhaft auf den polnischen Straßen bequem, die von der Plage homophober Transparente ergriffen wurden. In Städten über ganz Polen verteilt tauchen auf Schritt und Tritt großformatige Transparente auf, die Lügen über LGBT-Personen verbreiten und ihnen Unrecht tun. Auf den Straßen fahren LKWs, die von der Stiftung "Für das Recht auf Leben" (Fundacja Pro-Prawo do Życia) gesponsert werden; sie sind mit Plakaten mit homophoben Slogans beklebt und aus den Lautsprechern, die auf den Fahrerkabinen befestigt sind, sickert das homophobe Gift. Und es war einer dieser Lastwagen, der das Fass voll Bitterkeit zum Überlaufen brachte und die LGBT-Community derart provozierte, dass sie entschlossen zur Vereidigung der eigenen Würde aktiv wurde, in einem Land, in dem LGBT-Personen nicht das Recht haben, ihre Partnerschaft zu formalisieren, und in dem die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität nicht vom Strafgesetzbuch geschützt werden.

Es reicht!

Der Wendepunkt im Jahr 2020 war der Tag der ungerechtfertigten Inhaftierung der LGBT-Aktivistin Margot Szutowicz. In Verteidigung der Aktivistin des Kollektivs "Stopp dem Unsinn" (Stop Bzdurom), die im Warschauer Zentrum in ein Auto ohne Kennzeichen gedrängt worden war, ging am 7. August eine verbitterte Menge auf die Straße. Und obwohl Margots Verteidigerinnen und Verteidiger nur mit Regenbogenfahnen "bewaffnet" waren, behandelte die Polizei sie mit außergewöhnlicher Brutalität. 48 der Demonstrierenden wurden in Haft genommen, wo es laut Vertretern der Gruppe "Landesmechanismus zur Prävention von Folter" (Krajowy Mechanizm Prewencji Tortur), angesiedelt beim Bürgerrechtsbeauftragten, zu "Erniedrigung und unmenschlicher Behandlung" kam. In einer Geste der Solidarität mit der Aktivistin, den Inhaftierten und der gesamten LGBT-Community in Polen wurden Hunderte Solidaritätsdemonstrationen organisiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sendeten den Machthabern ein deutliches Signal: "Wir haben genug von der Homophobie der PiS ! Wir haben genug von den LGBT-freien Zonen! Wir haben genug von den Homophobie-Bussen, die durch ganz Polen fahren! Wir haben genug von der homophoben Propaganda der öffentlichen regierungsnahen Medien!"
Und auch wenn Andrzej Duda Präsident geworden ist, so war der Stimmenvorsprung doch nur minimal, und die nächsten Wahlen sind schon bald. Und dann – dessen können wir sicher sein – wird die Mobilisierung noch größer sein, denn abgesehen von der LGBT-Community hat sich die PiS nun auch noch mit den Frauen überworfen.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Fussnoten

Cecylia Jakubczak, Soziologin, ist Managerin für Public Relations und Kommunikation bei der NGO "Kampagne gegen Homophobie" (Kampania Przeciw Homofobii), Warschau (Warszawa). Für Menschenrechte engagiert sie sich darüber hinaus u. a. in der Koalition für Zivilpartnerschaften und eheliche Gleichstellung (Koalicja na rzecz Związków Partnerskich i Równości Małżeńskiej). Vom Wochenmagazin Wysokie Obcasy wurde sie 2017 im Ranking der 50 mutigsten Frauen aufgeführt.