Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Chronik: 20. Oktober bis 2. November 2020 | bpb.de

Chronik: 20. Oktober bis 2. November 2020

/ 8 Minuten zu lesen

Die Ereignisse vom 20. Oktober bis zum 2. November 2020 in der Chronik.

20.10.2020 Ministerpräsident Mateusz Morawiecki trifft sich in Warschau zum zweiten Mal mit der belarussischen Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja. Besprochen werden die aktuelle Situation der Opposition in Belarus, die Entwicklung der innenpolitischen Lage und Hilfen für die oppositionelle Bewegung. In Belarus kommt es seit der als gefälscht geltenden Präsidentenwahl im August zu Massenprotesten der Bevölkerung. Polen hat sich mehrmals als Vermittler in dem Konflikt angeboten und Hilfsprogramme aufgelegt.
21.10.2020 Präsident Andrzej Duda beruft die Vertreter der Regierung im Rat für Sozialen Dialog (Rada Dialogu Społecznego – RDS), das sind Jarosław Gowin, Minister für Entwicklung, Arbeit und Technologie, sowie Unterstaatssekretärin Olga Semeniuk, Gesundheitsminister Adam Niedzielski und Przemysław Czarnek, Minister für Bildung und Wissenschaft. Duda sagt, die Neubesetzung sei eine Folge der Regierungsumbildung Anfang Oktober, und kündigt die Erweiterung des RDS um das Forum der Polnischen Arbeitgeber (Forum Pracodawców Polskich) an. Neben den Regierungs- und Arbeitnehmervertretern gehören dem RDS auch Vertreter der Gewerkschaften an.
22.10.2020 Der Sejm stimmt mit 237 Nein-Stimmen (201 Ja-Stimmen, neun Enthaltungen) gegen die Berufung der Juristin Zuzanna Rudzińska-Bluszcz zur Bürgerrechtsbeauftragten der Regierung. Die Regierungsmehrheit hat sich bereits mehrmals gegen die Kandidatin der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska KO) und der Linken (Lewica) ausgesprochen. Rudzińska-Bluszcz ist die einzige Kandidatin für das Amt, das zurzeit noch von Adam Bodnar ausgeübt wird, dessen Amtszeit regulär am 9. September 2020 endete.
22.10.2020 Staatssekretär Piotr Naimski unterzeichnet im Namen der Regierung den Vertrag über die polnisch-US-amerikanische Zusammenarbeit bei der Entwicklung des polnischen Atomenergieprogramms.
22.10.2020 Medienberichten zufolge hat der neu berufene Minister für Bildung und Wissenschaft, Przemysław Czarnek, eine Durchsicht der Lehrbücher, insbesondere der geisteswissenschaftlichen Fächer angekündigt, da der dort festzustellenden Dominanz links-liberaler Einstellungen nicht zugestimmt werde. Anfang der Woche entließ Czarnek die Direktorin der Abteilung für Lehrbücher, Programme und Innovationen in seinem Ressort, Alina Sarnecka.
22.10.2020 Das Verfassungstribunal (Trybunał Konstytucyjny) erklärt ein Gesetz für verfassungswidrig, dass Schwangerschaftsabbrüche erlaubt, wenn der Fötus schwere Schäden aufweist. Begründet wird das Urteil mit der Menschenwürde ungeborener Kinder. Abtreibungen gelten nun noch als legal, wenn die Schwangerschaft aus einer Straftat hervorging oder eine Gefahr für das Leben der Mutter bedeutet. Hunderte Menschen protestieren gegen das Urteil.
23.10.2020 In mehreren Städten protestieren Tausende Menschen trotz Versammlungsverbots aufgrund der Corona-Epidemie gegen das Urteil des Verfassungsgerichts vom Vortag, das Abtreibungen von Föten mit schweren Schäden für verfassungswidrig erklärt.
24.10.2020 Der Parteivorsitzende der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL), Władysław Kosiniak-Kamysz, ruft Ministerpräsident Mateusz Morawiecki auf, mit der Begründung des Notstandes das umstrittene Urteil des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) nicht zu veröffentlichen. Diese Begründung anzuführen sei gerechtfertigt, da es aktuell darum gehen müsse, das Leben und die Gesundheit der Bürger zu schützen, die Corona-Epidemie zu bekämpfen und den gesellschaftlichen Frieden sowie die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Nach der Überwindung der Corona-Epidemie solle ein Referendum über das Abtreibungsrecht durchgeführt und das Ergebnis in die Verfassung aufgenommen werden. Das Verfassungstribunal kam vor zwei Tagen zu dem Urteil, dass Abtreibungen von Föten, die schwere Schäden aufweisen, illegal sind. Seitdem protestieren Tausende Menschen gegen den Richterspruch trotz Versammlungsverbots aufgrund der Corona-Epidemie.
25.10.2020 Die Demonstrationen gegen das Urteil des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) zum Abtreibungsrecht in dieser Woche weiten sich trotz Versammlungsverbots aufgrund der Corona-Epidemie aus. Protestiert wird seit dem heutigen Sonntag auch vor und in Kirchen. Nach Auffassung des Gerichts ist die Abtreibung von Föten, die schwere Schäden aufweisen, illegal.
26.10.2020 Grzegorz Schetyna, bis vor kurzem Parteichef der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), sagt auf einer Pressekonferenz in Hirschberg (Jelenia Góra), es sei eine Frage der Staatsräson, das umstrittene Urteil des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) zum Abtreibungsrecht nicht zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung wäre der Beginn einer neuen Phase des "Bürgerkrieges". Die Verantwortung liege bei Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Das Gericht fällte in der vergangenen Woche das Urteil, dass die Abtreibung von Föten, die schwere Schäden aufweisen, illegal ist. Seitdem kommt es im ganzen Land trotz Versammlungsverbots aufgrund der Corona-Epidemie zu Massenprotesten.
27.10.2020 Das Außenministerium teilt mit, dass Vizeaußenminister Marcin Przydacz am selben Tag an zwei Veranstaltungen zur aktuellen Lage in Belarus ("Belarus choosing its future: between threats and opportunities" und "The Belarus uprising – Views from Poland and Lithuania") beteiligt war, die von der Botschaft der Republik Litauen in Bukarest u. a. bzw. den Botschaften Litauens und Polens in Kopenhagen u. a. organisiert wurden. Zu den Teilnehmern gehörten auch Vertreter der belarussischen Opposition. Die Teilnehmer unterstreichen die Notwendigkeit demokratischer Veränderungen in Belarus und des Dialogs der belarussischen Führung mit der Gesellschaft und weisen darauf hin, dass die gesellschaftlichen Proteste in Belarus keine ideologische und geopolitische Basis hätten. Dies sei ein Unterschied zur Haltung Moskaus, das eine Integration Russlands und Belarus` anstrebe.
27.10.2020 In Warschau stellen Marta Lempart und Klementyna Suchanow, führende Aktivistinnen des Netzwerkes "Streik der Frauen" (Strajk Kobiet), im Rahmen des landesweit ausgerufenen Frauenstreiks ihre Forderungen vor. Dazu gehören ein allgemeines Abtreibungsrecht, allgemein zugängliche Verhütungsmittel und Sexualkundeunterricht. Außerdem solle die Kirche nicht mehr vom Staat finanziert werden und mehr Geld für das Gesundheitssystem bereitgestellt werden. Weiter fordern sie den Rücktritt der Regierung. Auslöser der seit Tagen dauernden Proteste ist ein Urteil des Verfassungstribunals zum Abtreibungsrecht, das die Abtreibung von Föten, die schwere Schäden aufweisen, für illegal erklärt.
27.10.2020 In einer Stellungnahme in den sozialen Medien schließt Jarosław Kaczyński, stellvertretender Ministerpräsident und Parteivorsitzender von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), aus, dass das in der vergangenen Woche gefällte Urteil des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) zum Abtreibungsrecht geändert wird, da der Richterspruch verfassungskonform sei. Das Gericht hat Abtreibungen von Föten, die schwere Schäden aufweisen, für illegal erklärt. Das Urteil wurde noch nicht veröffentlicht. Weiter verurteilt Kaczyński die "Angriffe" auf die Kirchen und ruft die PiS-Mitglieder und Unterstützer auf, die Kirchen "um jeden Preis" zu verteidigen. Hintergrund ist, dass sich die Proteste, die seit der Urteilsverkündung stattfinden, zuletzt auch vor und in Kirchen abgespielt haben. Die PiS-Nachwuchsorganisation (Jugendforum/Forum Młodych – FM) teilt auf "Twitter" mit, der FM-Vorsitzende, Michał Moskal, habe den Kreisvertretern die "Aufgabe zugewiesen", die Kirchen zu schützen. Der rechtsradikale Verband "Marsch der Unabhängigkeit" (Marsz Niepodległości) gibt bekannt, dass sein Vorsitzender, Robert Bąkiewicz, am Vortag die "Nationalwache" (Straż Narodowa) gegründet hat. Dies sei eine Organisation zur Selbstverteidigung der Christen, die ebenfalls die Kirchen verteidigen werde.
27.10.2020 Die Frist für die Aufstellung von Kandidaten für das Amt des Bürgerrechtsbeauftragten der Regierung läuft um Mitternacht ab. Zur Wahl steht weiterhin die Kandidatin der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska KO) und der Linken (Lewica), die Juristin Zuzanna Rudzińska-Bluszcz, die von ca. 1.000 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt wird. Die anderen politischen Parteien stellten auch dieses Mal keinen Kandidaten auf. Rudzińska-Bluszcz wurde bei den bisherigen Abstimmungen von der Regierungskoalition abgelehnt. Zurzeit wird das Amt von Adam Bodnar ausgeübt, dessen Amtszeit regulär am 9. September 2020 endete.
28.10.2020 Jarosław Kaczyński, stellvertretender Ministerpräsident und Parteivorsitzender von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), wirft der parlamentarischen Opposition in einer Sejmsitzung vor, dass sie zu Demonstrationen gegen das Urteil des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) zum Abtreibungsrecht aufrufe und damit die Bevölkerung in Gefahr bringe, da in der aktuellen Situation der Corona-Epidemie eine hohe Infektionsgefahr bestehe und Versammlungen mit mehr als fünf Personen verboten seien. Die Oppositionspolitiker seien "Verbrecher" und müssten sich dafür verantworten, dass sie viele Menschen dem Tod aussetzen würden. Das Verfassungstribunal hat in der vergangenen Woche geurteilt, dass die Abtreibung von Föten mit schweren Schäden nicht verfassungskonform ist. Seitdem kommt es in vielen Städten in Polen zu Protesten mit Tausenden Teilnehmern.
29.10.2020 Krzysztof Szczerski, Chef der Kanzlei von Präsident Andrzej Duda, weist den Vorwurf des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko als "unsinnig" zurück, dass Dudas Sieg bei der diesjährigen Präsidentenwahl gefälscht worden sei. Mit Blick auf Lukaschenkos Aussage, dass Polen in Belarus eine Rebellion habe machen wollen und nun selber eine habe, sagt Szczerski, er gratuliere der totalen Opposition in Polen zu ihrem neuen Verbündeten für ihre Strategie "Straße und Ausland". Hintergrund ist, dass das Verfassungsgericht Polens vor einer Woche ein Urteil zum Abtreibungsrecht sprach, wonach die Abtreibung von Föten, die schwere Schäden aufweisen, nicht verfassungskonform ist. Seitdem kommt es in Polen trotz Versammlungsverbots aufgrund der Corona-Epidemie zu Massenprotesten. In Belarus finden seit der als gefälscht geltenden Präsidentenwahl im August Massendemonstrationen statt.
30.10.2020 In Warschau findet unter dem Aufruf "Alle nach Warschau" mit mehreren Zehntausend Teilnehmern die bisher größte der Demonstrationen statt, die seit dem Urteilsspruch des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) zum Abtreibungsrecht am 22. Oktober organisiert werden. Es kommt zu Zusammenstößen mit der Polizei. Auch in anderen Städten wird trotz Versammlungsverbots aufgrund der Corona-Epidemie protestiert. Das Verfassungstribunal hat in der vergangenen Woche geurteilt, dass die Abtreibung von Föten mit schweren Schäden verfassungswidrig ist.
01.11.2020 200 Generale, Admirale und hohe Funktionäre a. D. der polnischen Streitkräfte, Polizei, Feuerwehr, des Grenzschutzes und weiterer uniformierter Dienste zeigen sich in einem Brief tief beunruhigt über die aktuelle Entwicklung im Land, die geprägt ist von der Covid-19-Epidemie, der angespannten Lage im Gesundheitssektor, der Wirtschaftskrise und den Massenprotesten im ganzen Land infolge des Urteils des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) vom 22. Oktober zum Abtreibungsrecht. Die Unterzeichner warnen vor einer gewalttätigen Eskalation der Massenproteste, die seit der Urteilsverkündung stattfinden. Sie fordern die Politik auf, den Willen der Mehrheit beim Abtreibungsrecht zu berücksichtigen, die Polizei und anderen uniformierten Dienste, bei den Massenprotesten rechtskonform zu handeln, und die Protestierenden, keine Gewalt gegen Menschen und Sachen auszuüben. Weiter appellieren sie an die Konfliktparteien, unverzüglich in einen Dialog zu treten und eine Lösung im Sinne der gesellschaftlichen Mehrheit zu finden. Hintergrund der Massendemonstrationen ist der Richterspruch des Verfassungstribunals, dass die Abtreibung von Föten mit schweren Schäden nicht verfassungskonform ist. Die Massendemonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern stellen ein hohes Infektionsrisiko in der herrschenden Corona-Pandemie dar. Es kam zu Ausschreitungen, Sachbeschädigungen und Festnahmen.
01.11.2020 In Warschau stellen Marta Lempart und Klementyna Suchanow, führende Aktivistinnen des Netzwerkes "Streik der Frauen" (Strajk Kobiet), die Forderungen des Konsultationsrates vor, der am selben Tag zum ersten Mal beraten hat. Ihm gehören Frauen und Männer aus Politik und Gesellschaft an. Die Forderungen erstrecken sich nicht nur auf die Verbesserung der Frauenrechte in Bezug auf Abtreibung und Gewalterfahrung, sondern auch auf die Bereiche Gesundheitssystem, Bildung, Klimaschutz u. a. Die Vertreterinnen des Netzwerkes "Streik der Frauen" lehnen einen Kompromissvorschlag von Präsident Andrzej Duda zur Novelle des Abtreibungsrechts ab. Er hat ihn als Antwort auf die Massenproteste gegen das Urteil des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) vorgestellt, das die Abtreibung eines Fötus mit schweren Schäden als illegal bewertet. Dudas Vorschlag sieht vor, dass Abtreibungen von Föten, die schwere, rasch zum Tod führende Schäden aufweisen, erlaubt sind. Auch der Vorschlag des Juniorpartners in der Regierung, der Partei Verständigung (Porozumienie), ungeborene Kinder mit dem Down-Syndrom explizit zu schützen und Müttern das Entscheidungsrecht bei Föten mit schweren, tödlich endenden Erkrankungen einzuräumen, wird abgelehnt. Eine "Zwischenlösung" sei nicht akzeptabel, so die Anführerinnen des "Frauenstreiks".
02.11.2020 Knapp 40 Organisationen appellieren in einer Stellungnahme an die Politik, nicht dem Druck der Protestierenden nachzugeben, sondern das Urteil des Verfassungsgerichts vom 22. Oktober umzusetzen. Dieses erklärt Abtreibungen von Föten, die schwere Schäden aufweisen, für verfassungswidrig. U. a. heißt es in der Begründung der Stellungnahme, es bestehe die Gefahr, dass Eltern von behinderten oder tödlich erkrankten Kindern auch nach der Geburt das Recht auf Tötung der Kinder fordern können. Stattdessen sollten bessere Unterstützungsmaßnahmen für Familien mit behinderten Kindern angeboten werden.

Sie können die gesamte Chronik seit 2007 auch auf Externer Link: http://www.laender-analysen.de/polen/ unter dem Link "Chronik" lesen.

Fussnoten