Biuro Analiz Sejmowych (Büro für Sejm-Analysen): Ein Rechtsgutachten zu den Möglichkeiten einer Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen Polens gegenüber Deutschland für die durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Schäden vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Verträge (6. September 2017)
Thesen des Gutachtens>
Während des Zweiten Weltkriegs erlitt Polen, gemessen an der Bevölkerungszahl und dem Gesamtvermögen, die höchsten Menschen- und materiellen Verluste von allen europäischen Staaten. Die Schäden ergaben sich nicht nur aus den Kriegshandlungen, sondern vor allem auch aus der deutschen Besatzungspolitik, insbesondere aus der gezielten und organisierten Vernichtung der Bevölkerung in den besetzten polnischen Gebieten sowie der intensiven Ausbeutung der polnischen Gesellschaft, was auch die Zwangsarbeit und die vorsätzliche Sachbeschädigung, u. a. die Zerstörung der polnischen Hauptstadt Warschau, umfasste.
Daher ist es legitim zu sagen, dass die Republik Polen einen Anspruch auf Entschädigungen von der Bundesrepublik Deutschland hat und die Behauptung, dass die Ansprüche abgelaufen oder verjährt seien, unbegründet ist.
Angesichts des Inhalts u. a. des 4. Haager Abkommens von 1907, der Ergebnisse der Potsdamer Konferenz sowie des Verhaltens Deutschlands gegenüber den anderen im Zweiten Weltkrieg geschädigten Staaten, das in dem Abschluss von Verträgen mit ihnen und der Auszahlung von Entschädigungen bestand, sollte der deutsche Staat dem polnischen die mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs verbundenen Schäden kompensieren.
Laut Nachkriegsschätzungen beliefen sich die materiellen Schäden am Staats- und Privateigentum, die von Deutschland im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg verursacht worden waren, auf über 258 Milliarden Vorkriegs-Zloty. Nach Umrechnung in Dollar bezifferten sie sich auf ca. 48,8 Milliarden US-Dollar, wobei die Umrechnung auf dem Wechselkurs vom August 1939 beruhte, nach dem 1 Dollar 5,3 Zloty entsprach. Die Schäden am Anlagevermögen betrugen schätzungsweise 62 Milliarden Vorkriegs-Zloty, was dem 3,5-Fachen der vom polnischen Staat im Ersten Weltkrieg erlittenen Schäden (17,8 Milliarden Vorkriegs-Zloty) entsprach.
Die Menschenverluste Polens summierten sich auf mehr als 6 Millionen. 1946 betrug die Anzahl der lebenden polnischen Staatsangehörigen, die durch die Verbrechen und den Terror des deutschen Dritten Reiches geschädigt worden waren, 10.084.585 Personen.
Polen wie auch die UdSSR hatten während des Krieges die höchsten Verluste und Schäden erlitten. Trotzdem standen die von Deutschland geleisteten finanziellen Entschädigungen an Polen und polnische Staatsangehörige in keinem Verhältnis zu den Schäden, geschweige denn, dass sie durchaus niedriger waren als die Entschädigungen, die die Bundesrepublik Deutschland an andere Staaten und ihre Staatsangehörigen zahlte. Die BRD bestimmte für polnische Staatsangehörige ca. 600 Millionen DM, was die Auszahlungen an die Opfer pseudomedizinischer Menschenversuche und die Auszahlungen an die Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung umfasste. Die Summe beträgt nicht einmal 1 % der Summe, die die deutsche Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg in Form von Entschädigungen an die Bürger der westeuropäischen Staaten, der Vereinigten Staaten und Israels auszahlte.
Gemäß Art. 3 des 4. Haager Abkommens von 1907 betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, das auch von Deutschland unterzeichnet wurde, ist die Kriegspartei für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden. Dieser Pflicht gegenüber Polen ist Deutschland bis heute nicht nachgekommen.
Außer der Verpflichtung, dass die UdSSR die Reparationsansprüche Polens aus ihrem eigenen Anteil an den Reparationen befriedigen sollte, enthält das Potsdamer Protokoll keine Bestimmung, nach der Polen keinen Anspruch auf andere direkt von Deutschland zu leistende Zahlungen hätte.
In einem Memorandum der polnischen Regierung, das während der im Januar 1947 in London organisierten Konferenz der stellvertretenden Außenminister übergeben wurde, wurde expressis verbis festgestellt: "in Übereinstimmung mit dem Potsdamer Abkommen, wonach Deutschland gezwungen werden soll, in größtmöglichem Ausmaß für die Verluste und die Leiden, die es den Vereinten Nationen verursacht hat, Ausgleich zu schaffen, behält sich Polen das Recht vor, weitere konkrete Anträge in diesem Zusammenhang zu stellen".
Nach dem Ersten Weltkrieg, und zwar am 31. Oktober 1929, schlossen Polen und Deutschland das sog. Liquidationsabkommen ab, das die mit dem Krieg und dem Friedensvertrag von Versailles verbundenen finanziellen und Vermögensansprüche regelte. Das Abkommen wurde im Gesetzblatt der Republik Polen veröffentlicht. Kein Abkommen solcher Art wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Polen und Deutschland abgeschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland schloss hingegen mit anderen Staaten als Polen separate Entschädigungsabkomen ab – vor allem die Bonner Konvention sowie bilaterale Abkommen mit 12 europäischen Staaten in den Jahren 1959 – 1964 betreffend individuelle Entschädigungen an die Bürger dieser Staaten.
Die unilaterale Erklärung des Ministerrates vom 23. August 1953 über den Verzicht der Volksrepublik Polen auf die Kriegsreparationen verletzte die damals gültige Verfassung vom 22. Juli 1952, weil nicht der Ministerrat, sondern der Staatsrat für die Ratifizierung und Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen zuständig war. Diese Erklärung wurde nicht aus der Initiative der polnischen Regierung abgegeben, sondern aus der Initiative und auf Druck der UdSSR. Darüber hinaus betraf der Verzicht nach dem Inhalt des Protokolls vom 19. August 1953 zur Sitzung des Ministerrates nur die Deutsche Demokratische Republik.
Die Volksrepublik Polen versuchte mehrmals nach dem Zweiten Weltkrieg die deutschen Reparationen zu regeln. Dies fand u. a. in der 21. Und 22. Sitzung der UN-Menschenrechtskommission statt und war damit verbunden, was der polnische Delegierte damals zum Ausdruck brachte: "polnische Staatsangehörige bekommen angesichts der diskriminierenden Rechtsvorschriften der BRD bis heute keine Entschädigung und die BRD ist sich nicht der Pflicht bewusst, diese tragische Schuld gegenüber dem polnischen Volk zu begleichen". Viele Jahre über war es wegen der zweipoligen Spaltung der Welt nicht möglich, sich mit der Frage der Entschädigungen auseinanderzusetzen, was mit der Politik der BRD verbunden war sowie damit, dass es zwei deutsche Staaten gab.
Wie A. Klafkowski feststellte: "Im völkerrechtlichen Recht verjähren Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht. Dasselbe gilt für Entschädigungen für solche Verbrechen".
In dem am 12. September 1990 unterzeichneten Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland, das auch als "Zwei-plus-Vier-Vertrag" bekannt ist, wurde die Frage der Kriegsreparationen gar nicht ergriffen; man setzte sich lediglich generell mit der abschließenden Regelung der Frage des Zweiten Weltkrieges auseinander. Des Weiteren war Polen damals keine Vertragspartei.
Entsprechend einer Vereinbarung zwischen der polnischen und der deutschen Regierung vom 16. Oktober 1991 wurde die Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung gegründet. Die Stiftung zahlte zwischen 1992 und Mitte 2004 insgesamt 731.843.600 Zloty an 1.060.689 Personen aus, also 689,97 Zloty pro Person.
Die Tatsache, dass die Reparationsansprüche für die durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Schäden mehr als 60 Jahre lang nicht geregelt wurden, hat zur Folge, dass der weitaus größte Teil der 10.084.585 Personen, die durch die Verbrechen und den Terror des deutschen Dritten Reiches geschädigt worden waren, verstorben sind, ohne entschädigt worden zu sein.
Der Inhalt der geltenden völkerrechtlichen Rechtsakten sowie die Nachkriegspraxis in Sachen Reparationen, davon die diskriminierende Politik der BRD gegenüber Polen und polnischen Staatsangehörigen im Vergleich zu anderen Staaten, an die – obwohl ihre materiellen und Menschenverluste niedriger waren – bedeutend höhere Entschädigungen ausgezahlt wurden, sprechen für eine Geltendmachung von Reparationsansprüchen Polens gegenüber Deutschland für die durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Schäden.
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IX. Versuche, in der VR Polen sowie nach 1990, Reparationszahlungen zu bekommen
In der VR Polen wurden zahlreiche Versuche mit dem Ziel unternommen, die Frage der deutschen Entschädigungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu regeln
In der damaligen bipolaren Welt konnte die Frage der Entschädigungen allerdings nicht geregelt werden. Darauf machte A. Klafkowski aufmerksam, der sich im Jahre 1990 mit bilateralen Abkommen zwischen der BRD und anderen Staaten auseinandersetzte. Er befand explicite, dass "man aufgrund dieser Vorgehensweise feststellen kann, dass die Regelung der Entschädigungen der BRD für Polen ausschließlich von der politischen Entscheidung abhängt" und dass sich "dabei um kein Recht und auch um keine Gnade seitens des Aggressor-Staats handelt"
Nach Normalisierung der Beziehungen zwischen der VR Polen und der BRD im Jahre 1970
Es ist anzumerken, dass im Zwei-plus-vier-Vertrag die Frage der Kriegsreparationen überhaupt nicht zur Sprache gebracht wurde. Besprochen wurde nur allgemein, wie das Problem des 2. Weltkrieges endgültig geregelt werden sollte
In der deutschen Literatur wird darauf hingewiesen, dass durch eine solche Regelung der deutschen Frage bezüglich des 2. Weltkriegs eine internationale Diskussion über deutsche Kriegsreparationen verhindert werden sollte. Eine solche Debatte befürchtete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl
Es ist auch zu betonen, dass Deutschland den Zwei-plus-vier-Vertrag in gewissem Umfang nicht als endgültige Regelung der Kriegsreparationen betrachtete. Nach der Unterzeichnung des Zwei-plus-vier-Vertrags im Jahre 1990 schloss die BRD nämlich bereits 1995 ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten ab, auf dessen Grundlage die deutsche Regierung rund 3 Milliarden DM für NS-Verfolgte bereitstellte
Nach der Unterzeichnung des Zwei-plus-vier-Vertrags schloss man zwischen den Regierungen Polens und Deutschland die Vereinbarung vom 16. Oktober 1991 ab, auf deren Grundlage die Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung ins Leben gerufen wurde
Diese Daten zeigen, dass die BRD für polnische Bürger insgesamt ca. 600 Millionen DM bereitstellte, samt Finanzhilfe für Opfer pseudomedizinischer Experimente und Auszahlungen der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung. Der genannte Betrag macht nicht einmal 1 % dessen aus, was nach dem Zweiten Weltkrieg durch die deutsche Regierung für Entschädigungen an die Bürger westeuropäischer Länder, der Vereinigten Staaten und Israel ausgezahlt wurde
X. Schlussfolgerungen
Aufgrund der vorliegenden Analyse der Frage nach Entschädigungsansprüchen für erlittene materielle und personelle Verluste, kann man einige wichtige Schlussfolgerungen formulieren. Erstens aus den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens von 1945 ergibt es sich, dass sie im Hinblick auf Repartations- und Kriegsentschädigungszahlungen eher Rahmencharakter hatten
Zweitens gibt es bis heute keine klare Begriffsbestimmung von Reparationen und Kriegsentschädigung, was dazu führt, dass darüber in der Praxis die Schließung von Friedensverträgen entscheidet, die sich in der Vergangenheit häufig mit dieser Frage nicht auseinandersetzten
Drittens; umstritten ist auch der Sachverhalt, ob die Erklärung von 23. August 1953 über den Verzicht auf Ansprüche gegenüber Deutschland tatsächlich gemäß der damals in der VR Polen geltenden Rechtsordnung abgegeben wurde. Es ist natürlich auch umstritten, ob diese Erklärung rechtswirksam war, was in der Fachliteratur erörtert wird. Einen Einfluss darauf haben vor allem Fragen im Zusammenhang mit der politisch-wirtschaftlichen Lage in der DDR, der Wortlaut der Erklärung der UdSSR, Junktim mit der Erklärung der Regierung der VR Polen, weil die Regierung der UdSSR lediglich die Kriegsreparationen unterbrach, der sekundäre Charakter der Erklärung der polnischen Regierung angesichts der damaligen politischen und wirtschaftlichen Lage des polnischen Staats hatte, gemäß dem Grundsatz argumentum a minori ad maius. Darüber hinaus gehörten laut der damals geltenden polnischen Verfassung von 22. Juli 1952 Fragen der Ratifizierung und Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen zu der Zuständigkeit des Staatsrats (Art. 25 Abs. 1 Ziff. 7 der polnischen Verfassung). Am 18. Februar 1955 fasse der Staatsrat (und nicht der Ministerrat) den Beschluss über die Beendigung des Kriegszustands zwischen der Volksrepublik Polen und Deutschland
In den 50er und 60er Jahren schloss die BRD 12 bilaterale Abkommen bezüglich der Entschädigungen mit europäischen Ländern, davon mit Schweden und der Schweiz ab, die im Zweiten Weltkrieg neutral waren. Zudem unterzeichnete die BRD ein Abkommen mit Israel (das Luxemburger Abkommen), das während des Zweiten Weltkrieges weder als Staat existierte noch von Nazi-Deutschland besetzt wurde. Dadurch wurden die Entschädigungsansprüche nach den Prinzipien der völkerrechtlichen Verträge geltend gemacht. Es ist auch hinzufügen, dass solche Verträge nach 1990 abgeschlossen wurden, u. a. als Folge von Sammelklagen, die man in den Vereinigten Staaten erhob.
Entschädigungen, die aufgrund von völkerrechtlichen Verträgen ausgezahlt wurden, machten über 90 % aller Auszahlungen der BRD an die Betroffenen aus. Auch nationale Regelungen der BRD machten – durch die Einführungen besonderer Klausel – die Geltendmachung der Entschädigungsansprüche durch polnische Bürger unmöglich. Darauf machte Krzysztof Ruchniewicz aufmerksam, der in der 2007 herausgegebenen Monographie über polnische Versuche, Entschädigungen von Deutschland zu erhalten, stellte expressis verbis fest, dass die BRD, "sich zwar von Nazi-Zeiten distanzierte und diese verurteilte, dennoch versuchte man zugleich, Auszahlung von individuellen Entschädigungen in größerem Umfang zu vermeiden, wobei der wirtschaftliche Faktor die erste Rolle spielte"
In dieser Sache hat sich schon 1960 Manfred Lachs geäußert, der in gewissem Sinne der heutige Rechtsstand antizipierte. Er stellte nämlich fest, dass "keinen besonderen Beweis die Tatsachen bedürfen, die von besonderer Grausamkeit des deutschen Besatzers auf dem polnischen Boden zeugen. Die Behandlung polnischer Bevölkerung stellte doch krasseste Verletzung jeglicher Kriegsrechte und der Rechte der Bevölkerung im besetzten Land dar. Infolge dieser Rechtsverletzungsakten wurde Polen durchaus geplündert. Abgelehnt wurden jegliche Rechtsscheine. Es wurde brutale Gewalt angewandt, die von Autoren der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs des Haager Abkommens nicht einmal vorgesehen wurde". Daher, "im Hinblick auf diese Tatsachen sollten formelle Erwägungen den sachlichen Erwägungen und offensichtlichen Billigkeitserwägungen weichen und es sollte geschehen, was das Potsdamer Abkommen erforderte: "in größtmöglichem Ausmaß Ausgleich für die Verluste und die Leiden zu schaffen, die es den Vereinten Nationen verursacht wurden. Es ging doch darum, in erster Reihe diejenige Länder zu entschädigen, die den Hauptlast des Kriegs trugen und die größten Schäden erlitten
Angefertigt von: Dr. habil. Robert Jastrzębski Experte für Gesetzgebung im Büro für Sejm-Analysen
Akzeptiert von: Stellv. Leiter des Büros für Sejm-Analysen Przemysław Sobolewski
Quelle: Externer Link: http://www.sejm.gov.pl/media8.nsf/files/KKOI-AR4BP5/%24File/1455%20-%2017%20DE.pdf, abgerufen am 14.11.2018