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Analyse: Die PiS und das Erbe der Volksrepublik | bpb.de

Analyse: Die PiS und das Erbe der Volksrepublik

Reinhold Vetter

/ 17 Minuten zu lesen

In der Machtausübung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) erkennen einige Historiker, Juristen und Künstler Parallelen zu der alten Volksrepublik Polen vor 1989. Doch inwieweit ähnelt das heutige Polen wirklich dem damaligen sozialistischen System?

Die Machtfülle des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński ist verfassungsrechtlich nicht abgesichert. (© picture-alliance/PAP)

Zusammenfassung

In vielerlei Hinsicht ist das heutige Polen nicht mit der Volksrepublik vor 1989 vergleichbar: verfassungsrechtlich, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell. Trotzdem mehren sich Stimmen von Historikern, Juristen, Kulturschaffenden und Publizisten, die Parallelen zwischen dem damaligen sozialistischen System und der heutigen Machtausübung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) sehen. Tatsächlich erinnert die Art und Weise, wie PiS auf staatliche und öffentliche Institutionen zugreift, an die "führende Rolle" der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza – PZPR) zu Zeiten der Volksrepublik Polen. Besonders betroffen ist die Judikative, die – wie damals – den weltanschaulichen, politischen und kulturellen Auffassungen der Regierenden folgen soll.

Ohne Zweifel ist Polen heute ein ganz anderes Land als vor dem Systemwechsel des Jahres 1989. Es gilt die Verfassung von 1997, die sich weitgehend an westlichen Vorbildern orientiert. Anders als in sozialistischen Zeiten finden seit 1989/1990 freie Wahlen statt, die in den meisten Fällen zum Regierungswechsel führten. Die politischen Parteien konkurrieren miteinander, auch wenn das bestehende System darunter leidet, dass es keine moderate sozialdemokratische Linke gibt, die als ausreichendes Gegengewicht zu den liberal-konservativen und nationalistischen Parteien wirkt. Zwar mehren sich Zensurversuche, aber noch können unabhängige Medien wirken. Es gibt keine politischen Häftlinge und keinen Schießbefehl gegen oppositionelle Demonstranten. Die Ökonomie des Landes basiert auf einem marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen. Das staatliche Außenhandelsmonopol sozialistischer Prägung gehört der Vergangenheit an. Ausländische Direktinvestitionen haben erheblich zur technologischen und organisatorischen Modernisierung der polnischen Wirtschaft beigetragen. Polnische Waren und Dienstleistungen sind auf den internationalen Märkten konkurrenzfähig. Als einziges Land in der Europäischen Union konnte Polen auch während der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts verzeichnen.

"Das kennen wir doch aus sozialistischen Zeiten"

Doch seit dem Machtantritt der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) von Jarosław Kaczyński im Jahr 2015 mehren sich auch Stimmen, die strukturelle, rechtliche, politische und kulturelle Parallelen zwischen den Verhältnissen in der Volksrepublik vor 1989 und der Machtausübung der PiS bzw. dem von ihr geschaffenen System ziehen. Dementsprechend äußerten sich u. a. die Historiker Andrzej Friszke und Paweł Machcewicz, die früheren Präsidenten des Obersten Gerichts bzw. des Verfassungstribunals, Adam Strembosz und Andrzej Rzepliński, die Publizisten Mariusz Janicki, Wiesław Władyka und Ewa Siedlecka sowie auch Künstler und Autoren wie die Schauspielerin Joanna Szczepkowska und der Schriftsteller Andrzej Stasiuk. Die PiS, so hieß es, die sich doch so antikommunistisch gebe und die Volksrepublik als "nicht polnischen Staat" verurteile, baue Schritt für Schritt ein System auf, das in diversen Aspekten eben an diese Volksrepublik erinnere. Zunehmend wird der Stoßseufzer laut: "Das kennen wir doch aus sozialistischen Zeiten." Auch außerhalb Polens ist etwa mit Blick auf den Umgang der PiS mit der Judikative die Rede davon, dass dies die Rückkehr zur Sowjetjustiz sei – so z. B. in den Stellungnahmen der "Venedig-Kommission" des Europarates.

In der Tat erinnert die drastische Weise, in der die PiS auf staatliche und öffentliche Institutionen zugreift, sehr stark an die "führende Rolle" der kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza – PZPR) in der Volksrepublik, auch wenn in den 1980er Jahren das von PZPR-Kadern geführte Militär statt des Parteiapparats mehr und mehr die Rolle eines Machtzentrums übernahm. So war es nur konsequent, dass die erste postkommunistische Regierung unter Tadeusz Mazowiecki im Jahr 1989 den Passus von der "führenden Rolle der Partei" per Parlamentsbeschluss aus der Verfassung streichen ließ. Inzwischen hat man wieder den Eindruck, dass mit der PiS eine Partei eben diese Rolle einnimmt, ohne dass dies aber in der Verfassung verankert wäre. Vielfach handelt PiS gerade unter Missachtung der Verfassung.

Besonders die Machtfülle des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, die es ihm erlaubt, der Regierung personelle und inhaltliche Entscheidungen quasi vorzugeben, ist keineswegs verfassungsrechtlich abgesichert. "Der prezes (der Parteivorsitzende – R.V.) hat so entschieden", raunt man in Parteikreisen. Dabei könnte man prezes getrost durch "Erster Sekretär" ersetzen, wie die PZPR-Vorsitzenden in sozialistischen Zeiten genannt wurden. Der Zugriff der PiS und ihres Vorsitzenden gilt nicht nur der Legislative, Exekutive und Judikative, sondern auch staatlichen Dienstleistern auf zentraler Ebene, örtlichen Verwaltungen sowie Unternehmen, die mehrheitlich in Staatsbesitz sind. So werden in den Zweigstellen der Polnischen Post im ganzen Land neben den üblichen Artikeln wie Briefmarken Bücher ausschließlich von Autoren verkauft, die der PiS nahestehen, sowie Publikationen des Instituts des Nationalen Gedenkens (Instytut Pamięci Narodowej – IPN), das inzwischen weitgehend von PiS-Historikern beherrscht wird.

In den Tankstellen von PKN Orlen kann man auf den Fernsehschirmen grundsätzlich nur das Erste Programm des staatlichen Senders Telewizja Polska sehen, der inzwischen vollständig von der PiS-Propaganda beherrscht wird. Wer in einer örtlichen Behörde beispielsweise einen Pass beantragt, bekommt bei der Entgegennahme des Dokuments auch ein Päckchen, das die polnische Flagge enthält, den Text der polnischen Nationalhymne und eine historische Abhandlung über die Erlangung der Unabhängigkeit Polens im Jahr 1918, die sich im November zum einhundertsten Mal jährt. Ewa Siedlecka sprach von einem "Ein-Parteien-System", der Historiker und Publizist Wiesław Władyka von einem Phänomen, "das wir aus den Zeiten der PRL (der Volksrepublik Polen – R.V.) gut kennen". In der Tat handelt es sich um einen starken, zentralisierten Staat mit autoritären Zügen, man könnte auch von einem Obrigkeitsstaat mit einer sozialfürsorglichen Komponente sprechen.

Allerdings fehlt der PiS noch ein wichtiges Element in diesem System, nämlich die weitgehende Kontrolle über die Verwaltungen in Woiwodschaften, Kreisen und Gemeinden, in denen zum Teil noch Abgeordnete und Beamte aus den Kreisen der oppositionellen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) oder unabhängige Kräfte dominieren. Bei den im Herbst dieses Jahres anstehenden Wahlen zur Selbstverwaltung in den Regionen will die PiS auch hier die Kontrolle erlangen. Schon wurde das Wahlrecht geändert, um Kaczyńskis Partei diesen Sieg zu erleichtern. Künftig haben die PiS-Mehrheit im Sejm und der PiS-Innenminister dominierenden Einfluss auf die Berufung der Wahlkommissare und des Vorsitzenden der Staatlichen Wahlkommission.

Die Amtsübernahme durch den neuen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki lässt neue wirtschafts- und sozialpolitische Initiativen erwarten, dürfte aber nach Lage der Dinge nichts an den von PiS geschaffenen autoritären Strukturen ändern. Der Publizist Rafał Kalukin umschrieb das Verhältnis zwischen Kaczyński und Morawiecki mit dem Bild vom "Fürsten und seinem Minister".

Disponible Richter

Gerade der Zugriff der PiS auf die Judikative erinnert fatal an die früheren sozialistischen Verhältnisse. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, noch einmal das Buch von Andrzej Rzepliński "Die Justiz in der Volksrepublik Polen" (Frankfurt/Main 1996) zu lesen. Seine Beschreibung und Analyse der damaligen Verhältnisse liefert wichtige Argumentationshilfen, wenn es um die Analyse des heutigen Umgangs der PiS mit der Judikative geht. Rzepliński schreibt in seiner Schlussbetrachtung:

"Die Unabhängigkeit der Justiz war in Polen abgeschafft worden. Es galten die Grundsätze von der führenden Rolle der Partei und der Einheit der Staatsgewalt. Die Justiz wurde aus einer unabhängigen Staatsgewalt zu einem Korps abhängiger Funktionäre, zu einem bloßen "Justizapparat" des Staates gemacht."

Auch heute geht es darum, die weltanschaulichen, politischen, kulturellen und geschichtspolitischen Auffassungen der PiS rechtlich durchzusetzen und abzusichern bzw. Abweichungen davon zu bestrafen. So haben unabhängige polnische und ausländische Wissenschaftler wiederholt (zum Beispiel in den Zeitschriften Osteuropa und Polen-Analysen) nachgewiesen, dass das polnische Verfassungstribunal bei der Erfüllung seiner Aufgabe, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, internationalen Verträgen und anderen Rechtsakten zu beurteilen, inzwischen stark behindert wird, und zwar aufgrund von Gesetzesänderungen und personellen Umbesetzungen, die von PiS durchgesetzt wurden. Mit dem Gesetz über die Struktur der allgemeinen Gerichtsbarkeit, das ebenfalls von PiS auf den Weg gebracht wurde, hat die Partei einen wichtigen Schritt hin zur Schaffung einer Kaste "disponibler Richter" gemacht, wie sie Andrzej Rzepliński schon für die Volksrepublik beschrieben hat.

Dem entsprechen die neuen rechtlichen Regelungen für den Landesgerichtsrat (Krajowa Rada Sądownictwa – KRS). Sie behindern das Gremium erheblich in seiner wichtigsten Funktion, die Unabhängigkeit der Richterschaft zu schützen. Hinzu kommen die von der PiS durchgesetzten neuen Gesetzesvorschriften für die Tätigkeit des Obersten Gerichts (Sąd Najwyższy), die es dieser höchsten Instanz der polnischen Gerichtsbarkeit massiv erschweren, ihrer Aufgabe als Berufungsgericht in erster und zweiter Instanz gerecht zu werden. Das Oberste Gericht entscheidet auch, wenn Unstimmigkeiten bei Wahlen auftreten bzw. deren Ergebnis angefochten wird – was wohl künftig im jeweiligen Sinne der PiS erfolgen wird.

Auch hier lohnt ein vergleichender Blick in das Buch von Rzepliński, der beschreibt, wie in sozialistischen Zeiten die damaligen "Richtlinien des Obersten Gerichts (…) ein handfestes Instrument der bedarfs- und erwartungsgemäßen Einwirkung auf die Gerichte durch die Partei, das Justizministerium, Innenministerium und Verteidigungsministerium sowie die Staatsanwaltschaft und durch andere Einrichtungen der Exekutivgewalt" boten (o. a. O., S. 91). Rzepliński berichtet aber auch über den damaligen Widerstand gegen die Gleichschaltung (o. a. O., S. 197 f.): "Der in Bewegung gesetzte Mechanismus funktionierte jedoch so, als sei Sand ins Getriebe gestreut worden. Es traten immer wieder Richter auf, die keinen Hehl daraus machten, dass sie wirklich unabhängig zu urteilen wünschten und nicht "unabhängig" von Gnaden einer mit dem Machtmonopol ausgestatteten politischen Partei. Solche Richter gingen entweder von selbst oder wurden entlassen. Was nicht minder wichtig ist: Die Mehrzahl der übrigen Richter leistete passiven Widerstand und urteilte im Einklang mit ihrem Gewissen."

Auch das entspricht weitgehend den heutigen Verhältnissen. Unter der Federführung von Justizminister Zbigniew Ziobro haben erste Säuberungen im Gerichtswesen begonnen, aber ebenso regt sich Widerstand in der Richterschaft, der sich mitunter öffentlich Gehör verschafft.

Sozialistischer "Parlamentarismus"

Anders als in sozialistischen Zeiten, in denen Sitzungen des Sejm fast durchgängig eine von der PZPR orchestrierte Veranstaltung gewesen waren, gab und gibt es auch nach dem Wahlsieg der PiS noch politische Auseinandersetzungen und dementsprechend kontroverse Debatten im Sejm und im Senat bzw. in den Ausschüssen. Es kam sogar zu Blockaden einzelner Sitzungen. Doch unter dem Druck der PiS-Mehrheit nähert man sich zielstrebig dem sozialistischen "Parlamentarismus" früherer Zeiten an. "Die Rolle des Sejm wurde auf die automatische Annahme von Gesetzen reduziert", betont der Historiker Andrzej Friszke.

Tatsächlich wurden wiederholt in nächtlichen Sitzungen ohne vorangegangene Anhörung von Experten und ohne Debatte Gesetze von der PiS-Mehrheit regelrecht durchgepeitscht. In einem Fall wurde die Abstimmung über ein Gesetz während einer Sitzung in den Säulensaal des Sejm verlegt. An ihr nahmen nur Abgeordnete der PiS teil, anschließend wurde sie aber als Beschluss des ganzen Plenums deklariert. Während der Beratungen von Kommissionen des Sejm benehmen sich Ausschussvorsitzende der PiS wie Ankläger in Gerichtsverfahren, was etwa der Historiker Paweł Machcewicz erfahren musste, als es um die Zukunft des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig (Gdańsk) ging. Außerdem erhielten PiS-Abgeordnete sowie dieser Partei nahestehende Journalisten weitaus mehr Redezeit als Machcewicz selbst. Der Historiker hat diese Vorgänge in seinem Buch "Das Museum" (Muzeum, Kraków 2017) ausführlich beschrieben.

Abendliche Regierungspropaganda im Fernsehen

Gefragt, ob er die abendliche Hauptnachrichtensendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender TVP verfolge, antwortet der ehemalige Präsident des Obersten Gerichts, Adam Strzembosz, in seinem als Interview angelegten Buch "Zwischen Recht und Gerechtigkeit" (Między prawem i sprawiedliwością, Warszawa 2017): "Es hat keinen Sinn, diesen miserablen Propagandisten zu viel Zeit zu schenken. Ich habe diese Erfahrung schon während der ganzen Volksrepublik gemacht und weiß daher, dass man auf Propaganda nicht hören soll, weil diese den Menschen zu Hass erzieht."

In der Tat hat sich diese Sendung zu einer völlig undifferenzierten und unkritischen Verlautbarungsinstanz der Regierung entwickelt. Es gibt Hinweise darauf, dass der Inhalt der Sendung regelmäßig "mit der Nowogrodzka-Straße" – hier befindet sich der Sitz der PiS – abgesprochen wird. Und der ohnehin schon starke Einfluss des TVP auf die Fernsehzuschauer hat noch zugenommen, seit unabhängige Tages- und Wochenzeitungen wie Gazeta Wyborcza, Rzeczpospolita und Polityka in ländlichen Gebieten und kleineren Städten mehr und mehr aus den Kiosken verschwinden. Polens berühmter Arbeiterführer und ehemaliger Staatspräsident Lech Wałęsa hat die Folgen dessen in seiner wie üblich drastischen Sprache beschrieben: "Die Menschen sind vom Alltag getrieben und haben keine Zeit, nach der Wahrheit zu suchen und diese auch zu finden. Sie schalten das Fernsehen an, eben TVP 1 oder TVP Info, die Sendungen also, die mehrheitlich im Land verfolgt werden, und nehmen die dortige Parteipropaganda für bare Münze." Der Zeithistoriker Andrzej Friszke erklärte, die simplifizierende Sprache in den TVP-Sendungen, die regelmäßig auch öffentliche Ansprachen von PiS kennzeichne, erinnere ihn an die Auftritte des Ersten Sekretärs der PZPR in den 1960er Jahren, Władysław Gomułka.

Parallel dazu gab es schon mehrfach Versuche, unabhängige Medien einzuschüchtern oder gar gänzlich auszuschalten. Jüngstes Beispiel dafür war die Aufforderung der Steuerbehörden an den unabhängigen Fernsehsender TVN, Steuern in Höhe von 26 Millionen Euro nachzuzahlen – für eine wirtschaftliche Transaktion im Jahr 2012, die damals vom Finanzministerium und der zuständigen Steuerprüfung als steuerfrei deklariert worden war. Der politische Hintergrund dieses Einschüchterungsversuchs war eindeutig, hatten doch PiS-Funktionäre zuvor wiederholt öffentlich gefordert, dem Sender die Lizenz zu entziehen, da er die Gesellschaft "demoralisiert" und "die Einheit des Volkes zerstört", wie sich die PiS-Abgeordnete Krystyna Pawłowicz ausdrückte. Bekannt ist, dass der Sender insbesondere Parteichef Jarosław Kaczyński ein Dorn im Auge ist, weil sich dessen Reporter bemühen, politische Ereignisse von verschiedenen Seiten zu beleuchten und in Interviews kritische Fragen stellen. Die Forderung der Steuerbehörden an TVN wurde auf direkte Anweisung von Kaczyński zurückgezogen, da er wohl eingesehen hatte, dass damit zu viel Staub aufgewirbelt werden könnte. Auch hatte sich ein Sprecher des US-Außenministeriums kritisch geäußert – TVN gehört mehrheitlich dem amerikanischen Familienunternehmen Scripps. Allerdings ist abzusehen, dass weitere derartige Einschüchterungsversuche folgen werden.

Schwarz-Weiß-Malerei beim Blick auf die Geschichte

Geht es um Geschichtspolitik bzw. historische Erinnerung, dann ähnelt auch hier das gegenwärtige Auftreten der PiS dem Verhalten der PZPR in sozialistischen Zeiten. Mögen die Inhalte und Zielsetzungen heute anders sein als in der Zeit der Volksrepublik, so sind die Methoden die gleichen wie damals. Vermittelte die PZPR ein Geschichtsbild in schwarz-weiß mit bestimmten martyrologischen Akzenten, so tut dies auch die Partei Kaczyńskis, nur mit anderen Märtyrern. Glaubt man der PiS, dann gab es in der Geschichte vor allem Helden und Verräter. Bestimmte historische Ereignisse, die ins Weltbild der PiS passen, werden stark überhöht bzw. überschätzt, andere kleingeredet oder ganz verschwiegen. Es fehlen die Zwischentöne, die zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der Geschichte gehören. Die Geschichte wird auf kurze symbolische Momente reduziert.

Auch diese Methode beherrschten frühere PZPR-Chefs wie Władysław Gomułka und Edward Gierek meisterhaft. Das Gros der PiS-Funktionäre ist nicht in der Lage, eine vernünftige Mischung zu finden aus berechtigtem Stolz auf die Errungenschaften der polnischen Nation und selbstkritischer Reflexion, wenn es um Verfehlungen der polnischen Gesellschaft oder bestimmter Bevölkerungsgruppen geht. Ihnen kommt zugute, dass das historische Wissen der jungen Menschen im heutigen Polen über die damalige Volksrepublik sehr schwach ausgeprägt ist. "Heute ist Geschichtspolitik ein parteipolitischer Wirrwarr", meint Andrzej Friszke.

Die inhaltlichen Unterschiede zwischen damals und heute sind schnell benannt. Ging es der PZPR in ihrem Geschichtsverständnis darum, die historische Rolle der Sowjetunion zu überhöhen, sowjetische Verbrechen wie den Massenmord von Katyń auf die deutsche SS bzw. Wehrmacht zu schieben, den Warschauer Aufstand von 1944 als verantwortungsloses Manöver abzutun und den antikommunistischen Widerstand ab 1944 als Werk skrupelloser "Banden" zu diffamieren, so sind die geschichtspolitischen Regisseure der PiS jetzt vor allem damit beschäftigt, den Warschauer Aufstand zu glorifizieren, ohne eine vernünftige Diskussion über das Für und Wider dieser Erhebung zuzulassen, den antikommunistischen Widerstand gegen Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere die "verfemten Soldaten" (żołnierze wyklęci), zu heroisieren, ohne auf antisemitische Vergehen und andere Verbrechen einzelner Gruppen dieses Widerstands einzugehen, sowie das Verhältnis zwischen Polen und Juden während des Zweiten Weltkriegs auf die mutige Hilfe polnischer Bürger für vom Tode bedrohte Juden zu reduzieren, ohne auf Gaunereien oder gar Verbrechen von Polen an Juden einzugehen, die es ebenfalls gab. Der selektive Blick der PiS auf die Geschichte zeigt sich beispielsweise bei der Novelle zum IPN-Gesetz, dass jedem eine Strafe droht, der von "polnischen Todeslagern" spricht – eine zumindest nachvollziehbare juristische Ahndung einer objektiv falschen Zuschreibung der NS-deutschen Vernichtungslager – oder dem polnischen Staat oder der polnischen Nation eine Mitverantwortung an Verbrechen an Juden zuschreibt, wobei die öffentliche Diskussion über Verbrechen von Polen an Juden generell verhindert werden soll. In diesen Zusammenhang gehört auch ein von Senatsmarschall Stanisław Karczewski (PiS) verfasster Aufruf von Anfang Februar 2018, der an alle polnischen Botschaften und Konsulate verschickt wurde. Darin heißt es: "Bitte dokumentieren Sie alle antipolnischen Äußerungen, Darstellungen und Meinungen, die uns schaden, und reagieren Sie darauf. Informieren Sie unsere Botschaften, Konsulate und Honorarkonsulate über jede Verleumdung, die den guten Ruf Polens beeinflusst." In Deutschland beispielsweise verschickten die polnischen Konsulate diesen Brief an in der Region lebende Polen. In der internationalen Presse wurde dieses Schreiben vielfach als Aufruf zu Bespitzelung und Denunziation verurteilt – auch für das Vorgehen von Karczewski lassen sich Vorbilder in der Zeit der Volksrepublik finden.

Die drei zentralen Elemente der PiS-Geschichtspolitik sind der Umgang mit dem Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig, die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland und die Bewertung der Transformation von 1989. Was das Danziger Museum betrifft, so ist der von Kulturminister Piotr Gliński eingesetzte neue Direktor Karol Nawrocki auf dem besten Wege, das Museum aus einer Einrichtung, die das Leiden und den Heroismus Polens im Zweiten Weltkrieg in den europäischen und globalen Kontext des Krieges stellt und damit auch den Vergleich der unterschiedlichen Narrative einzelner Völker zulässt, in eine Einrichtung zu verwandeln, die auf eine national bornierte Darstellung des polnischen Schicksals reduziert ist. Die von Jarosław Kaczyński und anderen PiS-Funktionären wiederholt aufgestellte Forderung nach Reparationen vonseiten Deutschlands wegen deutscher Verbrechen im Zweiten Weltkrieg ist zwar geschichtspolitisch vielleicht insofern verständlich, als an diese Verbrechen gerade gegenüber jungen Menschen immer wieder erinnert werden muss, weil sie zu wenig darüber wissen, sie ist aber materiell und finanziell nach geltendem internationalen Recht unzulässig. Ohnehin hat diese Forderung vor allem eine innenpolitische Funktion. Und schließlich ist die von PiS immer wieder vorgetragene negative Bewertung des Systemwechsels von 1989 als "Kuhhandel" zwischen den damals noch regierenden Kommunisten und der Mehrheitsströmung der damaligen Opposition um Tadeusz Mazowiecki, Bronisław Geremek und Lech Wałęsa für seriöse Historiker, die verantwortungsbewusst mit Dokumenten und Aussagen von Zeitzeugen umgehen, nicht akzeptabel und dient allein dazu, die Protagonisten der Transformation zu diskreditieren.

Neue Nomenklatur?

In sozialistischen Zeiten war das System der nomenklatura für die PZPR ein zentrales Mittel zur Festigung ihrer Macht. Wer einen wichtigen Posten im Staat, in der Wirtschaft, Bildung und Kultur bekommen wollte, musste dieser Schicht der Parteikader oder auch parteinaher Personen angehören, deren Zusammensetzung von den Parteiorganen auf den verschiedenen Ebenen kontrolliert wurde. Es war quasi eine Oberschicht, die auch weitreichende Privilegien genoss. Seit die PiS regiert, kristallisiert sich nach und nach ein vergleichbares System heraus, auch wenn dieses noch nicht so rigide und umfassend wie in den Zeiten der Volksrepublik gehandhabt wird.

Wieder ist die Übernahme wichtiger Posten in der Justiz, im Fernsehen, im diplomatischen Dienst und in kulturellen Einrichtungen wie Museen von einem Bekenntnis der jeweiligen Kandidaten zur Ideologie und Politik der PiS abhängig. Entsprechende Entscheidungen fallen in der Parteizentrale der PiS unter der Regie von Jarosław Kaczyński – zuletzt bei der Besetzung führender Posten in der Kanzlei des neuen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Insbesondere Beispiele aus den Bereichen Justiz, Außenpolitik und Medien zeigen, dass bei dieser Art von "Personalpolitik" nicht selten Sachkenntnis und Professionalität auf der Strecke bleiben. Das Vorgehen von PiS erinnert fatal an die "Verifizierungen" nach der Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981.

Parteitreue wird dann auch belohnt. So wurde Anfang Februar bekannt, dass alle Kabinettsmitglieder der ehemaligen Ministerpräsidentin Beata Szydło (PiS) neben ihren Ministergehältern noch Einmalzahlungen zwischen 82.100 Zloty (Mariusz Błaszczak, damals Innenminister) und 65.100 Zloty (u. a. Jan Szyszko, damals Umweltminister) erhielten.

Ohne Zweifel wurden auch in den Jahren 2007 bis 2015, als die liberalkonservative Bürgerplattform von Donald Tusk regierte, wichtige Posten in Staat, Wirtschaft und Kultur auch entsprechend der parteipolitischen Interessen oder parteiinternen "Beziehungen" besetzt, ganz zu schweigen von den Zeiten, als die postkommunistische Demokratische Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) an der Macht war. Auch in Berliner Ministerien gibt es Seilschaften einzelner Parteien, die mal mehr, mal weniger ihre Interessen bei der Besetzung von Posten durchsetzen. Aber all das erreichte bzw. erreicht nicht die erbitterte ideologisch-politische Konsequenz, mit der die PiS ihre "Personalpolitik" betreibt.

In diesem Zusammenhang kommt es dann auch vor, dass die Inhaber staatlicher bzw. öffentlicher Posten freiwillig, man könnte auch sagen gezwungenermaßen, den "Anforderungen" der PiS entsprechen. Das lässt sich beispielsweise bei Lehrern beobachten, die deshalb auf Fortbildungsmaßnahmen zum Thema Europa bzw. Europäische Union verzichten, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Das gilt auch für Beamte in Warschauer Verwaltungseinrichtungen, die Arbeitskräfte aus der Ukraine penetrant mit Fragen etwa nach ihrer Bewertung des kontroversen ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera (1909–1959) traktieren, wenn sie eine Ständige Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Dabei liegt auf der Hand, dass es diesen Arbeitskräften nur darum geht, in Polen Geld zu verdienen und nicht Auffassungen über die Geschichte der polnisch-ukrainischen Beziehungen zu propagieren, die der PiS nicht genehm sind.

Der Wunsch nach Obrigkeit

Das Bestreben der PiS, einen starken Staat mit autoritären Zügen zu schaffen, entspricht dem Verlangen eines Teils der polnischen Gesellschaft nach einem Obrigkeitsstaat mit sozialstaatlicher Komponente. Mindestens ein Drittel der Polen, so der Historiker Andrzej Friszke, akzeptiere autoritäre Regierungsformen, die ja auch von der katholischen Kirche unterstützt würden. Diese Menschen verlangten vom Staat, dass er sie schütze, besonders in von ihnen als bedrohlich empfundenen extremen Situationen – etwa angesichts der Flüchtlingskrise, was Untersuchungen des Meinungsforschungsinstituts CBOS belegen. Umgangssprachlich formuliert: Jemand soll Ordnung schaffen und sagen, wo es langgeht.

Auch das erinnert an sozialistische Zeiten, insbesondere an die 1970er Jahre, als Edward Gierek an der Spitze der PZPR stand. Nicht zufällig herrscht in bestimmten Schichten der polnischen Bevölkerung eine gewisse Nostalgie, wenn es um die Ära Gierek geht. Das Leben damals schien überschaubarer und sicherer, auch wenn es an Rechten und Freiheiten mangelte.

Nach 1989 waren und sind es immer wieder nationalkonservative bzw. rechte sowie postkommunistische linke Parteien, die sich besonders dieser Wählerschichten annehmen. Dazu gehörten und gehören die Zentrumsallianz (Porozumiene Centrum – PC), die Partei X (Partia X), die Christlich-Nationale Vereinigung (Zjednoczenie Chrześcijańsko-Narodowe – ZChN), die Selbstverteidigung (Samoobrona), die Liga der Polnischen Familien (Liga Polskich Rodzin – LPR), die SLD und natürlich die PiS.

Auch wenn die Zustimmung für die PiS in den Wählerumfragen zunimmt, repräsentiert diese Partei nach wie vor nur eine qualifizierte Minderheit der polnischen Gesellschaft. Das zeigte bereits das Ergebnis der Parlamentswahlen von 2015. Das Lager derer, die andere Parteien unterstützen oder sich gänzlich von der Politik fernhalten, ist bislang größer, so das Ergebnis einer Untersuchung von CBOS. Die Mehrheit der polnischen Gesellschaft denkt konservativ, was aber nicht mit der Unterstützung für die PiS gleichzusetzen ist. So hat das offensive, ja radikale Auftreten dieser Partei zu einer tiefen Spaltung der polnischen Gesellschaft geführt.

Angesichts der eklatanten Schwäche der parlamentarischen Opposition deutet gegenwärtig vieles darauf hin, dass die PiS auch nach den Parlamentswahlen im Jahr 2019 an der Macht bleiben wird. Gefahren für die regierenden Nationalkonservativen drohen eher von gesellschaftlichen Protesten, wie sie schon bei den großen Demonstrationen gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts und die Umgestaltung der Judikative zu beobachten waren. Politische Beobachter wie Mariusz Janicki und Wiesław Władyka schließen nicht aus, dass es dann auch zu brutalen Polizeieinsätzen gegen regierungsfeindliche Demonstranten und deren Verurteilung zu längeren Gefängnisstrafen in politisch motivierten Strafprozessen kommen könnte. Zumindest werden dafür Vorbereitungen getroffen, was abermals an die Zustände in der Volksrepublik erinnert. Aufschlussreich ist dabei, dass Bürgerrechtler beispielsweise der Gruppe Bürger der Republik Polen (Obywatele RP) nach dem Vorbild des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników – KOR) und anderer Oppositionsgruppen in den 1970er Jahren begonnen haben, rechtliche und medizinische Hilfe für Demonstranten zu organisieren, die nach ihrer Festnahme auf Polizeirevieren gesetzeswidrig behandelt werden.

Fussnoten

Reinhold Vetter, Dr. h.c., ist freier Wissenschaftler und Publizist. Ende März erscheint von ihm: "Polens diensteifriger General. Späte Einsichten des Kommunisten Wojciech Jaruzelski", Berlin 2018.