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Analyse: Republik, Rebellion und Revanche – zwei Jahre später | bpb.de

Analyse: Republik, Rebellion und Revanche – zwei Jahre später

Jarosław Flis

/ 18 Minuten zu lesen

Ein Blick auf Polens politisches Geschehen zeigt einige Veränderungen: Nach dem Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten stehen im Herbst die Wahlen auf der Selbstverwaltungsebene an. Warum Letztere als bedeutsame Prüfung für die Regierungspartei PiS gelten, erklärt die aktuelle Polen-Analyse.

Führende Mitglieder der regierenden Partei PiS während der ersten Regierungserklärung des neuen polnischen Premierministers Mateusz Morawiecki. (© picture-alliance, PAP)

Zusammenfassung

Der Wechsel im Amt der Ministerpräsidentin, die Umbildung der Regierung und die im Herbst bevorstehenden Wahlen auf regionaler und lokaler Ebene sind drei Elemente, die die aktuelle politische Situation in Polen wesentlich bestimmen. Um ihre Bedeutung zu erläutern, wird an die von mir vor genau zwei Jahren in den Polen-Analysen (Interner Link: Polen-Analysen Nr. 174) dargelegten Thesen angeknüpft. Damals wurden in der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) drei Strömungen ausgemacht, die sich mit den Begriffen Republik, Rebellion und Revanche charakterisieren lassen. Es scheint, dass sich in diesen zwei Jahren ein bestimmtes Gleichgewicht zwischen den Strömungen herausgebildet hat, das über die Richtung zu entscheiden vermag, in die die Partei, die politische Szene insgesamt und schließlich das ganze Land streben.

Rebellion und Revanche in der Praxis

Wenn man zu der Strömung der Rebellion alle diejenigen zählt, die die institutionellen Errungenschaften der letzten 25 Jahre austilgen wollen, dann ist deren spektakulärste Leistung die Reform des Bildungswesens gewesen. Die strukturellen Veränderungen im Schulwesen wurden in einem beispiellosen Tempo und ohne Rücksicht auf kritische Meinungen vollzogen. Sie führten nicht zu einer Katastrophe in dem Sinne, dass sie im Diskurs der Medien ständig präsent wären (auch nicht in den Medien, die der Regierung gegenüber unfreundlich eingestellt sind), aber es ist überhaupt nicht ausgemacht, dass sie nicht noch Probleme nach sich ziehen werden. Diese können in der Phase der endgültigen Auflösung der Mittelschulen (gimnazjum) auftreten, was genau vor den Parlamentswahlen im Jahr 2019 stattfinden soll. Es ist dies eine Quelle gesellschaftlicher Spannungen, die zu einer ähnlich geballten Abneigung führen kann, wie sie einst nach jahrelangen stabilen Umfragewerten zur Niederlage der Regierung von Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und Polnischer Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) geführt hat.

Die Strömung der Revanche, das heißt die Übernahme der bestehenden Institutionen, tritt am deutlichsten beim öffentlichen Fernsehen zutage. Das Fernsehen wird komplett von heißen, sich offen bekennenden Anhängern des Regierungslagers dominiert. Absolut eindeutig und in Abkehr von jeglichen Standards des Anstands ist das Fernsehen darauf ausgerichtet, die Politik der Regierung zu unterstützen und vor allem jegliche Opposition anzugreifen. Hierbei ergeben sich Probleme für diese Strömung. Sogar im Umfeld des Regierungslagers selbst gibt es konstant und offen Zweifel daran, ob dies eine vernünftige Strategie sei. Ein Teil der gemäßigten PiS-Politiker betrachtet dies als eine Verletzung von Standards, einen Teil stört die peinliche Ästhetik, aber viele bewerten die Strategie kritisch wegen der zweifelhaften Wirkungen – gesellschaftliche Konflikte werden auf diese Weise angeheizt und gemäßigte Wähler sind schockiert. Gleichzeitig jedoch nimmt der härteste Kern der Wählerschaft und der Politiker des Regierungslagers mit Freude und Befriedigung die eindeutige Botschaft auf. Sie berauschen sich an diesen Momenten des zweifelhaften Triumphes, ohne sich zu überlegen, was die Konsequenzen in der Zukunft sein könnten.

Nicht so offensichtlich sind die Schwierigkeiten der Anhänger der Rebellion und der Revanche, bei der Angelegenheit des Verfassungstribunals Einigkeit zu finden. Einerseits wurde es vollständig pazifiziert, es wurde jedoch nicht liquidiert. Es wird in Gänze von Personen kontrolliert, die sich eindeutig mit der PiS identifizieren und dies manchmal, wie im Falle des verstorbenen Richters Lech Morawski, vollkommen offen kundtun. Die Institution selbst wurde nicht zerstört, aber jedweder Autorität beraubt. Sowohl für die Regierung als auch für die Opposition hörte das Verfassungstribunal auf, ein Bezugspunkt zu sein – noch nicht einmal mehr in dem Grad, wie es ein solcher für die PiS in den Jahren 2007 bis 2015 war, was kein gutes Omen für die Partei in der Zukunft ist. Denn das bedeutet, dass die PiS im Falle ihres Machtverlustes nicht auf einen solchen Schutz vonseiten des Verfassungstribunals wird zählen können, wie sie ihn einst als Oppositionspartei gegenüber den Aktivitäten der damaligen Parlamentsmehrheiten erhalten hatte, die sie als Verletzung ihrer Interessen wahrgenommen hatte (Beispiele wären hier das Verbot politischer Werbung oder zweitägiger Wahlen). Die PiS wird auch nicht damit rechnen können, dass die gegenwärtige personelle Zusammensetzung des Tribunals eine Veränderung der parlamentarischen Mehrheit überstehen würde. Schließlich hat die PiS selbst Muster geliefert, wie sich bisher angewandte Regeln verändern lassen, um Justizinstitutionen zu übernehmen, indem Lücken genutzt werden, die die Verfassung aus dem Jahre 1997 aufweist.

Die Strömungen der Rebellion und der Revanche erfuhren jedoch zwei Momente der Erschütterung, die zur Veränderung des Kräfteverhältnisses im Regierungslager beigetragen haben. Erstens war dies die Wiederwahl Donald Tusks in das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates im März 2017. Der Versuch, diese Wahl zu vereiteln, der die Folge der Logik der Rivalität im eigenen Land war, endete mit einer spektakulären Niederlage. So wie die fehlende Entschlossenheit auf der anderen Seite in dem leidenschaftlich ausgetragenen Konflikt des Regierungslagers über dessen Sieg in der Angelegenheit des Verfassungstribunals entschieden hatte, so wurde nun klar, dass die Europäische Union bzw. die anderen europäischen Staaten vollkommen abgehärtet gegenüber der Strategie der Konflikteskalation und der aufgeheizten Atmosphäre sind. Insgesamt führte dies zu der bislang deutlichsten Veränderung der Umfragewerte, es war ein Sprung für die PO, während die Zustimmung für die PiS sank. Deutlich wurde, dass der Wunsch nach Revanche allein nicht automatisch über den Erfolg des Handelns bestimmt. Zu ähnlichen Ergebnissen führt die Analyse der Ergebnisse der Nachwahlen auf der Selbstverwaltungsebene, die in den vergangenen beiden Jahren stattfanden: Der Vorsprung in den Umfragen und die Kontrolle aller zentralen Machtorgane schlägt sich keineswegs voraussagbar auf die Entscheidungen der Wähler nieder, wenn diese konkrete Personen vor Ort beurteilen.

Veränderung im Inneren der PiS

Des Weiteren stieß das Regierungslager in einem seiner Standardprojekte, der Justizreform, an eine Barriere in Person des Präsidenten. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich, dass der Präsident als Machtzentrum außerhalb der Reichweite der direkten Koordination der PiS-Führung steht. Wenn er sich für eine andere Bewertung einer bestimmten Angelegenheit entscheidet (Veto), hat die parlamentarische Mehrheit keine Möglichkeiten, ihr Vorhaben zu forcieren. Abgesehen von der Reform des Gerichtswesens wurde dies bei dem weniger laut herausgestellten, doch nicht unbedingt weniger wichtigen Gesetz über die Regionalen Rechnungshöfe deutlich, das eine reale Bedrohung für die Unabhängigkeit der Selbstverwaltung in Polen darstellte. Es war das erste Veto, das der Präsident einlegte, und eine Angelegenheit, die das Regierungslager nicht wieder aufnahm; dieser Pfad wurde vollständig verworfen. Das Veto bei den Gesetzen über das Gerichtswesen schuf ein neues Machtverhältnis. Bereits Anfang Herbst bezeichnete sich der Präsident eindeutig als Vertreter der "gemäßigten Strömung" in der PiS. Als er die Erfolge der Regierung nannte, auf die er stolz sei, überging er eine Reihe von Bereichen, die anderwärtig Schlüsselbedeutung für das Machtlager haben, als da wären die Außenpolitik, die Reform der Armee, Aktivitäten im Bereich des Umweltschutzes, die Angelegenheit des Verfassungstribunals und die Reform des Bildungswesens. Es ist kein Zufall, dass bei der Regierungsumbildung die Ressortchefs des Außen-, Verteidigungs- und Umweltministeriums verabschiedet wurden. Dies scheint darauf hinzuweisen, dass sich die Überzeugung von der vollkommen neuen politischen Wirklichkeit, die die ersten beiden Jahre dieser Regierung dominierte, erschöpft hat. Die Überzeugung, dass die Attacken der Opposition kein Hindernis für die Umsetzung der Politik sind (vielmehr ein Verdienst, das den harten Wählerkern erfreut), kann nicht mehr länger verteidigt werden. Trotz hoher Umfragewerte und eines großen Abstands zur Opposition wird eine ganze Reihe von Angelegenheiten als große Belastung wahrgenommen. Daher wurden im Zuge der Regierungsumbildung der Außenminister, der Verteidigungsminister und der Umweltminister ihres Amtes enthoben, trotz sehr deutlicher Spannungen, die dadurch in Teilen der PiS-Wählerschaft hervorgerufen werden.

Zu ähnlichen Ergebnissen führt der Verlauf der Ereignisse um das Abtreibungsgesetz. Die Proteste im Jahr 2016 machten der republikanischen Strömung bereits deutlich, dass das Gefühl, bei der Entscheidung bestimmter weltanschaulicher Angelegenheiten im Recht zu sein, nicht ausreicht, wenn eine breite Mobilisierung der Gegner der betreffenden Änderung möglich ist und sich jene nicht in die Schublade "oppositionelle Hysterie" stecken lässt, weil reale gesellschaftliche Emotionen hinter ihr stehen.

Es scheint, dass das endgültige Ergebnis der Regierungsumbildung ein Signal für das gesamte Regierungslager ist, das da lautet: Die elementaren Regeln der Politik wurden keineswegs aufgehoben. Die unnötige Vermehrung von Feinden sollte die regierende Partei vermeiden. In diesem Sinne erwies sich die republikanische Strömung, die bisher im Schatten der beiden anderen Strömungen geblieben war und von diesen eliminiert oder zumindest stark angezweifelt zu werden drohte, als Hauptgewinner der Regierungsumbildung. Deren Verlauf war allerdings vor allem mit einer personellen Dynamik im Regierungslager selbst verknüpft.

Personalien und Alternativen

Der Wechsel auf dem Posten der Ministerpräsidentin, die in den Umfragen zum Vertrauen zu Politikern nur dem Präsidenten den Vortritt ließ, sieht kurios aus in der Situation, dass die regierende Partei den Popularitätsrekord hält. Umso mehr als Ministerpräsidentin Beata Szydło es schaffte, nicht nur die Sympathie und Unterstützung der Mehrheit der Wähler zu gewinnen, sondern auch sehr vieler Politiker der zweiten Reihe in der eigenen Partei. Allerdings wurde ihre Bedeutung im Führungskreis systematisch schwächer. Dies war vor allem eine Folge des Handelns von PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński, der ihre Position konsequent unterminierte und ihr keine Chancen einräumte, ihr Potential zu entwickeln. Dieses Potential war in der Tat nicht überwältigend, aber es gestattete besagte unstrittige Leistungen. In den Beziehungen mit der unmittelbaren Umgebung wurde es allerdings vollkommen aufgebraucht und erlaubte ihr nicht, sich im Amt zu halten. Das führte zu der gewissermaßen erzwungenen Situation des Wechsels im Amt des Ministerpräsidenten.

Für viele PiS-Akteure war Jarosław Kaczyński der natürliche Kandidat für dieses Amt. Ihm war allerdings ganz klar, dass er an der Spitze der Regierung für das gesamte Lager eine Belastung bedeuten würde. Die Tatsache, dass er seine Partei zwei Mal in die Niederlage, während Beata Szydło sie einmal zum Sieg geführt hat, lässt sich kaum als Indikator für eine persönliche Barriere anzweifeln. Dies verengte das Feld des Personalmanövers und führte dazu, dass Kaczyński seine ganz Autorität in die Waagschale warf, um die Partei von der Kandidatur Mateusz Morawieckis zu überzeugen. Der neue Ministerpräsident wird aufgrund seiner Biographie und seines Kommunikationsstils von einem beträchtlichen Teil der Partei als Fremdkörper betrachtet. Es erleichtert seine Situation nicht, dass er sich erst nach den Wahlen dem Regierungslager angeschlossen hat. Seine Ansichten in gesellschaftlichen Fragen scheinen sich hervorragend in die Hauptströmung der PiS einzufügen, doch bei ökonomischen Themen können sein Handlungsstil oder seine Vorstellungen von der Bedeutung bestimmter Projekte in Zukunft Spannungen verursachen.

Beata Szydło zeigte eine enorme Loyalität gegenüber ihrer Partei und ihre Position war so stark, dass sie ihren Verbleib in der Regierung erkämpfte. Die Folge dieser ganzen Operation war, dass die Umfragewerte für die PiS nicht nur nicht fielen, sondern auf einen bisher einmaligen Vorsprung vor der Opposition stiegen. Es ist allerdings anzunehmen, dass dieser Zustand nicht ewig anhalten wird, und wenn bereits im Frühjahr die Zustimmung zurückgehen würde, könnten Vermutungen auftauchen, dass dies mit dem Wechsel des Ministerpräsidenten und der Degradierung Beata Szydłos zu tun haben könnte. Eine Folge ist aber auch, dass die innere Dynamik im Regierungslager zurzeit Dreh- und Angelpunkt für die politische Situation im Land ist.

Der Vorsprung in den Meinungsumfragen ist zwar eine unstrittige Tatsache, doch ist ein wenig Distanz ihr gegenüber noch aus einem weiteren Grund angebracht. Ein Teil der Entscheidungen, die die Regierungskoalition getroffen hat, beispielsweise das Familienförderprogramm "500 plus" als wichtiger Sozialtransfer oder die Senkung des Renteneintrittsalters, zeitigt sofortige Wirkungen. Ein Instrument, Unterstützung aufzubauen, ist also, die Überzeugung zu überwinden, dass sich nichts ändern lasse. Schlüsselbedeutung hat vermutlich jedoch das Versprechen, dass viele der Aktivitäten der Regierung in den letzten beiden Jahren auch in der Zukunft positive Veränderungen in Problembereichen nach sich ziehen werden. Die Einlösung der versprochenen Verbesserungen ist nicht so selbstverständlich und einfach, ob es nun um Morawieckis Wirtschaftsplan, die Optimierung des Bildungswesens, der Gerichte oder des Gesundheitswesens geht. Dass die Politiker des Regierungslagers an etwas glauben, heißt noch nicht, dass die geplanten Veränderungen die gewünschten Folgen nach sich ziehen werden. Die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre zeigen, dass zum Beispiel die Funktionstüchtigkeit der Staatsanwaltschaft keineswegs gestiegen ist, nachdem sie erneut dem Justizminister untergeordnet wurde; vielmehr wurde der Vorwurf lauter, dass sie der regierenden Partei zur politischen Verfügung stehe.

Die Schwäche der Opposition ist wiederum unter anderem auf die Spezifik eines Teils ihrer gesellschaftlichen Unterstützer zurückzuführen. Eine Ursache der Erfolge von PiS sind Programme, die denjenigen Teil der Gesellschaft wertschätzen, der bisher das Gefühl hatte, ausgeschlossen zu sein, und über die Jahre Abneigung und Bitterkeit entwickelte, die manches Mal überaus irrational geäußert wurden. Der Wahlsieg im Jahr 2015 stellte diesen Teil der Wählerschaft zufrieden, was allerdings die bisherigen Spannungen nicht aufhob, sondern noch verstärkte. Der Sieg selbst, wenn er auch zahlenmäßig nicht überragend war, schuf die Gelegenheit, das Gefühl der moralischen Überlegenheit auszudrücken und sich als Sprecher der gesamten Nation darzustellen. Dies führte wiederum zu Reaktionen der Gegner, die von vielen als beleidigend empfunden wurden. Derlei inadäquate Reaktionen der Anhänger der Opposition bestätigen die Narration des Siegerlagers, dass die Opposition sogar die Reformen zurückziehen will, die von der überwältigenden Mehrheit positiv beurteilt werden.

Die Prüfung im Herbst

Zu einer bedeutsamen Prüfung für die Regierungspartei werden die Wahlen auf der Selbstverwaltungsebene (die Regional- und Lokalwahlen), die gleichzeitig durchgeführt werden. Dies ist aus verschiedenen, sich gegenseitig verstärkenden Gründen ein sehr spezifisches Thema in Polen. Erstens fallen die Ergebnisse für die größten gesamtpolnischen Parteien in den Selbstverwaltungswahlen deutlich schwächer als in den Wahlen auf Landesebene aus. Die landesweit agierenden Parteien sind zwar auf der regionalen Ebene präsent und dominierten im Prinzip alle der vergangenen Wahlen. Jedoch ist hier die Polarisierung der politischen Bühne deutlich geringer, was zu Lasten der größten Parteien geht. Dies ist vor allem deshalb der Fall, weil in den Parlamentswahlen der polarisierende Faktor der Kampf um die Regierung in Warschau ist. Wenn dieser fehlt, bringt ein Teil der Wähler seine Zweifel zum Ausdruck, indem er für die kleineren Parteien stimmt. Hinzu kommt ein teilweise anderes Profil der Wählerschaft. Ein Teil derer, die bei den Sejmwahlen ihre Stimme abgeben, nimmt nicht an den Selbstverwaltungswahlen teil. Dies betrifft vor allem Großstadteinwohner, wo die Unterstützung für die beiden größten Parteien (PiS und PO) bedeutend höher ist als in den übrigen Landesteilen. An ihre Stelle treten allerdings zirka 2 Millionen neue Wähler, die vor allem in den Lokalwahlen ihre Stimme abgeben. Dies betrifft vor allem die Einwohner der ländlichen Gebiete.

Die Wähler erhalten gleichzeitig die Stimmzettel für die Regionalwahlen. Ein Teil gibt ungültige (leere) Stimmzettel ab, ein Teil trifft seine Wahl nach dem Losverfahren und ein Teil stimmt für die bekanntesten lokalen Kandidaten. Hierbei tritt der Vorsprung der kleineren Parteien zutage, insbesondere der Bauernpartei PSL. Sie ist in den Gebieten, wo die Mobilisierung für die Selbstverwaltungswahlen groß ist, stark verwurzelt. Sie wird mit diesen Regionen identifiziert und hat dort mehr und deutlicher unterscheidbare Kandidaten. Alle diese Vorteile wurden in den Selbstverwaltungswahlen im Jahr 2014 zusätzlich durch die nicht durchdachte Gestaltung der Stimmzettel verstärkt. Sie bescherte der PSL zirka 6 Prozent zusätzlicher Unterstützung und führte unter den Aktivisten und sogar den führenden Köpfen der PiS zur der Überzeugung, dass die Wahlen gefälscht worden seien. Diese These ließ sich allerdings in Einzeluntersuchungen nicht verifizieren. Sie bleibt jedoch eine Konstante im Narrativ der PiS-Politiker und erschwert ihnen übrigens, sich rational auf die Wahlen vorzubereiten.

Auf lokaler Ebene, wo die Woiwoden, Bürgermeister und Stadtpräsidenten direkt gewählt werden, nehmen lokale Parteien und Gruppierungen eine dominierende Position ein. Häufig kommt es zu Koalitionen aus Sejmparteien, die ihre Identität verbergen, um es sich nicht mit den Wählern zu verderben, die bei den Landeswahlen gegen sie stimmen würden. In ungefähr der Hälfte des Landes, gemessen an der Einwohnerzahl, gewinnen Kandidaten ohne eindeutige Verbindungen zu den im Sejm vertretenen Parteien. Im übrigen Teil des Landes sind es Personen, die entweder direkt unter dem Schild einer überregional existierenden Partei antreten oder die ihre Sympathien und Verbindungen öffentlich machen und gleichzeitig auch bei den Regionalwahlen von der Liste einer im Sejm vertretenen Partei starten.

Ein weiterer Faktor ist, dass die PiS nur über beschränkte Koalitionsfähigkeiten verfügt. Insbesondere wird dies auf der Ebene der Woiwodschaftsparlamente (sejmik) sichtbar, wo sie nur da in der Lage ist, die politische Verantwortung zu übernehmen ist, wo sie eine eigene Mehrheit hat. Dies gelang ihr bisher höchstens in einer von 16 Woiwodschaften, die ihr Rückzugsraum ist. Natürlich versucht die PiS auch, die Strukturen ihres politischen Klientelismus auszubauen, indem sie ihre Ressourcen nutzt. Dies ist allerdings keine leichte Aufgabe in der Situation großer gesellschaftlicher Spannungen, aber auch organisatorischer Schwächen (insbesondere was das Parteipersonal betrifft) auf lokaler Ebene. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass, sogar wenn PiS-Politiker auf lokaler Ebene Machtpositionen besetzen, sie größere Probleme als andere Parteien haben, diese zu halten. So sehr sie mit Leichtigkeit die gesellschaftliche Unzufriedenheit gegenüber aktuell Regierenden mobilisieren, so bereitet es ihnen doch große Probleme, diese abzubauen, wenn sie selbst an der Macht sind. Daher ist die regierende Partei skeptisch gegenüber der Idee der Selbstverwaltung und versucht, auch gerade in den letzten zwei Jahren, deren Kompetenzen einzuschränken. Dies beschert der PiS keine neuen Anhänger, vor allem nicht unter den Aktivisten auf der lokalen Ebene, die von der Idee der Selbstverwaltung und der völligen Unabhängigkeit von der Zentralregierung überzeugt sind. Ein Ausdruck jener skeptischen Einstellung waren Versuche im Herbst 2017, das Wahlsystem zu ändern. Dies rief viele hitzige Diskussionen hervor, und heute sind nur zwei Sachen sicher: Erstens war entgegen der Panik und dem Pessimismus der Opposition und der gegenüber der Regierung negativ eingestellten Publizisten das manipulative Potential der verkündeten Änderungen sehr gering, wenn es auch tatsächlich vorhanden war. Zweitens distanzierte sich das Regierungslager nach den ersten Reaktionen von den meisten Vorschlägen und im Grunde von allen, bei denen man eine potentielle Beeinflussung des Wahlergebnisses hätte herauslesen können.

Die Selbstverwaltungswahlen können also den Schwung der PiS und die Überzeugung von der eigenen Dominanz schwächen, insbesondere da die Mehrheit der zurzeit Regierenden der PiS eher abgeneigt ist. Der Anteil der PiS unter ihnen ist deutlich kleiner als das allgemeine Niveau der Unterstützung, insbesondere in den letzten Umfragen. Außerdem hat es sich die PiS mit einem wesentlichen Teil der politischen Führung der Selbstverwaltungen verdorben, weil sie beschlossen hat, deren Amtszeit auf zwei Wahlperioden zu beschränken. Zwar wird das Gesetz dazu erst in zehn Jahren vollständig in Kraft getreten sein, aber die negative Stimmung der lokalen politischen Elite ist jetzt schon spürbar.

Andererseits begünstigt das aktuelle Wahlsystem der Woiwodschaftslandtage eindeutig die großen Parteien, was für das gesamte Parteiensystem eine ernstzunehmende Prüfung darstellt. Insbesondere baut es für die kleineren Gruppierungen mit einer Unterstützung von weniger als zehn Prozent eine Barriere auf, wohingegen sie in den Parlamentswahlen auf Landesebene mit einer wesentlichen Belohnung in Form von Mandaten rechnen könnten. In den Wahlen zu den Woiwodschaftslandtagen müssen sie dagegen damit rechnen, dass ihre Mandatszahl sehr gering ausfällt oder sie sogar leer ausgehen, da die gesetzte Prozenthürde so hoch ist. Dies sorgt für das sehr starke Gefühl der Opposition für die Notwendigkeit, die politische Szene zu integrieren.

Die Strukturierung der Opposition

Nach Meinung ihrer Gegner ist die PiS ein einheitlicher Block. Diese Behauptung stimmt allerdings nicht und viele Untersuchungen und konkrete Vorgänge weisen auf wesentliche interne Spannungen hin. Diese sind allerdings deutlich kleiner als auf Seiten der Opposition. Aufgrund des Handelns der Regierung ziehen sie zahlreiche Appelle zur Einigung der Opposition nach sich. Allerdings scheint hier die Bildung einer Gesamtgruppierung angesichts des so breiten ideologischen Spektrums sehr zweifelhaft. Als die PiS im Jahr 2007 abgewählt wurde, haben die anderen politischen Kräfte keine vereinigte Gruppierung gebildet. Der symbolische Sieger war die PO, aber es bestand weder das Bedürfnis noch die Möglichkeit, alle PiS-Gegner zu vereinen. Neben der Mitte-Rechts-Partei PO war auch noch Platz für die Liste der Linken und die andere Mitte-Rechts-Partei PSL. Diese gründet ihre Stärke auf ihre Verwurzelung in der Landbevölkerung und auf der Schaffung eines Milieus, dass die PiS trotz zahlreicher Versuche nicht in der Lage war zu besetzen, zu dominieren oder zu zerschlagen.

Zurzeit gibt es auf der politischen Bühne mindestens fünf Akteure, die sich in eindeutiger Opposition zur PiS befinden. Diese Anzahl ist mit Blick auf die vom aktuellen Wahlsystem diktierte Zweckmäßigkeit entschieden zu groß. Im Falle der PSL kann eine Vereinigung mit einer anderen Gruppierung stark bezweifelt werden. Im Falle der anderen Akteure – der PO und Die Moderne (Nowoczesna), die laut Meinungsumfragen die Oppositionsparteien anführen, sowie der Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) als alte postkommunistische Linke, die nicht mehr im Landesparlament vertreten ist, genauso wie der neuen linken Partei Gemeinsam (Razem) – sind solche Möglichkeiten deutlich realistischer. Dennoch gibt es auf die Frage, welche Verbindung eingegangen werden könnte und ob eine oder zwei Gruppierungen gebildet werden, keine einfache Antwort und sie scheint sich noch nicht einmal am Horizont abzuzeichnen. So bedeuten die allgemeinen Erklärungen über eine gegenseitige Unterstützung und die Notwendigkeit sich zu vereinigen keineswegs, dass dies auch eintreten wird. Es ist schwer, eine Idee zu installieren, unter der sich alle Wähler sammeln können. Möglicherweise erschweren auch die persönlichen Schwächen der Parteiführer der Opposition eine Vereinigung. In der Partei Die Moderne beispielsweise führten Konflikte in diesem Bereich zu einer ernsten Krise und zum Wechsel in der Führung.

Eine wichtige Frage ist die Rolle der oppositionellen Kukiz’ 15 Bewegung. Auch sie erlebt interne Krisen und kann in den Selbstverwaltungswahlen noch auf ein weiteres Problem stoßen. Die Antipartei-Karte, die diese Gruppierung ausspielt, wird bei den Selbstverwaltungswahlen ohnehin schon fleißig eingesetzt. Ihrer bedienen sich lokale Parteien und Politiker, die sich auf ihr Selbstverwaltungsethos berufen und sich bemühen, sich von den landesweiten Spaltungen abzusetzen, und zwar auch aus taktischen Überlegungen und um die untereinander zerstrittenen Wählerschaften nicht zu vergraulen. In den letzten Wahlen wurden mancherorts mit beachtlichem Erfolg regionale Wahllisten aufgestellt, die vielleicht nicht der dominierende, aber ein wichtiger Akteur in einem Teil der Regionen wurden. Ob solche Initiativen in den bevorstehenden Selbstverwaltungswahlen wieder auftreten und ob sie von entschlossenen Köpfen angeführt werden, ist eine der Schlüsselfragen dieses Jahres, denn hier wird sich entscheiden, wie sich letztlich die regionalen politischen Szenerien aufstellen werden. Das Auftreten solcher politischen Kräfte wird es ganz gewiss der dominierenden PiS erschweren, regionale Wahlsiege einzuholen. Gleichzeitig würde dies auch eine große Herausforderung für die anderen im Sejm vertretenen Parteien bedeuten und zu einer noch größeren Schwächung führen, was wiederum die gegenseitigen Beziehungen beeinflussen könnte und das Engagement der Aktivisten vor den kommenden Wahlen.

Es ist nicht klar, wie der Wechsel des Ministerpräsidenten, der Abzug der kontroversesten Regierungsmitglieder und der sicherlich symbolische Sieg der republikanischen Strömung innerhalb der PiS die Haltung der politisch Verantwortlichen auf der lokalen Ebene beeinflussen wird. Heute sieht es so aus, als würden die Spannungen, die im radikalen PiS-Flügel entstanden, nur schwelen. Solange die Umfragewerte der Partei sehr hoch bleiben, wird sich schwerlich ein wesentlicher Impuls für Spaltungen finden. Sollten allerdings im Frühjahr die Umfragewerte der Regierungspartei erschüttert werden, was bereits einige Male eintrat, dann kann die Suche nach den Schuldigen zu einer Explosion im Regierungslager selbst führen.

Denkbar ist auch das Szenario, dass die Regierungsumbildung zur Beruhigung der gesellschaftlichen und politischen Konflikte in Polen führen wird sowie zur Verringerung der Spannungen, wenn die Regierungspartei es bei den Schritten von symbolhaft wichtiger Bedeutung belassen würde, die sie bereits vollzogen hat, zum Beispiel der Reform der Gerichte und des Bildungswesens. So würde sie sich auf die praktische Umsetzung konzentrieren, was keineswegs so einfach sein muss, wie die Verabschiedung der betreffenden Gesetze. Dann kann es tatsächlich zur Verringerung der Spannungen auf der politischen Bühne kommen. Die weiteren Folgen eines solchen Szenario sind jedoch nicht so klar. In einer weniger hysterischen Situation, in der die Opposition ihren Kraftstoff des schlichten Widerspruchs verliert, wird sie mehr Kraft aufwenden müssen, eine in personeller und programmatischer Hinsicht reale Alternative gegenüber der Regierungspartei darzustellen.

Auf der anderen Seite kann es auch so kommen, dass sich die in der Opposition auftretenden Spannungen auf die regierende Partei übertragen werden. Eine Wende in Richtung Mäßigung würde nicht so glatt vonstattengehen, wie es gegenwärtig aussieht, und eine Desintegration würde auch diejenigen betreffen, die zurzeit die Umfragen anführen und von ihrem überwältigenden Vorsprung gegenüber der Konkurrenz überzeugt sind. Mit Sicherheit können unvorhersehbare neue Ereignisse Einfluss haben, aber auch die wirtschaftliche Lage oder nicht zuletzt internationale Entwicklungen wie zum Beispiel das Schicksal Donald Trumps oder die Strategie der Europäischen Union.

Auf alle Fälle wird das Jahr 2018 ein Jahr sein, in dem es zum ersten politischen Gefecht kommen wird, das den Wahlmarathon einleiten wird. Nach den Selbstverwaltungswahlen stehen im Frühjahr 2019 die Wahlen des Europäischen Parlaments an, im Herbst dann die Wahlen des polnischen Parlaments und im darauffolgenden Jahr die Präsidentenwahlen. Das Ergebnis der nun bevorstehenden Wahlen muss nicht einmal ein Urteil über die Einstellung der Wähler darstellen, sondern über die Zusammenstellung, das Befinden und das Engagement wichtiger Akteure sowie über die Haltung der Medien, sowohl derer, die sich für eine bestimmte Seite einsetzen, als auch derer, die sich um Distanz bemühen. Deshalb ist das politische Gewicht, das der Wahlkampf und die bevorstehenden Selbstverwaltungswahlen haben werden, bedeutend höher als es bei Regional- und Lokalwahlen jemals der Fall war.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Fussnoten

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Dr. habil. Jarosław Flis ist Soziologe am Institut für Journalistik, Medien und gesellschaftliche Kommunikation an der Jagiellonen Universität in Krakau (Uniwersytet Jagielloński, Kraków). Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Kommunikation, Public Relations, Wahlen und gesellschaftliche Partizipation.