Polens Nationalkonservative von der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) haben in diesem Jahr den größten Sieg ihrer Parteigeschichte errungen. Zunächst gewann ihr Kandidat Andrzej Duda die Präsidentenwahl mit 51,55 Prozent der Stimmen gegen den bisherigen Amtsinhaber Bronisław Komorowski, dann erzielte die Partei bei den Parlamentswahlen mit 37,58 Prozent (235 von insgesamt 460 Sitzen im Sejm) ein Ergebnis, das ihr erlaubte, allein die Regierung zu stellen. Im Senat, der zweiten Kammer, erlangte PiS 61 von insgesamt 100 Sitzen.
PiS verdankt ihren Erfolg vor allem dem Aufbegehren der jungen Generation, dem Unmut der sozial Schwachen und dem besonders in den ländlichen Regionen Polens weit verbreiteten Hass auf die selbstherrlichen politischen und wirtschaftlichen Eliten in den Städten. Der Mythos der Transformation von 1989 und deren Helden ist verblasst.
Auch als Partei ging PiS gestärkt aus den Wahlen hervor, während die politische Landschaft im linken Spektrum und in der Mitte in Bewegung geraten ist. Der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński wird in nächster Zukunft sogar versuchen, die Basis seiner Partei auszudehnen, indem er auf die Wähler der Bewegung des Rocksängers Paweł Kukiz (Kukiz ‘15) zugeht und mit Hilfe von Jarosław Gowin, dem früheren Mitglied der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und neuen Wissenschaftsminister, konservative Anhänger dieser Partei zu gewinnen sucht.
Viel wird davon abhängen, ob Kaczyński, der von einer Rolle als unumschränkter Führer des Staates nach dem Vorbild des autoritären Józef Piłsudski als Naczelnik Państwa in der Zwischenkriegszeit träumt, das Steuer energisch in die Hand nimmt oder jüngeren Politikern wie Andrzej Duda und der neuen Ministerpräsidentin Beata Szydło einen gewissen Gestaltungsspielraum überlässt.
Rückkehr zu den Verhältnissen von 2005–2007?
Sowohl Andrzej Duda als auch die Parlamentskandidaten von PiS mussten sich im Wahlkampf immer wieder an die Jahre 2005–2007 erinnern lassen, in denen die Partei schon einmal das politische Leben Polens dominierte. Geradezu handstreichartig hatten damals Vertraute und Gefolgsleute von Jarosław und Lech Kaczyński, in jenen Jahren Staatspräsident und später prominentestes Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk, das Kommando in weiten Teilen der Ministerien und Regierungsagenturen, in zentralen Ämtern und Behörden, in der Leitung und Administration des Parlaments sowie in den Vorständen und Aufsichtsräten der staatlichen Unternehmen und Börsengesellschaften übernommen. Mit dem Zentralen Antikorruptionsbüro (Centralne Biuro Antykorupcyjne – CBA) wurde eine starke politische Polizei aufgebaut, die sich unter drastischer Missachtung von Rechtsgrundsätzen vor allem der Ausschaltung politischer Gegner von PiS widmete. Die klare Trennung in Legislative, Exekutive und Jurisdiktion wurde zugunsten der ausführenden Gewalt aufgehoben. Justizorgane wurden politisch instrumentalisiert, insbesondere auch das Verfassungsgericht. Viele Mitarbeiter auf den Leitungsebenen des öffentlichen Fernsehens und Radios mussten gehen. Geschichtspolitik verkam zu nationalistischer Propaganda.
Die Aufzählung all dessen bedeutet natürlich noch nicht, dass die neue, allein von PiS geführte Regierung exakt nach dem damaligen Muster handeln wird. Aber sie schärft den Blick für das aktuelle und künftige Regierungshandeln, zumal einige der führenden PiS-Propagandisten von damals auch jetzt wieder an vorderster Front aktiv sind.
Kaczyński steuert Regierungsbildung und Personalrevirement
In Warschau ist es ein offenes Geheimnis, dass der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński die personelle Zusammensetzung des neuen Kabinetts entworfen und durchgesetzt hat. Diesem Vorgehen musste sich auch die neue Ministerpräsidentin Beata Szydło unterordnen. Damit ist ein erstes Charakteristikum der neuen Machtverhältnisse in Polen benannt. Hinter vorgehaltener Hand wird Kaczyński bereits als "eiserner Kanzler" apostrophiert.
Auffällig ist auch, dass die Zahl der Minister von 17 auf 21 erhöht wurde. Zählt man alle Beauftragten und Bevollmächtigen zusammen, dann nehmen mit der Ministerpräsidentin jetzt insgesamt 27 Personen am Kabinettstisch Platz. Kaczyński hat im Großen und Ganzen alle ins Kabinett geholt, die sich in der Vergangenheit im Sinne des politischen Programms von PiS an vorderster Front profiliert hatten – Widersprüche zwischen einzelnen "starken" Persönlichkeiten mit eingeschlossen.
Der PiS-Vorsitzende war auch machtbewusst genug, zwei seiner engsten Vertrauten an Schaltstellen im Kabinett zu platzieren: Adam Lipiński, der seit Jahren zu seinen wichtigsten Mitarbeitern zählt und formal künftig für die Kontakte der Regierung zum Parlament zuständig ist. Dies ist allerdings ohne jede Bedeutung, da PiS ohnehin über die Mehrheit in Sejm und Senat verfügt und auch die parlamentarischen Leitungsposten weitgehend unter sich aufgeteilt hat. Dank Lipiński sitzt Kaczyński de facto mit am Kabinettstisch. Der zweite ist Innenminister Mariusz Błaszczak, der nicht nur für die Polizei und andere uniformierte Dienste zuständig ist, sondern auch die Arbeit der Woiwoden (vergleichbar mit den deutschen Regierungspräsidenten) zu überwachen hat.
Im Kabinett lassen sich drei Gruppen von Ministern einteilen. Da sind zum einen die hartgesottenen Vorkämpfer der "vierten Republik", wie die von PiS schon in den Jahren 2005–2007 angestrebte radikale Umgestaltung von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur genannt wird: Justizminister Zbigniew Ziobro, Verteidigungsminister Antoni Macierewicz und Mariusz Kamiński, der die Geheimdienste beaufsichtigt und außerdem für das Zentrale Antikorruptionsbüro zuständig ist.
Zur zweiten Gruppe zählen alle Kabinettsmitglieder, die im weiteren Sinne für Strukturentwicklung, Wirtschaft, Finanzen, Digitalisierung und Soziales zuständig sind. In dieser Gruppe finden sich ausgewiesene Fachleute wie Mateusz Morawiecki, Paweł Szałamacha und Anna Streżyńska. Die Frage ist jedoch, wie sie sich dem vom Kaczyński vorgegebenen Kurs der überbordenden Sozialausgaben auf Kosten der Solidität der Staatsfinanzen widersetzen können. Schließlich die Gruppe der Minister, die vor allem wegen ihrer absoluten Loyalität gegenüber Kaczyński im Kabinett gelandet sind: Landwirtschaftsminister Krzysztof Jurgiel, Gesundheitsminister Konstanty Radzwiłł und Erziehungsministerin Anna Zalewska. Das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Kaczyński und Ministerpräsidentin Szydło ist die Berufung von Außenminister Witold Waszczykowski.
Vorerst dürfte Kaczyński in der für ihn komfortablen Position verharren, die Regierung zu steuern, ohne direkt Verantwortung übernehmen zu müssen. Sollte Beata Szydło eines Tages überfordert sein, wird er nicht zögern, selbst das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen.
Mit großer Eile gingen die Sieger auch daran, die Machtverhältnisse in zentralen Institutionen des Staates neu zu ordnen. So traten in der Nacht vom 18. auf den 19. November auf Druck der neuen Regierung die Leiter von vier Sicherheitsdiensten, insbesondere des Inlandsgeheimdienstes und des Militärischen Nachrichtendienstes zurück. Ebenfalls noch in der Nacht wurde der von PiS-Abgeordneten dominierte Geheimdienstausschuss des Sejm einberufen, der die Rücktritte absegnete. Kandidaten, die der PiS-Führung genehm sind, stehen für die Nachfolge bereit. Nun ist es nicht unüblich, dass neue Regierungen die Spitzen der Geheimdienste neu besetzen. Doch die Hast, mit der dies geschieht, weckt Argwohn. Nicht zufällig war in polnischen Zeitungen die Rede davon, dass PiS im Schnelldurchgang die überparteiliche parlamentarische Kontrolle über die Geheimdienste abschaffen wolle.
Dafür spricht auch, dass PiS dank ihrer parlamentarischen Mehrheit durch eine Gesetzesnovelle kurz vor der Abberufung der Chefs der Geheimdienste ihre Dominanz im zuständigen Ausschuss des Sejm für die nächsten vier Jahre gesichert hatte.
Innenpolitik stark im Vordergrund
Zu Beginn ihrer Regierungserklärung im Sejm am 18. November bekundete die neue Ministerpräsidentin Beata Szydło im Namen der polnischen Gesellschaft ihre Solidarität mit Frankreich nach den Anschlägen in Paris, kam dann aber schnell und fast ausschließlich auf innenpolitische Fragen zu sprechen. Man sei, so betonte sie, bei der Bekämpfung des Terrors mit Frankreich solidarisch, werde sich dabei aber auf das eigene Land und die Sicherheit seiner Bürger konzentrieren.
Vier Fünftel ihres Exposés galten innenpolitischen Fragen: Wirtschaft und Strukturentwicklung, Soziales und Familienpolitik, Wissenschaft, Bildung und Medien. Gerade auf diesen Gebieten komme es darauf an, in die Zukunft Polens zu investieren, erklärte sie.
Dabei fiel auf, dass die Ministerpräsidentin außerordentlich viele Versprechungen und Ankündigungen machte, aber bei der Frage, wie dies alles finanziert werden solle, vor allem vage blieb. Lediglich von Veränderungen im Steuersystem war die Rede, womit vermutlich Steuererhöhungen gemeint sind. Notwendig sei eine patriotische Mobilisierung der ganzen Gesellschaft.
Ebenso schwer wiegt die Tatsache, dass Beata Szydło im außenpolitischen Teil ihrer Regierungserklärung die schweren internationalen Krisen und deren Implikationen für Europa, insbesondere den islamistischen Terrorismus, die Flüchtlingskrise, die desintegrativen Tendenzen in der EU und die weiterhin schwelende Ukraine-Krise, nur am Rande oder gar nicht erwähnte – und dies, obwohl sich gerade aus diesen Krisen die großen aktuellen außenpolitischen Herausforderungen für Polen ergeben.
Die Sicherheit Polens, erklärte sie ganz allgemein, sei in dreierlei Hinsicht zu gewährleisten: klassisch-militärisch, als Schutz der einheimischen Wirtschaft und auf energiepolitischem und informationstechnologischem Gebiet. Frau Szydło plädierte für eine Stärkung der NATO-Ostflanke und betonte die Partnerschaft Polens mit den USA. Wichtig sei außerdem die regionale Kooperation Polens mit Nachbarstaaten wie der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarn. Man schätze, so die Regierungschefin, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, wolle sich aber auch für ein besseres Funktionieren der Gemeinschaft einsetzen. In einem Interview mit der Tageszeitung "Rzeczpospolita" fügte sie hinzu, Polen sei ein aktives EU-Mitglied, werde in der Gemeinschaft aber hauptsächlich polnische Interessen vertreten – eine Bemerkung, mit der sie sich in die innerhalb der EU zunehmende Strömung nationaler Interessenpolitik einreihte. Zur Flüchtlingspolitik äußerte sich Szydło, es sei ein Fehler der Regierung von Ewa Kopacz gewesen, den jüngsten EU-Beschlüssen in dieser Angelegenheit zuzustimmen, aber Polen werde sich an die Beschlüsse halten.
Für europaweites Befremden sorgte ihre Entscheidung, zu ihrer ersten Pressekonferenz als Regierungschefin die Europaflagge aus dem Sitzungssaal zu entfernen. Ihre Begründung: Bei diesen Pressekonferenzen gehe es um nationale Themen, und deshalb werde dies ab sofort vor "schönen weiß-roten Fahnen" stattfinden, wie sie sich ausdrückte.
Außenminister Witold Waszczykowski bekräftigte bei diversen Fernsehauftritten und in Zeitungsinterviews die Linie seiner Regierungschefin und versicherte, PiS sei eine ganz normale politische Kraft und Polen werde sich an die in der Vergangenheit eingegangenen internationalen Verpflichtungen halten. Zum Syrien-Konflikt machte der Minister einige interessante Bemerkungen, als er sagte, Europa müsse auch mit denjenigen in Syrien sprechen, die den Konflikt verursacht hätten, nicht unbedingt mit Assad selbst, aber mit Mitgliedern seiner Partei. Dort, so der Minister, gebe es gemäßigte Personen, die mit Vertretern der gemäßigten Opposition an einen Tisch gebracht werden müssten.
Schwer abzuschätzen ist, wie sich die deutsch-polnischen Beziehungen in den nächsten Jahren entwickeln werden. Offensichtlich weiß auch die neue polnische Regierung, so jedenfalls Waszczykowski, dass insbesondere die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern ein Fundament sind, das man nicht gefährden dürfe. Andererseits gibt es Streitpunkte, die zu einer Abkühlung der bilateralen Beziehungen führen könnten. Dazu zählt vor allem das polnische Interesse an einem massiven Ausbau der NATO-Präsenz in Ostmitteleuropa und die polnische Forderung nach einer Annullierung der NATO-Russland-Grundakte von 1997. Vermutlich wird die künftige Qualität der deutsch-polnischen Beziehungen auch davon abhängen, ob es Kaczyński und seine PiS in einer möglichen Situation innenpolitischer Gefährdung der neuen Regierung für opportun halten, die antideutsche Karte zu ziehen, um nicht zuletzt damit ihren Machterhalt zu sichern. In den deutsch-polnischen Netzwerken (Stiftungen, Parlamentarierkommissionen etc.) hat die Rotation der Führungspersonen im Sinne von PiS schon begonnen.
Direkt nach der Regierungserklärung von Beata Szydło vor dem Sejm am 18. November trat ihr Parteivorsitzender Jarosław Kaczyński ans Rednerpult im Sejm, um ein ideologisches Feuerwerk abzubrennen und damit seiner Regierungschefin die grundlegende Richtung vorzugeben. Die polnische Regierung, so Kaczyński, stehe vor zwei Herausforderungen: der Erneuerung der nationalen Gemeinschaft sowie einem zivilisatorischen Sprung nach vorn. Die nationale Gemeinschaft müsse eine Gemeinschaft der Bürger sein, die sich auf die historische Erinnerung und auf gemeinsame Werte gründe. Im Zusammenhang mit seiner Aufforderung, Polen müsse sich vor Diffamierung und Antipolonismus schützen, verstieg er sich zu der Bemerkung: "Es kann nicht sein, dass der Staat nicht auf das reagiert, was sich auf globaler Ebene ereignet. (Unser) Volk, das mit der Waffe in der Hand gegen Nazideutschland gekämpft hat, wird heute im Grunde genommen als Verbündeter Hitlers betrachtet. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Verantwortung für den Holocaust internalisiert wird, insbesondere mit Verweis auf die Polen. Dem müssen wir entgegentreten."
Politische Instrumentalisierung der Justiz
In der öffentlichen Debatte vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen machten PiS-Abgeordnete wiederholt nebulöse Andeutungen, dass die polnische Verfassung von 1997 einer grundlegenden Überarbeitung bedürfe. Dann stand für wenige Stunden ein Entwurf auf der Homepage der Partei, der aber bald wieder aus dem Internet verschwand. Immerhin konnte man diesem Entwurf entnehmen, um was es geht. So möchte PiS ein Präsidialsystem, das dem Staatsoberhaupt ein deutliches Übergewicht gegenüber der Regierung gibt. Auch soll der Präsident leichter als bisher Volksabstimmungen initiieren können, wenn er mit Gesetzen nicht einverstanden ist, die das Parlament verabschiedet hat. Kaczyńskis Partei will außerdem, dass in einer neuen Präambel der Verfassung Polen eindeutig als christlicher – das hieße katholischer – Staat definiert wird. In seiner Rede vor dem Sejm nach der Regierungserklärung von Beata Szydło bekräftigte Jarosław Kaczyński erneut seinen Wunsch, die Verfassung zu ändern.
Kurz nach dem Amtsantritt der neuen Regierung beschlossen beide Häuser des Parlaments eine Novellierung des Gesetzes über das Verfassungsgericht (Trybunał Konstytucyjny), wodurch dessen Zusammensetzung entscheidend verändert wird. So soll die Amtszeit des jetzigen Gerichtsvorsitzenden und seines Stellvertreters vorzeitig enden. Die Amtszeit aller Mitglieder des Verfassungsgerichts wird künftig grundsätzlich mit der Vereidigung durch den Staatspräsidenten beginnen, was Veränderungen in der Zusammensetzung beim Amtsantritt eines neuen Präsidenten mit einschließt. Der Gerichtspräsident und sein Stellvertreter sollen ihre Ämter künftig nur noch für eine befristete Amtszeit und nicht mehr bis zu ihrer Pensionierung ausüben. Mit der Gesetzesnovelle wird außerdem die Wahl von fünf neuen Verfassungsrichtern annulliert, die im Oktober dieses Jahres noch vom alten Parlament erfolgt war. Dadurch dürfte die Mehrheit im Verfassungsgericht zugunsten der Nationalkonservativen Kaczyńskis ausschwingen. Auch im Staatstribunal (Trybunał Stanu) hat PiS nach einer Neuwahl der Mitglieder inzwischen die Mehrheit.
Die Gesetzesnovelle zum Verfassungsgericht rief massive Kritik renommierter polnischer Verfassungsrechtler hervor. So erklärte Jerzy Stępień, dass der neue Staatspräsident Andrzej Duda mit seiner Weigerung, die im Oktober gewählten Verfassungsrichter zu vereidigen, seine Kompetenzen überschritten und damit gegen die geltende Verfassung verstoßen habe. Das sehe nach einem "Staatsstreich" aus, so Stępień. Der frühere Präsident des Verfassungsgerichts Andrzej Zoll sagte mit Blick auf die Gesetzesnovelle und die Pläne von PiS zur Änderung der Verfassung und des Justizsystems insgesamt: "Wir werden bald in einem totalitären System leben."
Kopfschütteln rief auch bei vielen Juristen das Verhalten von Staatspräsident Andrzej Duda hervor, als er den neuen Geheimdienstkoordinator von Ministerpräsidentin Szydło, Mariusz Kamiński, begnadigte, nachdem dieser im März in erster Instanz wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt worden war. Die Begnadigung durch Duda erging, obwohl das Urteil gegen Kamiński noch nicht rechtskräftig war, d. h. die Folgeinstanz noch nicht entschieden hatte. Duda verband seine Entscheidung mit harscher Kritik an der Justiz im Allgemeinen und an dem Richter, der Kamiński verurteilt hatte. Die Gerichtsbarkeit, urteilte der Präsident, sei nicht in der Lage, Banditen und Schmiergeldgeber zu bestrafen, aber für diejenigen, die "in Polen einen starken Staat aufbauen wollen", halte sie "drakonische Strafen" bereit.
Tatsache ist, dass Kamiński als Chef des Zentralen Antikorruptionsbüros während der Regierungszeit von PiS in den Jahren 2005–2007 mit falschen Papieren und falschen Identitäten in der Verwaltung des damaligen Landwirtschaftsministers Andrzej Lepper einen Korruptionsfall inszeniert hatte, um den Minister zu diskreditieren. Lepper sollte Schmiergeld angedient werden, um ihn "auf frischer Tat" ertappen zu können. Der Minister bekam allerdings Wind davon, und die "Bestechung" scheiterte. Politisch ging es darum, Leppers Partei Selbstverteidigung (Samoobrona) zu schwächen, die damals zu der von PiS geführten Regierungskoalition gehörte.
Dudas Entscheidung wurde zu Recht von vielen Juristen dahin gehend kritisiert, dass das Recht des Staatspräsidenten auf Begnadigung erst bei rechtskräftigen Urteilen zur Anwendung kommen darf. Sein Vorgehen zeigt, dass es in seiner Staatspräsidentenkanzlei keinen kompetenten Juristen gibt und er sich als parteilicher und nicht als unparteiischer, über den politischen Parteien stehender, die Verfassung und die Unabhängigkeit der Justiz verteidigender Präsident erweist.
Kaczyńskis PiS und die von ihr gestellte Regierung wollen ihren Einfluss auf die Justiz auch dadurch vergrößern, dass die bislang unabhängige Generalstaatsanwaltschaft wieder dem Justizminister unterstellt wird, wie das schon in kommunistischen Zeiten der Fall war. Die streng antikommunistische PiS bedient sich also bei politischem Bedarf bei den Methoden der früheren kommunistischen Machthaber in Polen. Hinter diesem Ansinnen steht der Plan, das Verfahren um den Tod des früheren Staatspräsidenten Lech Kaczyński, Zwillingsbruder von Jarosław, noch einmal aufzurollen. Er war im Jahr 2010 bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk tödlich verunglückt. Die polnische Militärstaatsanwaltschaft ist zu dem Schluss gekommen, dass damals Fehler der polnischen Piloten und des russischen Bodenpersonals zu dieser Katastrophe geführt hatten. In Kaczyńskis Partei herrscht dagegen die Überzeugung vor, der Absturz sei durch eine Explosion an Bord bzw. einen Anschlag verursacht worden. Ein erbitterter Verfechter dieser "Anschlagstheorie" ist der neue Verteidigungsminister Antoni Macierewicz.
Der neue Justizminister Zbigniew Ziobro wiederum machte von sich reden, als er bei seiner Amtseinführung betonte, Richter und Staatsanwälte, die sich durch Bestechung in ihrer Prozessführung beeinflussen lassen, müssten bestraft werden. An sich ist es in jedem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit, dass ein solches Verhalten untersucht und möglichweise bestraft wird. Doch wenn Ziobro solche Äußerungen macht, dann muss man öffentliche Hexenjagden befürchten, die er anzettelt, wenn Juristen nicht nach seinen Vorstellungen gegenüber Angeklagten auftreten, die möglichweise zu den politischen Kritikern von PiS gehören. Dass er dazu in der Lage ist, hat er in den Jahren 2005–2007 bewiesen, als er als Justizminister Angeklagte, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen war, öffentlich als schuldig bezeichnete.
Zugriff auf die Medien
Auch die Ankündigungen, die Kulturminister Piotr Gliński in Bezug auf die Medien machte, erinnern an die Politik von PiS jener Jahre. So sollen der öffentlich-rechtliche Rundfunk (Fernsehen und Radio) umgebaut und Teile des Zeitungsmarktes umstrukturiert werden. Aus den Aktiengesellschaften des öffentlich-rechtlichen Rundfunks will man nationale Kultureinrichtungen machen, vergleichbar mit der Nationaloper und dem Nationalmuseum. Diese Medien sollen, wie sich Gliński ausdrückte, "wirklich staatlich" werden und "eine Mission erfüllen". Statt aus Rundfunkgebühren sollen sie mit Steuermitteln finanziert werden. Mitarbeiter von Fernsehen und Radio befürchten nun, dass per Gesetz die Belegschaften der Sendeanstalten neu strukturiert werden, d. h. dass zunächst alle Mitarbeiter entlassen und anschließend nur diejenigen wieder eingestellt werden, die eher unkritisch gegenüber PiS und der neuen Regierung auftreten. Für diese Befürchtung spricht die Tatsache, dass Krzysztof Czabański, der in den Jahren 2005–2007 Leiter des öffentlich-rechtlichen Radios war, nun die Umstrukturierung durchsetzen soll.
Mit der Fernsehmoderatorin Karolina Lewicka haben die angestrebten "Säuberungen" auch ein erstes Opfer gefunden. Auf Druck der neuen Regierung wurde sie durch den Fernsehintendanten Janusz Daszczyński suspendiert, nachdem sie Kulturminister Gliński in einer Fernsehsendung kritische Fragen gestellt hatte. Bei dem Interview ging es vor allem um den Versuch Glińskis, die Aufführung des Stückes "Der Tod und das Mädchen" von Elfriede Jelinek im Staatstheater in Breslau zu verhindern, womit der Minister allerdings gescheitert war. Der Journalistenverband (Towarzystwo Dziennikarskie) protestierte mit einer öffentlichen Erklärung gegen die Suspendierung von Frau Lewicka und die damit verbundene geplante "Einschüchterung des ganzen journalistischen Milieus", wie der Vorsitzende des Verbandes Seweryn Blumsztajn schrieb.
Die neue Regierung plant darüber hinaus, bei vielen Regional- und Lokalzeitungen "die Besitzverhältnisse zu ändern", wie Gliński es formulierte. Zu diesem Zweck soll der polnische Staat Anteile ausländischer Verlage zurückkaufen, eigene polnische Zeitungen gründen und bestehende polnische Verlagshäuser ausbauen. Tatsächlich sind 70 Prozent aller Regional- und Lokalzeitungen in deutscher Hand. So gehören der Passauer Neuen Presse die meisten Regionalzeitungen, was aber nach Meinung unabhängiger Medienbeobachter bislang nicht zu einer unzulässigen Einmischung des Verlegers in die redaktionelle Gestaltung der Zeitungen geführt hat.
Im Wahlkampf und auch nach der Regierungsbildung hat PiS-Chef Jarosław Kaczyński mehrfach erklärt, dass man Lehren aus der Wahlniederlage seiner Partei im Jahr 2007 gezogen habe. Tatsächlich hatten damals viele Medien sehr kritisch über die Politik der PiS-Regierung berichtet. Dies, so Kaczyński, werde sich nicht wiederholen.
Anders als die medialen Pläne der neuen Regierung klangen die Schwerpunkte, die der neue Wissenschaftsminister Jarosław Gowin für die Arbeit seines Ministeriums formulierte, gar nicht neu. Auch die vorangegangene Regierung der Bürgerplattform hatte sich schon bemüht, den Wissenschaftsbetrieb zu entbürokratisieren, die Innovationsfähigkeit der Volkswirtschaft zu fördern und führende Hochschulen besonders zu fördern. Dies allerdings hielt Gowin nicht davon ab, die abgetretene Kulturministerin Barbara Kudrycka scharf zu kritisieren, indem er sagte, dass die zur Verfügung stehenden Mittel schlecht eingesetzt worden seien. Zu den zehn Hochschulen, die künftig besonders gefördert werden sollten, zählte Gowin insbesondere die Krakauer und die Warschauer Universität. Die Förderung werde künftig nicht mehr so stark von der Zahl der eingeschriebenen Studenten und der Doktoranten abhängig sein wie bisher, erklärte der Minister. Polen werde das Bologna-System nicht verlassen, aber zusätzlich Elitestudiengänge für die Besten unter den Studenten einrichten.
Patriotismus stärken
Wie zu erwarten, wird die PiS-Regierung die staatliche Geschichtspolitik umkrempeln und stärker auf die von den Nationalkonservativen propagierten nationalen Werte und Traditionen sowie Geschichtsinterpretationen ausrichten. Eine erste Konferenz von Wissenschaftlern, Pädagogen und Politikern zu diesem Thema hat bereits im Palais von Staatspräsident Andrzej Duda stattgefunden. Vorrangiges Ziel der künftigen Geschichtspolitik müsse es sein, das patriotische Bewusstsein der Bürger zu stärken, so der Präsident in seiner Eröffnungsrede. Die Grundlage jedes vernünftigen Patriotismus, erklärte Duda, müsse die Liebe zum eigenen Volk sein, nicht der Hass auf andere, der aus Nationalismus und Xenophobie erwachse. Europa sei und werde ein Europa der Nationalstaaten sein. Auch die Deutschen, Franzosen, Briten, Italiener und Griechen würden nicht auf ihren eigenen Staat verzichten. Gerade Polen, das sich in einem schwierigen und spezifischen Umfeld in Europa befinde, müsse seinen Patriotismus stärken, fügte der Präsident hinzu. Als abschreckende Beispiele nannte Duda den deutschen Fernsehfilm "Unsere Mütter, unsere Väter" und verwies auf die in westlichen Medien in der Tat immer wieder auftauchende Bezeichnung "polnische Konzentrationslager", womit fälschlicherweise die deutschen Konzentrationslager im von der Wehrmacht besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs gemeint sind.
Wie bereits erwähnt, will die neue Regierung die Hintergründe der Flugzeugkatastrophe bei Smolensk noch einmal untersuchen lassen, bei der der frühere Staatspräsident Lech Kaczyński ums Leben kam. Eine entsprechende Kommission wurde von Verteidigungsminister Antoni Macierewicz schon berufen. Mehr noch: Der Politikwissenschaftler Aleksander Smolar wies darauf hin, dass der Umgang mit "Smolensk" für den PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński eine grundsätzliche Angelegenheit sei und deshalb in naher Zukunft auch eine große Bedeutung in der polnischen Öffentlichkeit erhalten werde, indem Straßen und Plätze nach Lech Kaczyński umbenannt und Denkmäler für ihn errichtet würden und eventuell auch Hinweise auf Revanche an den vermeintlich für die Katastrophe Verantwortlichen auftreten könnten.
Mehr Staat in der Wirtschaft
Die Wirtschaft des Landes hat im letzten Jahrzehnt beachtliche Erfolge erzielt, was inzwischen auch im Westen überall anerkannt wird. Polen war das einzige Land in Europa, das sogar während der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise wirtschaftliches Wachstum erzielen konnte. Trotzdem hat die neue Regierung vollmundig angekündigt, dass erst sie für eine nachhaltige Entwicklung und einen Aufschwung der Wirtschaft sorgen wolle und könne. Dabei fällt auf, dass sie dies vor allem durch ein aktiveres Auftreten des Staates in der Wirtschaft bewerkstelligen will. Die Rede ist von mehr öffentlichen Investitionen, einem Wohnungsbauprogramm, Steuersenkungen für kleine und mittlere Unternehmen, mehr billigen Krediten durch die staatliche Bank für Binnenwirtschaft sowie einer stärkeren Nutzung der Finanzmittel der Europäischen Zentralbank.
Alles andere als zukunftsträchtig ist allerdings die Strategie, die die neue Führung gegenüber dem Kohlebergbau verfolgen will. Sowohl Staatspräsident Andrzej Duda als auch Ministerpräsidentin Beata Szydło kündigten an, dass Stein- und Braunkohle auch weiterhin die polnische Energiewirtschaft dominieren sollten und es keine Privatisierung von Zechen geben werde – eine Strategie, die der internationalen Entwicklung widerspricht, wonach viele Staaten zunehmend bemüht sind, Kohle Schritt für Schritt durch andere Energieträger zu ersetzen.
Wirtschaftsbeobachter in Warschau fragen sich, ob die vollzogene Aufspaltung des bisherigen Wirtschaftsministeriums in eine Reihe neuer Ressorts nicht zu Konkurrenzkampf und Chaos innerhalb der neuen Regierung führen werde, was es der Regierungschefin zunehmend schwer machen könnte, das Kabinett zusammenzuhalten und zu steuern. Kommt es zu einer solchen Entwicklung, dann dürfte Jarosław Kaczyński derjenige sein, der von außen eingreift und in seinem Sinne Prioritäten setzt. Infolge der Neuordnung gibt es nun Ministerien für Entwicklung, Digitalisierung, Energie, Infrastruktur und Bauwesen sowie Meereswirtschaft. Hinzu kommen das Finanz- und das Landwirtschaftsministerium sowie die Regierungsaufsicht über die großen Staatsbetriebe.
Das sozialpolitische Programm der neuen Regierung liest sich wie die Wahlversprechen, die PiS vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen gemacht hat. Künftig wird es ein Kindergeld in Höhe von 500 Zloty (rund 125 Euro) ab dem zweiten Kind geben. Das kommt sicher vielen, gerade jungen Familien entgegen, ruft aber auch Skepsis hervor, da es in der polnischen Gesellschaft, insbesondere auf dem Land, eine gewisse Tradition hat, Kindergeld auch für andere Zwecke (landwirtschaftliche Maschinen, Alkohol etc.) zu verwenden. Des Weiteren soll das Renteneintrittsalter wieder auf 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer gesenkt werden, was sehr kurzsichtig ist, da sich auch in Polen die Alterspyramide so entwickelt, dass ein höheres Renteneintrittsalter erforderlich ist. Geplant ist schließlich, den Steuerfreibetrag auf umgerechnet 2.000 Euro pro Jahr anzuheben. Außerdem sollen ein Minimallohn von drei Euro pro Stunde für Geringverdiener festgelegt und Arzneimittel an Bürger ab dem 75. Lebensjahr kostenlos ausgeben werden. Die maroden Teile des Gesundheitswesens sollen mit öffentlichen Mitteln saniert werden.
Selbst wenn (!) die polnische Wirtschaft in den nächsten Jahren stärker wächst, dürfte das höhere Steueraufkommen nicht ausreichen, das stärkere Engagement des Staates in der Wirtschaft sowie die geplanten sozialen Maßnahmen solide zu finanzieren. Auch die geplanten Steuererhöhungen werden die Kosten nicht decken. Ein höheres Budgetdefizit ist folglich vorprogrammiert. So hat der Minister für Entwicklung und stellvertretende Ministerpräsident Mateusz Morawiecki auch schon erklärt, dass ein niedriges Haushaltsdefizit für seine Regierung "kein Heiligtum" sei.
Ausblick
Die Mehrheit der polnischen aktiven Wähler hat PiS einen Regierungsauftrag erteilt, und so soll dieser Partei auch die Möglichkeit geben werden, den Wählerauftrag, so wie sie ihn versteht, in die Tat umzusetzen. Aber es sind auch "Sollbruchstellen" sichtbar, die dieser Regierung schon bald zum Verhängnis werden können. Bislang ist nicht absehbar, ob Beata Szydło die nötige Führungsstärke besitzt, um die Lager in ihrem Kabinett zusammenzuhalten. Übernimmt Kaczyński diese Position, wird dies die gesellschaftliche Polarisierung vorantreiben und nachdenklich machende Erinnerungen an die Jahre 2005–2007 wachrufen. Verteidigungsminister Antoni Macierewicz hat das Zeug dazu, durch irrationale Entscheidungen die neue Regierung der Lächerlichkeit preiszugeben. Die wirtschafts- und sozialpolitischen Pläne der Regierung könnten zu einem Ruin der Staatsfinanzen führen. Die entscheidende Frage ist aber, ob die neue Regierung in der Lage ist, den jungen Menschen in Polen eine moderne Perspektive zu eröffnen: beruflich, sozial und politisch. Allerdings deutet die politisch-weltanschauliche Orientierung von PiS eher darauf hin, dass sie dies nicht schaffen wird. Auch ihre repressive Kultur- und Medienpolitik könnte die junge Generation abstoßen.