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Analyse: David und Goliath, Żurawlów gegen Chevron Eine Bürgerinitiative gegen die Schiefergasförderung in Südostpolen

Julian Mrowinski Adrian Stadnicki

/ 14 Minuten zu lesen

Im Zuge der Diskussion um eine größere Energieunabhängigkeit und der Dokumentation von Schiefergasvorkommen in einem Gürtel von der Ostsee bis nach Südostpolen vergab die polnische Regierung großen internationalen Unternehmen Konzessionen für die Suche nach potentiellen Förderstätten. In dem Dorf Żurawlów in Südostpolen, in dessen unmittelbarer Nähe die Firma Chevron Probebohrungen durchführen wollte, protestierten die Einwohner über ein Jahr lang mit internationaler Unterstützung gegen den Beginn der Arbeiten, aber auch gegen die Haltung polnischer Politiker. Chevron zog sich schließlich zurück, doch bleibt abzuwarten, ob sich ein Einfluss der Protestaktion auf die Einstellung zur Schiefergasförderung und das ökologische Bewusstsein in der polnischen Gesellschaft beobachten lässt.

Schiefergasförderung in Syczyn, Polen (© picture-alliance, PAP)

Seit dem Ende der Proteste am 7. Juli 2014 herrscht wieder Ruhe in Żurawlów, der Alltag ist zurückgekehrt. Bis zuletzt stellte ein mit Heuballen, Gartenmöbeln und einem Beamer ausgestattetes Zelt den Mittelpunkt des Geschehens dar. Es wurde von Traktoren, die einen Feldweg blockierten, umgeben. Auf einem Banner ist weiterhin occupy chevron zu lesen. Der Postbote lieferte Briefe und Pakete dorthin, der Arzt kam, um Erkrankte zu untersuchen, und ein mobiler Supermarkt versorgte die Kampierenden mit Lebensmitteln. Das Zelt wurde rund um die Uhr bewohnt, an manchen Tagen sogar von ganz Żurawlów. Fast jeder wollte sich aktiv an dem Protest gegen Chevron beteiligen. Die Aktivisten konnten anfangs nicht ahnen, dass sich die am 3. Juni 2013 begonnene spontane Blockade einer Zufahrtsstraße zu einem der spektakulärsten polnischen Umweltproteste ausweiten sollte. Darüber hinaus wird in Polen der Ökologie sowie zivilgesellschaftlichem Engagement geringe Bedeutung beigemessen.

Mit der Zeit erschienen weitere Zelte, mehrere Banner, die Straße blockierende Traktoren, eine Kamera, die der Welt rund um die Uhr vom Geschehen in Żurawlów berichtete, eine Ansammlung von Nationalflaggen aus Deutschland, den USA und Südafrika, aus der Tschechischen Republik, Frankreich und Rumänien, die Unterstützer aus Solidarität mitbrachten und der Symbolik wegen hinterließen. Die Eigendynamik und Dauer des Protestes der Bürgerinitiative occupy chevron gegen die Schiefergasförderung in Polen hatte niemand vorhersehen können. "Keiner von uns hätte sich das so vorgestellt – und schon gar nicht mit diesem Ausgang", berichteten die Anwohner. Nach 400 Tagen des zivilen Ungehorsams hat sich Chevron offiziell zurückgezogen. Das Protestcamp wird langsam geräumt, das Zelt steht leer.

Das Beispiel Żurawlóws spiegelt Verhaltensweisen der Befürworter und Gegner der Schiefergasförderung in Polen wider. Von der polnischen Regierung wurden vielerorts Konzessionen an große Unternehmen wie Total, Chevron und ExxonMobil erteilt, die Probebohrungen erlauben. Proteste sind folglich in der Regel allgegenwärtig. Deswegen mag man sich wundern, warum ausgerechnet Żurawlów, eine Ortschaft in Südostpolen, fernab der nächsten Stadt, dermaßen in den nationalen wie internationalen Fokus der Proteste gegen das sogenannte Fracking in Polen rückte.

Das kleine Dorf befindet sich inmitten ländlicher Prärie. Eine provinzielle Atmosphäre, freilaufende Kühe und viele Störche prägen das Bild der Ortschaft. Ein Bus fährt zweimal am Tag in Richtung Zamość, in die nächstgrößere Stadt, bekannt als das "Padua des Nordens". Die Straßen sind holprig. Die Fahrt erinnert an jene alten Zeiten, in denen Schlaglöcher das Autofahren prägten. Am Wochenende beschränkt sich der Verkehr auf eine Fahrt pro Tag, um gläubigen Bewohnern zumindest den Besuch der Heiligen Messe zu ermöglichen. Es ist eine Ortschaft im strukturschwachen Südosten Polens, nicht allzu weit von der ukrainischen Grenze entfernt. Dank der Schwarzerde sind die Böden hier sehr fruchtbar, der großen Menge an qualitativ hochwertigen Wasservorkommen wegen blüht die Landschaft prächtig. Nahezu alle Bewohner in dieser Gegend sind Landwirte. Sie leben von der Natur und die Natur ist ihr Leben. Sie protestieren mit dem Slogan "Sie [die Landwirte] ernähren und verteidigen". Polens "Bauer des Jahres 2014" beackert hier seine Felder, auf denen Bio-Produkte gedeihen.

Ein mickriger David also, ein einhundert Einwohner zählendes Dorf namens Żurawlów, versucht sich des mehr als einhundert Milliarden schweren Goliaths, Chevron, zu erwehren. Markanter könnten die Gegensätze zwischen den Hauptakteuren wohl nicht sein.

(K)ein erstes Treffen

Es sprach sich herum, dass das US-amerikanische Unternehmen eine Konzession für Probebohrungen in unmittelbarer Nähe Żurawlóws erworben hatte. Deshalb informierten sich die Anwohner über die Vor- und Nachteile der hydraulischen Fraktur, zunächst im Internet, gegen Ende des Protestes sogar auf Fachtagungen. Die Menge an Informationsmaterial darüber füllt inzwischen ein Dutzend Ordner.

In Zusammenarbeit mit dem Ortsvorsteher und dem Landrat lud die Firma Chevron die Anwohner am 19. Januar 2012 zu einer Informationsveranstaltung in das hiesige Gemeindehaus ein. Man wollte sich von der besten Seite zeigen. Ein Catering-Service wurde beauftragt und es gab ein großes Buffet. Den Bürgern wollte man von den Vorteilen der Energie aus Polen für Polen berichten. Es sollte für Akzeptanz geworben werden. Denn diese sei für eine erfolgreiche Schiefergasförderung unabdingbar. Nur gemeinsam könne man davon profitieren. Das Verhalten potenziell betroffener Anwohner lässt sich aber in der Regel mit "NIMBY", not in my backyard – nicht vor meiner Haustür –, umschreiben. Um die Akzeptanz zu fördern, wurden Vorschläge gemacht, in Żurawlów zu investieren. Die Anwohner lehnten dies nach einigem Hin und Her ab. "Chevron investiert und erkauft sich damit unsere Akzeptanz. Darauf wollten wir uns nicht einlassen", betonte eine Einwohnerin.

Die Mehrheit der Einwohner lehnte die Schiefergasförderung von Anfang an ab. Über den neuen, landeseigenen Rohstoff freute man sich, über die neue Fördertechnologie hingegen nicht. Dennoch begrüßten die Anwohner zunächst die Initiative von Chevron. Sie wünschten eine Auskunft mit Blick auf die Konzession und weitere Pläne. Sie wollten wissen, was geplant sei und vor allem, ob es bei einer bloßen Probebohrung bleibe oder ob tatsächlich gefrackt werden sollte. Entscheidend war, dass sie das Vorgehen ablehnten. Zu groß seien die Risiken. "Wir leben hier auf den wichtigsten Wasservorkommen Polens und im Naturschutzgebiet NATURA 2000", führt einer der Protestierenden an.

Die Bewohner des kleinen Dorfs luden externe Wissenschaftler, Hydrologen von der Universität Lublin und Journalisten ein, um dem Unternehmen auf Augenhöhe zu begegnen. Zudem trat man in Żurawlów mit Personen in Kontakt, die bereits mit der Schiefergasförderung in Polen in Berührung gekommen waren. Diese reisten aus Lodz (Łódź), Danzig (Gdańsk), Thorn (Toruń), Breslau (Wrocław), Krakau (Kraków) und Warschau (Warszawa) an, um die Anwohner im Umgang mit dem multinationalen Großkonzern zu unterstützen. Anwohner der benachbarten Dörfer Szczelatyń und Rogów kamen ebenfalls zu der Infoveranstaltung. Offensichtlich waren auch diese Bürger besorgt um ihr (Heimat-)Land, das sie schon seit Generationen beackern.

Der von Chevron angemietete Bus traf pünktlich um 15 Uhr ein. Die Mitarbeiter der Firma, Angestellte des Staatlichen Geologischen Instituts (Państwowy Instytut Geologiczny – PIG) sowie der Landrat betraten den Saal. Sie wurden vom Ortsvorsteher empfangen und in den Saal gebeten. Irritiert von der Menschenmenge im Gemeindesaal und offenbar negativ überrascht von der Anwesenheit der Medien, wurde seitens Chevron erklärt: "Dieses Treffen ist ausschließlich für die Einwohner Żurawlóws organisiert worden. Wir bitten darum, das zu akzeptieren. Wenn die Kameras die Räumlichkeiten nicht verlassen, verlassen wir diese." Auf die Frage, warum die Medien nicht erwünscht waren, erhielten die versammelten Bürger keine Antwort. Bis auf zwei Professoren verließen alle im Bus angereisten Personen das Informationstreffen unmittelbar nach dessen Beginn. Die Wissenschaftler teilten mit, Auskunft geben zu wollen. Doch die Auskunft erschien den Anwohnern in grotesker Weise anmaßend. Die Aussage, das verschmutzte, mit Chemikalien belastete Wasser werde von Żurawlów mit LKWs nach Danzig gefahren, das ca. 650 Kilometer entfernt ist, beäugten die Anwohner ebenso kritisch wie die Behauptung, bei den Chemikalien handle es sich hauptsächlich um natürliche und harmlose Stoffe, wie beispielsweise Zitronensäure. Ähnliche Informationen ließen sich auch auf Flyern der Firma finden.

Aufruhr machte sich im Gemeindehaus breit. Sollte das von Chevron organisierte Informationstreffen tatsächlich ohne den Gastgeber stattfinden? Waren diese Informationen glaubwürdig? Die Bürger fühlten sich umgangen und fürchteten, weiterhin umgangen zu werden. Man erhoffte sich eine offene und kritische, auf Tatsachen basierende und unvoreingenommene Diskussion. Ein ehrliches Abwägen der Pro- und Contra-Argumente. Sie wollten wissen, was vor ihrer Haustür in Zukunft geschehen wird, und sie wollten darüber mitbestimmen können. Letzteres sahen sie gefährdet, es wirkte, als zählte ihre Meinung nicht. Einige Anwohner, die anfangs der Förderung des neuen polnischen Rohstoffes nicht abgeneigt waren, änderten daraufhin ihre Meinung.

Schnell entstand der Eindruck, Chevron wolle sich auf eine offene Diskussion nicht einlassen und spiele nicht mit offenen Karten. "Chevron will nur sprechen, nicht anderen zuhören und schon gar nicht offen diskutieren", schlussfolgerte einer der Anwohner. Die erste Begegnung der Bewohner von Żurawlów mit dem polnischen "Schiefergas-El-Dorado", wie die Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" schon 2006 titelte, enttäuschte die Protestierenden.

Zwischen den Bewohnern und dem Energiekonzern herrschte von diesem Zeitpunkt an eine immer länger andauernde Eiszeit. Chevron betonte stets, man sei zu Gesprächen bereit, allerdings nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In Grabowiec wurde in der Gemeinde ein Informationspunkt eingerichtet. Angesichts der Risiken der Technologie und des (Nicht-)Auftritts des Konzerns bei dem selbst initiierten Treffen wuchs in Żurawlów die Zustimmung zu aktivem Widerstand, zum zivilen Ungehorsam. David sollte sich gegen Goliath wehren.

Der Anfang vom Ende: Beginn der inneren Mobilisierung der Anwohner

Am 13. März 2012 plante Chevron die für die Probebohrung nötigen Bauarbeiten stillschweigend einzuleiten. Schweres Baugerät rückte frühmorgens gegen 4 Uhr an. Dennoch konnte keines der Baufahrzeuge seine Arbeiten an diesem Tage verrichten. Die Protestierenden blockierten die einzige Zufahrtsstraße, die zu dem von der Firma gepachteten Grundstück führt. Es handelte sich um einen Feldweg, an den nun das leer stehende Zelt grenzt. Eine Zufahrtsstraße, deren Nutzung ausschließlich den Landwirten vorbehalten ist. Die Bewohner Żurawlóws, so sagen sie, sahen in dieser Maßnahme einerseits die einzige Möglichkeit, Chevron zur Rede zu stellen und Informationen über das geplante weitere Vorgehen zu erhalten. Andererseits wurde die Blockade als ultima ratio herangezogen, um die eventuelle Förderung von Schiefergas zu verhindern. Mit dieser Aktion begann der zivile Ungehorsam in Żurawlów. Man wollte auf keinen Fall, dass Chevron das Feld betritt, solange die Absichten nicht offengelegt würden. Aus Sicht der Protestierenden würde der Beginn der Bauarbeiten einen Punkt darstellen, von dem aus es kein Zurück mehr gebe.

Die Unterstützer des Protestes finanzierten einen Anwalt, der fortan mit zunehmender Arbeit beschäftigt werden sollte. Parallel zur Blockade klagten die Anwohner gegen einen Bescheid, der Chevron die Bauarbeiten unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes genehmigte. Ohne diese Genehmigung durfte der Konzern nicht mit den Probebohrungen beginnen. Zu dem Zeitpunkt des geplanten Baubeginns lag die Entscheidung des Gerichts jedoch noch nicht vor. Eigentlich hätte Chevron mit den Arbeiten ohnehin auf den Entscheid der Richter warten müssen, so die Protestierenden. Die Bürger setzten erste Hoffnungen auf die Entscheidung des Gerichts und wollten unbedingt so lange auf dem Feld verharren, bis Recht gesprochen wurde.

Die Blockade des Feldwegs führte zu einer großen Menschenansammlung. Neben den Arbeitskräften von Chevron und den protestierenden Bürgern Żurawlóws kamen die Polizei, der Landrat und das Ordnungsamt hinzu. Den Gesetzeshütern war es unmöglich, den Feldweg zu räumen. Es handelte sich ja um keine öffentliche Straße. Die Baufahrzeuge andererseits wollten das von Chevron erworbene Feld befahren. Eine Pattsituation war entstanden. Es kam zu einer Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit der Proteste. Der Schwerpunkt der Diskussion verschob sich allerdings schnell auf die Rechtmäßigkeit des Vorgehens von Chevron.

Die Protestierenden verwiesen auf die fehlende Sondergenehmigung zum Befahren des Feldwegs durch die schweren Baufahrzeuge. "Wir weichen nicht, solange diese nicht vorliegt", ließen die Anwohner Żurawlóws verlauten. Der Gemeindevorsteher, der Landrat und die Polizei beschwichtigten, indem sie anmerkten: "Die Dokumente sind jetzt nicht da, aber Chevron bringt sie gleich. Chevron wird sie sofort aus Warschau bringen lassen." Es wurde gewartet. Als die Dokumente nach acht Stunden noch nicht vorlagen, hieß es: "Wenn die Dokumente heute nicht da sind, dann kommen sie morgen. Und wenn nicht morgen, dann übermorgen. Die Genehmigung wird erteilt werden!" Zudem sollten die Bauarbeiten in der Brutzeit einiger geschützter Vogelarten, die sich von Anfang März bis Mitte Juni erstreckt, durchgeführt werden. Es war der 13. März 2012. Ein weiteres Mal verwiesen die Protestierenden auf gültige Rechtsvorschriften, die für diese Zeit eine Bausperre vorsahen. Lapidar fragte der Landrat die Protestierenden: "Wo sind denn diese Vögel? Ich kann sie nicht sehen."

Der Versuch, gültige Rechtsvorschriften zu umgehen, führte schließlich zur inneren Mobilisierung der Protestierenden. Sie bezeichnen es als arrogant, sich über die für alle Teile der Gemeinschaft und Gesellschaft geltenden Rechtsnormen hinwegzusetzen. Die Stimmung verwandelte sich von anfänglicher Skepsis in aktiven Protest: "Was kann uns passieren, wenn wir protestieren? Die brechen doch das Recht! Nicht wir!" Die innere Mobilisierung der Anwohner Żurawlóws sollte lange anhalten. Als Chevron ein Jahr nach dem ersten Versuch, das gepachtete Feld zu befahren, dies ein weiteres Mal am 03. Juni 2013 versuchte, beschlossen die Protestierenden, den Feldweg so lange zu blockieren, bis alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft waren oder Chevron freiwillig aufgab. Bis es soweit war, sollten insgesamt 400 Tage vergehen.

Fortan stemmte sich bis auf zwei Landwirte, die Chevron ihre Felder überließen, ganz Żurawlów gegen die anstehende Probebohrung. Die Ortschaft trat von diesem Zeitpunkt an als kleine, aber geschlossene Gemeinschaft auf. Die Umgebung um den Feldweg herum veränderte sich rasant. Traktoren und Anhänger blockierten diesen permanent. Banner wurden aufgestellt, auf denen unter anderem zu lesen war: "Chevvrong. Stoppt die Förderung von Schiefergas; Vergifter, verschwindet von unseren Feldern." Medien, Besucher und Sympathisanten reisten an, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen.

Der Protest gegen Chevron dominierte das Leben der Aktivisten. "Jeder half, wie er nur konnte. Wir standen in ständigem Kontakt untereinander. Wir lösten uns gegenseitig bei der Wache ab. Einer von uns organisierte das Zelt, ein anderer die Solaranlage, mit der die Kamera betrieben wird. Wir wollten sauberen Strom. Im Winter brauchten wir eine Heizung. Einige, die es sich leisten konnten, hörten sogar auf zu arbeiten", fasste eine Anwohnerin zusammen.

"Es war ein ständiges Auf und Ab", fuhr die Frau fort, "wir konnten immer nur auf der rechtlichen Grundlage protestieren, Chevron auf die Finger schauen und Unzulänglichkeiten melden. An einem Tag wurde uns Recht zugesprochen, am nächsten Tag Chevron. Unsicherheit prägte die Zeit auf dem Feld. Das Ergebnis war immer offen."

Die Anwohner wurden gefragt, ob es nicht niederschmetternd und kräftezehrend sei, sich gegen ein milliardenschweres Unternehmen zu wehren. Darauf antworteten sie mit einem kühlen: "Ja. Das ist es." Für einen Moment herrschte Stille, dann wurde erläutert: "Das, was uns von Anfang an antrieb, war, auf die Rechtsverstöße seitens Chevron aufmerksam zu machen. Wir hatten doch gar keine andere Möglichkeit. Unser Protest basierte einzig und allein auf den rechtlichen Rahmenbedingungen. Da das Recht auf unserer Seite stand, hat uns dieser Umstand in unserem Handeln bestärkt und uns motiviert durchzuhalten, egal, was kommen sollte." Die Anwohner betonten immer wieder die Gleichheit vor dem Gesetz, für David und Goliath gelten dieselben Regeln. "Hätte es diese Regeln nicht gegeben", merkte einer der Anwohner an, "hätten wir niemals so lange durchgehalten. Man hätte uns gebrochen. Warum soll Chevron einfach ohne die erforderlichen Sondergenehmigungen mit den Bauarbeiten beginnen dürfen? Wir als Landwirte brauchen diese auch!"

Reaktionen von Chevron

Der Durchhaltewillen und die Widerstandskraft der Protestierenden sollten nicht nur durch Chevron auf die Probe gestellt werden. Eine Reaktion des Konzerns erfolgte kurz nach Beginn der Proteste. Die Firma schlug den Rechtsweg ein. Die amerikanische Rechtsanwaltskanzlei McKenna wurde beauftragt, den Anführer der Bürgerinitiative ausfindig zu machen, um diesen juristisch zu belangen. Eine Protestierende, die selbstbewusst zu der versammelten Menge sprach, wurde sogleich als Leiterin identifiziert. In ihr dachte man die Anführerin dieser Protestbewegung gefunden zu haben und zeigte sie an. Das erste Gerichtsverfahren wurde mit einer Forderung von 1.000 Zloty eingeleitet. Fünf weitere sollten noch folgen. Die Betroffene merkt an, sie besuche jede Woche das Gericht, und fügt hinzu, die Einwohner ließen sich weder einschüchtern noch würden sie Kosten scheuen.

Schon bald kam täglich ein "Kameramann" zum Protestlager, der in der Regel Naturaufnahmen machte. Sobald jedoch die Aktivisten gefilmt wurden, rechneten die Anwohner mit einer Aktion seitens Chevron. So eilten beispielsweise Mitarbeiter der Firma herbei, um Werkzeuge und andere Utensilien von ihren Pickups abzuladen. Daraufhin begannen die Protestierenden das Baumaterial wieder auf die Autos zurück zu hieven. Das diente Chevron vor Gericht als Beweis dafür, dass die Aktivisten unbefugt Material von Chevron nutzen. Schon seit einem Jahr läuft dieses Verfahren vor Gericht. "So sieht die Zermürbungstaktik von Chevron aus", kommentierte einer der Aktivisten diese Aktion. "Wegen jeder Banalität wird man vor Gericht gebracht. Jetzt sitzen wir im Gericht und schauen zusammen mit der Richterin 70 Stunden Filmmaterial", fuhr er fort.

Die Aktivisten versuchten, polnische Politiker auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene für die Geschehnisse in Żurawlów zu sensibilisieren – vergeblich. Entgegen jeglichen Hoffnungen der polnischen Bürger stellten sich hochrangige Politiker auf die Seite des US-amerikanischen Unternehmens. Die Exekutive hatte den Gemeindevorsteher sogar aufgefordert, den Protest aufzulösen, damit Chevron nicht weiter in seinen Tätigkeiten behindert wird und die Probebohrungen endlich beginnen können. Die Ablehnung der Proteste in Żurawlów seitens der polnischen Eliten wurde vielmehr zu einem weiteren Hindernis für den Widerstand der Bevölkerung.

Druck sei darüber hinaus von oben auf die lokalen Behörden ausgeübt worden, sagt eine Aktivistin, der Landrat habe Angestellte in seiner Behörde angewiesen, keine Dokumente auszustellen, die die Arbeit von Chevron behindern könnten. Betroffene Angestellte im öffentlichen Dienst zeigten sich beeindruckt. Auch wenn nicht wenige dem Protest nicht abgeneigt waren, nahmen sie nicht aktiv daran teil. Da die Besetzung der Stellen in der Gemeinde dem Landrat obliegt, fürchteten viele um ihren Arbeitsplatz. Das Verhältnis zwischen Chevron und den lokalen Behörden wurde wie folgt zusammengefasst: "Wenn die Amerikaner kommen, dann stehen unsere Beamten hier stramm."

Ein ähnliches Bild zeichnete sich auf Fachtagungen ab. Zahlreiche Protestierende nahmen an Konferenzen teil, mit dem Ziel, Wissen zu generieren. Auf einer solchen Konferenz meldete sich ein Repräsentant des Aufsichtsamts für Umweltschutz zu Wort und trat für weniger strenge und zuvorkommende Kontrollen ein, um Firmen wie Chevron nicht abzuschrecken und zu Investitionen zu motivieren. Von diesem Herrn hatten die Aktivisten eigentlich andere Worte erwartet. Doch wirklich verwundert hat diese Aussage niemanden. Es war lediglich ein Beweis dafür, dass staatliche Institutionen an Entscheidungen der Regierung gebunden sind, die das Fracking befürwortet.

Die Bürger in Żurawlów sahen sich somit nicht nur einem Goliath ausgesetzt. Die Akzeptanz der Proteste war insgesamt gesehen sehr gering, mit vereinzelten Ausnahmen. "Gerettet hat uns nur, dass sich die EU eingeschaltet und die Regierung aufgefordert hat, Repressalien uns gegenüber einzustellen", fügte die vermeintliche Anführerin verschmitzt lächelnd hinzu, "und dass Chevron ohne gültige Konzession nicht bohren darf sowie der Umstand, dass die ganze Welt von uns wusste und uns sehen konnte." Mit der EU meint die Aktivistin den britischen und den französischen EU-Parlamentarier Keith Taylor und Joseph Bové, die sich für die Protestbewegung in Żurawlów gegenüber der polnischen Regierung stark gemacht haben.

David besiegt Goliath

Im Juli 2014 war es dann soweit. Chevron zog sich in einer Nacht-und-Nebelaktion zurück, im Gegensatz dazu scheint die Popularität der Bürgerinitiative aus Żurawlów zu bleiben bzw. sogar anzusteigen. Aus occupy chevron ist die ökologische Initiative zielony Żurawlów entstanden. Die Protestierenden möchten die Erfahrungen aus dem 400-tägigen Protest für umweltbezogene Ziele nutzen. Dem Thema Ökologie soll damit im gesellschaftlichen Diskurs Nachdruck verliehen werden. Mit Erfolg, wie sich herausstellt. Żurawlów gewann einen von Greenpeace Polska initiierten Wettbewerb und freut sich seitdem über neue Solaranlagen für die Ortschaft. Ob die aus occupy chevron hervorgegangene Initiative zielony Żurawlów der ökologischen Bewegung in Polen zukünftig zum Durchbruch verhilft, bleibt mit Spannung abzuwarten. Die Voraussetzungen hierfür sind gegeben, war doch der Protest der lokalen Bevölkerung gegen Chevron letztlich erfolgreich.

Anmerkung: Der Artikel entstand nach einer Forschungsreise im Rahmen des Projektkurses "Ziviler Ungehorsam in Osteuropa", der Bestandteil des Masterstudiengangs "Osteuropastudien" am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin ist. Mitglieder der Studiengruppe waren Anastasia Bamesberger, Martin Hoffstadt, Julian Mrowinski und Adrian Stadnicki. Der Artikel basiert auf Gesprächen mit den Aktivistinnen und Aktivisten in Polen. Für die Unterstützung bei der Realisierung des Projektes gilt der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin besonderer Dank.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Julian Mrowinski studiert nach seinem Bachelorabschluss in den Fächern Slavistik (Polonistik) und Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin gegenwärtig im Masterstudiengang Osteuropastudien mit dem Schwerpunkt osteuropäische Volkswirtschaften an der Freien Universität Berlin.

Adrian Stadnicki studierte im Bachelorstudiengang Politikwissenschaft, Polnische Philologie und Öffentliches Recht an der Universität Regensburg. Im Masterstudiengang Osteuropastudien an der Freien Universität Berlin liegt sein politikwissenschaftlicher Schwerpunkt auf den Beziehungen zwischen den Staaten West- und Osteuropas.