Am 28. Oktober 2013 starb Tadeusz Mazowiecki, der erste nichtkommunistische Ministerpräsident Polens nach dem Zweiten Weltkrieg. Er war ein Europäer der ersten Stunde. Und er gilt als derjenige, der Polen nach dem Scheitern des Kommunismus 1989 als Regierungschef mit grundlegenden Reformen den Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit ebnete. In den letzten Wochen würdigten Politiker aus den politischen Parteien von links bis rechts, Intellektuelle und ehemalige Wegbegleiter den Menschen und Politiker Mazowiecki. Die polnischen Medien erinnerten ausführlich an das politische Lebenswerk des ersten Regierungschefs der Dritten Republik. Sein Charisma und seine moralische Integrität standen dabei im Mittelpunkt. Erste Stellungnahmen wurden schon am Todestag selbst abgegeben. Staatspräsident Bronisław Komorowski würdigte den ehemaligen Ministerpräsidenten, der seit 2010 bis zuletzt als sein persönlicher Berater fungierte, für seinen entscheidenden Beitrag zum Wandel in Polen sowie zur Entwicklung der gutnachbarschaftlichen Beziehungen mit Deutschland und ganz Europa. Regierungschef Donald Tusk bezeichnete Mazowiecki als einen der herausragendsten polnischen Politiker des 20. Jahrhunderts. Lech Wałęsa sagte, er sei der beste Ministerpräsident gewesen, den Polen bis heute gehabt habe.
Abschied
Den Höhepunkt der Gedenkfeierlichkeiten bildete am 3. November der von mehreren tausend Menschen gesäumte öffentliche Leichenzug von der Kapelle des Präsidentenpalastes über den Krakowskie Przedmieście zur Warschauer Johanneskathedrale. Unter Leitung des Metropoliten der Warschauer Erzdiözese, Kazimierz Kardinal Nycz, fand dort eine Trauermesse statt. Für die breite Öffentlichkeit wurde sie auf Videoleinwänden auf dem Schlossplatz sowie im polnischen Fernsehen übertragen, während in der Kirche die eingeladenen Gäste aus dem In- und Ausland von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Abschied nahmen. Die Bedeutung Mazowieckis für Polen unterstreicht allein schon ein Blick auf die Liste der Trauergäste. Zu ihnen zählten neben dem Staats- und Ministerpräsidenten die Marschälle von Sejm und Senat, Ewa Kopacz und Bogdan Borusewicz. Die ehemaligen Präsidenten Polens, Lech Wałęsa und Aleksander Kwaśniewski, waren anwesend sowie – neben Freunden und Weggefährten wie Adam Michnik und Władysław Bartoszewski – die Riege ehemaliger polnischer Ministerpräsidenten, Jan Krzysztof Bielecki, Jerzy Buzek, Włodzimierz Cimoszewicz, Kazimierz Marcinkiewicz, Leszek Miller, Józef Oleksy, Waldemar Pawlak, Hanna Suchocka und – viel beachtet – Jarosław Kaczyński. Die Delegation ausländischer Gäste führte der Kommissionspräsident der Europäischen Union, José Manuel Barroso, an. Während Kardinal Nycz Mazowiecki als Mann der polnischen, europäischen und der Weltkirche würdigte, unterstrich der Staatspräsident die Bedeutung des ehemaligen Regierungschefs als ehrenhafter Politiker. "Er hat gezeigt, dass man in der Politik gleichzeitig anständig und erfolgreich sein kann", sagte Komorowski. In der Regierung Mazowiecki seien "die Fundamente für ein freies Polen gelegt" worden. Fürbitten in den Sprachen der Länder, in denen Mazowiecki aufgrund seines internationalen politischen Engagements besonders große Anerkennung genießt – vor allem in Deutschland, Frankreich, den USA und den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien – reflektierten die Orientierung Mazowieckis auf Versöhnung und Verständigung zwischen verfeindeten Nationen. Kondolenzschreiben wurden verlesen, von Papst Franziskus über den Dalai Lama bis hin zu Barack Obama und Angela Merkel. Für die Familien seiner anwesenden Söhne und die junge Generation sprachen seine Enkel einen persönlichen Dank.
Medienecho – "Nasz Premier"
Ein Blick in die polnische Presse der vergangenen Tage lässt den gleichen Tenor zum Ausdruck kommen, dass Tadeusz Mazowiecki ein großer polnischer Staatsmann gewesen sei, ohne in der Politik jemals seine Menschlichkeit verloren zu haben. So werden seine Verdienste für die Dritte Republik in Texten und Bildern erinnert sowie sein stetes Bestreben, die unterschiedlichsten Personen und politischen Gruppierungen zusammenzuführen. In Nachrufen und Kommentaren wird er als kluger, anständiger und bescheidener Politiker gewürdigt. Mit ihm sei einer der maßgeblichen Gründerväter des neuen, freien und demokratischen Polen verstorben. Lange habe er zu Unrecht in der Kritik gestanden. Als Belege für das einmütige Medienecho lassen sich zahlreiche Schlagzeilen und Zitate anführen. So machte etwa die Gazeta Wyborcza, 1989 als Wahlzeitung der demokratischen Gewerkschaftsbewegung entstanden, am 29.10. mit einem ganzseitigen, schwarz-weiß Portraitfoto des Verstorbenen auf. Sie titelte dazu lediglich "Tadeusz Mazowiecki 1927–2013". Adam Michnik, ihr Chefredakteur und ehemaliger Weggefährte Mazowieckis in der Solidarność, überschrieb seinen Hauptkommentar mit "Nasz Premier" (Unser Premier), damit eine legendär gewordene Losung aus dem Sommer 1989 aufgreifend, als das "Bürgerkomitee bei Lech Wałęsa" nach den ersten halbfreien Wahlen als politischer Sieger hervorgegangen war. Parallel kommentierte der Chefredakteur der Rzeczpospolita in großen Lettern: "Danke für Polen, Herr Tadeusz". Die auflagenstärkste Boulevardzeitung Fakt titelte: "Der erste Ministerpräsident des freien Polen ist tot". Inhaltlich schließt sich die Berichterstattung und Kommentierung nahtlos an die Würdigungen der Politiker an. Beispielsweise heißt es in der Rzeczpospolita: "Solche Ministerpräsidenten gibt es nicht mehr", und die Zeitung Polska The Times resümiert: "Wir verabschieden uns von einem einfachen Menschen". Vor dem Hintergrund des geringen Ansehens der aktuellen polnischen Politik kommt darin die hohe Anerkennung für Mazowiecki zum Ausdruck, der einen selbstlosen Politikstil pflegte und stets Respekt im Umgang mit seinem politischen Gegenüber zeigte. Jan Widacki charakterisiert Mazowiecki in der Wochenzeitung Przegląd als "guten Menschen" und "wahren Staatsmann". Geleitet habe diesen der Glaube an die guten Absichten seiner politischen Mitstreiter und Opponenten, was nicht ausschloss, Widerspruch einzulegen, wenn etwas nicht mit seinen eigenen Werten übereinstimmte. Ebenso deutlich sei seine Haltung gewesen, die Interessen des Staates und der Nation höher zu stellen als Eigen- oder Parteiinteressen. Er habe sich nicht nach Umfragen gerichtet oder auf Mittel des Populismus und der Demagogie gesetzt, sondern sei auch für unpopuläre Wahrheiten eingetreten. Mit Blick auf die kurze Amtszeit Mazowieckis kommt Tomasz Lis in Newsweek Polska zu der Einschätzung, mit Mazowiecki sei der Mensch zum zentralen Bezugspunkt und zum größten Sieger der Dritten Republik geworden. Mazowiecki hatte in dieser Phase die schmerzhafteste und erniedrigendste Niederlage erlitten, sie hatte darin bestanden, dass er in den ersten freien und direkten Präsidentenwahlen im Herbst 1990 gegen Lech Wałęsa und den "Mann aus dem Nichts", den aus Peru eingereisten Geschäftsmann Stanisław Tymiński, verloren hatte. Wie viele andere Kommentatoren sieht auch Lis in der Bestattung in der Familiengrabstätte in Laski bei Warschau ein Symbol der Bescheidenheit Mazowieckis. In Anspielung auf die umstrittene Beisetzung Präsident Lech Kaczyńskis in Krakau 2010 formuliert er: "Wahre Größe braucht keinen Wawel". Und er schließt mit der Bemerkung, Polen verdanke Mazowiecki das beste Vierteljahrhundert seiner Geschichte. Ein Nachruf von besonderem Gewicht ist sicherlich der Kommentar von Adam Michnik in der Gazeta Wyborcza, gehörte er doch neben dem Journalisten Mazowiecki und dem Historiker Bronisław Geremek zu den intellektuellen Leitfiguren der Demokratiebewegung. In seinem Nachruf würdigt er den verstorbenen Ministerpräsidenten deshalb zu allererst als "Symbol der demokratischen Opposition und der Solidarność". Er sei ein Aushängeschild des damaligen Polens gewesen, ein Kämpfer für die Freiheit und ein Mann des Dialogs, der auch mit Vertretern des anderen politischen Lagers (etwa Wojciech Jaruzelski oder Aleksander Kwaśniewski) das Gespräch gesucht habe. Mazowiecki habe auf Polen und die Welt ohne Komplexe und Selbstgefälligkeit geschaut. Er sei dabei ein Patriot geblieben, frei von staatlichen Egoismen und Nationalismus. Er sei ein Christ gewesen im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils, der Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II., des Gründers und Herausgebers der im damaligen Ostblock einzigartigen katholischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny, Jerzy Turowicz, der Priester Jan Zieja und Józef Tischner.
Ein Leben für ein demokratisches Polen
Blickt man auf die Ereignisse und Nachrufe der vergangenen Tage zurück, so wird deutlich, wie außergewöhnlich Tadeusz Mazowieckis Lebensweg und wie bedeutend sein politisches Engagement für die demokratische und freiheitliche Entwicklung Polens war, das zwei, drei und mehr Jahrzehnte zurückliegt. Bereits anhand der Auflistung Mazowieckis zahlreicher Aktivitäten bis zum Jahr 1989 lässt sich erahnen, welch einflussreiche Rolle er in der demokratischen Untergrundbewegung spielte. Geboren 1927 in Płock an der Weichsel, nahm er nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein Jura-Studium in Warschau auf, das er nicht abschloss, woraufhin er von 1949 bis 1955 als Publizist für diverse Medien der PAX Vereinigung arbeitete. Dabei handelte es sich um eine Gruppe von Katholiken, die von den kommunistischen Machthabern als systemtreuer Gegenpol zur katholischen Kirche gefördert wurde. Mazowiecki verließ PAX schließlich unter Protest, um sich danach der unabhängigen katholischen Gruppe um die Wochenzeitung Tygodnik Powszechny anzuschließen. 1956 gründete er den Warschauer Klub der katholischen Intelligenz (KIK) und war Mitbegründer der laienkatholischen Monatszeitschrift Więż, die er zwischen 1958 und 1980 als Chefredakteur leitete. Von 1961 bis 1971 saß er als Mitglied der Znak-Gruppe unabhängiger katholischer Abgeordneter im Sejm. Ferner hielt er in den 1970er Jahren als Dozent der TKN (Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse) Vorlesungen im Untergrund, bevor er 1980 in Danzig engster Berater Lech Wałęsas beim MKS, dem Überbetrieblichen Streikkomitee, wurde. Nach Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 büßte er für seine Tätigkeiten in den Reihen der Solidarność mit einer einjährigen Internierungshaft, nach der er seine publizistische Tätigkeit im Untergrund fortsetzte. Schließlich leitete er 1989 (wie bereits 1981) als Chefredakteur die Wochenzeitung Tygodnik Solidarność und nahm von Februar bis April 1989 als Vertreter der wiederzugelassenen Gewerkschaft an den Gesprächen am Runden Tisch teil. Die Kraft für seine politische Arbeit schöpfte er zweifelsohne aus seiner tiefen religiösen Überzeugung und den intellektuellen Debatten in den Redaktionen sowie im KIK. Darüber hinaus spiegeln der Werdegang ab den 1950er Jahren und der Bruch mit PAX deutlich seine gedankliche Abkehr vom Sozialismus wider. Die repressive Politik des Machtapparates war ihm Antrieb, seine Vision eines demokratischen Polen schon früh aktiv zu verfolgen. Einfach wird dies nicht gewesen sein, da er sich in Diskussionsrunden oftmals wegen seines frühen Engagements in der PAX-Bewegung rechtfertigen sollte. Doch er bekannte sich immer dazu und sagte einmal: "Wir glaubten, dass sich der Sozialismus in Polen humanisieren ließe und hielten an dieser Linie lange fest." Und weiter: "Zweifellos war das eine Zeit der Irrtümer, an denen auch ich teilhatte, die aber nicht das Ergebnis einer unredlichen Einstellung waren. Ich besaß damals nicht genügend politischen Orientierungssinn, um mir vorstellen zu können, wie niederträchtig sich diese Organisation später verhalten würde." Was er über Anfeindungen niemals verlor, war seine ausgeprägte Fähigkeit, zuzuhören und das Gute im Gegenüber zu suchen, solange es nicht zu den humanistischen Werten in Widerspruch stand. So entwickelte sich Mazowiecki über die Jahrzehnte in den Reihen der Opposition zu einer moralischen Autorität und zu einem bedeutenden intellektuellen Repräsentanten des linksbürgerlich-katholischen Polen. Besonders hilfreich war Mazowiecki hierbei zweierlei. Zum einen gewährte Mazowiecki vor allem die katholische Kirche entscheidenden Beistand. Zweifellos der mächtige Schirm für die Opposition, bedeutete sie für ihn Freiraum und geistige Heimat. Als Bestätigung hierfür lässt sich etwa ein Treffen Mazowieckis mit Stefan Kardinal Wyszyński 1976 in Gnesen nennen. Wie Kazimierz Wóycicki sich erinnert, versicherte das Kirchenoberhaupt bei dieser Gelegenheit Mazowiecki als wichtigster Person des Więż seine vollständige Unterstützung. Zum anderen war für Mazowiecki die Znak-Bewegung von maßgeblicher Bedeutung. Zu ihr gehörten sowohl der Tygodnik Powszechny und die Zeitschriften Znak, Więż sowie die kleine Abgeordnetengruppe des Znak im Sejm als auch die zahlreichen regionalen Klubs der katholischen Intelligenz. Im Warschauer KIK etwa waren über 3000 Mitglieder organisiert. Das dort versammelte politische Spektrum reichte von christlichen Demokraten bis zu Nationaldemokraten unterschiedlichster Färbung. Ein gemeinsamer Nenner, auf den sich alle in Rahmen des KIK verständigen konnten, war der Katholizismus und die Kirche.
Mann des Dialogs
Dies war der politische Hintergrund, vor dem Mazowiecki effektiv agieren konnte, zumal er in diesem Kreis mit der Zeit eine unbestrittene Position einnahm und das Regime die enorme Wirkung der Klubs unterschätzte. Auf der Grundlage der Erfahrung der Zwischenkriegszeit diskutierten die Mitglieder über die polnische Politik und Gesellschaft sowie die demokratische Öffnung des Systems. Mazowiecki erwies sich in dieser Gesellschaft als zukunftsorientierter politischer Pragmatiker, der zu der Erkenntnis gelangte, dass notwendige Kompromisse und ausgleichende Positionen eher zum Ziel führen als das Beharren auf nicht durchsetzbaren Prinzipien. Auf diese Weise gelang es ihm, in den 1970er Jahren als Vordenker den Balanceakt zwischen kluger Zurückhaltung zur Bewahrung von Freiräumen auf der einen und Opportunismus oder gar Kollaboration auf der anderen Seite zu meistern. Außerdem war er mit seiner Haltung prädestiniert, 1980 in verantwortlicher Schlüsselposition als Berater die Verhandlungen mit den kommunistischen Machthabern in Danzig zu führen, in deren Folge Mitstreiter wie Adam Michnik, die eine wesentlich unnachgiebigere politische Haltung gegenüber dem Regime vertraten, aus der Haft entlassen wurden. Mitte 1989 schließlich war es erneut "der Mann des Dialogs", Tadeusz Mazowiecki, der sich in den Dienst Polens stellte und sich zum ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten wählen ließ.
Mazowiecki, der Ministerpräsident
Dass die Personalwahl in den Reihen der Solidarność 1989 auf Mazowiecki zulief, war der schwierigen politischen Situation nach den halbfreien Wahlen geschuldet. General Jaruzelski, der gerade erst dank der neuen demokratischen Opposition zum Staatspräsidenten gewählt worden war, hatte General Kiszczak als neuen Ministerpräsidenten nominiert. Zwar hatte schon am 3. Juli Adam Michnik in der Gazeta Wyborcza die Parole "Euer Präsident, unser Premier" ausgegeben, doch nun drohte, dass alle wichtigen Ämter mit kommunistischen Generälen besetzt werden würden, die noch wenige Jahre zuvor die Durchsetzung des Kriegsrechts befehligt hatten. Als sich die Krise um die Regierungsbildung daraufhin zuspitzte, konnte die Solidarność über ihre Vertreter im Sejm, die OKP (Bürgerkomitee), die bisherigen Blockparteien ZSL und SD zu sich herüberziehen und Mazowiecki als Ministerpräsidenten durchsetzen, weil er als gemäßigt und vorsichtig galt und Verhandlungserfahrung mit den Kommunisten aus dem Jahr 1980 und vom Runden Tisch besaß. Nicht ohne Ironie ist dabei, dass Mazowiecki nicht einmal Abgeordneter des Sejm war. Er hatte sich geweigert, für das "Bürgerkomitee" zu kandidieren, nachdem er diesem die demokratische Legitimität abgesprochen und die Auswahlkriterien bei der Kandidatenwahl nicht akzeptiert hatte. Nun aber nahm Mazowiecki pflichtbewusst am 24. August 1989 die Regierungsverantwortung auf sich. Das Foto von Tadeusz Mazowiecki, das ihn mit hoch erhobener Hand, die das Victoryzeichen zeigt, abbildet, ist eine Ikone geworden. Die Regierung Mazowiecki war anfangs von hohen Popularitätswerten getragen. Es stellte sich aber bald heraus, wie belastend die notwendigen Reformen für die Bevölkerung in der Anfangsphase werden würden. Mazowiecki kann daher rückblickend nicht hoch genug angerechnet werden, mit welcher Vernunft und Konsequenz er die Fundamente legte, denen das heutige Polen – wie Komorowski bilanzierte – seine erfolgreiche Entwicklung seit 1989 verdankt. Mit seinem Pragmatismus erwarb er sich schon während der komplizierten Koalitionsverhandlungen den Respekt der unterschiedlichen politischen Lager. Nach der erfolgreichen Bildung des Kabinetts – zusammengesetzt aus "Bürgerkomitee", ZSL, SD und vier Ministern der PZPR – kündigte er in seiner Regierungserklärung radikale Reformen an. Er bekämpfte mit seinem Finanzminister Leszek Balcerowicz die einsetzende Inflation, veranlasste zum Jahresende die Reform der Verfassung und setze eine Dezentralisierung der Verwaltung durch. Vor allem segnete er den Balcerowicz-Plan ab, der ab Januar 1990 wie eine "Schocktherapie" für das Land wirkte. Das kurzfristige Ergebnis war, dass die Reallöhne um 24 % fielen und die Arbeitslosigkeit stieg. Als Folge kam es ab Frühjahr 1990 zu lauten gesellschaftlichen Protesten. Die Stimmung kehrte sich folglich gegen die Regierung. Die Gesellschaft konnte mit den langfristig vollkommen richtigen, aber drastischen Maßnahmen nicht Schritt halten. Parallel verspürte Polen aufgrund der folgenden vollständig freien Wahlen in anderen ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten allmählich ein demokratisches Vollzugsdefizit. Als dann schließlich angesichts der Auflösung der PZPR die Anhänger der "Beschleunigung" noch radikalere Reformen des Justizwesens und des politischen Systems anmahnten, verschärfte sich der Druck zusehends. Wałęsa versagte der Regierung die Gefolgschaft, prangerte die Unerträglichkeit der Situation an und kandidierte bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen. Als Mazowiecki, der ebenfalls für das Präsidentenamt kandidierte, völlig überraschend nicht die zweite Wahlrunde erreichte, trat er am 26. November 1990 als Ministerpräsident zurück. Mazowieckis Verdienst in den 15 Monaten seiner Amtszeit besteht zweifellos darin, dass er Polen als Regierungschef in einer politisch wie wirtschaftlich schwierigen Transformationsphase Orientierung gegeben hat. Grundlage hierfür war sein unbeirrbares Bestreben, den Ausgleich zwischen den politischen Gruppierungen der noch jungen und unerfahrenen Dritten Republik zu suchen. Heftige Kritik wiederfuhr ihm dennoch ab Mitte 1990 immer wieder aufgrund einer berühmt gewordenen Formulierung in seiner Regierungserklärung. Vor dem Sejm machte er die Aussage, dass "wir unter die Vergangenheit einen dicken Strich ziehen werden". Seine politischen Gegner beschuldigten ihn, bewusst falsch und instrumentalisierend, er wolle die Täter unter den Ex-Kommunisten straflos davonkommen lassen. Tatsächlich war dies nicht seine Absicht. Doch gerade seine zurückhaltende Reaktion hierauf – auch noch in späteren Jahren – lässt den Grund für seine nur so kurze Amtszeit erkennen: Mazowiecki war kein Machtpolitiker, kein "Alphatier" des politischen Betriebs. Er drängte sich nie in den Vordergrund und war eigentlich nur an politischen Inhalten interessiert. Der Ausspruch Max Webers, wonach Macht sich definieren lässt als "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht" war für den ersten Ministerpräsidenten der Dritten Republik keine Maxime seines politischen Handels. Mazowiecki zog es vor, moralisch integer Politik zu gestalten und regierte auf der Basis gegenseitigen Vertrauens. Er zollte Respekt, handelte nach reiflicher Überlegung und auf der Grundlage von Vernunft und festen Werten. Auf mittlere Sicht erwies es sich dann auch als richtig, dass gerade er, der sich der katholischen Soziallehre verpflichtet sah und soziale Politik anstrebte, Polen die radikalen Reformen des Balcerowicz-Plans zumutete – auf Kosten seiner eigenen Popularität. Doch je länger seine Regierungszeit zurückliegt, desto mehr ist auch die Anerkennung in Polen gestiegen.
Versöhnung mit Deutschland in einer europäischen Perspektive
Was das Ansehen Mazowieckis überdies bis heute prägt, ist, dass er es in den wenigen Monaten als Ministerpräsident vermochte, Polen auch den Weg "nach Europa" zu ebnen. Vor allem die Aussöhnung mit Deutschland hat er maßgeblich vorangetrieben. Seine Verdienste in diesem Zusammenhang sind sowohl die Einbeziehung Polens in die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen im Juli 1990, als es in der Verhandlungsrunde in Paris um die Grenzfrage ging, als auch die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch das vereinigte Deutschland im deutsch-polnischen Grenzbestätigungsvertrag vom November 1990. Auch die so nachhaltig verpflichtenden Inhalte des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags von 1991 sind wesentlich Mazowiecki zuzurechnen. So merkt etwa Paweł Moras, der heutige polnische Geschäftsführer des Deutsch-Polnischen Jugendwerks, mit Blick auf die Jugendaustauschprogramme an, dass grenzüberschreitende Aufgaben wie diese bereits maßgeblich durch die Regierung Mazowiecki ausgearbeitet wurden. Zum Schlüsselbild der deutsch-polnischen Versöhnung wurde der Friedensgruß von Tadeusz Mazowiecki und Helmut Kohl in Kreisau (Krzyżowa) am 12. November 1989. Hierzu lässt sich allerdings sagen, dass es Mazowiecki nicht primär um ein Foto in den Geschichtsbüchern ging. Es war eher der Instinkt des deutschen Kanzlers, die Gunst des Augenblicks beim Friedensgruß während der Messe zu nutzen, so dass dieser Geste bis heute eine solche historische Aufmerksamkeit zuteilwird. Dem polnischen Ministerpräsidenten war währenddessen vielmehr bewusst, dass dieses Zeichen ein katholischer Ausdruck der Versöhnung ist. Das persönliche Verhältnis der Staatsmänner Mazowiecki und Kohl hingegen war aufgrund ihrer unterschiedlichen politischen Temperamente eher von Misstrauen als von Sympathie geprägt. Wesentlicher ist, dass Mazowiecki schon seit den 1950er Jahren die Aussöhnung mit Deutschland sehr am Herzen lag. Dies entsprang zum einen der politischen Ratio weitsichtigen Denkens eines Mannes, dem früh bewusst war, dass die Freiheit Polens eng mit der deutschen Wiedervereinigung verknüpft sein würde. Deshalb beharrte er 1990 so entschlossen auf der Anerkennung der bestehenden Grenze, wohl wissend, dass Kohl dem nur aus innenpolitischen Motiven lange auswich. Zum anderen gründete Mazowieckis Werben für die Versöhnung mit Deutschland auf seinem christlichen Menschenbild. Er wollte den Hass der beiden Nachbarvölker überwinden. Er dachte jedoch im außenpolitischen Kontext auch immer über Deutschland hinaus. So diskutierte er etwa schon in den 1970er Jahren in der Więż-Redaktion mit Freunden über ein kontinentales Zentrum, bestehend aus Polen, Deutschland und Frankreich. Das Projekt des Weimarer Dreiecks sollte er 20 Jahre später mitanstoßen.
Mazowieckis Aktivitäten ab 1990
Blickt man abschließend auf Mazowieckis politische Tätigkeiten nach seinem Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten, bleibt festzuhalten, dass er von 1990 bis 1995 Parteivorsitzender der liberalen Unia Demokratyczna bzw. deren Nachfolgepartei, der Unia Wolności, war. Von 1992 bis 1995 hatte er das Amt des UN-Sonderbotschafters für den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien inne, wo er, so Janusz Reiter, "als politischer Moralist mit den harten zynischen Realitäten der Politik konfrontiert" war. Nach dem Massaker von Srebrenica, bei dem bosnisch-serbische Truppen im Juli 1995 rund 8000 Männer und Jungen ermordeten, trat er wegen der Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft von diesem Amt zurück. Er blieb zunächst Sejmabgeordneter bis 2001, um sich 2005 nochmals als Mitglied und Spitzenkandidat der sozialliberalen Partia Demokratyczna zu engagieren. Ein durchschlagender politischer Erfolg war Mazowiecki in diesen Jahren nicht mehr beschieden. Aber er blieb bis zuletzt politisch aktiv, ohne sich in den Vordergrund zu stellen. Über die Spaltungen und Anfeindungen innerhalb des ehemaligen Solidarność-Lagers sowie die aufkommenden nationalistischen Töne und Streitigkeiten in der aktuellen polnischen Politik war Mazowiecki, der "Mann des Ausgleichs", tief besorgt. Er nahm dennoch regelmäßig an politischen Diskussionsveranstaltungen teil. Gewicht hatten seine Auftritte dabei – weit über seine formale Position hinaus – aufgrund seiner persönlichen und charismatischen Autorität. Und entsprechend zufrieden resümierte er zuletzt: "Was für ein Geschenk des Schicksals war es für mich, dass ich die Gelegenheit hatte, Einfluss auf die Geschichte zu nehmen."