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Analyse: Das elektronische Archiv der Transformation | Polen-Analysen | bpb.de

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Analyse: Das elektronische Archiv der Transformation

Reinhold Vetter

/ 11 Minuten zu lesen

Demonstration der zu diesem Zeitpunkt bereits verbotenen polnischen Gewerkschaft "Solidarnosc" auf dem Warschauer Schlossplatz am 3. Mai 1982. (© AP)

Zusammenfassung


Auch in Polen bemüht man sich zunehmend, historische Quellen ins Internet zu stellen und damit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. So haben die Kanzleien des Staatspräsidenten und des Senats die Federführung für ein neues Projekt mit dem Titel »Archiwa Przełomu 1989–91« (Archive des Umbruchs) übernommen, das der Sammlung, Aufbereitung und Digitalisierung von Materialien dient, die den damaligen Systemwechsel dokumentieren. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Tätigkeit der Bürgerkomitees überall in Polen, die in jenen Jahren neben der Gewerkschaft Solidarność die entscheidende Triebkraft der Transformation an der gesellschaftlichen Basis waren. Die Archivalien befinden sich insbesondere im Archiv des Senats in Warschau, aber auch in staatlichen und öffentlichen Institutionen sowie in privaten Sammlungen im ganzen Land.


Seit dem Jahr 2011 arbeiten Archivare in Warschau an einem interessanten Projekt, das zur Verbreitung des Wissens über einen entscheidenden Abschnitt der polnischen Zeitgeschichte beitragen soll. Dabei geht es um den Aufbau einer Internetseite mit dem Titel »Archiwa Przełomu 1989–1991« (»Archive des Umbruchs 1989–1991«), die den Zugang zu Dokumenten der Transformation des politischen und ökonomischen Systems in Polen ermöglichen soll. Fachleute haben damit begonnen, schriftliche Quellen sowie Ton-, Film- und Fernsehdokumente zu sammeln, aufzubereiten und zu digitalisieren. Ein entsprechender Katalog wird die Nutzung des Angebots im Internet erleichtern. Der Zugang soll kostenlos sein. Gegenstand des elektronischen Archivierens sind nicht nur Materialien zentraler staatlicher, politischer und gesellschaftlicher Institutionen in Warschau, sondern auch Bestände aus öffentlichen und privaten Sammlungen in den Regionen ganz Polens. Dabei werden die Originale der Dokumente in der Regel vor Ort bleiben. »Die Anfertigung digitaler Kopien ist unser gemeinsames archivarisches Projekt, wir wollen niemandem etwas wegnehmen«, betont Robert Kubaś, Leiter des Archivs im Senat, der zweiten Kammer des polnischen Parlaments. Staatliche Archive und Museen in den Regionen sowie Privatpersonen sollten also keine Befürchtungen hegen, so Kubaś. Treibende Kräfte des Projekts sind die Kanzleien des Staatspräsidenten und des Senats. Tatsächlich haben die Jahre 1989–91 das neue Gesicht Polens entscheidend geprägt. Nicht zufällig ist von einem Umbruch (poln.: przełom) die Rede. Besonders die beiden Streikwellen des Jahres 1988 hatten gezeigt, dass das sozialistische System Polens in eine ausweglose Krise geraten war. Zusätzlicher Druck entstand durch die Veränderungen in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow und erste Reformen insbesondere in Ungarn. Nach langem Tauziehen einigten sich die kommunistischen Machthaber und die polnische Opposition unter Führung der Gewerkschaft Solidarność während der Beratungen am Runden Tisch im Frühjahr 1989 auf einen Fahrplan für eine durchgreifende politische und ökonomische Transformation des herrschenden Systems. Die Niederlage der Kommunisten in der ersten, halbfreien Parlamentswahl vom Juni 1989 ermöglichte die Bildung einer Koalitionsregierung unter Führung des politisch erfahrenen Oppositionspolitikers Tadeusz Mazowiecki, die durch einschneidende verfassungsrechtliche und gesetzgeberische Veränderungen Polen auf den Weg zu einer demokratisch-parlamentarischen Republik und Marktwirtschaft brachte. Nach und nach entstanden auch neue politische Parteien unterschiedlichster Couleur.

Neben der Solidarność spielten das Bürgerkomitee bei Lech Wałęsa (später Bürgerkomitee »Solidarność«), in dem sich die wichtigsten Köpfe der Opposition sowie parteipolitisch ungebundene und reformbereite Intellektuelle versammelten, sowie die im Vorfeld der halbfreien Wahl überall im Land entstehenden Bürgerkomitees eine wichtige Rolle als Triebkräfte der Transformation. Nicht zufällig trug die erste parlamentarische Fraktion der vormaligen Opposition den Namen Parlamentarischer Bürgerklub (Obywatelski Klub Parlamentarny – OKP) ). Die Leitung des OKP übernahm Bronisław Geremek, der wohl wichtigste Stratege der Transformation auf Seiten der Opposition. Auch die erste freie Wahl zu den regionalen und lokalen Selbstverwaltungsorganen im Mai 1990 wurde entscheidend durch die Bürgerkomitees geprägt. Tadeusz Mazowiecki nannte diese Wahl eine »kollektive Beratung« auf nationaler Ebene. Nach Auffassung des Historikers Andrzej Friszke hat sich die Transformation sowohl oben, auf zentraler Ebene, als auch unten, in den Woiwodschaften, Städten und Gemeinden vollzogen. So liegt es auf der Hand, dass das geplante Internetarchiv nicht zuletzt die Arbeit der Bürgerkomitees dokumentieren soll.

Schlüsselrolle des Senats


Nach einer ersten Vereinbarung zwischen den Kanzleien des Staatspräsidenten und des Senats, die bereits im Jahr 2009 getroffen worden war, kamen am 22. November 2011 etwa 50 Vertreter von zentralen, regionalen und lokalen Archiven, Bibliotheken, Museen und Stiftungen zu einer Konferenz im Warschauer Senatsgebäude zusammen, um unter dem Thema »Archive des Umbruchs als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen« über den Aufbau des Internetarchivs zu beraten. Im Rahmen der Konferenz charakterisierte Andrzej Friszke die Transformation als eine entscheidende Etappe der polnischen Zeitgeschichte, die als abgeschlossene historische Periode weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen bedürfe. Tadeusz Mazowiecki sagte über sein Kabinett der Jahre 1989–90, dass dies eine Regierung der Koalition mit den früheren Machthabern gewesen sei, in der aber zunehmend die vormalige Opposition und die Solidarność das Kommando übernommen hätten. Der damalige Staatspräsident Wojciech Jaruzelski, so Mazowiecki, habe als reformbereiter Repräsentant des alten Systems mehr oder weniger mit der neuen Regierung kooperiert und insbesondere die durchgreifende ökonomische Umgestaltung nicht behindert. Nach und nach habe Jaruzelski dann an Handlungsfähigkeit verloren.

Henryk Wujec, in den Jahren 1988–90 Sekretär des Bürgerkomitee bei Lech Wałęsa und dann auch Abgeordneter im Sejm, berichtete, damals seien viele Oppositionelle immer auch Archivare gewesen, die sich bemüht hätten, möglichst viele Dokumente für spätere Zeiten aufzubewahren. Wujec, den man in Warschau einen »begnadeten Sammler« nennt, hat große Teile seiner privaten Bestände im Archiv des Senats deponiert, darunter Teile des Archivs des Bürgerkomitee bei Lech Wałęsa und auch Fotos und Plakate der Kandidaten der Opposition, die bei der Wahl im Juni 1989 antraten. Gegenstand der Beratungen während der Konferenz im November 2011 waren insbesondere die Aktivitäten der Bürgerkomitees überall in Polen in den Jahren 1989–90 sowie die organisatorische und zeitliche Planung des Aufbaus des Internetarchivs.

Dass die Kanzlei des Senats und das Senatsarchiv eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung dieses elektronischen Archivs spielen, geht auf die Tatsache zurück, dass der Senat – im Jahr 1989 neu geschaffen – die erste staatliche Institution war, die vollkommen vom alten System unabhängig war, und dort auch das erste öffentliche nichtkommunistische Archiv aufgebaut wurde.

Wahre Schätze


So finden sich in den »Katakomben« des Senats wahre Schätze, die das Herz all derer höher schlagen lassen, die sich mit Zeitgeschichte beschäftigen. Das gilt beispielsweise für zahlreiche Quellen, die die Beratungen und Arbeitsergebnisse des Runden Tisches im Frühjahr 1989 dokumentieren. Auch Protokolle, Beschlüsse und andere Materialien des Landesvorstands der Solidarność (Krajowa Komisja Wykonawcza NSZZ »Solidarność«) aus den Jahren 1987–90 werden hier aufbewahrt. Besonders umfangreich ist die Sammlung von Dokumenten, die ein lebendiges Bild der Arbeit des Bürgerkomitee bei Lech Wałęsa und der etwa 50 Bürgerkomitees in ganz Polen zeichnen – von der Vorbereitung der Parlamentswahl 1989 über die Analyse der Wahlergebnisse bis hin zur entscheidenden Rolle der Komitees bei der Wahl der Selbstverwaltungsorgane 1990.

Erhellend ist außerdem die Lektüre des Materials, mit dem die Tätigkeit des OKP ab 1989 dokumentiert wird. Es geht um den Aufbau und die Arbeitsweise der Fraktion, der viele Parlamentarier angehörten, die dieses Handwerk erst von Grund auf lernen mussten – inklusive die inhaltlichen Debatten insbesondere über die Gesetzesentwürfe der Mazowiecki-Regierung –, sowie um die Kontakte der Abgeordneten zu ihren Wahlkreisen und zu Parlamentariern in anderen Ländern. So zeigt etwa eine 120-seitige Mitschrift der Beratung des OKP-Präsidiums am 3. November 1989 mit dem damaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten und Finanzminister Leszek Balcerowicz, worüber damals gestritten wurde. Balcerowicz war »Vater« der kompromisslosen marktwirtschaftlichen Reformen, die um die Jahreswende 1989–90 auf den Weg gebracht wurden.

Ein lebendiges Bild der Stimmungen und Meinungen in der polnischen Bevölkerung jener Zeit ergeben die etwa 2.000 Briefe (die sogenannte Geremek-Post), die Bürgerinnen und Bürger aus ganz Polen dem OKP-Vorsitzenden Bronisław Geremek geschrieben haben. Sie äußern sich dezidiert zu den Balcerowicz-Reformen, zum Problem der »Durchleuchtung« (poln.: lustracja), also der Überprüfung höherer Staatsbeamte und Abgeordneter auf mögliche Kontakte zu den früheren kommunistischen Geheimdiensten, zur Verfassungsreform, aber auch zu ihren alltäglichen Wünschen und Hoffnungen, die sie mit dem erlebten Wandel verbanden. Viele Briefe hat Geremek selbst beantwortet. Akribisch sammelte er alles, was in der polnischen Öffentlichkeit und auch im Kontakt mit den Wählern über seine Arbeit gesagt wurde, sei es kritisch oder anerkennend.

Mit der Entfaltung des politischen Lebens im nachkommunistischen Polen entstanden auch neue Parteien, die zunächst ihre eigenen Arbeitskreise innerhalb des OKP bildeten, nach und nach aber auch zur Gründung eigener Parlamentsfraktionen übergingen. Zu den wichtigsten zählten die christlich-soziale Demokratische Union (Unia Demokratyczna), die linksliberale Bürgerbewegung – Demokratische Aktion (Ruch Obywatelski – Akcja Demokratyczna), die konservative Zentrumsallianz (Porozumienie Centrum) und die katholisch-nationale Christlich-Nationale Vereinigung (Zjednoczenie Chrześcijańsko-Narodowe). Auch die Solidarność bildete später ihre eigene Parlamentsfraktion. Dieser Differenzierungsprozess findet ebenso seinen Niederschlag im Archivmaterial des Senats.

Zu dem dort aufbewahrten Quellenmaterial gehören außerdem Akten und sonstige Dokumente aus der Arbeit des Sekretariats des konservativen Politikers Andrzej Stelmachowski, der in den Jahren 1989–91 das Amt des Senatspräsidenten bekleidete.

Aber das Projekt »Archive des Umbruchs« zielt natürlich auch auf die Bestände in anderen zentralen Institutionen. So finden sich im Archiv der Bronisław Geremek-Stiftung (Fundacja Bronisława Geremka) wichtige Materialien aus dem persönlichen Nachlass des verstorbenen Historikers, Bürgerrechtlers und Außenministers sowie zahlreiche Dokumente, die das Parteileben der Demokratischen Union, der Freiheitsunion (Unia Wolności), des Liberal-Demokratischen Kongresses (Kongres Liberalno-Demokratyczny) und der Bürgerbewegung – Demokratische Aktion widerspiegeln. Auch eine Kooperation mit dem Archiv des Staatspräsidenten, dem Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Instytut Studiów Politycznych Polskiej Akademii Nauk) und dem Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej), wo vor allem die Akten der früheren Sicherheitsdienste aufbewahrt werden, sowie mit verschiedenen Ministerien und oberen Polizeidienststellen wird angestrebt. Außerdem haben erste Recherchen in polnischen Bibliotheken in Paris und London stattgefunden.

Auch wenn wichtige Dokumente, die Auskunft über die Arbeit der Bürgerkomitees in den Jahren 1989–91 geben, vor allem im Archiv des Senats in Warschau archiviert wurden, dürfte der Umfang entsprechender Quellen, die überall in Polen aufbewahrt werden, weitaus größer sein. Das gilt besonders für Material, das sich im Privatbesitz ehemaliger Aktivisten der Komitees befindet. Inzwischen wurden einige dieser Privatsammlungen an das Senatsarchiv übergeben, so beispielsweise durch die Vizepräsidentin des Senats, Grażyna Anna Sztark, die damals zu den Mitbegründern des Bürgerkomitees in Białogard in Nordwestpolen gehörte. Ihre Sammlung soll als eine der ersten ins Internet gestellt werden.

Zahlreiche Quellen, insbesondere zur Arbeit der Bürgerkomitees, befinden sich auch in staatlichen Museen in den Regionen, in städtischen Bibliotheken und Archiven sowie in kirchlichen Sammlungen. Die Pioniere der »Archive des Umbruchs« wissen sehr genau, dass sie noch lange keinen vollständigen und abschließenden Überblick über das im ganzen Land vorhandene Material haben werden. Glücklicherweise kommen nach und nach entsprechende Hinweise von öffentlichen und privaten Institutionen sowie von Privatpersonen.

Schon 15.000 Seiten und 1.200 Fotos digitalisiert


So haben sich die Initiatoren und Betreiber des elektronischen Archivs inzwischen auch von der Illusion frei gemacht, diese Arbeit in maximal fünf Jahren abschließen zu können. Vielmehr gehen sie inzwischen von einem Zeitraum aus, der mindestens 20 Jahre umfasst. Allein die vielen Recherchen vor Ort sind sehr zeitaufwändig. So waren Archivare aus Warschau anwesend, als längere zeitgeschichtliche Interviews mit allen noch lebenden Mitgliedern des Senats der Jahre 1989–91 aufgenommen wurden.

Ohnehin lastet die tägliche Arbeit an der Internetplattform fast ausschließlich auf einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern des Senatsarchivs. Die Kosten des Projekts werden bislang aus Mitteln der Kanzleien des Senats und des Staatspräsidenten getragen. Geplant ist auch, einen sogenannten Programmrat aus prominenten Historikern, Abgeordneten und anderen Politikern zu bilden, der für öffentliche Unterstützung der Arbeit sorgen soll.

Bei den Recherchen vor Ort zeigen sich Schwierigkeiten, die bis in die Jahre 1989–91 zurückgehen. So war damals Sammeln und Archivieren keine einfache Angelegenheit, weil viele Angehörige der ehemaligen Opposition keinerlei diesbezügliche Erfahrung hatten. Auch trieb sie noch während der Transformationsphase die Angst um, persönliche Dokumentationen könnten bei Bekanntwerden gegen sie selbst verwendet werden. So waren diese Materialien entweder völlig geheim oder dergestalt angelegt, dass man sie in jedem Moment schnell vernichten konnte. Hinzu kam, dass die Aktivisten der Bürgerkomitees in der Regel kaum Zeit hatten, sich mit Dokumentationsfragen zu beschäftigen.

Auch die damalige schwierige ökonomische Lage machte sich bemerkbar. Es mangelte an Papier; Fotoapparate und Filmkameras waren schwer zu beschaffen oder von minderer Qualität.

Als problematisch erweist sich auch die Tatsache, dass nicht alle staatlichen Archive in den Regionen bereit sind, mit den Betreibern des Internetarchivs zu kooperieren, weil sie dieses Projekt als Konkurrenz empfinden, auch wenn ihnen versichert wird, dass es nur um die Anfertigung digitaler Kopien geht. Erst nach und nach setzt sich die Erkenntnis durch, die Kooperation mit dem Projekt »Archive des Umbruchs« auch als Werbung in eigener Sache zu betrachten, gerade wenn es sich um kleinere Archive und Bibliotheken handelt. Privatpersonen wiederum muss vielfach geholfen werden, ihre eigenen Materialsammlungen zu systematisieren und aufzubereiten.

Immerhin steht inzwischen fest, welcher Internetserver für das elektronische Archiv genutzt werden soll, und es wurde entsprechende Software gekauft. Es werden Entwürfe für die Homepage und einen elektronischen Katalog diskutiert, der die Nutzung erleichtern soll. Etwa 15.000 Seiten schriftlicher Dokumente und 1.200 Fotos wurden bereits digitalisiert. Im Juni dieses Jahres werden die ersten Materialien im Internet abrufbar sein.

Stärkung der kollektiven Erinnerung


Die Betreiber des elektronischen Archivs hoffen, dass ihre Webseite eine gewisse Ausstrahlung entfaltet, wenn sie erst einmal im Netz zugänglich ist. Schon jetzt erklären Historiker und Studenten ihre Bereit­schaft zur Zusammenarbeit. So meldete sich eine Gruppe von Studenten der Marie Curie-Skłodowska-Universität (UMCS) in Lublin, die in staatlichen Archiven und bei ehemaligen Aktivisten der Bürgerkomitees und der Solidarność recherchieren will. Inzwischen existiert eine ganze Anzahl von Diplomarbeiten und Dissertationen, die auch bzw. gerade auf der Basis der Quellen des Archivs im Senat geschrieben wurden.

So wie die Bürgerkomitees damals ein erstes Element der entstehenden Zivilgesellschaft darstellten, werden auch die »Archive des Umbruchs« zur Stärkung der kollektiven Erinnerung und damit des staatsbürgerlichen Bewusstseins beitragen. Ihr Wert für Wissenschaft und Forschung, Studium und Bildung ist kaum zu überschätzen. Auch Wissenschaftler, Studierende, Politiker und Journalisten in anderen Ländern werden diese Quellen zu nutzen wissen.

Nun wird dies nicht das erste elektronische Archiv historischer Quellen in Polen sein. So existiert beispielsweise seit einigen Jahren die »Encyklopedia Solidarności« (www.encyklopedia-solidarnosci.pl), durch die vor allem Quellen der 1980er Jahre elektronisch zugänglich gemacht werden. Diese Webseite wird unter anderem von dem renommierten Historiker Antoni Dudek betreut. Zu den Sponsoren zählen sowohl staatliche Stellen als auch private Unternehmen.

In dieser elektronischen Enzyklopädie findet man beispielsweise die Lebensläufe zahlreicher Aktivisten der Gewerkschaft Solidarność. Auch die legalen und illegalen Strukturen der Gewerkschaft von damals werden beschrieben. Umfangreich ist außerdem die Dokumentation der Streiks und anderer Protestaktionen in jenen Jahren des Widerstands gegen die Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 und die Dokumentation des Wiederaufbaus der Gewerkschaft. Zu den Schätzen dieser Webseite zählen schließlich die digitalisierten Ausgaben solcher Untergrundzeitungen wie »Robotnik«, »Tygodnik Wojenny« und »Tygodnik Mazowsze«, aus dessen Redaktion später der Gründungskern der Tageszeitung »Gazeta Wyborcza« hervorging.

Fussnoten

Reinhold Vetter, Ingenieur und Politikwissenschaftler, lebt als freier Publizist in Warschau und Berlin. Zuletzt sind von ihm erschienen: »Zweite Chance für Tusk. Die Parlamentswahlen in Polen 2011.« In: Osteuropa, Heft 11/2011, S. 27–42, und »Ungarn. Ein Länderporträt.« Berlin: Christoph Links Verlag 2012.