Am 22.02. sollte es in Mariupol mit dem Residenzprogramm für feministische Kunst „Talija“ losgehen. Eine Woche vorher erhielt ich einen Brief von den Organisatoren, von der Plattform Tju!, in dem es hieß, ich sei nicht unter den Auserkorenen, da mir ein paar Punkte fehlten. Ich fand das sehr schade, denn ich war noch nie in Mariupol gewesen und hatte vor lauter Neugier und Ungeduld, während ich auf die Ergebnisse des Wettbewerbs wartete, schon ausgiebig den Stadtplan studiert, um poetisch interessante Bezeichnungen ausfindig zu machen. Ich bin in Kertsch geboren, das liegt am anderen Ufer des Assowschen Meers. Wie Mariupol ist auch Kertsch eine Industriestadt am Meer. Früher wurde das Eisenerz von der Halbinsel Kertsch als Rohstoff für die Stahlherstellung in den Werken von Mariupol verwendet. Kertsch hatte eine eigene Stahlproduktion vom Rohstoff bis zum fertigen Gefäß oder Panzer. Nachdem Russland die Krym annektiert hatte, sollten plötzlich auch Kriegsschiffe zur Produktpalette gehören. Am 26.02. begab ich mich nach einer schlaflosen Nacht in einem Kyjiwer Bombenkeller zum Bahnhof, um nach Westen zu fahren. Der einzige Zug, in dem ich einen Sitzplatz ergattern konnte, ging nach Winnyzja. Auf dem Weg in die „Sicherheit“ lagen noch viele weitere Städte und Länder, aber ich hatte keine Kraft, Fotos zu machen. Schon in Friedenszeiten war ich von den dekorativen Reliefs am Bahnhofsgebäude von Winnyzja angetan. Dieses Mal haben sie mich besonders erfreut, zu meinem Erstaunen waren sie von irisierendem Gold überzogen. Sozrealistischer Beeren- und Traubenkitsch der 1950er Jahre, die Nachkriegsbeschwörung der Vitalität, das koloniale Erbe des Images von der Erde, die uns freigebig nährt. Trotz der vergifteten Äpfel der Geschichte wirkt die Form belebend, sie entfaltet eine eigene Handlungsmacht. Auf ein herzliches Wiedersehen, Südukraine. Liebe Einwohner der Erste-Welt-Länder, bitte finden Sie eine Form, Ihren Regierungen klarzumachen, dass sie der Ukraine Militärtechnik liefern müssen, sonst droht die ganze humanitäre Hilfe, die Sie leisten, einfach mit ihren Empfängern zu verbrennen! #ArmUkraineNow
Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe
Uljana Bychenkova ist Künstlerin, Kuratorin und Designerin. Sie wurde 1986 in Kerch geboren und lebt seit 2017 in Kyjiw. Als Initiatorin und Mitglied ist sie in mehreren Kollektiven vertreten, so zum Beispiel dem Frauen Ensemble „Solder!“, „Urbanfeminism“ sowie „Welcome to the Doll´s House!“.