2014 aus Donezk übergesiedelt, habe ich die letzten Jahre mit meiner Familie im Wochenendhaus meiner Freunde gelebt, in der Nähe von Kyjiw, irgendwo zwischen Butscha und Borodjanka, zwei Orte, die von den Russen in den zurückliegenden Wochen beinahe vollständig zerstört worden sind. Am Ostufer des Sees Gloria erstrecken sich Wochenendsiedlungen, die auf der Karte als Blyschni Sady, die Nahen Gärten, verzeichnet sind. Ende Februar und auch in den ersten Kriegstagen sind viele Menschen hierhergekommen, weil sie hofften, dass es hier sicherer sein würde als in Kyjiw, notfalls war man ja schnell wieder zurück. Schon am Morgen des 24. Februar tobten zwischen der Gegend hier und Kyjiw schwere erbitterte Kämpfe. Die umliegenden Ortschaften wurden von russischen Einheiten besetzt, und vom ersten Tag an gab es Gerüchte, die Russen würden dort blind wüten. Tag und Nacht, praktisch ununterbrochen surrte, krachte und knallte es neben uns und über uns, Raketen flogen über uns hinweg, ihre Trümmer stürzten auf die Straßen und in die Gärten. Es krachte so gewaltig, dass die Türen in den Häusern aus den Schlössern sprangen. Erst war der Strom weg, dann das Wasser, das Telefon und das Internet. Die Geschäfte und Apotheken schlossen gleich in der ersten Woche. Lebensmittel waren unfassbar wertvoll, denn normalerweise brachten die Leute, die hier kamen, immer nur Vorräte für ein paar Tage mit. Keiner hatte gedacht, dass die Lage so angespannt sein würde. Die Morgen- und die Abendstunden waren idyllisch. Wenn die Sonne am Horizont sank. Diese Schönheit, die so schmerzvoll und zugleich so real war, unterstrich nur die Unfassbarkeit dessen, was vor sich ging. Unser Haus hatte keinen Keller, es war also sinnlos, sich ständig in den Innenräumen aufzuhalten, und andere Schutzräume gab es nicht. Also trat ich hinaus und schaute auf die Sonne. Die Morgensonne, wenn es morgens gegen drei oder vier losging, oder die Abendsonne. Ich habe diese Schönheit noch immer in mir. Und die Angst. Sie verlässt mich nicht. Ich fürchte, ich werde nie wieder beobachten können, wie die Sonne untergeht.
Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe
Volodymyr Rafeenko Als Mitglied des „Ukrainian Center of International PEN Club“ veröffentlichte der Autor, Dichter, Literatur- und Filmkritiker und Lektor bereits etliche Romane und Essays, die schon für vielfältige Preise ausgezeichnet worden sind. Volodymyr Rafeenko wurde 1969 in Donetsk geboren. Bis 2014 veröffentlichte Rafeenko hauptsächlich noch auf Russisch und wurde als repräsentativ für die russischsprachige Literatur angesehen. Nach seinem Umzug 2014 nach Kyjiv schreibt er mittlerweile auf Ukrainisch und steht repräsentativ für die gesamte ukrainische Literatur. 2019 erschien Rafeenkos erster Roman auf Ukrainisch.