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Der französische Präsident Verkörperung einer zentralistischen politischen Macht

Joachim Schild

/ 5 Minuten zu lesen

Auch wenn sich die Verfassungsväter der V. Republik gegen ein präsidentielles System entschieden haben, steht der Präsident im Zentrum des politischen Geschehens Frankreichs. Immer wieder wird er als „republikanischer Monarch“ beschrieben. Der Präsident steht an der Spitze eines stark zentralisierten Staatswesens, das Macht ungleich stärker als in vielen anderen Demokratien in den Händen der Exekutivspitze konzentriert.

Die Machtfülle des Staatspräsidenten ergibt sich teilweise aus den Verfassungsbestimmungen. Diese verleihen ihm eigenständige Rechte, die er ohne Mitwirkung anderer Verfassungsorgane auszuüben befugt ist (Art. 19 der Verfassung enthält eine abschließende Aufzählung aller Verfassungsartikel, für die dies zutrifft). So kann er den Premierminister ernennen (Art. 8 Abs. 1), Referenden ansetzen (Art. 11), die Nationalversammlung auflösen (Art. 12), den Notstand ausrufen (Art. 16), drei der neun Mitglieder des Verfassungsrates einschließlich dessen Präsidenten ernennen und den Verfassungsrat anrufen (Art. 54, 56 und Art. 61 Abs. 2).

Zentrale Machtstellung

Die Machtstellung des Präsidenten speist sich, neben dem Verfassungstext, aus zwei weiteren Quellen: der Verfassungspraxis und seiner Direktwahl durch das Volk. Die vom ersten Präsidenten der V. Republik, General Charles de Gaulle, geprägte Verfassungspraxis verlieh dem Präsidenten eine Rolle, die weit über seine verfassungsmäßige Stellung hinausreichte. Im gesamten Bereich der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik und in jedem innenpolitischen Bereich, den er als wichtig erachtete, bestimmte de Gaulle – und nicht der Premierminister – die Politik. Seine Nachfolger folgten diesem Vorbild.

Die entscheidende Legitimation für eine dem Gründer der V. Republik vergleichbar starke Stellung bezogen die Nachfolger de Gaulles aus der 1962 eingeführten Direktwahl des Präsidenten durch das Volk. Der französische Staatspräsident wird in direkter Volkswahl für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt (Art. 6 Abs. 1). Seine Wahl erfolgt durch eine Mehrheitswahl in zwei Wahlgängen. Im ersten Wahlgang ist nur gewählt, wer die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt, was bisher noch nie eingetreten ist. Im zweiten Wahlgang treten die beiden im ersten Wahlgang bestplatzierten Kandidaten gegeneinander an. Dies bietet die Gewähr dafür, dass jeder Präsident mit der absoluten Mehrheit der im zweiten Wahlgang abgegebenen gültigen Stimmen gewählt ist. Aufgrund der zentralen Machtstellung des Präsidenten bilden Präsidentschaftswahlen stets die Höhepunkte des politischen Lebens in der V. Republik.

Die französische Exekutive zeichnet sich durch ihre doppelköpfige Struktur aus. Sowohl dem Präsidenten als auch dem Premierminister überträgt die Verfassung umfangreiche Kompetenzen. In der Verfassungswirklichkeit der V. Republik überragte die Machtstellung des Präsidenten allerdings fast durchgehend die aller anderen politischen Akteure. Die Ausnahme von dieser Regel bildeten die sogenannten Kohabitations-Phasen, in denen dem Präsidenten eine gegnerische Parlamentsmehrheit gegenübersteht. Dies war bislang drei Mal der Fall: von 1986–1988, 1993–1995 und 1997–2002. Der Präsident musste jeweils eine von der gegnerischen Parlamentsmehrheit unterstützte Persönlichkeit zum Premierminister ernennen.

Richtlinien

Der direkt vom Volk gewählte Präsident benötigt eine solide Parlamentsmehrheit zur Umsetzung seines politischen Programms. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so übt er praktisch überall dort seine Macht aus, wo es die Verfassung nicht ausdrücklich anders vorsieht. Sieht er sich einer feindlichen Parlamentsmehrheit gegenüber, wie während der sogenannten Kohabitation, so sind seine Befugnisse auf die ausdrücklich in der Verfassung verankerten reduziert. Die Vorrangstellung des Präsidenten vor dem Premierminister und das Primat der Präsidentschaftswahl vor der Parlamentswahl wurden durch die Verfassungsänderung vom September 2000 zur Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten von sieben Jahren auf fünf Jahre noch gestärkt. Kohabitationssituationen wurden damit dank der Angleichung der Dauer der Präsidentschaft an diejenige der parlamentarischen Legislaturperiode unwahrscheinlicher. Der Präsident tritt damit noch klarer als politischer Anführer der parlamentarischen Mehrheit in Erscheinung.

Eine zentrale verfassungsrechtliche Grundlage der Macht des Präsidenten bildet Artikel 5 der Verfassung. „Der Präsident der Republik wacht über die Einhaltung der Verfassung. Er gewährleistet durch seinen Schiedsspruch die ordnungsgemäße Tätigkeit der Verfassungsorgane sowie die Kontinuität des Staates. Er ist der Garant der nationalen Unabhängigkeit, der Integrität des Staatsgebietes und der Einhaltung der völkerrechtlichen Verträge.“ In diesem Artikel kommt das gaullistische Verständnis der Rolle und Funktion des Staatspräsidenten am deutlichsten zum Ausdruck. Der Präsident soll in Krisensituationen die vitalen Interessen Frankreichs wahren, das Überleben der republikanischen Ordnung im Innern sowie die Handlungsfähigkeit des Staates nach außen sichern.

Der Präsident der Republik ist dabei aber keineswegs nur ein über den Parteien und politischen Kräften stehender neutraler Schiedsrichter. Er steht vielmehr – sofern er über eine parlamentarische Mehrheit verfügt – im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen und bestimmt die Richtlinien der Politik. Das politische Programm, auf dessen Grundlage der Staatspräsident die Wahlen gewonnen hat, gibt die Leitlinien für die Arbeit der Regierung vor. Gestützt auf sein verfassungsmäßig garantiertes Recht zur Ernennung des Premierministers und sein de facto existierendes Abberufungsrecht, kann der Präsident seinen politischen Führungsanspruch geltend machen. Auch die Möglichkeit, mit der Auflösung der Nationalversammlung zu drohen oder – auf Vorschlag der Regierung – an der Nationalversammlung vorbei Referenden auf die Tagesordnung zu setzen (Art. 11), gibt ihm ein wichtiges Machtmittel gegenüber der Nationalversammlung beziehungsweise einer widerspenstigen präsidentiellen Mehrheitsfraktion an die Hand.

Die Präsidenten der V. Französischen Republik

Seit ihrer Gründung 1958 hatte die V. Französische Republik acht Präsidenten.

(© Bundesarchiv, B 145 Bild-F026330-0032, Foto: Jens Gathmann) (© AP) (© AP) (© Bundesregierung, B 145 Bild-00108509, Foto: Ulrich Wienke) (© Bundesregierung, B 145 Bild-00115542 , Foto: Sandra Steins) (© picture-alliance/dpa) (© picture alliance / INFOPHOTO ) (© picture-alliance, Blondet Eliot/ABACA)

Machtressourcen und Führungsstile

Eine informelle Machtressource, derer sich alle Präsidenten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, zu bedienen wussten, ist die politische Kommunikation über das Fernsehen. Schon General de Gaulle war ein Meister in der Nutzung dieses Massenmediums für seinen direkten Dialog mit der Bevölkerung. Die starke und zunehmende Neigung zur Personalisierung von Politik insbesondere im Fernsehen führte geradezu zu einer symbiotischen Beziehung zwischen diesem Medium und dem Präsidenten als Spitze der französischen Machtpyramide.

Seine formalen Machtbefugnisse und informellen Machtressourcen machen den Präsidenten zur Schlüsselfigur im politischen Entscheidungssystem. So nimmt er die im politischen Prozess zentrale Funktion des Agenda-Settings wahr. Präsidenten können bestimmen, welches Thema wann auf die politische Tagesordnung gelangen soll, auch wenn formal der Premierminister (und das Parlament), nicht der Präsident das Recht zur Gesetzesinitiative besitzt (Art. 39). Aber es ist der Präsident, der die Tagesordnung der Ministerratssitzungen festlegt und damit auch die Prioritäten für die Gesetzgebungsarbeit steuern kann.

Der Zeithorizont politischer Entscheidungen des Präsidenten ist eher die Mittel- und Langfristperspektive, diejenige des Premierministers eher die kurzfristige. Die politische Praxis von Präsident Nicolas Sarkozy (2007–2012) wich hiervon stark ab. Er mischte sich ungleich stärker als jeder Vorgänger in die Details der Tagespolitik ein, degradierte den Premierminister und konzentrierte Entscheidungsprozesse, teilweise an zuständigen Ministerien und Ministern vorbei, im Élysée-Palast. Dieser als „Hyperpräsidentialismus“ beschriebene präsidentielle Stil Sarkozys hat sich als politisch riskant erwiesen, kann doch der Präsident dann seinen Premierminister (und dessen Regierung) nicht mehr als Blitzableiter und Schutzschild gegen politische Kritik einsetzen. Sarkozys Nachfolger Hollande hat sich dagegen dem traditionellen Verständnis des Präsidentenamtes und der Rollenverteilung zwischen Präsident und Premierminister wieder angenähert. Dies hat ihn nicht vor einem dramatischen Verfall seines Ansehens bewahrt.

In der Amtszeit von Emmanuel Macron ließ sich erneut eine ausgesprochen vertikale Machtausübung und Konzentration von Entscheidungen in den Händen des Staatspräsidenten beobachten, ein als jupiterhaft charakterisierter Regierungsstil. Dies war insbesondere während der Covid-Pandemie zu beobachten. Maßnahmen zur Pandemieeindämmung ließ Macron in einem der Geheimhaltung verpflichteten kleinen Kabinettsauschuss (Conseil de défense sanitaire) unter seinem Vorsitz beraten, wichtige Entscheidungen über restriktive Maßnahmen traf er selbst. Auch hatte die ihm ergebene Regierungspartei La République en marche wenig Einfluss auf die Politikgestaltung.

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Joachim Schild, geb. 1962, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier. Zu seinen Schwerpunkten zählen die französische Europapolitik, die deutsch-französischen Beziehungen und das politische System der V. französischen Republik.