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Immigration und Identität | Frankreich | bpb.de

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Immigration und Identität

Britta Sandberg

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Konservative und Rechtspopulisten haben Einwanderung und die Frage nach der eigenen Identität zu den zentralen Themen in diesem Präsidentschaftswahlkampf gemacht. Sie fordern eine Kehrtwende in der Migrationspolitik und richten sich damit an eine zutiefst verunsicherte Wählerschaft.

Ende 2021 erlebten die Franzosen eine Premiere: Zum ersten Mal gab ein Bewerber für die Präsidentschaftswahlen seine Kandidatur per YouTube bekannt. Éric Zemmours Video hatte vor allem ein Thema: den Verlust der eigenen Identität und die vermeintliche Bedrohung durch Einwanderer/-innen. Laut einer Umfrage des Instituts Elabe vom 1. Dezember 2021 stimmten 51 Prozent der Befragten Zemmours Aussage zu, es gehe nicht mehr darum, Frankreich zu reformieren, sondern darum, das Land zu retten. 50 Prozent bezeichneten seinen Satz: „Sie haben das Gefühl, nicht mehr in einem Land zu leben, das Sie kennen“, als zutreffend. Und 41 Prozent fühlen sich laut der Umfrage fremd im eigenen Land. Auch die konservative Valérie Pécresse (Les Républicains) griff das Thema Identität bei ihrer ersten großen Wahlkampfveranstaltung am 13. Februar in Paris auf und bezeichnete in einem überraschend scharfen Ton Einwanderer/-innen als „Papierfranzosen“. Pécresse kündigte an, als Präsidentin die religiöse Verschleierung zu verbieten und gleich nach ihrem Amtsantritt ein Referendum über die Einwanderungspolitik zur Abstimmung vorzulegen. Dasselbe hat die Rechtspopulistin Marine Le Pen vor. Und selbst Präsident Emmanuel Macron spricht regelmäßig von der Notwendigkeit, die Außengrenzen des Schengen-Raums besser zu schützen und die Einwanderung einzudämmen. Die sozialistische Präsidentschaftskandidatin Anne Hidalgo hingegen, selbst Tochter spanischer Einwanderer, plädiert für eine bessere Integration der Einwanderer und Einwanderinnen in Frankreich, ähnlich wie der Linke Jean-Luc Mélenchon von La France insoumise.

Der Wahlkampf in Frankreich spielt sich im Jahr 2022 vorwiegend rechts der Mitte ab, weit mehr noch als schon vor fünf Jahren. Das mag auch daran liegen, dass die Menschen in Frankreich mit sich und ihrem Land hadern. Sie sind nicht zufrieden mit ihrer politischen Führung, vielen sind die politischen Eliten in Paris regelrecht verhasst. Und die Angst vor dem sozialen Abstieg ist groß: Laut einer Umfrage des Crédoc-Instituts im September 2021 haben 65 Prozent der Franzosen das Gefühl, zu den défavorisés, den Benachteiligten, zu gehören. Das persönliche Empfinden deckt sich dabei nicht immer mit den tatsächlichen Wirtschaftsdaten: Das Land ist relativ gut durch die Pandemie gekommen, das prognostizierte Wirtschaftswachstum für 2022 liegt laut Finanzminister Bruno Le Maire bei knapp sieben Prozent. Die Renten sind seit jeher traditionell höher als in Deutschland, die Sozialgesetzgebung ist eher großzügig. Warum fühlen sich also trotzdem so viele zu Rechtspopulisten wie Zemmour und Marine Le Pen hingezogen, warum übernimmt selbst die politische Mitte die Forderungen nach einer strengen Kontrolle der Einwanderung?

Während einer Wahlkampfveranstaltung des rechtsextremen französischen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour in Villepinte (bei Paris) am 05.12.2021 werden Aktivisten von SOS Racism geprügelt und vertrieben. (© picture-alliance/dpa)

„Die Frage nach der eigenen Identität, was noch französisch ist und was nicht, das treibt in meiner Stadt alle um“, sagte Robert Ménard, der nationalkonservative Bürgermeister von Béziers in Südfrankreich in einem Interview gegenüber dem SPIEGEL. Béziers hat einen großen Anteil an Menschen mit Migrationsgeschichte, in manchen Vierteln stellen sie die Mehrheit. Bürgermeister Ménard versucht seit Jahren, dagegen anzugehen, indem er günstige Baugrundstücke für Angehörige der Mittelklasse in Problemvierteln zur Verfügung stellt und dort Exzellenzschulen plant. Vor kurzem wurde er mit knapp 70 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Im Präsidentschaftswahlkampf unterstützt er nach einigem Zögern die Kandidatin des Rassemblement national (RN), Marine Le Pen.

Der RN hat, wie Zemmour, die préférence nationale, die Bevorzugung von Franzosen gegenüber im Land lebenden Ausländern/-innen bei der Vergabe von Sozialwohnungen und anderen Sozialleistungen, zu einer seiner wichtigsten Forderungen gemacht. Le Pen schlägt darüber hinaus vor, illegale Einwanderer konsequent und mit aller Härte in ihre Heimatländer zurückzuführen, Grenzkontrollen zu verstärken und keine Visa mehr zu erteilen. Das alles seien Maßnahmen, so die Kandidatin, „die es uns erlauben würden, die Kontrolle über unser Land wieder zurückzugewinnen“, wie sie Anfang Januar im südfranzösischen Cerbère, an einem Grenzübergang nach Spanien, erklärte. Wie Zemmour richtet sie sich damit an eine Wählerschaft, die sich seit langem zurückgesetzt und benachteiligt fühlt. Identitätsfragen beschäftigen laut Umfragen vor allem die älteren Menschen in Frankreich. So sind es insbesondere die über 60-Jährigen, denen die Welt, in der sie leben, Angst macht.

Und trotzdem, der Platz, den die Themen Identität und Einwanderung in der öffentlichen Debatte einnehmen, befeuert von den französischen Medien, ist unverhältnismäßig. Für viele Wähler/-innen sind andere Themen vorrangig. So gaben 42 Prozent von ihnen Mitte Januar an, die soziale Krise sowie, damit einhergehend, die mit einer nachlassenden Kaufkraft verbundenen immer größer werdenden Ungleichheiten seien für sie die wichtigsten Themen zu Beginn des Jahres 2022. 33 Prozent der Befragten nannten die Umweltkrise und den Klimawandel an zweiter Stelle. Erst auf Platz drei folgte mit 25 Prozent die Identitätskrise, einhergehend mit der Angst vor immer mehr Einwanderung und dem Verlust traditioneller Werte.

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Seit April 2019 ist Britta Sandberg Frankreich-Korrespondentin des Spiegel in Paris. Sie arbeitete 16 Jahre lang als Reporterin, Moderatorin und leitende Redakteurin bei Spiegel TV in Hamburg und wechselte im August 2006 zum Spiegel als Redakteurin im Auslandsressort. Ab 2010 war sie stellvertretende Leiterin, ab 2012 Leiterin des Spiegel-Auslandsressorts.