Jean-Luc Mélenchon
„Wir müssen die präsidentielle Monarchie abschaffen“
Hatim Shehata
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Jean-Luc Mélenchon trat bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2022 als Kandidat der politischen Linken an. Durch populistisch-radikale Reden, große Gesten und markige Bühnenauftritte zog er bisweilen große Aufmerksamkeit auf sich. Mélenchon gilt als vehementer Gegner des amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron und inszenierte sich in den vergangenen fünf Jahren als Oppositionsführer im französischen Parlament.
Jean-Luc Mélenchon wurde 1951 im marokkanischen Tanger geboren und emigrierte mit elf Jahren nach Frankreich. Dort studierte er Philosophie, arbeitete als Lehrer sowie Journalist und widmete sein politisches Engagement den einflussreichen französischen Gewerkschaften, bevor er schließlich in den 1970er Jahren dem Parti socialiste, dem französischen Äquivalent zur deutschen SPD, beitrat. Dort stieg er auf und war unter Premierminister Lionel Jospin von 2000 bis 2002 Minister der Berufsausbildung. 2008 folgte der Bruch mit der eigenen Partei. Sie sei zu sehr in die politische Mitte gerückt und handele nicht mehr im Interesse der Arbeiterklasse, rechtfertigte Mélenchon seinen damaligen Parteiaustritt. Von 2009 bis 2017 war Mélenchon Mitglied der Fraktion Die Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament. Nach den französischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2017 wurde er Abgeordneter und Mitglied der nun eigenständigen Fraktion von La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) in der Nationalversammlung.
Der Unbeugsame
Schon 2012 wollte Jean-Luc Mélenchon in den Élysée-Palast einziehen. Damals trat er für das linke Bündnis Front de gauche (Linksfront) an, erhielt rund vier Millionen Stimmen (11 Prozent) im ersten Wahlgang und landete auf dem vierten Platz hinter dem Sieger François Hollande. Im Jahr 2017 versuchte er es erneut. Diesmal gelang es ihm als Gründer und Anführer der neuen Bewegung La France insoumise, rund sieben Millionen Wählerinnen und Wähler (19,6 Prozent) im ersten Wahlgang hinter sich zu vereinen. Zwar erweiterte er seinen Stimmenanteil deutlich, landete jedoch erneut auf dem vierten Platz und musste sich seinem Mitbewerber, dem späteren Präsidenten Emmanuel Macron, geschlagen geben. Gleichwohl verbuchte die radikale Linke das damalige Ergebnis als großen Erfolg für sich. Heute zählt La France insoumise über 600.000 Mitglieder. Vor allem jüngeren Wählerinnen und Wählern erscheint Mélenchons Programmatik durchaus attraktiv. Seine erneute Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2022 knüpfte Mélenchon an eine Bedingung: Mindestens 150.000 Menschen sollten ihr positives Votum vorab über eine Online-Plattform abgeben. Der Erfolg blieb nicht aus: Die Zielmarke wurde innerhalb von vier Tagen erreicht. Mélenchon gab sich schon immer bürgernah und ist ein nachdrücklicher Befürworter von Bürgerreferenden. Er will nicht das Narrativ des überhöhten Präsidenten bedienen. Stattdessen fordert er die Abkehr vom stark präsidial geprägten politischen System Frankreichs und die Gründung einer Sechsten Republik.
Mélenchon gilt als Kritiker Emmanuel Macrons, dessen Europa-, Sozial- und Wirtschaftspolitik er entschieden ablehnt. Er betrachtet Macron als einen Präsidenten der Reichen, in der „Macronie“ sieht er ein wirtschaftsliberales Programm, das die soziale Schere in Frankeich weiter auseinandergehen lässt. Folglich ist es wenig verwunderlich, dass Mélenchon die Gelbwesten-Proteste im Jahr 2019, die sich an hohen Spritpreisen entzündeten und später gegen Macrons geplante Wirtschaftsreformen richteten, nicht nur unterstützte, sondern zusätzlich mit teils radikalen Aussagen anheizte. In diesem Zusammenhang sprach er von einer Revolution und bezeichnete die teils ausufernde Gewalt, für die letztlich Macrons Regierung die Verantwortung trage, als legitimes Mittel des Protests. Sein sozialpolitisches Programm von 2017 will Mélenchon weitestgehend beibehalten. Er fordert eine Erhöhung des Mindestlohns (SMIC), die Einführung einer 32-Stunden-Woche sowie die Rente ab 60 Jahren.
Ein Gegner der EU
Ebenfalls ein Feindbild Mélenchons ist die EU in ihrer derzeitigen Form. „L’Europe on la change, ou on la quitte“ , erklärte er 2016 und forderte damals nicht weniger als die Änderung der EU-Verträge oder aber den Austritt Frankreichs aus der EU – einen „Frexit“. Nach der berühmten Sorbonne-Rede Macrons zur Souveränität Europas stellte Mélenchon gar einen Antrag auf die Entfernung der Europaflagge aus der französischen Nationalversammlung – ohne Erfolg. Im neuen Wahlprogramm seiner Bewegung, welches das Motto „L’Avenir en commun“ („Die gemeinsame Zukunft“) trägt, wird eine Frexit-Forderung nicht mehr erwähnt. Stattdessen spricht Mélenchon nun von einem punktuellen Ungehorsam gegenüber Brüssel. Er wolle sich im Falle seiner Wahl die Opt-out-Klausel der EU zunutze machen, die besagt, dass einzelne Mitgliedsstaaten sich an der Zusammenarbeit in bestimmten Politikbereichen nicht zwangsläufig beteiligen müssen.
Die bestehenden deutsch-französischen Beziehungen sieht Mélenchon zudem kritisch. Deutschlands Sparpolitik macht er für die Rezession in Europa verantwortlich. Im Jahr 2015 veröffentlichte der inzwischen 70-Jährige ein Buch unter dem polemischen Titel Bismarcks Hering – das deutsche Gift, in dem er ein vermeintliches Diktat Deutschlands in Europa anprangert.
Außen- und Sicherheitspolitik
Im Falle seiner Präsidentschaft will Mélenchon trotz des Krieges in der Ukraine weiterhin aus der NATO austreten und sich um eine Neuausrichtung der französisch-russischen Beziehungen bemühen. Er setze diesbezüglich auf Deeskalation und wolle auch im UN-Sicherheitsrat den Austausch mit Russland fördern. Vor dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine äußerte sich Mélenchon zuletzt jedoch pazifistisch, wobei er sich gleichzeitig gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen die Sanktionierung Russlands aussprach. Die Verantwortung für den Krieg, so Mélenchon, liege aber bei Russland.
Hatim Shehata ist wissenschaftlicher Assistent im Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er studierte internationale Beziehungen im Kooperationsstudiengang der Freien Universität Berlin, der Humboldt Universität zu Berlin und der Universität Potsdam.
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