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Éric Zemmour | Frankreich | bpb.de

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Éric Zemmour „Frankreich ist in Lebensgefahr“

Jacob Ross

/ 4 Minuten zu lesen

Selbst ein Kind algerischer Einwanderer, ist Éric Zemmour in Frankreich als Polemiker bekannt, der mit seinen Thesen zur Zuwanderung und der vermeintlichen Islamisierung Frankreichs regelmäßig für Aufregung sorgt. Auf seinem Weg vom Journalisten zum Präsidentschaftskandidaten wurde Zemmour in seiner Rhetorik zusehends aggressiver. Aufgrund seiner zeitweisen Omnipräsenz in den Medien und seiner wohlkalkulierten Provokationen wird er regelmäßig mit Donald Trump verglichen.

Éric Zemmour bei einem Wahlkampfauftritt in Chambéry (25.02.2022) (© picture-alliance/AP)

Zemmour hat, ähnlich wie Präsident Macron, die offizielle Bestätigung seiner Kandidatur lange hinausgezögert und unterlag deshalb nicht den gesetzlich geregelten zeitlichen Beschränkungen für TV-Auftritte von Präsidentschaftskandidaten. Unabhängig davon, wie die Wahl letztlich ausgehen wird, hat er dazu beigetragen, dass sich der Wahlkampf vornehmlich um die Themen Einwanderung, Rolle des Islam und Identitätspolitik dreht. Als Zemmour schließlich ankündigte, an der Spitze der Bewegung Rückeroberung (Reconquête) für die Präsidentschaftswahl anzutreten, hatte sich sein jüngstes Buch, Frankreich hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen (La France n’a pas dit son dernier mot), mehr als 250.000-mal verkauft.

Éric Zemmour ist in Montreuil geboren, einer Vorstadt im Osten von Paris. Er wuchs in einer jüdischen Familie auf, die 1952 aus Algerien geflohen war, damals französisches Staatsgebiet. Zemmour besuchte eine private jüdische Schule, bevor er ein Studium an der Elite-Hochschule Sciences Po abschloss. Die für viele französische Spitzenpolitiker/-innen und -beamte/-innen typische Folgeausbildung an der École nationale d’administration (ENA; seit dem 1. Januar: Institut national du service public, INSP) blieb ihm aber verwehrt – zwei Mal scheiterte Zemmour an der Aufnahmeprüfung.

Vom Journalisten zum Polemiker

Zemmour begann seinen Aufstieg in der französischen Medienlandschaft als Printjournalist bei der Zeitschrift Le Quotidien de Paris. 1996 wechselte er zur konservativen Tageszeitung Le Figaro, wo er in den folgenden Jahren als Kolumnist bekannt wurde. Es folgte der Wechsel zum Fernsehen, mit Stationen bei verschiedenen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern. Zemmour war in Talkshows vor allem deshalb ein gern gesehener Gast, weil er zuverlässig für hohe Einschaltquoten sorgte. Im Oktober 2019 bekam er schließlich seine eigene, auf ihn zugeschnittene Sendung, Face à l’info, bei dem Sender CNews, der von seinem Gründer, dem französischen Milliardär und Medienmogul Vincent Bolloré, angeblich nach dem Vorbild des amerikanischen Senders Fox News aufgebaut wurde.

Die Zusammenarbeit entpuppte sich für Bolloré und Zemmour als Win-win-Situation. CNews verdreifachte in kürzester Zeit seine Zuschauerzahlen und ließ mit durchschnittlich 800.000 Zuschauer/-innen vor den Bildschirmen größere Konkurrenten wie BFM-TV oder LCI hinter sich. Statt aufwändige und teure Beiträge zu produzieren, setzten Zemmour und sein Sender auf ein vergleichsweise günstiges Erfolgsrezept, das in den sozialen Medien seit Jahren wirtschaftlich äußerst gewinnträchtig ist: Themen, die starke emotionale Reaktionen provozieren, werden möglichst kontrovers besetzt und diskutiert. Wie kontrovers Zemmours Thesen sind, davon zeugen die 16 Gerichtsverfahren, die bislang gegen ihn eröffnet wurden. Verurteilt wurde der Präsidentschaftskandidat bisher aber nur in drei Fällen, zuletzt im Januar 2022 wegen Volksverhetzung. Im jüngsten Fall hatte Zemmour jugendliche Migranten/-innen pauschal als „Diebe, Mörder und Vergewaltiger“ verunglimpft.

Wahlkampf vor der historischen Kulisse der berühmten Abtei-Insel Mont-Saint-Michel (Normandie) (© picture-alliance/dpa)

Unterstützer und Nutznießer Zemmours

Trotz seiner immer radikaleren Thesen hat Zemmour den Anschluss an das bürgerliche Milieu nie verloren. Obwohl er einen „Vernichtungskrieg gegen den weißen, heterosexuellen Mann“ am Werk sieht und 2015 vorschlug, im Kampf gegen den Terrorismus statt Rakka (Syrien) den Brüsseler Stadtteil Molenbeek zu bombardieren, wollten ihm Mitglieder der Républicains (LR) nur zwei Jahre später die Kandidatur für ihre Partei antragen. 2019 wurde er bei einem Parteitag vom damaligen LR-Vorsitzenden Laurent Wauquiez mit den Worten begrüßt: „Du bist hier unter deinesgleichen“. Es ist unklar, ob Zemmours Kandidatur Macron am Ende schaden oder nützen wird. Zemmour spaltet das rechtsextreme Lager und macht Marine Le Pen (Rassemblement National, RN), 2017 in der zweiten Runde Macrons Gegnerin, wichtige Stimmen abspenstig. Die Schwächung Le Pens könnte allerdings dafür sorgen, dass die Kandidatin der Républicains, Valérie Pécresse, es in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl schafft. Dort angekommen, hätte sie gute Chancen auf den Sieg, sollten sowohl Le Pen als auch Zemmour zu ihrer Wahl aufrufen.

Europapolitik

Im Falle einer Wahl Zemmours kämen stürmische Zeiten sowohl auf die deutsch-französischen Beziehungen als auch auf die europäische Zusammenarbeit zu. Obwohl auch Zemmour keinen Austritt aus der EU fordert, kritisiert er die sogenannten Brüsseler Eliten scharf und unterstellt der Union ein Demokratiedefizit. Europa, so Zemmour, sei keine Nation; im Gegenteil bildeten erst die Nationen das gemeinsame Europa. Die Visionen einer vertieften Union, die Präsident Macron mit der aktuellen deutschen Bundesregierung teilt, tut Zemmour als Europa „ohne Körper, ohne Kopf und ohne Seele“ ab.

Die Angriffe auf die EU holen Zemmour nun im Kontext des Kriegs in der Ukraine genauso ein wie seine Ankündigung, Frankreich nach 1966 ein zweites Mal aus der Kommandostruktur der NATO führen zu wollen. Auch seine Bewunderung für den russischen Staatschef Wladimir Putin erweist sich kurz vor der Wahl als große Hypothek. Dessen Überfall auf die Ukraine verurteilt er zwar, beharrt aber weiter darauf, dass die Hauptverantwortung für die Eskalation bei der NATO liege und Frankreich einen unabhängigen, „dritten Weg“ finden müsse.

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Jacob Ross ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit beschäftigte er sich bereits im Rahmen seiner Arbeit im französischen Außenministerium und als parlamentarischer Assistent der Vorsitzenden des Europa-Ausschusses der französischen Nationalversammlung.