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Keine Diskussion der Klimafrage | Frankreich | bpb.de

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Keine Diskussion der Klimafrage

Sébastien Vannier

/ 4 Minuten zu lesen

Die Energie- und Klimafrage ist im französischen Wahlkampf wenig präsent. Aber die Debatte rund um die Zukunft der Atomenergie gewinnt durch die Preisinflation bei Strom und Benzin wieder an Aktualität. Emmanuel Macron positionierte sich im Oktober 2021 mit einer Initiative zur Wiederbelebung des Nuklearsektors deutlich. Für das rechte politische Lager ist Kernkraft die perfekte Lösung, um die Souveränität Frankreichs mit dekarbonisierter Energie zu verbinden. Die französischen Grünen haben in diesem Kontext große Schwierigkeiten, mit ihrer antinuklearen Position Gehör zu finden.

Lange spielten Energie- und Klimafragen im französischen Präsidentschaftswahlkampf quasi keine Rolle. Anfang Februar 2022 haben deshalb 1.400 Wissenschaftler/-innen auf der Webseite des öffentlichen Radiosenders France Info eine Stellungnahme veröffentlicht, die zwölf Fragen umfasst. Diese zwölf Fragen klopfen den umwelt- und klimapolitischen Kurs der Kandidaten/-innen ab und sollen die öffentliche Debatte des Themas in der vollen Breite initiieren. Die zentrale Kritik der 1.400 Wissenschaftler/-innen besteht darin, dass die notwendige Debatte über die Zukunft unseres Planeten auf einen Kampf zwischen Befürwortern der Atomenergie einerseits und der erneuerbaren Energien anderseits reduziert werde. Auseinandersetzungen zur Agrar- und Verkehrswende fanden bisher im Präsidentschaftswahlkampf kaum statt. Auch über Maßnahmen zum Binden von vorhandenem CO2 oder über den Umgang mit Extremwetter und Luftverschmutzung wurde nicht diskutiert. In einem ausführlichen TV-Interview erwähnte Präsident Emmanuel Macron im Dezember 2021 den Klimawandel kein einziges Mal. Die konservativen Républicains widmeten dem Thema bei den Debatten zur Vorwahl ihrer Kandidatin lediglich 16 von 396 Minuten.

Zitat

Quels que soient nos opinions politiques et nos engagements personnels, nous constatons avec inquiétude l'absence de débat démocratique dans la campagne présidentielle sur les graves bouleversements en cours et à venir, qu'ils concernent le climat, l'océan, la biodiversité ou les pollutions.

Les signataires de la tribune France Info

Das war nicht immer so. Bei den französischen Wahlen 2007 unterschrieben die meisten Bewerber/-innen den „ökologischen Pakt“ des Umweltaktivisten Nicolas Hulot. Und auch vor nicht allzu langer Zeit, bei der Europawahl 2019 und der Kommunalwahl 2020, wurden Klima- und Umweltfragen deutlich intensiver thematisiert. Denn es ist nicht so, dass das Klima die französischen Wähler/-innen nicht interessieren würde. Wie Umfragen immer wieder zeigen, gehört die Umweltfrage zu den größten Sorgen der Bevölkerung. Am 12. März 2022 – in der heißen Phase des Wahlkampfs – demonstrierten sodann zehntausende Menschen in ganz Frankreich, um die Klimafrage wieder ins Zentrum des Wahlkampfs zu bringen. Wie lässt sich das Außen-vor-Bleiben der Klimafrage im Wahlkampf 2022 erklären? Wie in den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) beherrschen in Frankreich derzeit andere Krisen die gesellschaftliche und politische Debatte: der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, Corona-Beschränkungen des öffentlichen Lebens und nicht zuletzt die sinkende Kaufkraft angesichts der steigenden Inflation. Letztere baut eine besondere Drohkulisse auf: Die Gelbwesten-Bewegung hat gezeigt, wie brisant diese Thematik ist. Viele französische Politiker/-innen halten es momentan für politisch zu riskant, über CO2-Besteuerung, steigende Strompreise oder Strukturwandel zu sprechen. Hinzu kommt, dass der französische Wahlkampf sich bis jetzt eher im rechten Lager abspielt. Zu den aussichtsreichsten Kandidaten/-innen zählen die rechtspopulistische Marine Le Pen (Rassemblement National), die konservative Valérie Pécresse (Les Républicains) und der rechtsextreme Éric Zemmour (Reconquête). Themen wie Immigration und innere Sicherheit, die vom rechten Lager beansprucht werden, dominieren momentan die politische Diskussion. „Für das linke Lager ist es gerade schwierig, in diesem Wahlkampf zu existieren. Deswegen hat es die politische Ökologie gerade schwer“, analysiert Bruno Jeanbart, stellvertretender Präsident des Instituts OpinionWay.

Der Sumpf von Capestang in den Départements Aude und Hérault trocknet aus, da sengende Temperaturen und fehlender Regen ihn hart treffen. Der Sumpf umfasst eine Fläche von 1.374 ha und gehört zur Natura-200-Zone, einem Netzwerk von Naturschutzgebieten in der EU. (© picture-alliance)

Der Krieg in der Ukraine, die starke Erhöhung des Benzinpreises und die Frage der energetischen Autonomie zwingen jedoch die Kanditaten/-innen ihre Positionen, zumindest zur Energiefragen, zu beziehen. Was den Präsidenten und aktuellen Favoriten Emmanuel Macron angeht, präsentiert die Élysée-Webseite die Umwelt als „Kampf des Jahrhunderts“. Am 10. Februar plädierte Emmanuel Macron in Belfort zwar für eine „massive“ Investition in die erneuerbaren Energien, aber vor allem für eine „Renaissance der Atomenergie“ und für die Entwicklung von sechs Atomkraftwerken der neuen Generation (European Pressurized Reactor 2). Damit ist er auf einer Linie mit der konservativen Kandidatin Valérie Pécresse. Marine Le Pen und Éric Zemmour wollen nicht nur die Kernenergie deutlich stärken, sondern auch den Ausbau der Windkraftanlagen stoppen. Dem linken Lager werden zwar momentan wenig Chancen eingeräumt, aber seine Vorschläge im Bereich Klima und Umwelt sind ehrgeizig: Jean-Luc Mélenchon, Anne Hidalgo und Yannick Jadot befürworten eine sogenannte Klima-Spitzensteuer. Mélenchon will zudem die CO2-Emissionen bereits bis 2030 um 65 % reduzieren und die Windkraftkapazitäten mehr als verdoppeln . Die sozialistische Bewerberin Hidalgo will ein Klimaministerium initiieren. Yannick Jadot schlägt vor, 25 Milliarden pro Jahr für die Infrastrukturen der Umweltwende zu investieren. Der Kandidat der Grünen will aus der Kernenergie aussteigen und zehn AKWs bis 2035 schließen, mit dem Ziel, bis dahin 100 % des zur Gesamtversorgung benötigten Stroms aus erneuerbaren Energien zu beziehen .

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Sébastien Vannier ist seit 2013 im Centre Marc Bloch für die wissenschaftliche Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Er arbeitet zudem als Deutschlandkorrespondent für die französische Tageszeitung Ouest-France.