Die Frage der Armutsbekämpfung ist über das Thema des bedingungslosen Grundeinkommens in den französischen Wahlkampf geplatzt. Letzteres fand in Frankreich ein breites Medienecho. Die verschiedenen Präsidentschaftskandidaten haben das Thema ausgiebig kommentiert. Beides zeigt, wie sehr die Angst vor Armut das Land beschäftigt.
Seit der Finanzkrise ist die Frage der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung, ebenso wie die Armutsfrage, in Frankreich wie in allen entwickelten Ländern wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Über die traditionellen Parteigrenzen hinweg herrscht Beunruhigung. Die befürworteten Lösungsansätze variieren abhängig von den politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen der Einzelnen. So neigen beispielsweise die französischen Sozialdemokraten dazu, stärker für Sozialtransfers bei Beibehaltung des aktuellen ökonomischen Status quo einzutreten. Die klassischen Liberalen dagegen konzentrieren sich eher auf eine Vereinfachung des Arbeitsrechts, um Beschäftigungsanreize zu schaffen. Ungeachtet dieser üblichen Spaltung lässt sich mit gewissem Erstaunen beobachten, dass einige Liberale und der linke Flügel des Parti socialiste um Benoît Hamon in der Frage des bedingungslosen Grundeinkommen ungewollt übereinstimmen.
Offene Fragen
Von einem intellektuellen Standpunkt aus betrachtet, kann man die derzeitigen Debatten schwerlich als neu bezeichnen. Tatsächlich wurden sie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im englischsprachigen Raum von so unterschiedlichen Autoren wie Oscar Wilde, Bertrand Russell oder Milton Friedman offen ausgetragen. Was die Liberalen betrifft, so spiegelt sich in den heutigen Debatten ein gewisses Bewusstsein dafür, dass die globalisierte Wirtschaftsordnung und die Automatisierung unweigerlich Verlierer schaffen. Die Anhänger dieser Sichtweise sowohl in Frankreich als auch in den USA stellen das bedingungslose Grundeinkommen deshalb als Mittel dar, welches es ermöglicht, das System zu erhalten. Und zwar, indem man das Aufbegehren derer begrenzt, die von Globalisierung und technischem Fortschritt abgehängt zu werden drohen. Der Flügel der französischen Linken hingegen, der sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt, betont seinerseits die Notwendigkeit, den Bürger*innen in einer Welt des durch den globalen Wettbewerb verschärften ökonomischen Drucks eine gewisse Freiheit in ihren Lebensentscheidungen zu lassen. Ganz abgesehen von der eigentlichen Finanzierungsfrage (die geschätzten Kosten belaufen sich auf etwa 380 Milliarden Euro pro Jahr), scheint diese Strömung jedoch die gesamte Tragweite einer solchen Maßnahme innerhalb eines durch eine hohe Steuerbelastung ohnehin bereits angespannten Umfelds nicht zu erfassen. Die Idee eines so radikalen gesellschaftlichen Wandels, wie ihn das bedingungslose Grundeinkommen induzieren würde, beruht in der Regel auf der Annahme erheblicher Produktivitätszuwächse. Diese erhofft man sich von der „Vierten Industriellen Revolution“ (Robotisierung, 3D-Druck, künstliche Intelligenz). Trotz eines willkommenen Effekts der Rückverlagerung von Produktionsstätten aus dem Ausland würden diese aber auch die gegenwärtige Tendenz des sozialen Abstiegs eines Teils der Arbeiterschaft verstärken. Zu einem Zeitpunkt, da Frankreich einen beträchtlichen technologischen Rückstand auf diesem Gebiet aufweist, vernachlässigt Benoît Hamons Vorschlag einer Robotersteuer – in der Absicht, die Robotisierung noch stärker zu bremsen – die Frage der Produktivität. Damit läuft er im Grunde dem Vorschlag des bedingungslosen Grundeinkommens zuwider.
Ein Blick in die Programme
Die Präsidentschaftskandidaten, die sich gegen das bedingungslose Grundeinkommen aussprechen, haben sich dennoch zur Lösung der Armutsfrage geäußert. Die Debatte verläuft dabei eher entlang der traditionellen politischen Trennlinien. Aufseiten der Linksextremen stellt Jean-Luc Mélenchon die Erhöhung der Sozialausgaben und die Verteidigung sozialer Rechte, vor allem für die besonders von Armut betroffenen Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, ins Zentrum seines Vorhabens. Bei den Rechtsextremen dreht sich Marine Le Pens populistisches Wirtschaftsprogramm um die drohende Abwertung eines möglichen „Neuen Franc“ und einen Protektionismus, dessen Modalitäten (Größenordnung, anvisierte Märkte und Länder) jedoch nicht näher benannt werden. Die Républicains konzentrieren sich auf ein konventionelleres Wirtschaftskonzept. Sie gehen davon aus, dass die Armut durch eine allgemeine Rückkehr zum ökonomischen Wachstum zu bekämpfen sei. Mehr Wachstum erhoffen sie sich von einer Verringerung des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft und einer Senkung der Unternehmensbesteuerung. Emmanuel Macron folgt, trotz des Aufbaus einer neuen Mitgliedsstruktur bei En Marche, dem Ansatz des derzeitigen Establishments der französischen Sozialisten. Er behandelt die Armutsfrage vor allem im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht und den staatlichen Maßnahmen für Arbeitslose. Seine Vorschläge zielen in Richtung einer stufenweisen, gezielten Liberalisierung – allerdings unter Beibehaltung einer vielschichtigen Regulierung, mit der Absicht, den Druck auf die Arbeitslosen zu erhöhen. Die Massenarbeitslosigkeit wird in diesem Konzept als ein Problem des „Fine-Tunings“ der Entschädigungsregelungen betrachtet.