Bordeaux ist eine stolze Stadt. Im historischen Stadtzentrum am Fluss der Garonne strahlen die eleganten Fassaden der bürgerlichen Häuser Wohlstand, Kultur und Tradition aus. Die Hauptstadt der Region Aquitanien im Südwesten Frankreichs ist insbesondere für ihren Wein berühmt. Dass auch Sklavenhandel ihre Geschichte prägt, ist dagegen viel weniger bekannt. Der Franco-Senegalese Karfa Diallo wollte dies ändern und setzte sich dafür ein, diesen Teil der Stadtgeschichte "aus der Amnesie und der Tabuisierung herauszuholen". Denn Integrationspolitik kann in seinen Augen nur dann erfolgen, wenn das Gedächtnis Aller berücksichtigt wird.
Schon in seinem Heimatland im Senegal war Diallo ein politisierter Mensch, der in Studentenbewegungen aktiv war. Doch erst als er 1996 nach Frankreich auswanderte und in Bordeaux ankam, begann er, sich mit dem Sklavenhandel zu befassen. Der damalige Student stellte mit Unbehagen fest, dass seine neue Stadt "ihre Kolonialgeschichte würdigte, aber gleichzeitig den Sklavenhandel herunterspielte, ja sogar verdrängte". Damals hatte dieses Kapitel der Geschichte keinen Platz im kollektiven Bewusstsein der Stadt, auch Bücher zum Thema waren sehr selten. Und dies, obwohl Bordeaux im 18. Jahrhundert den zweitwichtigsten Sklavenhafen Europas – nach Nantes – besaß: Ihre 500 Schiffsladungen deportierten damals 130.000 Sklaven aus Afrika.
Bald begann Karfa Diallo, sich mit Anderen in einem Verein zu engagieren, um das Thema auf die politische Agenda zu setzen. Ein Marsch durch die Straßen von Bordeaux fand 1998 zum ersten Mal statt. Damals feierte Frankreich das 150. Jubiläum der Abschaffung der Sklaverei, es gab viele Veranstaltungen im ganzen Land. Diallo gefiel diese "Selbstglorifizierung der französischen Republik" nicht, denn er fand, dass die Leiden der Opfer, sowie der Widerstand der Afrikaner gegen den Sklavenhandel, dabei viel zu kurz kamen. Er wollte, dass seine Mitbürger erkennen, wie hart die Sklaven für ihre Befreiung gekämpft hatten – und auch dass sie zum Reichtum von Bordeaux maßgeblich beitrugen.
Mit seinen Forderungen und der Kompromisslosigkeit, mit welcher er sie stellte, machte sich Karfa Diallo nicht nur Freunde. Sein damaliges Verhältnis zu der Stadtbehörde, die sich brüskiert fühlte, beschreibt er als "sehr konfliktgeladen". Doch Schritt für Schritt zeigte man sich in Bordeaux bereit, diesen Teil der Geschichte aufzuarbeiten. Der Aktivismus von Diallo und seinen Weggefährten trugen dazu bei, aber auch die politische Stimmung in Frankreich hatte sich im Laufe der Zeit geändert. Die Loi Taubira wurde das Symbol dieses Wandels: Mit dem Gesetz, das die aus Französisch-Guyana stammende Abgeordnete – und seit 2012 Justizministerin – Christiane Taubira 2001 auf den Weg brachte, anerkennt die Republik Sklavenhandel und Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der Aktivist kämpfte lange dafür, dass Bordeaux ein Mahnmal für die Opfer des Sklavenhandels errichtet, so wie es die Stadt Nantes einige Jahre zuvor tat. Die Behörden entschieden sich aus finanziellen Gründen zwar dagegen, doch das berühmte Musée d‘Aquitaine führte 2009 Dauerausstellungen ein, die den Sklavenhandel mit Afrikanern thematisiert. Auch wenn Diallo darüber frustriert ist und den Stadtpolitikern vorwirft, das Projekt der Aufarbeitung "für eigene Zwecke genutzt und hoffähig gemacht" zu haben, sieht er ein, dass sie sich in dieser Frage bewegten. Im Laufe der Zeit verbesserte sich die Zusammenarbeit: Für die Stadtbesichtigungen, die er seit 2012 unter dem Motto "Das schwarze Bordeaux" (Bordeaux nègre) anbietet, kann er inzwischen mit der Unterstützung der Behörden rechnen.
Seit den Anschlägen auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Januar 2015 änderte sich Diallos Blick auf die französische Gesellschaft: Die Zeiten der Konfrontation sind vorbei, sagt er, es ist dringend geworden, das Zusammenleben wiederzubeleben und zu stärken. Auch daran will er mit neuen Projekten arbeiten.