Die Küche des 2-Sterne-Restaurants in Arbois, einem Weinbaudorf an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz, ist ein Ort der kulinarischen Überraschungen und der ewigen Erfindungen. Hier ist man auf der Suche nach dem perfekten Geschmackserlebnis – dafür sorgt Chefkoch Jean-Paul Jeunet, 61. Vom seinem berühmten Kollegen Alain Chapel, den er seit seiner Ausbildung als seinen Meister ansieht, übernahm er das Motto, dass Kochen vielmehr ist als die Zubereitung von Rezepten. Es geht dabei auch und vor allem um "das Weitergeben einer Kultur, eines Geistes; um die Lust, eine gastronomische Geschichte weiterzuerzählen, indem man sie auch verändert."
Monsieur Jeunet lässt sich gern von den Wäldern und den bergigen Landschaften des französischen Jura inspirieren: Auf dem Menü seines Restaurants haben Spezialitäten der Region wie Comté-Käse, Wild, Saucisse de Morteau (eine Räucherwurst aus der Stadt Morteau), Absinth und der wertvolle Vin jaune (dt.: gelber Wein) einen Ehrenplatz. Wer aber hier rustikales Essen erwartet, wird enttäuscht sein. Der Chefkoch ist nicht nur stolzer Botschafter seiner Region, sondern auch ein Reisender, der immer wieder Geschmacksrichtungen aus anderen Ländern nachgeht und in seine Küche aufnimmt. Was aus solchen Begegnungen entsteht, sind raffinierte Kombinationen, die regionale Traditionen und internationale Zutaten vereinen, z.B. ein Lamm-Confit mit karibischer Tonkabohne oder auch Schnecken mit Zwiebeln, Ingwer und Schwarzkümmel aus Eurasien.
Der Erhalt eines Michelin-Sterns im Frühling 1996 gab dem Leben des Jean-Paul Jeunet eine Wende. Es war zwar nicht der erste Stern, den der Reiseführer "Guide Michelin" seinem Restaurant verlieh. Denn als er es von seinem Vater übernahm, erbte er zugleich einen (den damals einzigen) Stern, den er in den darauf folgenden Jahren auch zu behalten wusste. Doch diese erste Anerkennung reichte ihm nicht: Er wollte sich seinen eigenen Stern erarbeiten. Sein Traum ging in Erfüllung, als er noch nicht 40 war und er erlebte diesen Tag als Befreiung: "Ich habe nicht versagt, sondern konnte den Ruf des Hauses stärken, so fühlte ich mich ab diesem Zeitpunkt stärker, selbstbewusster", erzählt er im Rückblick.
Dieser zweite Stern befriedigte seinen persönlichen Ehrgeiz und sicherte gleichzeitig seinen beruflichen Erfolg. Plötzlich interessierten sich Medien für seine Küche und die Klientel folgte zahlreich. Der Michelin-Stern brach aber nicht nur Leichtigkeit mit sich, auch der Druck wurde unmittelbar größer. Seitdem ließ der Koch aus Arbois nicht mehr davon ab, seine Arbeit und seinen Erfolg in Frage zu stellen: "Verdiene ich das wirklich?" Der Jura-Liebhaber versteht sich als Künstler, der immer wieder nach der Perfektion sucht, ohne sie jemals erreichen zu können – schon, weil sich das Ziel im Laufe des Lebens stets verändert.
Auch wenn er nicht so weit gehen würde wie seine Kollegen der Molekularküche, experimentiert er gern mit neuen Methoden und Techniken, die "einen zwingen, in andere Richtungen zu suchen". Noch wichtiger sind aber für ihn neue Sinnesempfindungen. Jeunet ist davon überzeugt, dass ein guter Koch erst einzelne Düfte, Aromen, Farben und Texturen in sich aufnehmen muss, bevor er sich an den Herd wagt. Dementsprechend erfordert der kreative Prozess genauso viel Geduld wie Demut. Oft spielen bei dieser Suche auch Spontaneität und Zufall eine Rolle: "Man folgt seinem Instinkt, mischt unterschiedliche Zutaten zusammen und eines Tages macht es klick: Ein einzigartiger Geschmack ist da!", sagt Jeunet, der von solchen Momenten immer wieder fasziniert ist.