Im Besprechungsraum sitzen zwanzig junge Frauen, die aus ganz Marokko in die kleine Stadt gekommen sind, um an einem feministischen Workshop teilzunehmen und sich über ihren Kampf für Frauenrechte auszutauschen. Das Treffen wurde vom "Fonds pour les femmes en Méditerranée" (dt.: Fonds für Frauen im Mittelmeerraum) organisiert – ein Verein mit Sitz in Montpellier, der sich für bessere Lebensbedingungen für Frauen in den Ländern des Mittelmeerraumes einsetzt. Fawzia Baba-Aissa, die 2008 den Verein mitgründete und nun dem Leitungsteam angehört, will "Frauen aus dem Norden und dem Süden zusammenbringen und Solidaritätsnetze weben".
Mit ihrem Verein hat die Franco-Algerierin das Gefühl, gleichzeitig an vielen Fronten zu kämpfen. Sie ist besonders besorgt über die Situation in den Südländern des Mittelmeerraums, wie in Libyen und Ägypten, wo Frauen unter der Verschärfung des religiösen Fundamentalismus sowie unter Kriegen und anderen Konflikten leiden. Aber auch in den Nordländern der Mittelmeerregion sei die Lage ernst. In Kroatien zum Beispiel, wo der Konservatismus stark sei, haben Frauen kein einfaches Leben. In der Mittelmeerregion seien alle Länder "miteinander verbunden", sagt Madame Baba-Aissa, und deutet dabei nicht nur auf eine gemeinsame Kultur hin, sondern auch auf die Präsenz von fundamentalistischen und konservativen Bewegungen an beiden Ufern des Mittelmeers.
Fawzia Baba-Aissa hat eine lange Erfahrung als Aktivistin: Schon mit 18 Jahren fing sie an, sich für Frauenrechte zu engagieren. Damals lebte sie noch in Algerien, wo sie geboren wurde und bis zu ihrem 24 Lebensjahr lebte – bis sie für ein paar Jahre nach Frankreich ging, um dort zu studieren und zu promovieren. In ihrer Kindheit hörte sie oft ihrer Mutter zu, die ihr unter Tränen erzählte, wie sie auf ihren beruflichen Traum verzichten musste, weil ihr autoritärer Vater sie jung aus der Schule nahm. Als sich die gleiche Geschichte mit einer Freundin von ihr wiederholte, war sie empört und schwor sich, alles zu tun, damit es nie wieder passiert. So begann sie, sich neben ihrer Karriere an der Universität als Feministin zu engagieren.
Schon in Algerien, wohin sie nach der Promotion zurückkehrte, war sie in Kontakt mit Frauen aus anderen Ländern, insbesondere aus Frankreich, Tunesien und Marokko, und später, als in den 90er Jahren der Bürgerkrieg ausbrach, aus Spanien, Italien, Ägypten und der Türkei. Damals wurde ihr klar, wie wertvoll ein internationales Netzwerk ist, vor allem wenn die Situation im eigenen Land heikel ist. Damals verstand sie auch, dass Engagement allein nicht reicht, wenn die Mittel fehlen. Inzwischen lebt sie in Frankreich und gründete mit anderen den Fonds für Frauen im Mittelmeerraum, der bei Sponsoren Geld einsammelt und es an kleine Vereine in den betroffenen Ländern weitergibt. Ihre Entscheidung hat die Frauenrechtlerin nie bereut, auch wenn sie es sehr schwierig findet, Unternehmen und Stiftungen für Frauenrechte zu gewinnen.
Doch bei Solidarität geht es um mehr als nur finanzielle Unterstützung: Bei gemeinsamen Problemen sollen Frauen aus dem Mittelmeerraum auch die Möglichkeit haben, voneinander zu lernen. Deswegen organisiert der Verein neben der Sponsorensuche Workshops, bei welchen Frauen aus einem Land gemeinsame Strategien entwerfen und sich soft skills (etwa im Konfliktmanagement) aneignen können. In der Regel nehmen auch Frauen aus anderen Ländern daran teil und berichten von ihren eigenen Erfahrungen. Fawzia Baba-Aissa ist oft dabei, bleibt aber im Hintergrund: Mit ihrem Verein will sie lediglich den Rahmen für Diskussionen bieten, belehren kommt für sie auf keinen Fall infrage.