Neben der europäischen Flagge mit ihren gelben Sternen flattern die Trikolore Frankreichs und die schwarz-rot-gelbe Fahne der Bundesrepublik. Der schlichte Kubus, der das deutsch-französische Kulturzentrum beherbergt, befindet sich weder in Straßburg noch in Brüssel. Wer dieses Symbol der deutsch-französischen Annäherung mit eigenen Augen sehen will, muss nach Ramallah – ausgerechnet in eine Stadt, die für Ausgrenzung und gescheitertes Zusammenleben steht. Hier, weit weg vom europäischen Alltag, will Julien Chiappone "an die deutsch-französische Zusammenarbeit konkret rangehen". Der französische Leiter des Kulturzentrums ist sich über die Schwierigkeit seines Auftrags bewusst: "Für einen Palästinenser macht der deutsch-französische Ansatz nicht zwangsläufig Sinn".
Im Kulturzentrum von Ramallah, das auch als Europahaus fungiert, funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Franzosen nach einmaligen Regeln. Formal gesehen sind beide Teams vom Institut français und vom Goethe Institut selbstständig. So wird das Zentrum von zwei Direktoren geleitet, die jeweils Frankreich und Deutschland vertreten und getrennte Haushalte verwalten. Doch die Mitarbeiter teilen sich mehr als nur vier Wände und ein Dach. Denn ihre Aufgabe ist es, gemeinsame Projekte in die Wege zu leiten. Gute Kommunikation und interkulturelles Geschick sind hier notwendig, um Missverständnisse zu vermeiden. Aber auch, um nach außen vereint aufzutreten. Dass Berlin und Paris im Nahost-Konflikt unterschiedliche Positionen vertreten, macht die Arbeit nicht gerade leichter.
Bei dieser Herausforderung setzt Julien Chiappone auf Pragmatismus. Bei seiner Arbeit geht es nicht darum, Ideologien zu verbreiten, sondern konkrete Projekte zu entwickeln. Neben den klassischen Französisch- und Deutschkursen gehören dazu Projekte wie die Förderung von Nachwuchsjournalisten aus Deutschland, Frankreich und Palästina, die einen Reiseführer für palästinensische Städte erarbeiten oder auch die Organisation eines einwöchigen Workshops über die Schaffung von Videospielen. Solche Projekte sind weit weg von der großen Politik und trotzdem haben sie eine große Wirkung. Chiappone beschreibt sie sogar als Instrumente eines außenpolitischen "soft powers": "Die Palästinenser wissen die Mobilität im Kulturbereich zu schätzen, so hilft man ihnen auch, ihre Gesellschaft zu strukturieren".
Eines der Lieblingsprojekte des französischen Leiters ist der "Bibliobus". Mit seiner Ladung an Lesestoff fährt der Kleinbus des deutsch-französischen Kulturzentrums durch die palästinensischen Gebiete, um den Menschen vor Ort Bücher vorzustellen und auszuleihen. Darüber hinaus bietet er Veranstaltungen an, wie Lesungen von Märchen oder Gespräche mit Bücherillustratoren – nicht nur in Städten wie Ramallah, Hebron und Jerusalem, sondern auch in abgelegenen Orten, wo die Kinder oft keinen Zugang zu den Büchern haben. In einem hoch fragmentierten Gebiet, wo freies Bewegen keine Selbstverständlichkeit ist, ermöglicht der Bücherbus einen Zugang zu Wissen und Kultur. Was Monsieur Chiappone dabei besonders gefällt, ist dass der Geist der Freiheit gleich mitfährt.
Er empfindet es als großes Glück, in einem Land zu arbeiten, "wo sich die Menschen so sehr nach Wiederaufbau sehnen" und er möchte eigentlich noch viel mehr machen. Doch er kennt die Grenzen seiner Arbeit. Seitdem eine Mauer um das Westjordanland errichtet wurde, gibt es zwischen den palästinensischen Gebieten und Israel nur noch sehr wenige Kontakte. Wie all seine Kollegen muss sich Julien Chiappone an den Boykott halten – und also vorerst darauf verzichten, zwischen beiden Gesellschaften Brücken zu bauen.