Interview mit Ulrike Steinhorst
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Die europäische Wirtschaftskrise geht nicht spurlos an Frankreich vorbei. Ulrike Steinhorst, Direktorin für Strategie bei der Airbus Group, spricht von einer Vertrauenskrise in den französischen Staat. Darauf müsse die Wirtschaft reagieren. Steinhorst äußert sich im Interview zu Innovationschancen und Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit.
Interview mit Ulrike Steinhorst
Wie würden Sie den Standort Frankreich beschreiben? Welche Stärken und Schwächen hat er Ihrer Meinung nach? Auch mit Deutschland verglichen?
Frankreich ist, glaube ich, bekannt und berühmt für seine gute Infrastruktur. Das ist nicht nur die Verkehrsinfrastruktur, das heißt gute Straßen, die TGV-Zugverbindungen [TGV= Schnellzug], die es überall gibt und die auch an die Nachbarländer angebunden sind. Aber es gibt auch eine gute Infrastruktur der Energie. Die viel kritisierte Kernenergie schafft Frankreich halt doch eine sehr interessante Unabhängigkeit von Importen, von anderen Energiealternativen, die man entwickeln könnte. Frankreich liegt zwar ziemlich im Westen Europas, jetzt nach der Erweiterung der EU [Europäischen Union], aber Frankreich ist angebunden an die großen, industrialisierten Nachbarländer. Das sind die Benelux-Staaten, das sind Deutschland, Italien, die Schweiz und jetzt eben auch die iberische Halbinsel. Das ist eine Position, die, wenn man eine gute Verkehrsinfrastruktur hat, durchaus ein Vorteil sein kann.
Sie sind bei Airbus unter anderem für Innovationsfragen zuständig. Ist die französische Wirtschaft immer noch innovationsfähig? Wie könnte sie eventuell innovationsfähiger werden?
Was wir hier bei Airbus machen ist Innovation und Forschung. Wenn ich diese Zahl einfach mal fallen lassen darf: Wir forschen ungefähr für etwa eine Milliarde pro Jahr. Das ist schon eine ganze Menge! Wir haben 37 Tausend Patente im Portfolio und legen ebenso ungefähr fast 1000 Patente pro Jahr neu auf. Das ist schon ganz, ganz erheblich. Was wir hier machen, als größtes Unternehmen der Luft- und Raumfahrt in Frankreich und übrigens auch in ganz Europa, das ist kennzeichnend für andere große Unternehmen in Frankreich, die auch global aufgestellt sind. Ich denke da zum Beispiel an Total oder an Sanofi aus der pharmazeutischen und der chemischen Industrie und auch aus der Automobilindustrie. Frankreich hat in den letzten Jahren eine ganze Menge für die Innovation getan und genau da angesetzt, wo man ansetzen muss, wenn man einen sehr zentralisierten Staat hat, wo alles in Paris stattfindet und wenig auf dem platten Land. Es gibt die Initiative, diese Polykompetitivität zu gründen. In Frankreich gab es eine Universitätsreform. All das fördert die Innovation und nicht nur die Forschung im Sinne von Innovation, sondern auch die Anwendung der Ergebnisse der Forschung in ganz konkrete Wirtschaftsaktivitäten oder Industrieaktivitäten.
Und was ich aus Frankreich kenne, von meinen vielen Reisen auch hier in Frankreich, ist, dass es eine ganze Menge an kleinen, neuen Startups gibt. Davon redet man eigentlich gar nicht so viel, aber die Innovationskraft von kleinen Startups ist enorm. Die Franzosen sind außerordentlich gut in Mathematik, angewendeter Mathematik. Diese neuen Startups sind im Bereich angewendeter Mathematik, das heißt neue Algorithmen, die für die Industrie wichtig sind, die immer mehr miteinander verbundene Welt, die "connected cars", die "connected planes", connected Städte oder connected wir selber. Das ist schon gut und diese Innovationen interessieren Investoren aus der ganzen Welt. Kleine Startups werden aufgekauft von großen Industrieunternehmen, die woanders herkommen, oder Service-Unternehmen.
zur PersonUlrike Steinhorst
Ulrike Steinhorst ist seit 2012 Direktorin für Strategie, Planung und Finanzen beim europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus Group (früher EADS). Sie war 2007 bei EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) als Stabschef des Vorstandsvorsitzenden Louis Gallois angestellt.
Ulrike Steinhorst ist eine deutsche Juristin, die an der Universität Paris II – Panthéon, sowie an den französischen Elitehochschulen ENA (École nationale d’administration) und HEC (Ecole des hautes études commerciales de Paris) studierte. Sie begann ihre Karriere in Frankreich, zuerst als technische Beraterin im französischen Ministerium für europäische Angelegenheiten, wo sie für die deutsch-französischen Beziehungen in der Zeit der Wiedervereinigung zuständig war.
Von 1990 bis 1998 hat sie in der Abteilung Internationales bei dem staatlichen Energieanbieter "Electricité de France" gearbeitet. Zunächst war sie Beraterin für internationale Angelegenheiten, später für institutionelle Angelegenheiten innerhalb der Unternehmensleitung und schließlich Leiterin der internationalen Tochtergesellschaften des Geschäftsbereiches Industrie. 1999 wechselte Ulrike Steinhorst zur Degussa AG, wo sie Leiterin der Personalabteilung war. Bevor sie die Verantwortung für die Vertretung in Brüssel übernahm, leitete sie die Tochtergesellschaft von Degussa in Frankreich.
Zurzeit wird in Frankreich viel über das Thema Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Wie nehmen Sie diese Debatte wahr?
Wenn wir die globale Wirtschaft in Frankreich daraufhin testen oder untersuchen, ob sie wettbewerbsfähig ist in der globalisierten Welt, werden wir wahrscheinlich sagen müssen, da sind noch ein paar Fortschritte notwendig. Und das wird breit diskutiert und jeder weiß es eigentlich, dass in Frankreich der Staat zu lange zu sehr präsent war, dass zu starre Strukturen die Wirtschaftsaktivitäten regeln. Frankreich bewegt sich in diesem Bereich ganz stark in den letzten Jahren, in die Richtung einer mehr liberalen, dezentralen Wirtschaftssteuerung. Aber das ist ein langer und mühsamer Weg, weil sich historisch in Frankreich der Fortschritt im Land sehr stark über den Staat entwickelt hat. Gerade nach dem zweiten Weltkrieg, 1946, die Gründung der großen Staatsunternehmen und die hohen Investitionen in die Infrastruktur, wovon Frankreich heute noch profitiert.
Aber die Wirtschaft ist anders geworden. Sie ist dezentraler, sie ist agiler. Sie kann mit starren Staatsstrukturen eigentlich nicht mehr viel anfangen. Diese müssen sich verändern, sich anpassen, flexibler werden. In Frankreich sind die Champions große Industrieunternehmen, global aufgestellt. Der Mittelstand in Frankreich ist ein bisschen das Stiefkind. Es gibt keinen Mittelstand wie in Deutschland. Also diese mittelgroßen Unternehmen, die ETI’s (Entreprises de taille intermédiaire), sind in Frankreich selten. Und die kleinen Unternehmen, selbst wenn sie innovativ sind, sind einfach zu schwach, zu wenig mit Kapital ausgestattet und wenn eine Krise mal vorbei schwebt, dann verschwinden die. Diese ganz kleinen Unternehmen, obwohl extrem agil und innovativ, sind oft nicht in der Lage zu überleben. Wenn man diesen kleinen innovativen Unternehmen unter die Arme greifen könnte und das tuen manche großen, eigentlich alle großen Unternehmen, dann funktioniert das auch. Aber wenn man die PME/PMI [petites et moyennes entreprises/industries = kleine und mittlere Unternehmen] in Frankreich jetzt, heute, alleine in die große weite Welt entlässt, dann werden sie nicht lange überleben.
Trotz der guten Aufstellung der großen Unternehmen, die sie gerade erwähnt haben, ist die Angst vor der Globalisierung in der französischen Bevölkerung ziemlich verbreitet. Wie kann man das erklären? Das ist schon paradox.
Das hängt sicher damit zusammen, dass sich die Wahrnehmung der Bevölkerung natürlich auf die Nation Frankreich beschränkt und alles, was von außen kommt als Bedrohung empfunden wird. Man hat das Gefühl, man hat keine Kontrolle mehr. Es gibt eine Vertrauenskrise in die Zukunft des französischen Staates sicher auch, über den so viel Gutes auf die französische Bevölkerung herunterrieselte während der letzten Jahrzehnte und dessen Handlungsfähigkeit einfach nicht mehr so gegeben ist. Ein schwaches Europa, was nicht dabei helfen kann, den Franzosen eine neue [Identität] zu geben, über den Nationalstaat hinaus und die eigene wirtschaftliche Morose, in der sie jetzt gerade stehen. Hohe Arbeitslosigkeit und eigentlich kein Licht am Ende des Tunnels. Ich glaube, es ist wirklich eine Krise im Gange in Frankreich, die tiefgreifenden Veränderungen vorausgeht. Die Leute haben kein Vertrauen in ihre Eliten, um diese Veränderungen so zu führen, dass etwas Gutes dabei herauskommt. Ich glaube, da gibt es ein ganz tiefes Misstrauen. Das ist mehr Psychologie als Wirtschaft.
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Dr. phil. Claire Demesmay, geb. 1975, leitet das Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Kontakt: E-Mail Link: demesmay@dgap.org
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