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Die Wunden des Weltkrieges Ein Besuch in Verdun
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Junge Deutsche und Franzosen haben eine sehr verschiedene Wahrnehmung des Ersten Weltkrieges. Ein gemeinsamer Besuch des Schlachtfelds von Verdun lässt einige von ihnen jedoch dasselbe empfinden: die Pflicht, eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.
Mélanie Voin war schon öfter in Verdun. Aber es ist das erste Mal, dass die junge Französin zusammen mit Deutschen an jenen Ort kommt, an dem im Ersten Weltkrieg mehr als 300.000 Soldaten aus beiden Ländern ihr Leben ließen. „In einer binationalen Gruppe hier zu sein“, sagt sie, „verändert den Blick auf Verdun“. Mehr noch: Es verändert den Blick auf den Ersten Weltkrieg insgesamt – bei Deutschen wie bei Franzosen.
Die junge Unternehmensberaterin Mélanie Voin ist an diesem Tag im Frühjahr 2014 mit dem „Deutsch-französischen Zukunftsdialog“ nach Verdun gereist, einem Förderprogramm der Robert-Bosch-Stiftung für Berufseinsteiger. In der lothringischen Stadt und auf den Anhöhen östlich davon besichtigen die 20 Teilnehmer das, was noch sichtbar ist von der Schlacht. Sie besuchen die unterirdische Zitadelle der Stadt, einst Knotenpunkt der französischen Militärlogistik, und auch das eigentliche Schlachtfeld um das damals heftig umkämpfte Fort Douaumont.
Zwischen Februar und Dezember 1916 gingen hier auf wenigen Quadratkilometern 60 Millionen Geschosse nieder, ohne dass sich der Frontverlauf dadurch wesentlich veränderte. In Verdun – einem Synonym der Katastrophe – vollzog sich die Industrialisierung des Krieges: Flammenwerfer, Giftgas und auf grausame Weise effiziente Mörsergeschütze wie die „Dicke Bertha“ kamen zum Einsatz. Am Himmel tobte der Luftkrieg. Heute ist das Schlachtfeld eine weitläufige Gedenkstätte. Der Lärm der Schlacht, der Verwesungsgeruch der Leichen, das Elend in den Frontstellungen lassen sich nicht erahnen. Am Boden aber sind überall die Bombenkrater und die Reste der Schützengräben zu sehen.
„Mein Urgroßvater hat in diesen Gräben gelegen“, sagt ein französischer Teilnehmer des „Zukunftsdialogs“. Gleich mehrere Franzosen aus der Gruppe wissen von Vorfahren, die hier kämpfen mussten. Die französische Armee setzte damals in einem Rotationssystem fast alle ihre Divisionen in Verdun ein, während auf deutscher Seite fast immer dieselben Einheiten im Feld blieben. Das ist ein Grund, warum die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Frankreich bis heute viel stärker ist als in Deutschland. Ein anderer, dass die Westfront auf französischem Boden verlief und dort tiefe Wunden hinterließ. Vor allem aber hält der französische Staat das Gedenken bewusst wach – mit einem Feiertag zum Waffenstillstand 1918 und obligatorischen Klassenfahrten nach Verdun. Bis heute wird das für Frankreich am Ende siegreiche Gemetzel „la Grande Guerre“ genannt, „der Große Krieg“. Den jungen Deutschen aus der Gruppe mutet das merkwürdig an. Den jungen Franzosen zunehmend auch.
Von den deutschen Teilnehmern weiß keiner, ob einer seiner Urgroßväter in den Schützengräben von Verdun lag – obwohl der Ort genauso zu ihrer Geschichte gehört wie zu der der französischen Partner. „Bei uns ist alles überlagert vom Zweiten Weltkrieg“, sagt ein Deutscher. „In unseren Familien wurde kaum etwas überliefert, und wir nehmen den Ersten Weltkrieg auch nur durch das Prisma des Zweiten wahr. Das wird einem hier bewusst.“
Bei allen Unterschieden zeigt sich, dass sich die Wahrnehmungen junger Deutscher und Franzosen annähern: Die lange umstrittene Frage etwa, wer eigentlich schuld ist am Krieg – sie interessiert im „Zukunftsdialog“ an diesem Tag nicht mehr. Beide Seiten empfinden in Verdun vor allem eine Pflicht, das gemeinsame Europa zu gestalten.
Die Gruppe besucht den Soldatenfriedhof, auf dem in langen Reihen weiße Kreuze stehen, und das Beinhaus von Douaumont. In der monumentalen Gedenkstätte sind die Überreste von 130.000 Soldaten aufbewahrt. Anfang 2014, fast ein Jahrhundert nach Ausbruch des Kriegs, ist hier zum ersten Mal der Name eines deutschen Soldaten in das Gemäuer eingraviert worden: Peter Freundl, gefallen im Mai 1916, im Alter von 21 Jahren.
Die Besichtigung endet in Fleury, einem in der Schlacht ausgelöschten Dorf. Kleine Stelen zeigen an, wo die Bauern, der Bäcker oder der Schmied ihre Häuser hatten. Heute sind dort Krater, um die herum Bäume wachsen. Durch die Bäume scheint die Abendsonne, Vögel singen. Alles ist friedlich.
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Leo Klimm ist Journalist und Frankreich-Korrespondent der Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien.
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